© Jürgen Isberner
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Classical – Gestaltung mit Formen und Licht
Formensprache ist die Basis der klassischen (Akt-)Fotografie. Dabei hilft eine exakte Lichtsetzung, Formen zu unterstreichen oder zu kreieren. Hinzu treten oft Strukturen verschiedener Materialien, die der Haut gegenübergestellt werden.
Während die Welt des Tableau vivant, der Dark Art und der Nostalgie oft mit bedeutungsträchtigen Requisiten angereichert ist, kommt die klassische Aktfotografie weitgehend ohne all das aus – in ihrer Reinform reduziert sie das Fotografierte auf seine Form. Man begreift den Körper im Zusammenspiel mit Licht und manchmal mit Strukturen wie denen von Wassertropfen oder leichten Stoffen wie ein abstraktes Kunstwerk. Der Fotograf wird zu einer Art Bildhauer, der mit Oberflächen und Formen arbeitet.
Für diese Arbeit braucht der Fotograf eine gute Kenntnis über das Posing, über Bewegungen, die möglich sind, und über die Strukturen des Körpers: Wie gelangt man zu einem interessanten Zusammenspiel aus Kurven und Linien? Wie kann man struktur- und kontrastarme Regionen wie etwa den Bauch mit kontrastreichen wie etwa den Händen arrangieren?
Auch wenn die klassische Fotografie stark reduziert, sind auch hier Bedeutungen und Assoziationen zu berücksichtigen – das Bild setzt sich im Kopf des Betrachters zusammen. Häufig sieht man beispielsweise die Inszenierung eines nackten Frauenrückens mit aufgemalten oder einmontierten Schnecken gleich einem Cello – verständlich natürlich nur, wenn man mit dem Instrument vertraut ist. Hiermit eröffnet sich dann ein weites Bedeutungsspektrum: Da ist einmal die Assoziation eines klassischen Instruments, meist mit einem gewissen Preis und einer gewissen Qualität verbunden. Es ist keine bunte Blockflöte, die man im Kindergarten spielt, sondern ein ernst zu nehmendes Instrument, dessen Kompositionen der »höheren Schule« der Musik zugerechnet werden. Es ist auch kein Schlagzeug, welches für Aggression und Dominanz stehen kann, sondern ein Instrument, das mit einer gewissen Melancholie, einer dunklen Eleganz verbunden wird. Musik ist das nächste Stichwort: Die Frau wird dargestellt gleich einer Melodie, Interaktion mit ihr könnte zur Musik werden. Und noch eine Assoziation könnte entstehen: Da man auf dem Instrument spielt, liegt eine sexuelle Metaphorik nahe.
Wenngleich es um nackte Körper geht, steht im Gegensatz zur Glamourfotografie die Erotik hier weniger oder auf subtilere Weise im Fokus. Auch der individuelle Ausdruck des Models befindet sich in der typischen klassischen Aktfotografie nicht im Vordergrund; häufig wird das Gesicht sogar ausgeblendet, abgewandt oder im Bildausschnitt weggelassen. Stattdessen sind die oft durch Modelauswahl, Posing, Lichtsetzung und Retusche idealisierten Körperformen wichtig.
In der moderneren Aktfotografie, nahe am Themenbereich »Pure«, rückt die Emotion in den Vordergrund. Sie bewegt sich weg von der reinen Idealisierung hin zum Fokus auf das Individuum und seine Besonderheiten. Damit werden auch die Unregelmäßigkeiten des individuellen Körpers, das Unperfekte, Asymmetrische interessant. In diesem Kontext wird Nacktheit häufig als Metapher für Verletzlichkeit, aber auch Authentizität verwendet. Authentizität wird in Zeiten digitaler Fotografie und immenser Bearbeitungsmöglichkeiten oft in einem schnörkellosen Stil kommuniziert, in sanfter, natürlicher Lichtsetzung und geringer Beautybearbeitung. Damit wird das Gefühl von Nähe, Intimität zurFotografierten suggeriert. Das Foto besitzt in dem Moment eine Kraft, die ihm in manchen kulturellen Kontexten zugeschrieben wird: Es ist dann ein Index, eine Spur, die ein Mensch hinterlassen hat, die zu etwas Realem führt, zu diesem Menschen oder auch zum Betrachter, der sich selbst und seine Emotionen in einem solchen Foto oft einfacher wiederfinden kann als in opulenten Inszenierungen, die eher seine Träume und Albträume visualisieren.
Jürgen Isberner
Jürgen Isberner, genannt »Isi«, ist einer der ersten Fotografen, die ich kennenlernte, einer von denen, die mich dazu motivierten, vor der Kamera zu stehen. Isi drückte bei mir einfach den richtigen Knopf: »Verkleiden« war das Zauberwort. Ich als »e kölsch Mädche« liebe Karneval und damit einhergehend vor allem ausgefallene Kostüme, die mich in immer neue Rollen verwandeln. Bei Isi durfte ich nicht nur all meine Kostüme und Kreationen anprobieren, sondern auch Piraten- und Torerokostüme aus einem Kostümverleih.
Dies ist zwar keine Aktaufnahme, aber in seiner Formbetontheit doch ein sehr klassisches Bild.
