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Psychologie der Massen

Grossdruck-Ausgabe

AutorGustave Le Bon
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783744824552
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
"Glauben erzeugen, sei es religiöser, politischer oder sozialer Glaube, Glaube an eine Person oder an eine Idee, das ist die besondere Rolle der großen Führer, und das ist der Grund, warum ihr Einfluss immer beträchtlich ist. Von allen der Menschheit zur Verfügung stehenden Kräften war der Glaube allezeit eine der stärksten, und mit Recht schreibt ihm das Evangelium die Macht zu, Berge zu versetzen. Dem Menschen einen Glauben schenken heißt, seine Kraft verzehnfachen. Die großen geschichtlichen Ereignisse wurden von obskuren Gläubigen, die nichts für sich als ihren Glauben hatten, ins Leben gerufen. Nicht durch Gelehrte und Philosophen, besonders nicht durch Skeptiker sind die großen Religionen, welche die Welt beherrscht haben und die riesigen Reiche, die sich von einer Hemisphäre zur anderen erstreckten, geschaffen worden." Übersetzung von Dr. Rudolf Eisler

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Leseprobe

Einleitung.


Die Ära der Massen.


Die großen Erschütterungen, welche, wie der Fall des Römischen Reiches und die Begründung der Araber-Herrschaft, den Kulturveränderungen vorangehen, scheinen auf den ersten Anblick besonders durch bedeutsame politische Veränderungen bestimmt zu sein: durch Völkerinvasionen oder durch den Sturz von Dynastien. Eine genauere Untersuchung dieser Ereignisse zeigt aber, daß sich zumeist hinter deren scheinbaren Ursachen als wirkliche Ursache eine tiefgehende Modifikation in den Ideen der Völker findet. Nicht jene, die uns durch ihre Größe und Heftigkeit verwundern, sind die wahren historischen Erschütterungen. Die einzigen Veränderungen von Bedeutung — jene, aus welchen die Erneuerung der Kulturen entspringt — vollziehen sich auf dem Gebiete der Ideen, der Gedanken und Überzeugungen. Die bemerkenswerten Ereignisse der Geschichte sind die sichtbaren Wirkungen der unsichtbaren Veränderungen des menschlichen Denkens. Wenn diese großen Ereignisse so selten stattfinden, so hat das seinen Grund darin, daß es nichts Stabileres in einer Rasse gibt, als das Erbgut ihrer Gedanken.

Das gegenwärtige Zeitalter bedeutet einen jener kritischen Momente, in denen das menschliche Denken im Begriffe ist, sich umzubilden.

Dieser Umwandlung liegen zwei Hauptfaktoren zugrunde: Erstens die Zerstörung der religiösen, politischen und sozialen Überzeugungen, aus denen alle Elemente unserer Zivilisation entspringen. Zweitens die Schaffung völlig neuer Existenz- und Denkbedingungen infolge der neuen Entdeckungen der Wissenschaft und der Industrie.

Da die Ideen der Vergangenheit, obwohl halb zerstört, noch sehr mächtig, und die Ideen, die sie ersetzen sollen, erst in der Bildung begriffen sind, so stellt die Gegenwart eine Periode des Überganges und der Anarchie dar.

Was aus dieser notwendig etwas chaotischen Periode einmal entspringen wird, ist nicht leicht zu sagen. Auf welchen Grundideen werden sich die künftigen Gesellschaften aufbauen? Wir wissen es noch nicht. Schon jetzt aber sehen wir, daß sie bei ihrer Organisation mit einer neuen Macht, der jüngsten Herrscherin der Gegenwart, zu rechnen haben werden: mit der Macht der Massen. Auf den Ruinen so vieler einst für wahr gehaltener und jetzt toter Ideen, so vieler Mächte, die durch Revolutionen nach und nach gebrochen worden sind, hat diese Macht allein sich erhoben und scheint bald die anderen absorbieren zu wollen. Wahrend alle unsere alten Anschauungen schwanken und verschwinden und die alten Gesellschaftsstützen eine nach der anderen einstürzen, ist die Macht der Massen die einzige Kraft, die durch nichts bedroht wird und deren Ansehen nur wächst. Das Zeitalter, in das wir eintreten, wird in Wahrheit die Ära der Massen sein.

