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Ferdinand Vieth 1869 - 1946

Leben und Wirken eines Genossenschafters in Selbstzeugnissen und Beiträgen

AutorHartmut Bickelmann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783746027029
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Ferdinand Vieth war vom Kaiserreich bis nach dem Zweiten Weltkrieg, also in bewegten Zeiten, eine maßgebliche Stimme der deutschen Konsumgenossenschaften. Viele Jahre war er tätig als Sekretär des Verbandes norddeutscher Konsumgenossenschaften, mit der Hamburger Genossenschaft "Produktion" war er seit seiner Gründung verbunden. Mit der Entwicklung und Realisierung des Konzepts der Bezirkskonsumgenossenschaft erwies er sich als kreativer Kopf. Er pflegte Kontakte auch international und hat viele seiner Erfahrungen schriftstellerisch verarbeitet.

Dr. Hartmut Bickelmann, Historiker, Direktor a.D. des Stadtarchivs Bremerhaven, Publikationen zur Geschichte der Migration, zur Stadt- und Regionalgeschichte, insbesondere des Elbe-Weser-Raumes, zum Archivwesen sowie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

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Leseprobe

FERDINAND VIETH

Mein Lebenslauf [1946]1


Meine Abstammung und meine Herkunft in Altona2

In meinen Adern fließt rein holsteinisches Blut. Meine Vorfahren väterlicherseits haben bis zu den Ururahnen immer in Wedel, Schulau und Umgegend gelebt und meine Vorfahren mütterlicherseits in Altona. In den Elbegemeinden kommt der Name Vieth zum ersten Mal in der Geschichte von Blankenese vor. Der erste Gastwirt und Fährmann in Blankenese führte den Namen Vieth-Breckwold3. Die Nachkommen dieses Vieth-Breckwold siedelten sich später weiter elbabwärts an, und aus diesen Siedlungen sind die Ortschaften Wedel, Schulau, Spitzerdorf und Tinsdal entstanden, die jetzt gemeinsam die Stadt Wedel bilden. Der Doppelname Vieth-Breckwold ist aber nach der Umsiedlung verschwunden, die einen hießen nun kurz Vieth, die anderen Breckwold. Die Breckwolds haben sich sehr stark vermehrt, denn in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hieß in Wedel, Schulau und Umgegend fast jeder zweite Mann Breckwold. Die Vieths haben sich nur schwach vermehrt, denn seit Jahrzehnten ist der Name Vieth in Wedel und Umgegend ausgestorben.

Der vorherrschende Beruf bei den männlichen Vorfahren meines Vaters und meiner Mutter war der des Seefahrers. Auch der Bruder und die sämtlichen Vettern meines Vaters, die Brüder und Vettern meiner Mutter, wie auch einer meiner Brüder und meine sämtlichen Vettern waren Seefahrer. Nur mein Vater, mein ältester Bruder und ich sind aus der Art geschlagen und haben ein Handwerk erlernt, und zwar alle drei das Korbmacherhandwerk.

Mein Vater wurde am 18. April 1833 als Sohn des Seemannes Hans Hinrich Vieth und seiner Ehefrau geb. Breckwold geboren. Er erhielt ebenfalls die Vornamen Hans Hinrich. Den Schulunterricht hat mein Vater noch in Wedel in der damals üblichen Art genossen, d.h. im Winter in die Schule gehen und im Sommer beim Bauern als Junge dienen. Die Schulkenntnisse meines Vaters waren aber trotzdem sehr gute. Nach beendeter Schulzeit siedelte er mit seinen Eltern nach Altona über, wo sein Vater den Beruf des Seefahrers mit dem eines Hafenarbeiters wechselte. Unter den Hafenarbeitern in Altona galt mein Großvater lange Zeit als der stärkste Mann. Es wurden Wunderdinge von ihm darüber erzählt, was er an Lasten tragen konnte. Bei dem damaligen Fehlen der technischen Hilfsmittel wurden solche Körperkräfte sehr geschätzt.

