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Heimliches Lesen und Bücherschmuggel in der DDR

AutorJuliane Bonkowski
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl118 Seiten
ISBN9783668279575
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Mediengeschichte, Note: 1,3, Universität Leipzig, Sprache: Deutsch, Abstract: In der heutigen Zeit und für unsere Generation ist es kaum mehr vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der den Menschen bestimmte Literatur, Zeitungen, Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse vorenthalten wurden. Besonders die heutige Gesellschaft, die mit dem Internet und anderen Massenmedien aufwächst, kommt in den Genuss, jedes mediale Angebot überwiegend online nutzen zu können. Das bedeutet, dass wir jederzeit alle Informationen abrufen können, die wir benötigen. Schauen wir jedoch 30 Jahre zurück, müssen wir feststellen, dass dies nicht immer selbstverständlich war. Eltern und Großeltern, die in der ehemaligen DDR gelebt haben, könnten uns diverse Geschichten darüber erzählen, welche Einschränkungen es damals gab, unter anderem im kulturellen Bereich. Es gab Unmengen an Literatur, die in der DDR entweder 'nicht leicht zu haben, kulturpolitisch ausgegrenzt oder verboten war'. Doch nicht alle Bürger der DDR wollten sich vorschreiben lassen, was sie lesen durften und was nicht. Die Leser, die Verbotenes lesen wollten, waren durchaus einfallsreich in ihren Ideen, wie sie beispielsweise an Bücher aus dem westlichen Ausland herankamen. Nicht selten war dies mit enormen Risiken verbunden. Prof. Dr. Rainer Eckert, bis vor Kurzem Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, vertritt folgende Ansicht: 'Meine These ist die, dass es in der DDR möglich war, wenn auch in sehr langen Zeiträumen, unter schwierigen Bedingungen, letztlich jedes Buch auch zu bekommen.' Diese Aussage wirft die Frage auf, ob es tatsächlich jedem Leser möglich war, die Literatur zu erstehen, die ihm wichtig war. Dies erfordert ein gewisses Hintergrundwissen zum heimlichen Leser. Wie kennzeichnete er sich, wie verhielt er sich? Außerdem ist von großem Interesse, welche Möglichkeiten er hatte, die begehrte verbotene Literatur zu erlangen, mit welchem Ziel er dies tat und welche Folgen das für ihn persönlich und auch für sein Umfeld hatte. Diese Fragen finden in der folgenden Abschlussarbeit mit Hilfe von Zeitzeugeninterviews Beantwortung.

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Leseprobe

4 Heimliche Leser und ihre Erfahrungen mit unerwünschter Literatur


 

Synonyme für das Wort „heimlich“ sind beispielsweise „verborgen“ und „unerkannt“, es geschehen Dinge, die andere Menschen nicht erfahren sollen. Der Leser ist ein Rezipient schriftlicher Texte. Die Bevölkerung der DDR hatte Zugang zu Literatur, die der Staat für angemessen und ideologiekonform hielt. Dem gegenüber stand die Literatur aus der Bundesrepublik Deutschland und dem westlichen Ausland, die den Menschen vorenthalten wurde. Wer wirklich großes Interesse an Literatur hatte, musste den Konsum also im Verborgenen betreiben. Der heimliche Leser war demnach jemand, der in der DDR nicht öffentlich zugängliche Druckerzeugnisse rezipierte. Eine tragende Rolle spielte auch die Neugier und der Reiz des Verbotenen, was mir auch von Herrn Faust bestätigt wurde: „Das nachvollziehen, was es noch in der Welt gibt, und ob das Indien ist, alles was eben verboten war oder alles, was einem vorenthalten wurde. Da war man neugierig.“[45] Es ging ja letztendlich nicht nur darum, dass man bestimmte Literatur nicht lesen durfte. Vielmehr war ja das ganze Leben von einer Ideologie bestimmt, die die Menschen von allem Unbekannten und nicht dem Sozialismus entsprechenden fernhielt. Das westliche Ausland beispielsweise durften auch nur die Wenigsten bereisen. Daraus resultierte, dass der heimliche Leser mit Literatur das kompensierte, was er nicht kennenlernen durfte. Für ihn war vor allem westliche Literatur die Tür in eine andere Welt. Herr Dahnert ist 1987 aus der DDR ausgereist und wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sich das für die letzten zwei Jahre doch gar nicht mehr gelohnt hätte. Dem setzt er entgegen: „[…] es waren genau die zwei Jahre, die mir auch eine andere Sicht auf die Welt und auf die Bundesrepublik gegeben haben […]. Und es waren zwei Jahre Erfahrungsgewinn und es waren zwei Jahre Reisen nach Italien und Frankreich […], da möchte ich keine Minute missen […].“[46] Beide Zeitzeugen haben durch das Lesen verbotener Literatur einen Blick in die andere Welt geworfen. Herr Faust ist ebenfalls aus der DDR ausgereist, allerdings schon 1976. Beide hatten plötzlich die Gelegenheit, die große weite Welt, die sie nur aus ihren Büchern kannten, kennenzulernen. Sie brauchten sich nicht mehr vorzustellen, wie die neue Welt aussah, sie sahen es vor sich und hatten nun den direkten Vergleich.

