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E-Book

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Welche Ratschläge und Untersuchungen Schwangere wirklich brauchen

AutorJael Backe
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783864153075
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Es krankt in der Schwangerenvorsorge. Schwangere tun alles, um sicherzugehen, dass es ihnen und ihrem ungeborenen Kind gut geht. Fast alle nehmen die regelmäßigen Vorsorgetermine wahr, nehmen sich die Ratschläge der behandelnden Ärzte und Hebammen zu Herzen und folgen deren Empfehlungen zu Untersuchungen, Medikamenten, Nahrungsergänzungspräparaten u. v. m. Was wäre aber, wenn viele dieser Ratschläge nicht unbedingt dem Wohl von Mutter und Kind dienen, sondern überflüssig, sinnlos oder gesundheitlich bedenklich sind? Genau dies sagt Frau Professor Backe aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Schwangerschaftsvorsorge. Sie klärt auf, welche Untersuchungen tatsächlich sinnvoll sind und welche kritisch hinterfragt werden müssen. Dieses Buch schließt eine große Lücke in der Ratgeberliteratur. Endlich können sich Schwangere ein unabhängiges Urteil bilden und ihrem Arzt oder ihrer Hebamme auf Augenhöhe begegnen.

PROF. DR. MED. JAEL BACKE, geboren 1965, ist niedergelassen in einer eigenen Praxis für Frauenheilkunde, Medizinische Genetik und Psychotherapie in Würzburg. Zusätzlich lehrt sie als Professorin an der Universität Würzburg. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf interdisziplinären Themen wie »Arzt-Patient-Beziehung« und »Prävention als ärztliche Aufgabe«. Sie ist verheiratet und lebt in Würzburg.

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Leseprobe

Kapitel 1


Urin- und Blutuntersuchung – welche sind sinnvoll?


Zu viele Bakterien im Urin, zu wenig Eisen im Blut – über unsinnige Untersuchungen und unnötige Behandlungen in der Schwangerschaft


»Die Medizin unseres Jahrhunderts hat ein prinzipielles Monopol auf das Wissen beansprucht, aufgrund dessen sie Normwidrigkeit erst bestimmen, dann erkennen und schließlich behandeln kann.«

(Duden 2002a)

Ihr Start in die Schwangerenvorsorge

Wenn Sie als schwangere Frau zur Vorsorgeuntersuchung in die gynäkologische Praxis kommen, erhalten Sie einen Becher und werden gebeten, diesen mit frischem Mittelstrahl-Urin zu füllen und im Labor der Praxis abzugeben. Dort taucht eine Praxismitarbeiterin möglichst zeitnah einen Teststreifen hinein und liest ab, ob das vermehrte Auftreten von Blut, Eiweiß, Zucker, weißen Blutkörperchen, Nitrit und Ascorbinsäure im Urin angezeigt wird. Das Ergebnis wird bei jeder Vorsorgeuntersuchung in Ihrem Mutterpass notiert und vom Arzt interpretiert. So sehen es die Mutterschafts-Richtlinien vor (G-BA 2012). Doch es können sich Situationen daraus ergeben, die zu unsinnigen Therapien führen. Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen aus der Praxis erläutern.

Fallbeispiel: Carina K., 24 Jahre

Carina K. ist zum ersten Mal schwanger und 21 Schwangerschaftswochen weit. Bisher gab es keine Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf. Sie ist gesund und hatte noch nie eine Erkrankung der Nieren oder der Harnblase. Carina kommt zur Vorsorgeuntersuchung in meine Praxis und gibt wie gewöhnlich ihren Urin ab. Die Indikatorfelder der Teststreifen zeigen an, dass in Carinas Urin vermehrt weiße Blutkörperchen und Nitrit vorhanden sind, auch die roten Blutkörperchen sind gering erhöht. Dies wird im Mutterpass vermerkt. Hat sie eine Blasenentzündung?

