Sie sind hier
E-Book

Die Sicherheitsgesellschaft

Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert

AutorPeer Stolle, Tobias Singelnstein
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl181 Seiten
ISBN9783531908649
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Soziale Kontrolle und das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit haben sich grundlegend verändert. Das Buch stellt diesen Wandel dar und interpretiert ihn als Herausbildung einer neuen Formation sozialer Kontrolle, die sich als Sicherheitsgesellschaft beschreiben lässt. Diese Entwicklung wird vor dem Hintergrund der ökonomischen, soziokulturellen und diskursiven Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte analysiert, die die Grundlage dafür bilden, dass Staat und Gesellschaft Kriminalität und Abweichung heute anders verstehen und anders darauf reagieren. Hiervon ausgehend werden Grundzüge einer Kritik skizziert und ein Ausblick auf Alternativen gegeben.



Dr. Tobias Singelnstein ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie und Strafrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Peer Stolle ist als Rechtsanwalt in Berlin tätig und war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie an der Juristischen Fakultät der TU Dresden.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
2 Gesellschaft im Wandel (S. 17)

Sowohl Gegenstand und Zweck von Sozialkontrolle als auch die dazu eingesetzten Mechanismen und Techniken sind nicht statisch, sondern hängen von den soziokulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen und Bedingungen einer Gesellschaft ab. Ein Wandel dieser Rahmenbedingungen zieht auch Veränderungen im Bereich sozialer Kontrolle nach sich.

Zum Verständnis der gegenwärtigen Formation von Sozialkontrolle ist es somit notwendig, sich mit den umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen auseinanderzusetzen, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten sind. Denn diese bilden die Grundlage für einen erheblichen Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Kontrolle (dazu unten 3).

Die zurückliegenden Jahrzehnte waren in den westlichen Industriestaaten von tief greifenden ökonomischen, politischen und soziokulturellen Transformationsprozessen geprägt, die in den vergangenen Jahren deutlich an Intensität gewonnen haben. Diese Entwicklung wird in der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit verschiedenen Begriffen beschrieben.

Wir konzentrieren uns im Folgenden auf zwei Ansätze, anhand derer wir diesen Wandel kursorisch darstellen: Mittels der Regulationsschule interpretieren wir die Veränderung des ökonomischen Akkumulationsregimes und der dazugehörigen Regulationsform als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus. Die parallel dazu verlaufenden soziokulturellen Veränderungen diskutieren wir unter dem Stichwort einer sich herausbildenden Post- bzw. Spätmoderne.

2.1 Ökonomische Umbrüche

Die Veränderungen des Akkumulationsregimes seit den 1970er Jahren und der dazugehörigen politischen Regulationsweise werden von der Regulationsschule als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus beschrieben. Unter Fordismus wird eine Form der Produktionsorganisation verstanden, die sich vorwiegend durch eine hoch rationalisierte Massenproduktion, staatliche Regulierung und ein korporatives Integrationsmodell auszeichnet.

Benannt ist sie nach dem US-amerikanischen Automobilhersteller Henry Ford, der 1909 als erster die Fließbandproduktion in seinen Werken einführte, die zwischen 1920 und 1970 zum führenden Produktionsmodell in weiten Teilen der industrialisierten Welt wurde.

Die Arbeitsorganisation in diesen Fabriken zeichnete sich durch eine Zerlegung der Produktion in einzelne Teilschritte, eine umfassende Arbeitsteilung und eine Dequalifizierung der Fabrikarbeiter aus, die rigide überwacht wurden und bedingt durch das Fließband vorwiegend stupide Arbeitsvorgänge zu erledigen hatten.

Durch die starke Rationalisierung der Produktion und die hohe Arbeitsproduktivität ermöglichte der Fordismus Lohnsteigerungen, die zu einem Massenkonsum führten, der es den Fabrikarbeitern ermöglichte, ihre eigenen Produkte zu erwerben. Parallel dazu setzten sich die Lehren von John Maynard Keynes durch, der gegen Wirtschaftskrisen und Unterbeschäftigung einen stark lenkenden Eingriff des Staates in die Marktabläufe propagierte, um so eine Vollbeschäftigung zu garantieren.

