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Kinderzeit

Erinnerungen aus Karlsruhe

AutorPaul Oskar Höcker
VerlagDer Kleine Buch Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783765021176
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
In charmant musikalischer Sprache, versehen mit Einsprengseln des Karlsruher Dialekts, erzählt Paul Oskar Höcker sechzehn prägende Jahre seines Lebens. Anekdotenreich und humorvoll beschreibt er, wie er als Kind das damals noch kleinstädtische und provinzielle Karlsruhe des ausgehenden 19. Jahrhunderts wahrgenommen hat, wobei er als Zugezogener und Nicht-Zugehöriger des badischen Bürgertums vieles sah und durchschaute, was anderen, vergleichbaren Autoren, verborgen blieb. 'Kinderzeit' bietet einen ganz persönlichen Blick auf die badische Hauptstadt. Ein einzigartiges Zeitdokument zum großen Stadtjubiläum!

Paul Oskar Höcker (1865-1944) war Redakteur und Schriftsteller. Bedingt durch die Engagements seines Vaters am Theater lebte er von 1866 bis 1882 in Karlsruhe. Paul Oskar Höcker verfasste Lustspiele, Kriminalromane, Unterhaltungsromane, historische Romane und auch zahlreiche Jugenderzählungen. Er galt als Vielschreiber, war überaus erfolgreich und einige seiner Romane wurden verfilmt. Dr. Johannes Werner studierte Germanistik und Anglistik in Freiburg, Dublin und Göttingen. Neben seiner Tätigkeit als Redaktionsverantwortlicher der Wilhelm Hausenstein Gesellschaft e.V. veröffentlicht er wissenschaftliche Beiträge zu kunst-, literatur- und regionalhistorischen Themen sowie Biografien.

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Leseprobe

Eine alte Daguerreotypie


Vor mir liegt eine vergilbte Daguerreotypie. Sie stellt einen mittelgroßen junge Mann vor, zum Erbarmen mager – man würde heut sagen: unterernährt – in altfränkischem Frackanzug, einen auffallend hohen Zylinderhut in der Hand. Der blonde Kopf ist mehr der eines Gelehrten als der eines Schauspielers. Aber das Bild war einem Schreiben beigefügt, das der herzoglich Meiningensche Hofschauspieler Oskar Höcker, mein Vater, im Herbst 1865 an den Leiter des großherzoglichen Hoftheaters in Karlsruhe gerichtet hatte, den berühmten Dr. Eduard Devrient, und worin er sich um Anstellung als Charakterdarsteller bewarb. Ein paar Zeitungsbesprechungen, ein Zeugnis des Dresdener Hofschauspielers Porth über die Befähigung seines ehemaligen dramatischen Schülers und das Verzeichnis der gelernten Rollen lagen bei.

Für den damals Sechsundzwanzigjährigen hing von der Berufung an die badische Kunststätte nicht nur eine bedeutsame künstlerische Förderung ab – sondern auch geradezu seine wirtschaftliche Rettung. In Meiningen konnte er nicht bleiben; der dortige Intendant hatte den Vertrag mit ihm nicht erneuert. Liebenswürdigerweise hatte er das verzweifelnde Mitglied getröstet: der Verzicht solle keine abfällige Kritik seiner Leistungen bedeuten – aber die politische Lage sei so dunkel, daß man zur Zeit nicht wissen könne, ob es dem Herzog überhaupt möglich sein werde, im nächsten Winter noch sein Hoftheater spielen zu lassen.

Der junge Künstler war mittellos. Er hatte sich in seinem ersten Engagement, ein Zwanzigjähriger, mit der mittellosen Tochter eines im Konkurs verstorbenen Pilsener Bräumeisters verheiratet. Er war Vater von zwei Buben und einem Mädchen, und das vierte Kind war unterwegs. Hinzu kam, daß sich in Meiningen zwei nahe Anverwandte eingefunden hatten, die augenblicklich ohne Unterhalt waren und für die mitgesorgt werden mußte: die Schwiegermutter Summerecker aus Pilsen und der Bruder Gustav aus Chemnitz, der durch einen Unglücksfall als Kind zum Krüppel geworden war, seine kaufmännische Laufbahn unlängst aufgegeben hatte und im Begriff stand, freier Schriftsteller zu werden. Ein Kunststück für die junge Hausfrau, von der niedrigen Meininger Gage die köpfereiche Familie satt zu kriegen.

