In diesem Kapitel werden die Bereiche der familienbezogenen Pflegeforschung im Überblick graphisch dargestellt und hinsichtlich Forschungsbedarf diskutiert. Dies soll der Wiederholbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Forschungskonsistenz dienen.
Die neun definierten Kategorien
Familie in einer besonderen Lebenssituation
Bürokratie-Belastung der Familie
familiäre Anpassungsprozesse
keine Hilfe von außen holen
Wunsch nach Hilfe zur Selbsthilfe
Belastungserleben der Mutter
Belastungserleben des Vaters
Belastungserleben der Geschwisterkinder
Wahrnehmung sozialer Kontakte
finden sich wiederholend in den Diplomarbeiten wieder. Obwohl sich diese Arbeiten mit unterschiedlichsten Erkrankungen befassen (von Autismus bis Cerebralparese, schwersten Behinderungen oder auch Diabetes bei Jugendlichen) können jene gefundenen Kategorien für den Bereich Eltern kranker Kinder als wiederkehrende Gemeinsamkeiten angesehen werden. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass Eltern, wenn ihr Kind erkrankt ist, hinsichtlich Belastungen, Belastungserleben, Lebenssituation, Wahrnehmungserleben und Wünschen, starke Übereinstimmungen erfahren. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse ist aber auf den analysierten Bereich, der Qualifizierungsarbeiten des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität Wien, beschränkt. Eine Vertiefung der Metaanalyse wäre daher nötig, um diese Ergebnisse zu bestärken.
Die folgende Graphik soll einen visuellen Überblick der Diplomarbeiten familienbezogener Pflegeforschung geben und diese mit Blick auf den Anlass (akut oder chronisch) und die Lebensspanne (von jung bis alt) darstellen. Anhand dieser Graphik kann man auch erkennen, welche Anlässe und welche Bereiche der Lebensspanne im Bezug auf familienbezogene Pflegeforschung schon erforscht sind.
Abbildung 1 Graphische Darstellung familienbezogener Pflegeforschung (eigene Darstellung)
Der hier diskutierte Forschungsbedarf bezieht sich alleinig auf die Diplomarbeiten des Pflegewissenschaftsinstituts der Universität Wien. Dieser lässt keinen Schluss hinsichtlich genereller Forschungstätigkeiten in den verschiedenen Thematiken zu.
Der Bereich Demenz, sowie der Bereich der neurologischen Erkrankungen, vor allem bei Kindern, ist ebenso qualitativ in wachsendem Maße betrachtet worden.
Kinder als betroffene/pflegende Angehörige erscheint diesbezüglich ein öfter gewähltes Thema zu sein und die Forschungsarbeiten decken unterschiedlichste Gebiete wie Intensivstation, Krebs, körperliche oder geistige Behinderung, chronische Krankheit, Demenz und auch Informationsweitergabe an Kinder als Angehörige ab.
Auffällig ist aber, dass die in den Medien als "Volkskrankheiten" bezeichneten Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Adipositas, Diabetes im Zusammenhang mit dem System Familie noch nicht prägnant in diesen Qualifizierungsarbeiten aufscheinen. Das Erleben dieser Krankheiten im Kontext Familie ist in den Qualifizierungsarbeiten noch nicht erschöpfend erforscht, bzw. nur in speziell ausgewählten Settings, wie man bei den Forschungsarbeiten betreffend der dementiellen Krankheitsbilder, sehen kann.
Dies resultiert auch daraus, dass die Themen der Diplomarbeiten frei gewählt sind und sich nicht vorrangig an Forschungsprioritäten orientieren, sondern am Themenfeld-Interesse des Autors der jeweiligen Diplomarbeit.
Eine Häufung der Arbeiten zeichnet sich im Feld "jung" - "chronisch" ab, sowie auch im Bereich der mittleren Lebensspanne - "chronisch". Interessanter Weise scheint der Bereich "akut" - "alt" innerhalb der Qualifizierungsarbeiten des Systems Familie so gut wie nicht auf. Zum Beispiel Phänomene wie Sturzgeschehen von älteren Familienmitgliedern, oder akut auftretende Leiden wie Insult oder Infarkt.
Es existiert eine einzige quantitative Forschungsarbeit, im Bereich der schweren Behinderung eines Familienmitgliedes. Da sich die meisten Qualifizierungsarbeiten mit dem Erleben von gewissen Situationen bzw. Zuständen oder Krankheitsbildern beschäftigen (Phänomene darstellen), ist der Überhang qualitativer Forschungen nachvollziehbar. Sollten die Phänomene einmal vertieft erforscht sein, kann man dazu übergehen, sie quantitativ zu beforschen. Rein auf der Ebene der Qualifizierungsarbeiten an der Uni Wien könnte dies für den Bereich „Stillen“ in naher Zukunft der Fall sein.