Dies führte zu einer staatlichen Regulierung nicht nur der Produktion, sondern weiter Teile der Gesellschaft, die sich in der Realität des Sozial- und Wohlfahrtsstaates niederschlug. Das vor allem in (West-)Deutschland sehr ausgeprägte Modell des Korporatismus im Rahmen der Sozialpartnerschaft zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden gewährleistete dabei einen gewissen sozialen Ausgleich.

Der keynesianische Wohlfahrtsstaat war demnach in seiner Blütezeit vornehmlich darauf bedacht, die Nachfrage im Interesse der Vollbeschäftigung zu regeln, soziale Rechte über normierten Massenkonsum auszuweiten und – zumindest in Kontinentaleuropa – bestimmte Bereiche zu dekommodifizieren, beispielsweise durch Frühverrentung und die Gewährung von passiven Leistungen ohne Aktivierungsmaxime.

Diese Akkumulationsform hatte sich Anfang der 1970er Jahre weitgehend erschöpft. Das in dieser Zeit vor allem im Bereich der Mikroelektronik stattfindende „technologische Erdbeben führte nicht nur zu Veränderungen im Alltags- leben und Konsum, sondern wirkte sich auch auf die Produktionsorganisation und -form aus. Die herkömmliche, am Fließband orientierte Produktionsweise wich zunehmend einer automatisierten Form, die zunächst zu Arbeitserleichterungen, später aber zu Arbeitskrafteinsparungen führte.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort zur 2. Auflage8
Vorwort zur 1. Auflage10
1 Einführung11
1.1 Soziale Kontrolle: Begriff und Erscheinungsformen11
1.2 Soziale Kontrolle und Gesellschaft12
1.3 Gang der Untersuchung und Begrifflichkeiten14
1.4 Ausgangspunkte und Zielrichtung15
2 Gesellschaft im Wandel17
2.1 Ökonomische Umbrüche17
2.2 Staatlichkeit im Wandel20
2.3 Soziokulturelle Veränderungen21
2.4 Zusammenfassung23
3 Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Kontrolle25
3.1 Sozialkontrolle im Wohlfahrtsstaat25
3.2 Veränderte gesellschaftliche Strukturen27
3.3 Sicherheitsdiskurse und gesellschaftliche Verunsicherung33
3.4 Protagonisten des Wandels42
3.5 Zusammenfassung: Vorgaben für gegenwärtige Sozialkontrolle55
4 Soziale Kontrolle der Gegenwart57
4.1 Mechanismen gegenwärtiger Sozialkontrolle57
4.2 Techniken gegenwärtiger Sozialkontrolle69
4.3 Institutionelle Veränderungen90
4.4 Systematisierung und Zusammenschau110
5 Grundzüge einer Kritik117
5.1 Theoretische Ansätze117
5.2 Alternative Perspektiven131
5.3 Das Strafrecht im Besonderen138
5.4 Zusammenschau142
6 Gesellschaftspolitischer Ausblick145
6.1 Kritik gängiger Argumentationsmuster145
6.2 Alternative Ansatzpunkte151
6.3 Zusammenschau159
7 Fazit161
Literaturverzeichnis163
Abkürzungsverzeichnis181

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS ist seit mehr als 25 Jahren die Fachzeitschrift für den IT-Markt Sie liefert 2-wöchentlich fundiert recherchierte Themen, praxisbezogene Fallstudien, aktuelle Hintergrundberichte aus ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

filmdienst#de

filmdienst#de

filmdienst.de führt die Tradition der 1947 gegründeten Zeitschrift FILMDIENST im digitalen Zeitalter fort. Wir begleiten seit 1947 Filme in allen ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen.  ...