Der nahbevorstehende Familienzuwachs bedeutete unter solchen Umständen nicht die allerreinste Freude. Mit rücksichtsloser Pünktlichkeit, unter großem Geschrei und mit blaurotem Gesicht hielt der vierte Sprößling seinen Einzug. Es war am 7. Dezember 1865. Das Datum ist mir geläufig, denn der ungelegene Ankömmling war ich.

Man hat mir oft erzählt, wie kritisch die Stimmung an jenem Wintermorgen war, wie unbehaglich auf groß und klein mein durch so viel Lärm bekundeter Anspruch auf Aufnahme in die bedrängte Künstlerfamilie wirkte. Aber gerechterweise setzte der betreffende Erzähler dann auch stets hinzu, welch freundlichere Überraschung der 7. Dezember 1865 außerdem noch im Schoß geborgen hatte: die zweite Post brachte aus Karlsruhe ein Dienstschreiben in großherzoglicher Angelegenheit, worin Dr. Eduard Devrient mitteilte, daß die Direktion des Hoftheaters mit einem dreimaligen Gastspiel auf Anstellung einverstanden sei und daß hierfür der 24., 29. und 31. Mai 1866 in Aussicht genommen würden.

Nun fühlten sich die Erwachsenen mir gegenüber alle ein bißchen schuldig. Irgend etwas Gutes sollte dem „armen kleinen Kerl“ angetan werden. Onkel Gustav gedachte das doppelte festliche Ereignis durch einen Dämmerschoppen zu feiern, für den er sich von der die Kasse führenden jungen Wöchnerin die erforderliche Unterlage erbat. Von dieser Sitzung brachte er dann einen kleinen Schwipps heim, den er sich auf seines Bruders und seines jüngsten Neffen Wohl angetrudelt hatte, und den Vorschlag: mir als Anerkennung dafür, daß ich am heutigen Tage gewissermaßen das Glück ins Haus gebracht habe, den Taufnamen meines Vaters zu verleihen. Dem fünfjährigen Georg, dem dreijährigen Lieschen und dem anderthalbjährigen Hugo folgte nun also der kleine Oskar, der später, als er dem „großen Oskar“ körperlich über den Kopf wuchs, zur Unterscheidung seine beiden Vornamen Paul Oskar zu führen begann.

Manches Jahr später erst erfuhr ich, was für Entschlüsse der „große Oskar“ an jenem 7. Dezember sonst noch gefaßt hatte, um seiner Ergriffenheit Ausdruck zu geben. Als er abends aus dem Theater kam, wo er den Vagabunden im „Sonnwendhof“ hatte spielen müssen, setzte er sich in der Kammer mit den vier schlafenden Knirpsen ans Bett der großäugigen Wöchnerin und sagte ihr: „Ich will dir heut’ nach Art deiner Kirche ein Gelübde ablegen.“ Frau Marie war eine gute Katholikin; es mußte wohl Eindruck auf sie machen, wenn der überzeugte Protestant sich dazu verstand. „Siehst du, damit unser alter Herrgott auch merkt, wie ernst mir’s ist, in meinem Beruf vorwärtszukommen, gelobe ich feierlich: von heute an rühre ich ein ganzes Jahr lang kein Glas Bier und keine Zigarre mehr an.“