Vor kaum einem Säkulum bestanden die Hauptfaktoren der Ereignisse in der traditionellen Politik der Staaten und in den Rivalitäten der Fürsten. Die Meinung der Massen zählte wenig oder meist gar nicht. Heute zählen die politischen Traditionen, die individuellen Bestrebungen der Herrscher und deren Rivalitäten nichts mehr, wahrend im Gegenteil die Volksstimme das Übergewicht erlangt hat. Sie diktiert den Königen ihr Verhalten, und sie ist es, was diese zu vernehmen streben. Nicht mehr in den Fürstenberatungen, sondern in den Seelen der Massen bereiten sich die Völkerschicksale vor.

Der Eintritt der Volksklassen in das politische Leben, d. h. in Wahrheit ihre progressive Umwandlung zu leitenden Klassen, ist eines der hervorstechendsten Kennzeichen der Übergangszeit. Dieser Eintritt wurde nicht durch das allgemeine Stimmrecht, das lange Zeit so wenig einflußreich und anfangs so leicht zu lenken war, markiert. Die progressive Geburt der Massenmacht entstand zuerst durch die Verbreitung gewisser Ideen, die langsam von den Geistern Besitz ergriffen, sodann durch die allmähliche Assoziation der Individuen zur Verwirklichung der theoretischen Anschauungen. Die Assoziation ist es, wodurch die Massen sich, wenn auch nicht sehr richtige, so doch wenigstens sehr bestimmte Ideen von ihren Interessen gebildet und das Bewußtsein ihrer Kraft erlangt haben. Sie gründen Syndikate, vor welchen der Reihe nach alle Machtfaktoren kapitulieren, Arbeitsbörsen, die allen Wirtschaftsgesetzen zum Trotz die Bedingungen der Arbeit und des Lohnes zu regeln suchen. Sie entsenden in die Parlamente Abgeordnete, denen alle Initiative, alle Unabhängigkeit fehlt und die oft nur die Wortführer der Ausschüsse sind, von denen sie gewählt wurden.

Heute werden die Ansprüche der Massen immer deutlicher und laufen auf nichts Geringeres hinaus, als auf den gänzlichen Umsturz der gegenwärtigen Gesellschaft, um sie jenem primitiven Kommunismus zuzuführen, der vor dem Beginn der Zivilisation der normale Zustand aller menschlichen Gruppen war. Begrenzung der Arbeitszeit, Expropriation der Minen, Eisenbahnen, Fabriken und des Bodens, gleiche Verteilung aller Produkte, Ausmerzung aller oberen Klassen zugunsten der Volksklassen usw. — Das sind diese Ansprüche.

Die Massen sind für das Raisonnieren wenig, desto mehr aber für das Handeln geeignet. Durch ihre Organisation ist ihre Kraft ins Ungeheure gestiegen. Die Dogmen, die wir auftauchen sehen, werden bald die Macht der alten Dogmen besitzen, d. h. die tyrannische und herrische Kraft, welche sich aller Diskussion entzieht. Das göttliche Recht der Massen wird das göttliche Recht der Könige ersetzen.

