Der demografische Wandel bildet die Veränderung der Zusammensetzung von Größe und Struktur einer Bevölkerung ab.[120]Die Größe und die Struktur der Bevölkerung werden durch die demografischen Ereignisse Fertilität (Geburtenrate), Mortalität (Sterberate) und Migration (Wanderungssaldo aus Zu- und Abwanderungen) beeinflusst.[121]
Mit anderen Worten hängen die strukturellen Veränderungen der Bevölkerung vom Verhältnis der Geburtenzahlen zu den Todesfällen sowie vom Saldo der Zu- und Abwanderungen ab[122].
Die Bevölkerungsforscher, Sozialwissenschaftler und Rentenexperten weisen schon seit den 80er und 90er Jahren auf den demografischen Wandel in Deutschland hin.[123]Vor mehr als 30 Jahren machte der Club of Rome mit einer gesicherten empirischen Datenbasis in eindringlicher Weise auf das sich anbahnende Problem aufmerksam.[124]Jedoch ist erst seit einigen Jahren dieser Umbruch Gegenstand der allgemeinen öffentlichen Diskussion. Professor Herwig Birg postulierte 1999, dass die demografische Entwicklung von der Gesellschaft und Politik ignoriert und tabuisiert würde und dass die Deutschen Gefahr liefen, von den Nachkommen der „Verdrängung der Zukunft“ beschuldigt zu werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind diese mahnenden Worte immer noch top aktuell. Denn einige Aspekte des demografischen Wandels bleiben deutlich unterbelichtet, obwohl sich einige Printmedien, vielfach mit dramatisierendem Unterton, sich der Verdrängung widmen.[125]„Der STERN titelt Wir haben ein Problem (2.9.2003) und die FRANKFURTER RUNDSCHAU erwartet einen War for Talents beim Kampf der Betriebe um Führungskräfte (27.12.2003). DIE ZEIT sieht Das kinderlose Land als vergreiste Republik (15.1.2004), da – so die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (7.10.2003) – die Überalterung in Deutschland nicht mehr zu stoppen sei. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sorgt sich am 20.1.2004 mit dem Slogan:
Arbeitskräftemangel mindert Deutschlands Wachstumschancen und DER SPIEGEL
schrieb am gleichen Tag: Die Jungen können unseren Lebensstandard nicht halten.“[126]
Die sinkenden Geburtenraten legen nah, dass Kinder in Deutschland zum Störfaktor geworden sind. Sie schränken die Konsumfreiheit ein, kosten Geld und führen zum sozialen Abstieg. Lockere Partnerschaften ersetzen die Ehe, das Single-Dasein wird zum Normalfall und wenn ein Kind kommt, dann bitte erst ab dreißig. Noch populärer ist die
„DINK-Familie“. „Double income, no kids“ ist für viele die Divise. Es lebt sich einfach besser als mit einem Einkommen und zwei oder drei Kindern.[127]„Deutschlands Fun-Gesellschaft vergreist.“[128]Im Abschnitt 4.2 werden nun die Daten und Fakten zum demografischen Wandel in der BRD erläutert.
Seit 1972 liegt in Deutschland ein negatives natürliches Bevölkerungswachstum vor.[129]
Die Entwicklung der Geburtenrate ist einer der Hauptgründe dafür, dass der demografische Wandel in Deutschland sehr negative Auswirkungen auf Staat, Gesellschaft und Unternehmen haben wird.[130]Sie liegt seit fast drei Jahrzehnten gleichbleibend bei einem sehr niedrigen Wert von 1,4 Kindern pro Frau.[131]Lag die Geburtenrate im Jahr 1964 noch bei 1.357.304 Lebendgeburten, sank sie bis zum Jahr 2006 auf den historisch tiefsten Stand von 672.724 Geburten.[132]2007 liegt Deutschland bei der Zahl der jährlichen
Geburten pro 1.000 Einwohner mit 8,3 Geburten an der letzten Stelle weltweit.[133]Im
Jahr 2009 ist dieser Wert sogar auf 8,1 Geburten gesunken.[134]Ein Grund dafür, das demografische Problem bis spät in die 90er Jahre zu unterschätzen, lag an den starken Zuwanderungsraten (der Migration). In den 70er, 80er und eingeschränkt in den 90er Jahren, konnten Zuwanderungsraten von jährlich über 200.000 Menschen verbucht
werden. Die Nettozuwanderung[135]lag Anfang der 90er Jahre sogar bei 600.000 Menschen (1991 und 1992).[136]Dadurch konnte der Geburtenrückgang mehr als gedeckt werden und die drohende Überalterung unserer Gesellschaft wurde nicht so deutlich sichtbar.[137]Erst seit 2003 reicht der Wanderungssaldo nicht mehr aus, um die negative Bevölkerungsentwicklung auszugleichen.[138]Die seit 130 Jahren kontinuierlich sinkende Mortalität stellt eine weitere Ursache der demografischen Veränderungen in der BRD dar. Denn mit ihr ist ein Anstieg der Lebenserwartung verbunden. Die Lebenserwartung