Ein gut’ Teil Aberglauben liegt ja in all solchen Gelübden. Auch ein bißchen Spekulation. Man möchte mit dem lieben Gott einen Pakt schließen, in dem man auf sein freundliches Entgegenkommen baut. Die große Hoffnung, ja die Rettung für die ganze Familie Höcker war eben die: daß das Karlsruher Gastspiel zu einer Anstellung für den nächsten Winter führte. Onkel Gustav geriet außer sich über das Gelübde seines Bruders, schon weil es ihn seiner gelegentlichen Begleitung zum Dämmerschoppen beraubte. Er nannte es keine Gott wohlgefällige Tat, sondern eine nichtsnutzige Pferdekur. „Und überhaupt, Oskar, wenn du noch das Gelübde abgelegt hättest, nachdem du den festen Vertrag mit Devrient in der Tasche hattest, aber so, ganz aufs ungewisse, bloß so allgemein in Gottes Hand… Das Schicksal ist ein Luder.“

Aber das Schicksal schien es gnädiger mit dem Karlsruher Anwärter zu meinen, als Onkel Gustav voraussetzte. Im Frühjahr schrieb Eduard Devrient gütig: „Ich bin mit der Festsetzung Ihrer Gastspielstücke beschäftigt. Ihr Rollenverzeichnis ist sehr umfangreich. Bezeichnen Sie mir einmal Ihre Lieblingsrollen.“ Große Seligkeit. Alle „Bombenrollen“ wurden sofort zusammengestellt – darunter freilich auch solche, die eigentlich dem Fach des Heldenvaters oder des Intriganten angehörten. Der „Erbförster“, der „Piepenbrink“, der „Graf Klingsberg“, „Richard III.“, der „Malvolio“, der „Nathan“ wurden genannt. Und der junge Meininger, seine Frau, seine Schwiegermutter und sein Bruder waren felsenfest davon überzeugt, daß das Probegastspiel unter allen Umständen günstig ausfallen würde, wenn Devrient dem Bewerber Gelegenheit gab, sich den Karlsruhern auch nur in einer dieser glänzenden Aufgaben vorzustellen.

Im Monat April gab’s dann eine herbe Enttäuschung. Devrient hatte keine der Lieblingsrollen ausgewählt. Für das erste Auftreten des Gastes waren die Einakter angesetzt: „Ein alter Musikant“ von der Birch-Pfeiffer und „Der Fabrikant“ von Souvestre-Devrient. Die nächste Rolle sollte die des Obersthofmeisters in Hackländers „Geheimen Agenten“ sein, die letzte „Der Goldbauer“ von der Birch-Pfeiffer.

Pochenden Herzens stellte sich der Debutant ein paar Tage vor Beginn seines Gastspiels in Karlsruhe ein, dem „süddeutschen Potsdam“, wie man damals die badische Fächerstadt oft bezeichnete – weil der Großherzog Friedrich eine preußische Prinzessin, die Tochter der Königin Luise, geheiratet hatte. Ob es wohl noch möglich war, Devrient zu erweichen, daß er wenigstens eine dankbarere Aufgabe stellte? Eine große Bittansprache war schon in Gedanken festgelegt. Im schwarzen Anzug, dem früheren väterlichen Bratenrock, mit dem ungewöhnlich hohen Zylinder, einer Ausstattungsspende aus Schwiegervaters Nachlaß, mit hohlen Wangen und ängstlich irrenden blauen Augen begibt sich der junge Anwärter über den halbkreisförmigen Schloßplatz zur Theaterkanzlei. Alles bedrückt ihn hier in Karlsruhe: das Militär, die Hofequipagen, die würdevoll schreitenden Beamten mit ihren Aktenmappen.

Das Hoftheater mit den mächtigen Säulen ist ein Riesenbau, gegen den der Meininger Kunsttempel wie eine Scheune wirkt. In einem der feierlich still daliegenden Verwaltungsgebäude links vom Theater befindet sich die Direktion. Eduard Devrient ist in der Geschichte der Schauspielkunst der erste Bürgerliche, dem die selbständige Leitung eines Hoftheaters anvertraut worden war. Aber der äußere Zuschnitt ist ganz Hof geblieben. Schon die Vorzimmer-Exzellenzen geben sich als Hofbeamte: hoheitsvoll,...

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