Mein Vater lernte in Altona das Korbmacherhandwerk beim Korbmachermeister Deike in der Breitenstraße. Als Geselle wanderte er zunftgemäß durch Nordwestdeutschland und arbeitete an verschiedenen Plätzen, am längsten in Lüneburg. Nach Beendigung seiner Militärzeit bei den dänischen Dragonern in Slagelse4 und Kopenhagen, hatte er die Absicht, sich zu verheiraten. Nach den damals herrschenden Zunftregeln durfte ein Handwerker aber nur dann heiraten, wenn er vorher Meister und Bürger geworden war, andernfalls mußte er aus dem Gewerbe ausscheiden und sich als ungelernter Arbeiter betätigen. Das Meister- und Bürgerwerden war aber in Altona mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Abgesehen davon, daß der Betreffende sechs Wochen ohne Entlohnung in der Werkstatt des Obermeisters drei vom Korbmacheramt vorgeschriebene Meisterstücke anzufertigen hatte, war eine Abgabe von 1.200 Kurant Mark damit verbunden, eine für die damalige Zeit sehr hohe Summe, die mein Vater nicht zur Verfügung hatte. Nun bestand aber in der Zunftgesetzgebung die Klausel, daß, wenn in einem Ort das betreffende Handwerk noch nicht vertreten war, die Ortsverwaltung es aber für nötig hielt, daß sich dort einer als Meister niederließ, dann konnte sich dort ein Handwerker ohne Beachtung der Zunftregeln selbständig machen und heiraten. Pinneberg war der Ort, für den diese Voraussetzungen zutrafen und in dem mein Vater sich deshalb 1850 selbständig machte und sich mit Johanna Margarete Müller, die am 14. Dezember 1834 in Altona geboren war, verheiratete. Meine beiden ältesten Geschwister sind in Pinneberg geboren. 1863 siedelten meine Eltern wieder nach Altona über, wo mein Vater nun unter den Zunftbedingungen Meister und Bürger wurde. Das Geld dazu hatte er sich in Pinneberg verdient. Lange hat die Freude am zünftigen Meistertum aber nicht gedauert, denn 1866 wurde das Herzogtum Schleswig-Holstein eine preußische Provinz, und bald darauf trat die Gewerbefreiheit ein.

Meine Eltern betrieben in dem Hause Große Bergstraße 94 ein gut gehendes Korbwarengeschäft mit Laden und Werkstatt. In diesem Hause erblicke ich am 18. November 1869 als viertes Kind meiner Eltern das Licht der Welt. Ich war nach den Mitteilungen meiner Eltern ein sehr schwaches Kind, das nach Ansicht der Ärzte nicht lebensfähig sei. Als mein Vater 1870 in den Krieg ziehen mußte, hat er endgültig von mir Abschied genommen, weil er der festen Überzeugung war, daß er mich nach seiner Rückkehr nicht wieder sehen wird. Über meine Lebensfähigkeit haben sich Eltern und Ärzte gründlich getäuscht, denn ich stehe jetzt im 77. Lebensjahr und bin bei dem Wiederaufbau der Konsumgenossenschaften noch rege tätig.