Die Verfasserin dieser Bachelorthese vertritt die Meinung, dass mit intensivierter Forschung im Bereich Kinder mit Autismus, bzw. Menschen mit Autismus durch die Pflegewissenschaft möglicher Weise Schulungs- und Beratungsprogramme auch Seitens der Pflege entwickelt und durchgeführt werden könnten, um das Empowerment der Eltern beziehungsweise der gesamten Familie zu optimieren. Ebenso wäre das Konzept der Gemeindeschwester (Family Nurse), die hier unterstützend in allen Bereichen ansetzen könnte, gut vorstellbar. Wird doch bezüglich Unterstützungsangeboten noch mehr an Bedarf benötigt (Majchrzak, 2010, S115).
Hinsichtlich einer Verbesserung des Versorgungssystems, wie dies gewünscht wird (Stroik, 2011, S85), wäre ein intensives Casemanagement, optimaler Weise durch eine ANP im Bereich der Pflege behinderter Menschen ein möglicher Ansatzpunkt zur Optimierung der Versorgung zuhause. Ebenso wäre die Begleitung durch die Systeme und eine professionelle Beratung sowie das Empowerment der Eltern gewährleistet.
Die Situation der Väter in den betrachteten Forschungsarbeiten ist divergent und schwierig zu analysieren. Denn einerseits waren Väter weniger bereit, aus diversen Gründen, wie zum Beispiel Zeitmangel (Stroik, 2011, S8) oder weil sie nicht über ihre Situation reden wollten (Stroik, 2011, S4) Interviews zu geben, andererseits wurden primär nur die Sichtweisen der Mütter erforscht (Salomon, 2012; Stroik, 2011; Bumba, 2010). Hier besteht sicher noch viel Forschungsbedarf, um das Erleben von Väter kranker Kinder darzustellen. Von den elf Diplomarbeiten den Bereich Eltern kranker Kinder betreffend, fand sich eine einzige Arbeit, die die Situation der Väter als Unterstützende Ressource der Mütter (Salomon, 2012, S63) darstellt. Dies ist interessanter Weise die einzige Arbeit, die im Bezug auf den Part des männlichen Partner in der Elternbeziehung, fast nur positives erwähnt.
"Man kann vermuten, dass der Mann an der Seite der Frau eine Art "stille Ressource" darstellt, die eben da ist, aber sich nicht immer bewusst gemacht wird." (Salomon, 2012, S63)
Dies ist dahingehend interessant, da der Forscher ein Mann ist. Dies kann unter Umständen einen gewissen Einfluss des Forschers auf das inhaltliche Ergebnis darstellen. Denn in allen anderen, von durchgehend weiblichen Forscherinnen durchgeführten Analysen wurden die Partner eigentlich oft als keine große Unterstützung, außer als Hauptverdiener der Familie beschrieben. Die Forscherinnen beschrieben sogar, dass die Mütter die Väter in gewisser Weise nicht mit den Erkrankungen der Kinder belasten wollten, die Hauptversorgung übernahmen und die Väter sich hauptsächlich nur abends und am Wochenende mit den Kindern spielerisch beschäftigten. Beziehungsweise, dass die Väter aufgrund der zu starken Belastung die Familien oftmals verlassen (Bumba, 2010, S91; Stroik, 2011, S28).
Interessant sind die unterschiedlichen Outcomes des quantitativen Fragebogens in Gegenüberstellung zu den qualitativen Forschungsarbeiten. Durch die Erhebung wurde festgestellt, dass die Belastung der Partnerschaft, im Gegensatz zu den Ergebnissen der qualitativen Analysen, nicht ausschlaggebend hoch ist (Fellner, 2008, S95). Die Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass die Belastungssituation der Mütter höher ist, als die der Väter, aber die Väter in die Betreuung einbezogen sind. Die befragten Eltern sind mit ihren Lebensumständen weitgehend zufrieden, trotz der Situation eines schwer behinderten Kindes (Fellner, 2008, S116). Dies steht im Gegensatz zu anderen Ergebnissen in den Qualifizierungsarbeiten. Es lässt aber vermuten, dass einerseits der quantitative Fragebogen den Antwortspielraum einschränkt, andererseits die Stichprobe sehr klein war (46 Elternpaare) und daher die Aussagekraft möglicherweise gering ist.
Allerdings muss festgehalten werden, dass die Settings in denen die einzelnen Forschungsarbeiten durchgeführt wurden, aufgrund des Umfanges der einzelnen Forschungsarbeiten, nur begrenzt aussagekräftig sein können. Dies beschreiben die Forscherinnen und Forscher auch selbst in den Diskussionsteilen der einzelnen Diplomarbeiten. Eben dies liegt auch im Naturell der qualitativen Forschung, da immer Phänomene betrachtet werden. Durch die Kategorienbildung ist allerdings eine Abstraktion auf die nächst höhere Ebene möglich. Bereiche wie die Hauptbelastung der Mütter und...