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E-Book

Rechtswissenschaft in der Berliner Republik

VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl767 Seiten
ISBN9783518756843
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Wie hat sich die Rechtswissenschaft in Deutschland seit der Wiedervereinigung verändert? Wie unterscheidet sich die Berliner von der Bonner Republik? Ist es überhaupt sinnvoll, von einer Rechtswissenschaft der »Berliner Republik« zu sprechen und was wären ihre wichtigsten Charakteristika? Der Band, der explizit an das 1994 erschienene Rechtswissenschaft in der Bonner Republik (stw 1150) anschließt, versammelt Texte ausgewiesener Experten, die diesen Fragen nachgehen. Und er bilanziert die wichtigsten Entwicklungen in den juristischen Teildisziplinen während der letzten knapp 30 Jahre, vom Öffentlichen Recht über das Strafrecht bis zum Zivilrecht.

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<![CDATA[<p>Thomas Duve ist Direktor am Max-Planck-Institut f&uuml;r europ&auml;ische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main und Professor f&uuml;r vergleichende Rechtsgeschichte an der Goethe-Universit&auml;t ebenda.</p> <p>Stefan Ruppert war Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut f&uuml;r europ&auml;ische Rechtsgeschichte sowie Bundestagsabgeordneter. Heute ist er Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer in der Industrie.</p> ]]>

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Leseprobe

11Thomas Duve/Stefan Ruppert

Rechtswissenschaft in der Berliner Republik:
Zur Einführung


  1. Kontexte

  2. Binnenansichten

    1. Die Deutsche Einheit als Rechtsproblem

    2. Europäisierung, Internationalisierung, Globalisierung

    3.  Privatisierung, Ökonomisierung und Ausweitung der Staatsaufgaben

    4. (Straf-)Rechtswissenschaft im Zeichen neuer Feinde

    5.  Institutionelle Beharrungskraft trotz Verschwimmens der Fächergrenzen und Konstitutionalisierung

    6. Stellung der Grundlagenfächer

    7. Methodenwandel

    8. Kontinuitätslinien

    9.  Das Verhältnis von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft

    10. Digitalisierung und medialer Wandel

    Bibliographie

»Berlin ist nicht Bonn.« Hat der Satz die gleiche Evidenz wie das bekannte Diktum Fritz René Allemanns, dass »Bonn nicht Weimar«[1] sei? Das Wendejahr 1989 brachte eine letzte große Zäsur in der bewegten deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das Leben vieler Deutscher veränderte sich auf dramatische Weise. Freude und Befreiung, große Hoffnungen, aber auch manche Enttäuschungen, Verunsicherung und Verlust prägten die folgenden Jahre. Für 16,4 Millionen Deutsche wurde fast alles anders. Doch für die 62,68 Millionen Einwohner der früheren Bundesrepublik schien sich strukturell wenig zu ändern. Man expandierte, wickelte ab und baute auf. Westdeutsche Anwaltskanzleien gründeten Büros in Dresden, Leipzig, Berlin. Richterinnen, Staatsanwälte, Ministerialbeamte und Hochschullehrerinnen wurden abgeordnet oder 12übernahmen zusätzliche Aufgaben in den neuen Bundesländern. Für Juristinnen und Juristen, die aus dem Westen kamen, öffneten sich Karrierechancen. Die Übernahme der Rechtsordnung der Bundesrepublik im sogenannten Beitrittsgebiet nach Anlage I des Einigungsvertrags, aber auch die vielen neuen Rechtsfragen – von der Regelung offener Vermögensfragen bis hin zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der ehemaligen Machthaber oder ihrer Mauerschützen – führten zu einem hohen Bedarf an qualifiziertem Personal. DDR-Juristen zog man dabei selten heran. Juristische Fakultäten wurden gegründet, man lehrte, studierte und prüfte in den neuen Bundesländern nun nach Studien-, Prüfungs- und Ausbildungsordnungen, die sich an denen der alten Bundesrepublik orientierten. Kaum eine der juristischen Zeitschriften aus der DDR überlebte, DDR-Justiz und -Rechtswissenschaft wurden schnell zu Rechtsgeschichte. Die sechste Verfassungsordnung des 20. Jahrhunderts auf deutschem Boden – nach Kaiserreich, Weimar, NS-Zeit, früher Bundesrepublik und DDR nun die wiedervereinigte, souveräne und immer stärker in die EU eingebundene Bundesrepublik[2] – und ihr Rechtssystem schienen sich vergleichsweise reibungslos zu etablieren. Bedeuteten die ersten Jahre nach 1989 für viele Biographien im Osten einen radikalen, manchmal bis heute nicht verheilten Bruch, so dürfte mancher »Wessi« an die Wiedervereinigung vor allem noch bei der Zahlung des »Soli« erinnert werden.[3]