Ich befrage sie nach typischen Beschwerden wie Brennen beim Wasserlassen, häufigem Harndrang oder auffallendem Geruch des Urins. Sie verneint dies, es geht ihr gut. Auf meine Frage, wie viel sie täglich trinkt, gibt sie einen knappen Liter an. Heute hat sie erst einen halben Liter getrunken. Es ist Sommer und sehr warm draußen. Deswegen vermute ich, dass ihre heutige Trinkmenge zu gering war, sie hat viel geschwitzt. Der Urin ist sehr konzentriert, sieht dunkelgelb aus. Wir vereinbaren, dass sie noch einmal zur Urinkontrolle kommen soll, nachdem sie mindestens 2 Liter Wasser oder Tee getrunken hat. Bei dieser zweiten Urinuntersuchung sehen wir einen klaren, hellen Urin. Die Teststreifen zeigen keinen Farbumschlag an.

Was folgern wir daraus? Die Aussage der Urinteststreifen wird durch die Trinkmenge beeinflusst. Ein verdünnter Urin wird durch diese Streifen eher als »gesund« bewertet, ein konzentrierter Urin kann fälschlicherweise als Blasenentzündung gedeutet werden. Die Teststreifen sind in ihrer Aussage nicht zuverlässig.

Fallbeispiel: Annabell W., 30 Jahre

Annabell W. erwartet ihr drittes Kind. Sie ist in der 32. Schwangerschaftswoche. Auch sie war bisher immer gesund und alle bisherigen Schwangerschaften verliefen ohne Besonderheiten. Sie stellt sich heute zum ersten Mal in meiner Praxis vor, da sie vor wenigen Wochen von einer anderen Stadt hierher umgezogen ist und eine neue Frauenärztin braucht. Bei der Durchsicht ihres Mutterpasses fällt mir auf, dass Annabell schon dreimal Antibiotika verordnet wurden, weil die Urinuntersuchung einen auffälligen Befund ergeben hatte.

Im Gespräch mit mir gibt sie an, niemals Beschwerden gehabt zu haben, die für eine Blasenentzündung typisch gewesen wären. Es erfolgten immer nur Teststreifen-Untersuchungen und eine mikroskopische Analyse des Urins durch das Personal der früheren Frauenarztpraxis. Eine bakteriologische Untersuchung war zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden. Auch hatte bisher kein Arzt eine sogenannte Urinkultur angelegt, mit der man den Erregertyp bestimmen und dessen Empfindlichkeit auf Antibiotika testen kann.

Ich bin überzeugt, dass die Antibiotika, die Annabell verschrieben wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit unnötig waren, weil die durchgeführte Urindiagnostik vollkommen unzulänglich war. Dafür hatte sie durch den Einsatz von Penicillin eine hartnäckige Pilzinfektion und Durchfälle entwickelt.

Urinuntersuchung: eine »schwierige diagnostische Aufgabe«?

In den aktuellen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu Harnwegsinfektionen heißt es: »Trotz ihrer Häufigkeit und Bedeutung in der täglichen Praxis stellt die korrekte Feststellung, ob eine Harnwegsinfektion vorliegt, eine schwierige diagnostische Aufgabe dar.« (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044).

Das ist schon eine unglaubliche Aussage, wenn man daran denkt, dass die sogenannte Harnschau oder Uroskopie von der Antike bis in die frühere Neuzeit hinein eines der wichtigsten Diagnosemittel der Medizin darstellte. Damals war die Beurteilung des Urins ein zentrales Mittel, um Rückschlüsse auf die »Mischung der Körpersäfte« und zugrunde liegende Erkrankungen zu ziehen. Dass noch heute, im hoch technisierten 21. Jahrhundert, die Diagnose eines Harnwegsinfektes Probleme bereiten soll, ist erstaunlich. Im Folgenden werden wir sehen, dass diese »diagnostischen Probleme« Auswirkungen auf die Qualität der Schwangerenbetreuung haben.

Antibiotika – oft überflüssig oder zu unspezifisch

Berichte wie diejenigen von Annabell und Carina sind keine Einzelfälle. Ähnliches geschieht tagtäglich in der Schwangerenvorsorge. Die Fallbeispiele sind repräsentativ für ein Vorgehen, das in den Mutterschafts-Richtlinien verbindlich vorgegeben ist und von jedem Frauenarzt so durchgeführt werden muss.