 

Alle Zeitzeugen haben gemeinsam, dass sie heimliche Leser waren, manche bewusst, andere unbewusst. Natürlich las man auch DDR-Literatur, doch die Lektüre aus dem Westen ermöglichte ihnen den Blick über den Tellerrand hinaus. Im Folgenden werden Ansichten und Erfahrungen der Zeitzeugen näher erörtert und miteinander verglichen.

 

4.1 Baldur Haase


 

Herr Haase bezeichnete das Lesen als sein Hobby seit seiner frühesten Kindheit. Auch seine Eltern waren schon immer sehr an Literatur interessiert. Bereits im Jugendalter hatte er sich eine kleine Bibliothek zu Hause eingerichtet, wobei diese hauptsächlich aus Büchern aus der DDR bestand. Auf die Frage hin, wie er zu Bildung und Belehrung als Funktionen der DDR-Literatur steht, bestätigte er diese, jedoch mit dem Einwand, dass die Belehrung häufig nur unterschwellig zu erkennen war. Weiterhin wand er ein, dass es durchaus auch Literatur gab, die nicht von Grund auf politisch doktrinär war.[47] Aus einem Hobby wurde dann sogar eine Berufung. „[…] und da war eigentlich schon immer mein Wunsch gewesen, irgendeinen Beruf zu ergreifen, wo ich etwas mit Büchern zu tun habe.“[48] Er hat dann tatsächlich zuerst eine Ausbildung zum Stein- und Offsetdrucker absolviert, einige Jahre später folgte dann die Umschulung zum Buchdrucker.

 

„[…] dieses Interesse an Büchern hat sich dann auch auf meinen Berufswunsch übertragen und das ist vielleicht auch eine Grundlage gewesen, eine Basis für meine späteren Dinge, die ich dann erlebt habe und was sich so ergeben hat. Gerade das Interesse an Literatur… Schließlich hat mich ja das Interesse an der Literatur hat mich schließlich in dieses Unglück gestürzt damals in der DDR, denn wenn ich mich nicht dafür interessiert hätte so jetzt insgesamt, wär das gar nicht so gekommen.“[49]

 

Das Unglück, das er hier ansprach, betraf die Verhaftung und Verurteilung zu mehr als drei Jahren Zuchthaus wegen angeblicher staatsfeindlicher Hetze. Hintergrund dessen war, dass er von einem Brieffreund aus Westdeutschland das Buch „1984“ von George Orwell[50] geschickt bekommen hatte. Nachdem er es gelesen hatte, verlieh er es einerseits weiter, andererseits verglich er in seinen Briefen an eben diesen Brieffreund die Handlung des Buches mit den Verhältnissen in der DDR und stellte Parallelen zum sozialistischen System der DDR fest: „Und gerade dieser fiktive, utopische Staat da und da habe ich ja dann auch festgestellt, mir war bewusst geworden, dass ja in der DDR und auch in den anderen sozialistischen Ländern ähnliche Verhältnisse herrschen wie Orwell die in dem Buch beschreibt […].“[51] Er konnte sich auch vage vorstellen, dass das Buch nicht auf Freunde innerhalb der Staatsführung stoßen würde, jedoch ging er nicht von solch harten Konsequenzen aus, die ihn daraufhin ereilten. Allein der Besitz unerwünschter Literatur wäre seiner Ansicht nach gar nicht die Schwierigkeit gewesen, sondern eher die Verbreitung und die Kommunikation darüber.