Selbst dieser Solidaritätszuschlag, eine fiskalische Maßnahme aus dem Jahr 1991, macht darauf aufmerksam, dass die Ereignisse von 1989 doch mehr waren als die »nachholende Revolution im Osten«, als die man sie anfangs sah.[4] Denn er diente nicht zuletzt der Finanzierung der Kosten des sogenannten ersten Golfkriegs, und das Gesetz zu seiner Einführung musste bei der Ausgestaltung auf die »Steuerharmonisierung in der EG« Rücksicht nehmen.[5] 13Schon dies zeigt, wie sehr die Jahre nach 1990 in eine übergreifende Dynamik eingebettet sind – zeitlich und räumlich. In der zeitgeschichtlichen Forschung sieht man eine Zäsur eher in der Zeit »nach dem Boom«[6] der späten 1970er Jahre, Jahrzehnte des mit der Globalisierung einhergehenden Verlusts vieler ökonomischer und soziokultureller Gewissheiten. Diese Zäsur wird auch für die bundesrepublikanischen Geisteswissenschaften stark gemacht.[7] Ein Prozess hatte begonnen, der den Einschnitt von 1989 »untertunnelte« und »neue, langfristig wirksame und tiefgreifende Umbrüche freisetzte«.[8] Fragen nach der Zukunft des Nationalstaats und der Leistungsfähigkeit seiner Institutionen kamen auf. Der Steuerungsoptimismus früherer Jahrzehnte war verflogen. Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft des Standorts Deutschland, um den sozialen und den globalen Frieden mehrten sich. Man antwortete mit einer Vertiefung der europäischen Integration bei gleichzeitiger Erweiterung nach Osten und der Suche nach einer neuen Rolle Europas als Globalregion. Inzwischen wird auch das Jahr 1989 selbst zunehmend als global moment begriffen, als Auftakt zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche, take off der »Kultur der Digitalität«.[9] Alles das kann auch gemeint sein, wenn von der »Berliner Republik« gesprochen wird[10] – einem inzwischen über ein Vierteljahrhundert langen Zeitraum, dessen Bezeichnung sich an einer Veränderung der nationalen politischen Verfassung festmacht, in dem aber zugleich langfristige Veränderungen in Politik, Kultur und Gesellschaft deutlicher in das öffentliche Bewusstsein drangen.

Was bedeuteten diese Jahre der Berliner Republik für die Rechtswissenschaft in Deutschland – und umgekehrt? Wie veränderte 14sich die Rechtswissenschaft? Spiegeln sich in ihr die großen Trends, wie reagierte sie auf diese, welche Bedeutung hatte sie? – Im Horizont globaler Veränderungen mögen solche Fragen spezialistisch erscheinen. Doch lassen sich auch die größten Umbrüche erst aus der Summe vieler Nahbeobachtungen begreifen, und wie jeder gesellschaftliche Teilbereich hat auch und gerade die Wissenschaft ein genuines Eigeninteresse an Selbstreflexion. Wird die Gegenwart in einen längeren historischen Prozess eingeordnet, mag man schleichende Veränderung oder unauffällige, aber deswegen nicht weniger wirksame Pfadabhängigkeiten der disziplinären Entwicklung erkennen; auch hier gilt, dass jede Reflexion über das eigene Tun emanzipatorisches Potential birgt.

Aber auch für eine deutsche Gesellschaftsgeschichte des letzten Vierteljahrhunderts dürfte der zeithistorische Blick auf die Rechtswissenschaft nicht ganz unerheblich sein. Die meisten Deutungsangebote nehmen den Rechtsbetrieb und seine Akteure kaum zur Kenntnis – und am wenigstens die Rechtswissenschaft, deren Funktion im Rechtssystem dem Nichtjuristen in der Regel kaum verständlich ist. Hans Ulrich Wehlers Eingeständnis, er habe in seiner bis 1990 reichenden Deutschen Gesellschaftsgeschichte die Bedeutung des Rechts »in seiner relativen Autonomie […] nicht ernst genug genommen«,[11] mag die Notwendigkeit unterstreichen, der Rechtswissenschaft zeitgeschichtlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Das gilt umso mehr, als Juristinnen und Sozialwissenschaftler gegenwärtig fundamentale Veränderungen in der Welt des Rechts beobachten: Eine für das Recht folgenreiche Entwicklung von der Gesellschaftssteuerung zur sozialen Kontrolle;[12] eine »heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat«, die einhergeht mit einem veränderten Bild der Richter und ihrer Aufgabe, bis hin zu ihrer medialen Präsenz;[13] eine Internationalisierung, Europäisierung und Transnationalisierung des Rechts von bisher unbekanntem Ausmaß;[14] eine Tendenz zur Entstaatlichung von Normsetzung und Konfliktausgleich, die privaten Akteuren, Expertennetzwerken 15und großen law firms eine...

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