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Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen (Leben Lernen, Bd. 163)

Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl

AutorFriederike Potreck, Gitta Jacob
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783608103823
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Die Autorinnen vermitteln zunächst notwendiges Grundlagenwissen. Im Zentrum des Buches stehen methodisch aufeinander aufbauende Interventionen, die ausführlich dargestellt und erläutert werden. Sie entwickeln ein Konzept mit folgenden Schritten: Stufen der Selbstzuwendung: - Achtsam sein - Sich selbst liebevoll begegnen - Für sich sorgen Schritte zur Selbstakzeptanz: - Differenzierung des Wertesystems Wege zum Selbstvertrauen: - Selbstregulation und Selbstkontrolle Die konkreten Interventionsvorschläge werden ergänzt durch eine umfangreiche Sammlung von Übungen für Patienten. So lassen sich individuell abgestimmte therapeutische Handlungsschritte ableiten, die sich an den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Erfordernissen von Patienten orientieren. Zahlreiche Beispiele aus dem psychotherapeutischen Alltag veranschaulichen dies. Dieses Buch unterstützt Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dabei, ihren Patienten und Patientinnen zu einem stabilen, belastbaren Selbstwertgefühl zu verhelfen.

Friederike Potreck, Priv.-Doz., Dipl.-Psych, ist Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Freiburg im Breisgau. Ausgebildet ist sie in Verhaltenstherapie und in Gestalttherapie. Seit vielen Jahren ist sie als Supervisorin und Dozentin an Ausbildungsinstituten für Verhaltenstherapie in Freiburg, Tübingen, Stuttgart und Zürich tätig, außerdem als Privatdozentin an der Universität Freiburg. Ihr Buch (zusammen mit Gitta Jacob) »Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen« kann als Standardwerk zum Thema »Selbstwert« gelten. Gitta Jacob, Dr. phil., Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin mit Ausbildung in Verhaltenstherapie, ist an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg tätig.

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Leseprobe

Teil II: Praxis


4. Stufen der Selbstzuwendung: Sensibilisierung des Ichs


4.1 Achtsam sein


4.1.1 Einführung

In den vergangenen Jahren haben die Grundhaltung der Achtsamkeit und achtsamkeitsbasierte Interventionen in der klinischen Psychologie und in der Psychotherapie viel Aufmerksamkeit erhalten. Heidenreich et al. (2007) sprechen sogar von einer „dritten Welle“ in der Verhaltenstherapie, die zu einer erheblichen Akzentverschiebung in der verhaltenstherapeutischen Praxis führen könnte.

Achtsamkeit ist ein zentrales Prinzip in der buddhistischen Meditationspraxis. Ihr derzeit prominentester Vertreter ist der buddhistische Mönch und Zen-Meister Thich Nhat Hanh (z. B. 1992, 1999). Er tritt für eine Grundhaltung der »mindfulness« ein, die mit einiger Übung überall im Alltag gegenwärtig sein kann. Ihm geht es in der Hauptsache um das Einüben des »Gewahr-Seins« in der Gesamtheit des eigenen Seins und des In-der-Welt- und Teil-der-Welt-Seins. Solé-Leris (1994) gibt eine gut verständliche Definition: »Achtsamkeit ist das aufmerksame unvoreingenommene Beobachten aller Phänomene, um sie wahrzunehmen und zu erfahren, wie sie in Wirklichkeit sind, ohne sie emotional oder intellektuell zu verzerren.« In das alltägliche Erleben und Handeln übersetzt bedeutet dies, hier und jetzt genau so sein, wie ich jetzt hier bin. Genau das tun, was ich genau jetzt tue. Weder in Gedanken, noch in Gefühlen einen Schritt voraus zu sein, noch einen Schritt zurückzubleiben. Weder zu bewerten noch zu beurteilen, was ich jetzt gerade fühle, wahrnehme, empfinde. Nicht zu fragen, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Sein, ohne die Wahrnehmungen und die Gefühle zu zensieren.

In der Psychotherapie hat schon lange vor der „dritten Welle“ der Begründer der Gestalttherapie, Frederick S. Perls, die Grundhaltung der »awareness« im Sinne der Aufmerksamkeit für sinnliche und körperliche Prozesse während der Arbeit als therapeutisches Prinzip eingeführt (Perls, 2002). Schon in den achtziger Jahren wurden in der Psychotherapie bei Borderline-Störungen achtsamkeitsbasierte Interventionen in das verhaltenstherapeutische Methodenrepertoire integriert (Linehan, 1996; Hayes, Follette & Linehan, 2004).