 

„Ich hab ja sogar wörtlich die Staatssicherheit mit der Gedankenpolizei verglichen. Ich hab ja geschrieben darüber, aber das ist halt Naivität gewesen mit 18 Jahren. […] Da hab ich geschrieben, bei uns gibt es auch eine Gedankenpolizei, das ist die Staatssicherheit, die sperren sogar Leute ein, die politische Witze erzählen, hab ich wortwörtlich geschrieben. Und die Stasi hat die Briefe gelesen, hat sie wieder zugeklebt. Da war ich ja in der inoffiziellen Postkontrolle erfasst.“[52]

 

Diese Postkontrolle gegen ihn wurde aufgrund seiner vielen Briefkontakte ins Ausland bereits im Frühjahr 1958 eingeleitet. Beim Einsehen seiner Stasi-Akten in den 90er Jahren fand er heraus, dass auch das Paket mit eben diesem Buch geöffnet wurde und dass die Stasi es bewusst an ihn weitergeschickt hat. Und zu diesem Zeitpunkt hat er dann auch erfahren, dass sein Schwager als inoffizieller Mitarbeiter ihn „wegen undurchsichtiger Verbindungen nach Westdeutschland“[53] an die Stasi verraten hat, wodurch er dann erst recht noch weiter unter höchster Beobachtung stand. Noch im gleichen Jahr hat Herr Haase eine Reise nach Westdeutschland beantragt, die allerdings ohne Begründung abgelehnt wurde. „Eigentlich hätte damals schon bei mir der Groschen fallen müssen, dass vielleicht was im Busch ist, aber da hab ich auch nie dran gedacht. Ich war einfach ein naiver Mensch gewesen damals. Und durch diese Naivität bin ich auch noch weiter da rein gerutscht.“[54] Im Januar 1959 erfolgte dann die Verhaftung in Leipzig, bei der auch Orwells Buch gefunden wurde, welches er mit einer Unterschrift als sein Eigentum bestätigen musste. Im darauffolgenden März wurde er wegen Verbreitung, staatsgefährdender Hetze und Sammlung von Nachrichten[55] zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Strafe hat er in Waldheim abgesessen, wo er sogar weiter in seinem Beruf als Drucker arbeiten konnte. Wegen guter Führung und durch die Hilfe seines Anwalts sowie seiner Eltern wurde seine Haftzeit verkürzt und die Entlassung erfolgte nach zwei Jahren und drei Monaten.

 

Über eine Zensur in dem Sinne war er sich dann auch erst nach der Haft bewusst:

 

„Ja das hab ich also vorher nicht so registriert. Mir waren auch keine Fälle bekannt geworden, dass jemand wegen eines Buches da Schwierigkeiten bekommen hätte. Mir war das nicht… Das hatte ich nicht registriert so etwas, ich hab da nichts gehört darüber.“[56]

 

Das unterstreicht nochmals, dass Herr Haase damals noch sehr jung, unerfahren und ein wenig naiv war, wie er ja auch selbst feststellte. Trotzdem glaubt er, dass er das Buch mit diesem Wissen vielleicht trotzdem gelesen hätte, nur hätte er es wohl vorsichtiger aufbewahrt und sich nicht in diesem Umfang darüber geäußert.[57]

 

In der Folge hat sich Herr Haase stets eher unauffällig verhalten und auch unerwünschte Literatur hat er gemieden. Eine solche physisch und psychisch belastende Erfahrung wollte er nicht noch einmal machen müssen. Im Rahmen der „Bewegung der Schreibenden Arbeiter“ schrieb er Mitte der 60er Jahre eine Erzählung und ließ sie einem Gutachten unterziehen. Wenig später bekam er die Gelegenheit, sich mit seinem Manuskript und dem Gutachten am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig zu bewerben und wurde zu einem Fernstudium zugelassen. Noch während des Studiums wurde ihm eine Stelle beim Bezirkskabinett für Kulturarbeit in Gera angeboten, die er 1970 antrat. Seine Vorstrafe wurde 1968 gelöscht. Auch heute haben Bücher für Herrn Haase noch einen sehr hohen Stellenwert, auch wenn er inzwischen weniger liest als früher. Außerdem haben sich die Inhalte im Laufe der Jahre ein wenig verändert; früher weckte die Belletristik sein Interesse, heute ist es eher die Fachliteratur.[58]...

Blick ins Buch

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