Die Lieblingsschriftsteller unserer jetzigen Bourgeoisie, jene, welche am besten deren ein wenig beschränkte Ideen, deren etwas kurzsichtige Ansichten, deren etwas summarischen Skeptizismus und oft exzessiven Egoismus darstellen, geraten völlig vor der neuen Macht, die sie heranwachsen sehen, in Verwirrung und richten, um die Verwirrung der Geister zu bekämpfen, einen verzweifelten Appell an die sittlichen Kräfte der Kirche, die sie einst so gering schätzten. Sie sprechen vom Bankrott der Wissenschaft und erinnern uns, als reuige Büßer aus Rom kommend, an die Lehren der geoffenbarten Wahrheiten. Aber diese Neubekehrten vergessen, daß es zu spät ist. Hat die Gnade sie wirklich berührt, so hat sie doch nicht die gleiche Macht über die Seelen, die sich um die Besorgnisse, welche diese neuen Frommen quälen, nicht bekümmern. Die Massen wollen heute nicht die Götter, welche jene selbst gestern nicht mochten und zu deren Falle sie beigetragen haben. Es liegt nicht in der Macht der Götter oder der Menschen, die Flüsse zu ihren Quellen zurückfließen zu lassen.

Die Wissenschaft hat mitnichten Bankrott gemacht und hat nichts mit der gegenwärtigen Anarchie der Geister oder mit der neuen Macht, die in deren Schoße emporwächst, zu tun. Sie hat uns die Wahrheit oder wenigstens die Erkenntnis der unserer Intelligenz zugänglichen Beziehungen verheißen, nie aber Frieden und Glück. Mit souveräner Gleichgültigkeit gegenüber unseren Gefühlen, hört sie nicht unsere Klagen. An uns ist es, mit ihr zu leben und zu suchen, da nichts die Illusionen wiederbringen kann, die sie verjagt hat.

Allgemeine Symptome, die bei allen Nationen ersichtlich sind, zeigen uns das rapide Anwachsen der Macht der Massen und verbieten uns die Annahme, diese Macht werde bald aufhören, zu wachsen. Was sie auch bringen mag, wir werden es ertragen müssen. Alles Gerede dagegen ist nur leerer Wortschwall. gewiß, vielleicht bedeutet das Heraufkommen der Massen eine der letzten Etappen der Zivilisationen des Okzidents, die völlige Rückkehr zu jenen Perioden verworrener Anarchie, die allezeit dem Aufsteigen einer neuen Gesellschaft voranzugehen scheinen. Aber wie wollen wir dies hindern?

Bisher haben diese großen Zerstörungen der zu alten Zivilisationen die offenbare Funktion der Massen ausgemacht. Nicht bloß heutzutage tritt diese Funktion in der Welt auf. Die Geschichte lehrt uns, daß in dem Augenblicke, da die moralischen Kräfte, auf denen eine Zivilisation beruhte, ihre Herrschaft verloren haben, die letzte Auflösung von jenen unbewußten und rohen Massen, welche recht gut als Barbaren gekennzeichnet werden, bewerkstelligt wird. Bisher wurden die Zivilisationen stets nur von einer kleinen intellektuellen Aristokratie geschaffen und geleitet, niemals von den Massen. Die Massen haben nur Kraft zur Zerstörung. Ihre Herrschaft bedeutet stets eine Phase der Barbarei. Eine Zivilisation setzt feste Regeln, eine Disziplin, den Übergang des Instinktiven zum Vernunftmäßigen, die Voraussicht der Zukunft, einen hohen Kulturgrad voraus — Bedingungen, welchen die sich selbst überlassenen Massen niemals zu entsprechen vermochten. Vermöge ihrer bloß zerstörerischen Macht wirken sie gleich jenen Mikroben, welche die Auflösung der geschwächten Körper oder der Leichen zu Ende führen. Ist das Gebäude einer Zivilisation morsch geworden, so sind es stets die Massen, welche dessen Zusammensturz herbeiführen. Jetzt tritt ihre Hauptfunktion zutage, und die Philosophie der Menge erscheint für einen Augenblick als die einzige Philosophie der Geschichte.

Wird es mit unserer Zivilisation sich ebenso verhalten? Wir können es befürchten, aber noch nicht wissen.

Wie immer es...

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