In ganz Deutschland kommt es auf diese Weise dazu, dass viele Schwangere immer wieder zu Urinkontrollen genötigt werden und Antibiotika verschrieben bekommen, die überhaupt nicht nötig wären.

Auf der anderen Seite werden tatsächliche Harnwegsinfektionen häufig gar nicht oder zu spät erkannt. Zudem werden die antibiotischen Substanzen meist ungezielt, das heißt ohne Austestung verschrieben. Und dies mit allen Folgeerscheinungen einer verfrühten ungezielten Antibiotika-Therapie, wie

  • Pilzinfektionen im Magen-Darm-Trakt und im Genitalbereich,
  • gestörte Darmflora,
  • Resistenzentwicklung der Bakterien, sodass die Antibiotika, wenn es wirklich nötig wäre, nicht mehr wirksam sind.

Die Erreger von Harnwegsinfektionen sind in Deutschland immerhin schon in hohem Maße resistent gegen das in der Schwangerschaft am häufigsten verwendete Antibiotikum Ampicillin. In einer großen Studie, die in urologischen und frauenärztlichen Praxen von neun europäischen Ländern sowie Brasilien durchgeführt wurde, lag die Resistenzrate in Deutschland für Ampicillin bei ganzen 67 Prozent (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044).

Haben Sie eine »asymptomatische Bakteriurie«?

In der Schwangerschaft verändert sich der weibliche Organismus auf verschiedene Art. Die Veränderungen begünstigen das Auftreten von Harnwegsinfektionen:

  • Die Durchblutung der Nieren steigt um 30 bis 40 Prozent an, wodurch der Urin stärker verdünnt wird. Die Konzentration entzündungshemmender Substanzen im Urin nimmt damit ab.
  • Die Harnröhre ist in der Schwangerschaft deutlich erweitert. So können Bakterien leichter nach oben in die Blase aufsteigen.
  • Während der Schwangerschaft kommt es zu einer spezifischen Unterdrückung des Immunsystems. Daher sind Blase und Nieren anfälliger für Infektionen.

Nun ist es so, dass eine Harnwegsinfektion in der Schwangerschaft nicht einfach ignoriert werden darf. Manche Studien weisen darauf hin, dass möglicherweise ein Zusammenhang zwischen einer solchen Infektion und der Entstehung einer sogenannten Präeklampsie besteht (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044). Das ist eine Erkrankung, die mit erhöhtem Blutdruck und vermehrter Eiweißausscheidung im Urin einhergeht. Es gibt auch Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Bakterien im mütterlichen Urin und niedrigem Geburtsgewicht des Kindes sowie Frühgeburtlichkeit nahelegen.

Aus diesen Gründen stellt die Schwangerschaft einen Sonderfall in der Urindiagnostik und in der Behandlung von Harnwegsinfektionen dar: Während bei gesunden nicht schwangeren Frauen das bloße Vorhandensein von Bakterien im Urin nicht behandlungsbedürftig ist, wird von den Fachgesellschaften für Sie als Schwangere ausdrücklich die Behandlung mit Antibiotika gefordert, wenn in Ihrem Urin Bakterien nachgewiesen werden. Das gilt auch für den Fall, dass Sie gar keine Symptome wie Brennen beim Wasserlassen, häufiges Wasserlassen, blutigen Urin oder ununterdrückbaren Harndrang haben. Man spricht in diesen Fällen von der sogenannten asymptomatischen Bakteriurie (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044). In Europa, in Amerika und in Australien besteht laut Studienergebnissen bei 4 bis 7 Prozent aller Schwangeren eine derartige asymptomatische Bakteriurie.

Laut Leitlinien soll die symptomlose Bakterienausscheidung im Urin in der Schwangerschaft behandelt werden, um schwerwiegende Folgen für Mutter und Kind zu verhindern. Da es sich in diesem besonderen Fall um eine Situation handelt, bei der körperliche Beschwerden fehlen, hängt die Entscheidung zur Behandlung mit Antibiotika ausschließlich von den Ergebnissen der Urinuntersuchung ab – es handelt sich um eine reine Labordiagnose.

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