1990 – 1999 wurde als das Jahrzehnt des Gehirns bezeichnet.[37] Neurobiologie, Gehirnscans und mehr oder weniger wissenschaftliche Belege der Gehirnforschung schmücken zahlreiche Artikel und bereichern den Inhalt unzähliger aktueller Bücher, von (Lebens)Ratgebern, Fachliteratur aus der Wirtschaft bis hin zum gehirngerechten Lernen [Eigenbeobachtung der Verfasserin der Masterarbeit im Zuge der Recherchen zu diesem Thema.].
Nicht weg zu diskutieren ist der derzeit enorme Fortschritt in dieser, eigentlich relativ jungen Wissenschaft und welche Möglichkeiten sich dadurch bieten, das Gehirn, die Psyche und somit den Menschen hinsichtlich seiner Handlungen und Motive besser zu verstehen.
Das menschliche Gehirn befindet sich mit und durch den Körper in einem wechselseitigen Austausch sowohl innerhalb des Organismus, etwa durch Hormon-, Immun- und Nervensystem, als auch über die Sinneswahrnehmungen und Interaktionen mit der Umwelt. Was langläufig als „Geist“ zusammengefasst wird, entspringt in seiner Gesamtheit aus der Wechselwirkung und dem Austausch dieser Systeme. Zum Teil wird die Umwelt erst durch die geistige Aktivität erschaffen.[38]
Um diese Zusammenhänge etwas genauer zu erläutern:
Beinahe jeder Muskel, jedes Gelenk, jedes innere Organ, jeder Körperteil kann über das periphere Nervensystem direkt oder über das Rückenmark Signale an das Gehirn schicken.[39]
Die Funktionsweise des Gehirns kann entweder direkt oder durch Aktivierung bestimmter Hirnregionen durch chemische Stoffe beeinflusst werden, die durch Körperaktivität erzeugt werden.[40]
Das Gehirn kann natürlich ebenso in entgegengesetzter Richtung, durch die Nerven, Einwirkung nehmen. Dies geschieht entweder über das autonome oder das willkürliche Nervensystem. Signale des autonomen Nervensystems entstehen in evolutionär älteren Regionen wie der Amygdala, dem Gyrus cinguli, dem Hypothalamus und dem Gehirnstamm. Signale des willkürlichen Nervensystems finden ihren Ursprung in motorischen Rindenfeldern und subkortikalen motorischen Kernen.[41]
Abgesehen davon wirkt das Gehirn über zahlreiche chemische Stoffe, die in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden, wie Hormone, Transmitter und Modulatoren, auf den Körper ein.[42]
Abbildung 8: Limbisches System und Hypothalamus[43]
Über all diese Systeme werden unser Körper und unsere Psyche beeinflusst. Oder anders gesagt beeinflussen sich Körper und Psyche so stets wechselseitig. Somit trägt Grundlagenwissen in der Neurobiologie erheblich zu einem besseren und genaueren Verständnis von Krankheit und Gesundheit bei.
Es werden im Folgenden einige wichtige Botenstoffe und Gehirnregionen, sowie deren Einfluss auf Körper und Psyche kurz beschrieben.
Oxytocin gilt als Vertrauens- und Einfühlungshormon.[44] Es beeinflusst eine große Bandbreite von Putz-, Fortbewegungs-, Fortpflanzungs- und mütterlichen Verhaltensweisen. Wichtiger jedoch: es bahnt soziale Interaktionen und fördert Bindungen.[45] „Oxytocin erzeugt das Gefühl einer angenehmen Entspannung (...)“.[46]
Man kann seine Wirkung durchaus mit der von Heroin vergleichen.[47]
Es gibt viele Hinweise darauf, dass es einen enormen Beitrag dazu liefert, dass Menschen soziale Kontakte brauchen und sich jede positiv erlebte Form von zwischenmenschlicher Beziehung stark auf die Gesundheit des Einzelnen auswirkt. Durch seine entspannende Wirkung ist es ein wichtiger Protagonist in der Prävention der negativen Auswirkungen von Stress, Druck und Angst. Es sorgt für körperliche und psychische Entspannung, beruhigt das biologische Stresssystem, senkt dabei den Blutdruck und dämpft die Angstzentren im Gehirn.[48]
Dopamin gilt unter anderem als „Glückshormon“. Es wird über das Motivationszentrum des Gehirns ausgeschüttet und entfaltet eine Wirkung, die der einer Dopingdroge gleicht. Es steigert Konzentration sowie die Handlungsbereitschaft, psychisch als auch physisch durch Beeinflussung der motorischen Handlungsfähigkeit.[49]