beider Geschlechter wird, perspektivisch gesehen, weiter steigen und konvergieren.[139]
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern und Frauen liegt bei 78,4 Jahren.[140]Bis zum Jahr 2050 ist ein Anstieg um weitere sechs Jahre zu erwarten.[141]Ebenso wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der sinkenden Geburtenzahl von derzeit 41 Jahren auf ca. 50 Jahre in der nächsten Generation ansteigen.[142]Die rückläufigen Geburtenzahlen haben auch Auswirkungen auf die Zahl der gebärfähigen Frauen (15 - 49 Jahre). Diese wird von 20 Millionen in
2001 auf 14 Millionen in 2050 zurück gehen. Ihr Anteil an der Bevölkerung sinkt von derzeit ca. 24 % auf etwa 19 %.[143]Für die Unternehmen werden die Folgen des demografischen Wandels nach dem Jahr 2015 sehr drastisch. Die geburtenstarken Jahrgänge (1950 bis 1964) verabschieden sich ins Rentenalter.[144]Die Zahl der Erwerbstätigen wird signifikant zurückgehen. 2015 werden es in Deutschland nur noch ca. 40 Millionen Menschen sein.[145] Zur Verdeutlichung wird in Punkt 4.3 der Aufbau und die Struktur der deutschen Bevölkerung betrachtet.
In diesem Teil werden die Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung schwerpunktmäßig anhand von zwei Varianten dargestellt. Die eine Variante bildet die Obergrenze der „mittleren“ Bevölkerung, die andere die Untergrenze der „mittleren“ Bevölkerung ab. Sollten sich die demografischen Trends fortsetzen, markieren beide Varianten die Grenzen eines Korridors, in dem sich die Bevölkerungsgröße und der Altersaufbau entwickeln würden.[146]
Tabelle 7: Übersicht ausgewählter Varianten der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung
(Quelle: Statistisches Bundesamt (2009), Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 15.)
Zwei weitere Varianten zeigen auf, in welcher Spannweite sich die Alterung bewegen könnte. Die „relativ junge“ und die „relativ alte“ Bevölkerung. Sollte die Geburtenhäufigkeit steigen, die Lebenserwartung moderat zunehmen und der Wanderungssaldo bei
200.000 Personen liegen, kommt die „relativ junge“ Bevölkerungsvariante zustande. Wenn die Geburtenhäufigkeit abnimmt, die Lebenserwartung stark zunimmt und es zu einem niedrigen Wanderungssaldo kommen würde, muss die Variante „relativ alte“ Bevölkerung betrachtet werden.[147]Die folgende Abbildung veranschaulicht die Entwicklung des Altersaufbaus der Bevölkerung in Deutschland von 1910 bis 2060 sehr offensichtlich.
Abbildung 8: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland
(Quelle: Statistisches Bundesamt (2009), Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 15.)
In diesem Schaubild wird deutlich, dass die aktuelle Bevölkerungsstruktur schon lange von der klassischen Bevölkerungspyramide, bei der die stärksten Jahrgänge die Kinder stellen und die Zahlen der älteren Jahrgänge allmähliche als Folge der Sterblichkeit abnehmen, abweicht. Das „Deutsche Reich“ von 1910 hatte den klassischen Aufbau einer Pyramide. Im Altersaufbau von 1950 haben die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre deutliche Einschnitte hinterlassen.[148]Heute ist der
Bevölkerungsaufbau in Deutschland nicht mehr mit einer Pyramide zu vergleichen. Besonders die mittleren Altersklassen sind bevölkerungsstark. Weniger Personen sind in
den älteren und jüngeren Altersklassen zu finden. Bis zum Jahr 2060 werden sich die stark besetzten Jahrgänge weiter nach oben verschieben, ausdünnen und von zahlenmäßig kleineren ersetzt werden. Signifikante Verschiebungen in der Relation der einzelnen Altersgruppen sind die Folge.[149]2008 bestand die Bevölkerung zu 19 % aus Kindern jungen Menschen unter 20 Jahren. 61 % sind der Klassifizierung 20- bis unter 65- jährigen zuzuordnen und 20 % der Bevölkerung waren 65- bis 80-jährige. Nach der Variante „mittlere Bevölkerung Untergrenze“ wird im Jahr 2060 jeder Dritte (34 %) mindestens 65 Lebensjahre durchlebt haben und es werden doppelt so viele 70-jährige leben wie Kinder geboren werden.[150]Die folgende Grafik 9 verdeutlicht die genannten Werte.
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