Eine differenzierte Übersicht über die Grundlagen der Achtsamkeitspraxis und ihre Anwendungsformen findet sich bei Heidenreich und Michalak (2004).

Diese Quellen und die Grundgedanken der Feldenkraispädagogik, wie sie von Moshé Feldenkrais mit seinem Konzept »Bewusstheit durch Bewegung« (1987, 1996; Klinkenberg, 2000, 2007) vertreten werden und mir (F.P.R.) in unerschöpflichem Reichtum von meinen beiden Feldenkrais-Lehrerinnen Agnes Kalbhenn und Petra Koch nahe gebracht wurden, haben uns inspiriert, den Begriff Achtsamkeit im Kontext des Aufbaus von Selbstwert folgendermaßen zu verwenden: Achtsamkeit beschreibt eine Grundhaltung größtmöglicher positiv gefärbter Aufmerksamkeit auf sich selbst in Bezug auf alle gegenwärtigen Erfahrungen, Erlebnisse und Körperempfindungen. So gesehen ist das in der Allgemeinen und Klinischen Psychologie geläufige Konzept der Selbstaufmerksamkeit wie eine Vorstufe zu verstehen. Zunächst haben wir im neutralen Sinne die Aufmerksamkeit gegenüber allen Erfahrungs- und Erlebnisqualitäten, die der eigenen Person begegnen. Wenn das Wahrgenommene dann Achtung erfährt, etwa im Sinne von Respekt, kommt die positiv gefärbte Komponente hinzu. Wir gehen dann achtsam um mit den eigenen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnissen. Im dritten Schritt können wir dann fürsorglich damit verfahren. Damit ist die Achtsamkeit die Grundlage jeder positiven Selbstzuwendung. Wenn ich nicht achtsam mit mir sein kann, dann kann ich mich auch nicht mir selbst positiv zuwenden. Wenn ich nicht wahrnehmen kann, wie ich mich bewege, was ich sehe und höre, wie mir zumute ist, wie ich mich auf andere beziehe – wie kann ich dann positiv auf mich schauen und mich selbst positiv beeinflussen? In diesem Sinne sind die folgenden Übungen als Grundlagenübungen zu verstehen. Sie teilen sich in drei große Abschnitte: Übungen zur Achtsamkeit für den Körper: Wie bewege ich mich? Was braucht mein Körper?

Übungen zur Achtsamkeit für die Sinne: Was nehme ich wahr? Übungen zur Achtsamkeit für Gefühle und Bedürfnisse: Was empfinde ich? Was brauche ich?

Zunächst zur Veranschaulichung eine kleine Übung, die Sie sofort machen und auch jederzeit in der Therapiesitzung einflechten können, wenn Sie den Patienten das Konzept der Achtsamkeit erläutern.

Übung zur Sitzposition (nur Beine und Füße)

Nehmen Sie einen Moment wahr, wie Sie sitzen (sollten Sie gerade liegen, dann setzen Sie sich für diese Übung bitte unbedingt auf, und zwar so, wie Sie üblicherweise sitzen würden, wenn Sie ein Buch wie dieses lesen).

Ändern Sie Ihre Sitzposition jetzt nicht! Nehmen Sie erst einmal nur wahr:

Haben Sie Ihre Beine übereinander geschlagen oder stehen beide Füße auf dem Boden? Haben Sie die Beine ausgestreckt oder angewinkelt, vielleicht ein Bein oder beide Beine hinter die Stuhlbeine geklemmt? Wenn Sie die Beine übereinander geschlagen haben: Welches ist oben, wo ist der Fuß dieses Beines? Hängt er locker nach unten oder haben Sie die Fußspitze angezogen? Oder den Fuß des übergeschlagenen Beines hinter das untere Bein geklemmt? Stehen Ihre Füße mit ihrer ganzen Fußfläche auf dem Boden oder haben Sie eine Fläche oder beide gekippt? Versuchen Sie, möglichst genau und aufmerksam wahrzunehmen, wie Sie sitzen – aber in dieser Übung nur, was die Position der Füße und Beine betrifft.