Isis eigentliches Spezialgebiet ist aber nicht die Kostümfotografie, sondern der klassische Akt. Dafür arbeitet er hauptsächlich im Studio, wo er mit verschiedenen Lichtformern die richtige Stimmung erschafft. Immer wieder hört er von Bekannten und Kollegen: »Wie bekommst du Modelle bloß dazu, für die Bildmotive nur ihren nackten Körper einzusetzen?«
Es gibt nicht wenige Frauen, die den klassischen Akt sehr ansprechend finden und bei einem auf diesem Feld erfahrenen Fotografen keine Probleme damit haben, die Hüllen fallen zu lassen. Im Gegensatz zu manchen erotischen Dessousfotos wird der klassische Akt in unserer Gesellschaft auch viel eher als Kunstform akzeptiert. Er blickt auf eine lange Geschichte zurück:
Im antiken Griechenland erschufen Bildhauer Aktstatuen, nicht von konkreten, wiedererkennbaren Menschen, sondern als Idealbild des menschlichen Körpers. Die antike Mythologie erlaubte in den folgenden Jahrhunderten, selbst in stärker vom konservativen Christentum geprägten Zeiten, die Darstellung nackter Körper in der Malerei. In dieser Tradition sieht sich die klassische Aktfotografie. In deren Anfängen kamen, orientiert an der Malerei, häufig Requisiten wie Säulen oder Tücher und gemalte Hintergründe zum Einsatz, während sich später mehr auf Licht und Posing konzentriert wurde.
Ein sorgsamer Umgang mit Licht zeichnet diesen Stil aus, ebenso wie das Studium unterschiedlicher Posen. Während ich Posen meist vor dem Spiegel ausprobiere, hat Isi eine große Posensammlung auf seinem Computer. Bei der Auswahl der richtigen Pose spielen viele Aspekte eine Rolle: ob das Model zu unverdecktem Akt bereit ist oder ob Posing und Lichtsetzung Bereiche in den Schatten rücken sollen, ob eine Pose besondere Fähigkeiten erfordert oder an eine bestimmte Figur gebunden ist – etwa besonders schlanke oder füllige Körper –, welche Perspektive der Fotograf einnehmen muss und welche Brennweite die Pose am besten zur Geltung bringen wird. Wenn ein parallel zur Kamera liegendes Model etwa aus niedriger Perspektive fotografiert werden soll, bewirkt vor allem bei leicht weitwinkliger Brennweite die Positionierung der Beine etwas näher zur Kamera hin oft eine deutlich gestreckte Figur.
All diese recht pingeligen Bildaspekte werden beim klassischen Akt besonders wichtig, da Atmosphäre und Emotion kaum über das Arrangement, die Requisiten oder die Aktion gezeigt werden können und nur der Körper selbst bleibt – sein Zusammenspiel mit dem Licht, seine Formen und Strukturen.
Hier lohnt sich ein Blick auf Isis Posenordner und die Assoziationen verschiedener Formen, die der Körper einnehmen kann: Der Kreis beispielsweise, ein ganz in sich zusammengekauerter Körper, lässt meist Harmonie assoziieren und Introvertiertheit, oft in Verbindung mit Verletzlichkeit. In der Position schützt das Model seinen Körper, versteckt sich, macht sich klein und kindlich wie ein Embryo. Außerdem eignet sich die Pose dazu, Intimbereich und Brust weitgehend zu verdecken.
Kreise als Bögen, wie z. B. die Rücken-Po-Linie im Hohlkreuz, sind oft mit den organischen Formen der Natur und mit weiblicher Erotik verbunden. Männer dagegen posen eher in geraden Linien, wirken damit härter. Dies passt zur in der »westlichen« Kultur althergebrachten Vorstellung, die die Frau eher als integrativ, passiv, anschmiegsam, harmoniebedürftig, im Kontinuum »Natur-Kultur« eher bei »Natur« ansiedelt und den Mann eher als aktiv, gestaltend, eher am Pol »Kultur« begreift. Somit ist klassische Aktfotografie ein sehr konservatives Genre.
Unter dem nassen Tuch kommen die Formen reliefartig zur Geltung. In den hellen Farben erinnert der Faltenwurf an eine griechische Statue, zugleich eröffnet sich ein weites Assoziationsspektrum von Verhüllung und gleichzeitiger Enthüllung bishin zum Grusel eines Leichentuchs über einer lebendigen Toten.
Neben Formen spielen auch Linienführungen eine wichtige Rolle. Während senkrechte und waagerechte Linien etwas Statisches vermitteln und beide gekreuzt bisweilen die christliche Kreuz-Symbolik assoziieren oder aber in steiferer Form die Grenze zwischen Mensch und Idealbild verwischen lassen wie bei Leonardo da Vincis »vitruvianischem Menschen«, wirken Diagonalen dynamischer. Unserer primären Lesegewohnheit »von links nach rechts« gemäß wird die Diagonale von links unten nach rechts oben aufsteigend, manchmal gar optimistisch, andersherum absteigend, ggf. auch pessimistisch aufgefasst. Dem Blick nach rechts kann...