Nach dem Kriege von 1870/71 gab es in Deutschland einen starken wirtschaftlichen Aufschwung, der unter der Bezeichnung „Gründerperiode" berühmt und berüchtigt geworden ist. Auch das Geschäft meines Vaters nahm einen lebhaften Aufschwung, wodurch er sich verleiten ließ, das Grundstück Große Bergstraße 107 für einen sehr hohen Preis käuflich zu erwerben. Dieser Hauskauf sollte ihm zum Verhängnis werden. Die Kriegskonjunktur hielt nicht lange an. Ihr folgte eine Wirtschaftskrise, in der viele Firmen zusammenbrachen, die Geschäfte allgemein schlecht gingen und die Grundstückspreise erheblich sanken. Da mein Vater mit der Korbmacherei die Lasten des Hauses nicht tragen konnte, eröffnete er darin eine Gastwirtschaft, in der Hoffnung, durch den starken Verkehr in der Großen Bergstraße und durch seine große Bekanntschaft diese zum Florieren bringen zu können. Zunächst ging die Wirtschaft auch sehr gut, und zwar dadurch, daß die sozialdemokratische Partei das Lokal meines Vaters zu ihrem Verkehrslokal machte. Der damalige Führer der S.P.D. in Altona, der Reichstagsabgeordnete Otto Reimer, betrieb bei uns im Nebenhaus ein Zigarren- und Tabakwarengeschäft. Bei einer Reichstagswahl war das Lokal meines Vaters das Wahlbüro der sozialdemokratischen Partei. Viele der bekannten sozialdemokratischen Führer, wie Wilhelm Hasenclever, der den 8. schleswig-holsteinischen Wahlkreis, Altona-Stormarn, im Reichstag vertrat, Ignaz Auer, Karl Frohme und viele andere sind Gäste in der Wirtschaft meines Vaters gewesen.

Da kam 1878 die Katastrophe. Am 1. Oktober 1878 trat das Ausnahmegesetz gegen die sozialdemokratische Partei in Kraft, und bald darauf wurde über Hamburg-Altona der so genannte kleine Belagerungszustand verhängt. Auf Grund dieses „kleinen Belagerungszustandes" wurden alle bekannten Sozialdemokraten aus Altona ausgewiesen. Gleich beim ersten Schlag waren es 38, darunter Otto Reimer, der Strohhutpresser Finn, der Zigarettenmacher Forschner mit zwölf Kindern und viele, viele andere. Viele der Ausgewiesenen wanderten damals nach Amerika aus, und die Abfahrt Otto Reimers und einer Reihe anderer Ausgewiesener ist mir von Jugend her in Erinnerung geblieben. Damals wurden die Hapag-Dampfer5 noch an der Stelle abgefertigt, wo sich jetzt der Elbtunnel befindet. Auf dem Altonaer Fischmarkt hatten sich viele Hunderte Menschen eingefunden, die Otto Reimer und seinen Genossen einen Abschied zuwinken wollten. Als der Hapag-Dampfer am Altonaer Fischmarkt vorbeifuhr, entfaltete Otto Reimer die Altonaer Parteifahne, die er glücklich mit an Bord geschmuggelt hatte. Er hat sie 1890 bei seiner Rückkehr aus Amerika auch wieder mit nach Altona gebracht.

Zu den brutalsten Verfolgern der Sozialdemokraten gehörte der Polizeiinspektor Engel. Dabei war das tragische, daß dieser Engel ein früherer Duzfreund meines Vaters war. Sie hatten beide zusammen bei den dänischen Dragonern gedient. Er verkehrte auch häufig in der Wirtschaft meines Vaters und hatte dabei alle bekannten Sozialdemokraten Altonas kennengelernt, was ihm bei seiner Verfolgungstätigkeit nachher sehr zustatten kam. Das Wirken Engels war wiederholt Gegenstand von Verhandlungen im deutschen Reichstag. Von dem reaktionären preußischen Innenminister Puttkammer wurde er für seine Tätigkeit mit dem Roten Adlerorden 4. Klasse belohnt. Nach diesen Vorgängen lag die Wirtschaft meines Vaters verödet da. Es wagten nur wenige, sie zu betreten, weil man glaubte, Gefahr zu laufen, mit zu den Verfemten gezählt zu werden. Hinzu kam noch, daß nun auch die Behörde meinem Vater in der Ausübung der Schankkonzession zum Ausschank von alkoholhaltigen Getränken Schwierigkeiten machte. So mußte das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Das Haus kam unter den Hammer, so daß mein Vater dasselbe nicht nur mittellos, sondern mit Schulden belastet verlassen mußte.

Sein Versuch, die Wirtschaft an anderer Stelle, zuletzt in einem Keller an der Großen Mühlenstraße, fortzusetzen, fand ein schlimmes...

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