Dopamin und Oxytocin treten oft in Kooperation auf, speziell dann, wenn Motivation an soziale Interaktionen geknüpft ist.[50]
Die Bezeichnung der endogenen Opioide (Endorphine) definiert drei Substanzgruppen mit ähnlicher Wirkung: Endorphine, Enkephaline und Dynorphine.[51]
Je nach Ausgangspunkt der Ausschüttung wird Dopamin von Botenstoffen begleitet, sogenannten endogenen Opioiden, deren Wirkung der von Opium oder Heroin entspricht, allerdings ohne einschläfernden oder betäubenden Effekt. Sie wirken auf das Emotionszentrum im Gehirn, haben eine positive psychische Wirkung auf emotionale Gestimmtheit, Selbstwahrnehmung, Lebensfreude und eine ebenso stärkende physische Wirkung auf das Immunsystem und besonders die Schmerztoleranz.[52]
Die Auswirkung von Adrenalin ist fast jedem Menschen (bewusst) bekannt. In Stresssituationen (positiv wie negativ) stellt es den Körper auf den Flucht- oder Kampfmodus ein. Dazu gehören erhöhtes Schwitzen, Blutgefäße in Haut, Muskeln und Gehirn sowie im viszeralen System verengen sich, Blutzucker und Blutdruck als auch Herzrate erhöhen sich.[53]
Cortisol (Glucocortico(ster)oide) haben eine vielfältige Wirkung. Im Kohlenhydrat– und Aminosäurestoffwechsel erhöht Cortisol die Glucosekonzentration im Blut. Im Herz-Kreislaufsystem führt es zu einer Verstärkung der Herzkraft und Gefäßverengung, außerdem führt es zu einer vermehrten Adrenalinbildung im Nebennierenmark. Glucocorticoide wirken auch antientzündlich und antiallergisch. Die normale Cortisol-Konzentration unterliegt einem Tag-Nacht Rhythmus. Vermehrt wird es unter körperlicher oder psychischer Belastung ausgeschüttet, was sich auch in der Wirkung zeigt (erhöhte Herzleistung, mobilisierter Energiestoffwechsel, etc.).[54] Seine Ausschüttung wird durch das CRH (Corticotropin-Releasing-Hormone) im Hypothalamus in Gang gesetzt. Es verbessert u.a. die Bereitstellung von Glucose.[55] Einen wichtigen Einfluss hat es auch auf das Immunsystem und wirkt ebenso auf zahlreiche Gene, die es aktivieren oder deaktivieren kann.[56]
Das limbische System ist maßgeblich an motiviertem Verhalten, emotionalen Zuständen und Gedächtnisprozessen beteiligt. Davon abgesehen regelt es Körpertemperatur, Blutdruck, Blutzuckerspiegel sowie andere Aspekte des Körperhaushalts. Es besteht aus dem Hippocampus, dem Hypothalamus und der Amygdala.[57]
Abbildung 9: Anatomie limbisches System[58]
Der Hypothalamus koordiniert in seiner Hauptfunktion alle vegetativen (nicht bewusst kontrollierbaren Körperfunktionen wie Puls, Blutdruck, Muskeltonus, etc.) und die meisten endokrinen (hormonellen) Prozesse.[59] Abgesehen davon integriert er „die Regelung des inneren Milieus, des Schlaf-Wach-Rhythmus, körperlicher und geistiger Entwicklung und Fortpflanzung“.[60]
Die Amygdala dient der emotionalen Kontrolle als auch der Formung von emotionalen Gedächtnisinhalten.[61] Im Besonderen ist sie an Angstverhalten, vor allem wenn es sich um erlerntes Verhalten handelt, beteiligt.[62] Ebenso spielt sie eine Rolle bei Aggressionen, besonders im sozialen Bereich.[63]
Nach moderner Definition zählt auch der Gyrus cinguli zum limbischen System. Er verarbeitet Schmerzen und reguliert Affekte, beeinflusst Aufmerksamkeit und Konzentration.[64] Auch finden sich in diesem Bereich Spiegelneurone [Spezielle Nervenzellen, die für Empathie und das Nachempfinden von z.B. Schmerz zuständig sind. Sie werden im Verlauf der Arbeit noch näher erklärt. ], die Menschen Schmerzen, die einem anderen zugefügt werden, nachempfinden lassen.[65]
Dies stellt natürlich nur einen sehr groben Überblick eines hoch komplexen Systems dar. Zusammenfassend sieht man allerdings deutlich, dass der Mensch über enorme Ressourcen in der positiven (gesundheitlichen) Stimulation besitzt, die intern über...