Jetzt kommt – wieder ohne etwas zu verändern! – der nächste Schritt:

Versuchen Sie zu spüren: Ist das eigentlich eine bequeme, eine angenehme, eine entspannte Haltung, so wie Ihre Beine und Füße jetzt stehen? Oder ist es unbequem, angespannt? Lassen Sie sich Zeit für dieses Spüren, geben Sie dem aufkommenden Bedürfnis, etwas an der Position zu ändern, nicht nach. Das ist nämlich verlockend, gerade dann, wenn Sie bemerken sollten, dass Sie keineswegs bequem sitzen.

Erst wenn Sie Ihre augenblickliche Sitzposition ausgiebig erkundet haben – die Konzentration liegt hier absichtlich nur auf Beinen und Füßen –, folgt der nächste Schritt:

Nun experimentieren Sie, wie Sie die Position Ihrer Beine und Füße verändern können. Erst einmal geht es darum herauszufinden, was Sie alles mit Ihren Füßen und Beinen im Sitzen machen können: Stellen Sie beide Füße nebeneinander auf, belasten Sie die gesamte Fußsohle, dann nur die Fersen, weiter nur die Fußspitzen, belasten Sie einmal das linke Bein mehr als das rechte und umgekehrt. Nun lassen Sie beide Füße auf dem Boden stehen und vergrößern Sie den Abstand zwischen Ihren Knien. Jetzt verändern Sie bei aufgestellten Füßen den Winkel zwischen Unter- und Oberschenkeln. Zum Schluss schlagen Sie Ihre Beine auf alle möglichen Arten übereinander.

Bis jetzt haben Sie die Vielfalt der möglichen Sitzpositionen für Beine und Füße erkundet. Nun kehren Sie zu Ihrer ursprünglichen Sitzposition zurück und vergegenwärtigen Sie sich noch einmal: Ist sie angenehm? Bequem? Entspannt?

Jetzt der nächste Schritt:

Finden Sie eine angenehmere Position, die mehr Muskeln als bisher die Möglichkeit gibt, sich zu entspannen, die das Gewicht auf die beiden Beine und Füße besser verteilt. Wenn Sie meinen, Sie hätten schon eine entspannte Haltung, dann forschen Sie ganz aufmerksam: Geht es doch noch ein wenig entspannter, bequemer? Probieren Sie es aus. Was möchten Sie noch verändern? Wie sitzen Sie jetzt? Besser, angenehmer?

Wozu war diese kleine Übung nun gut? Was hat sie gezeigt? Zunächst einmal hat die Übung Sie natürlich abgelenkt von Ihrem eigentlichen Anliegen, nämlich mit dem Lesen weiter zu kommen, und zu erfahren, welche Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl hier nun vorgestellt werden. Sie haben Ihre Füße und Beine, vermutlich auch Ihr Gesäß, Ihren Rücken und Ihre Schultern gespürt, und sehr wahrscheinlich werden Sie bemerkt haben, dass Ihre Sitzposition nicht unbedingt die bequemste war. Sodann haben Sie feststellen können, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, alleine die Fuß- und Beinposition zu variieren. Und sehr wahrscheinlich werden Sie auch etwas an Ihrer Position so verändert haben, dass sich beim Sitzen mehr Muskeln entspannen können, dass das Gewicht auf beide Beine und Füße besser verteilt ist.

Die ersten zwei Schritte – Überprüfen der Sitzposition und Erkunden der Möglichkeiten, etwas zu ändern – sind ein Prozess, den man mit dem Zustand erhöhter Selbstaufmerksamkeit beschreiben könnte: Ich registriere, beobachte Körperhaltung, Bewegung etc. Im letzten Schritt kommt nun die positiv oder wohlwollend gerichtete Aufmerksamkeit hinzu: Welche Position ist die angenehmste? Wohlgemerkt die angenehmste, ohne dabei das Ziel Ihrer Tätigkeit aufzugeben, nämlich zu lesen. Achtsam sein für das eigene Sitzen meint also das Gewahr-Sein, welche Sitzposition ich einnehme, das Spüren, welche Körperempfindungen damit einhergehen, und meint schließlich, in den Grenzen, die mir die gegenwärtige Tätigkeit oder Aufgabe setzt, wohlwollend zu prüfen, ob es gut ist, so wie es ist, oder ob ich etwas verändern kann.

Mit diesem letzten Schritt ist natürlich die Grenze zur nächsten Stufe dieses Prozesses Liebevoll sich selbst begegnen schnell erreicht. Trotzdem halten wir die Unterscheidung für sehr...

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