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Trauma ist nicht alles (Leben Lernen, Bd. 304)

Ein Mutmach-Buch für die Arbeit mit Geflüchteten

AutorChristian Gerlach, Ljiljana Joksimovic, Luise Reddemann, Simone D. Kaster
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783608115420
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Viele in unserem Land haben ihr Bedürfnis, Mitmenschen in Not beizustehen, in aktive Hilfe umgesetzt. Andere würden gerne helfen, hegen jedoch Befürchtungen, der Situation nicht gewachsen zu sein oder über zu wenig Expertise zu verfügen. Die AutorInnen geben in diesem Buch Einblicke in ihre langjährige Arbeit mit Geflüchteten und teilen ihre persönlichen Eindrücke und Erfahrungen. Sie arbeiten heraus, was gute Begleitung bedeutet: • In allererster Linie bereit sein zur Begegnung auf Augenhöhe • Mitgefühl sowie echtes Interesse am Gegenüber und seiner Geschichte zeigen • Ermutigung und Hoffnung geben Hilfreiche Anregungen aus dem traumatherapeutischen Ansatz von Luise Reddemanns PITT und Praxis-Tools ergänzen die Erfahrungsberichte. Nicht nur professionelle Helfer gewinnen hierdurch Sicherheit, sondern auch engagierte ehrenamtliche Begleiter. Dieses Buch richtet sich an - PsychologInnen und ÄrztInnen für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin - SozialarbeiterInnen - Helfende und Begleitende

Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Von 1985 bis 2003 war sie Leiterin der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und entwickelte  dort ein Konzept zur Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, die »Psychodynamisch imaginative Traumatherapie« (PITT). Luise Reddemann führt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur an der Universität Klagenfurt für medizinische Psychologie und Psychotraumatologie widmet sie sich den Arbeitsschwerpunkten Resilienz sowie Folgen von kollektiven Traumatisierungen.   Luise Reddemann war Mitglied im Weiterbildungsausschuss der Deutschen Akademie für Psychotraumatologie, im Wissenschaftlichen Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen und in der wissenschaftlichen Leitung der Psychotherapietage NRW.   Luise Reddemanns Bücher und CDs im Verlag Klett-Cotta haben auch bei Betroffenen weite Verbreitung gefunden und vielen Menschen geholfen, mit einer traumatischen Erfahrung besser fertig zu werden.   Weitere Informationen zu Luise Reddemann finden Sie unter: www.luise-reddemann.de Ljiljana Joksimovic, Dr., ist Chefärztin der Abteilung für Psychosomatische Medizin in der LVR Klinik Versen. Simone D. Kaster ist Existenzanalytikerin und Logotherapeutin sowie Traumatherapeutin nach PITT. Tätig in eigener Praxis und Mitarbeiterin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf bis zur Übersiedelung nach Österreich. Derzeit in Vorbereitung einer eigenen Psychotherapeutischen Praxis in Österreich. Christian Gerlach, Dipl.-Psych., ist Psychologischer Psychotherapeut und Mitarbeiter am psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf.

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Leseprobe

Einleitung


Dieses Buch richtet sich an ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, aber auch an Ärztinnen und Ärzte anderer Fachgebiete, insbesondere für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sozialarbeiterinnen und andere Helfende, die Geflüchtete besser verstehen möchten und ihnen beistehen wollen auf einer Basis von Respekt und Mitgefühl. Das kann im Rahmen von Richtlinien-Psychotherapie geschehen, aber auch durch andere Formen der Begleitung, z. B. im Rahmen »niederfrequenter Psychotherapie«, Krisenintervention, psychiatrischer Beratung und Behandlung, sozialarbeiterischer Beratung und Begleitung. Sie alle möchten wir einladen, sich auf die eine oder andere Weise zu engagieren, denn der Bedarf ist laut der ersten bundesweiten Untersuchung zum gesundheitlichen Zustand von Geflüchteten, die vom wissenschaftlichen Dienst der AOK durchgeführt und ausgewertet wurde, riesengroß. Allein drei Viertel der in Deutschland lebenden Geflüchteten aus den wichtigsten Herkunftsländern Syrien, Afghanistan und dem Irak  – hochgerechnet mehr als 600 000 Menschen – seien laut Studie oft gleich mehrfach traumatisiert1. An einer weiteren deutschen Studie nahmen 200 erwachsene syrische Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis teil: Hiervon war jeder Dritte an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Depressionen oder einer generalisierten Angststörung erkrankt2. Nach wie vor gibt es zu wenige Therapeutinnen, die sich bereit erklären, psychotherapeutische Hilfe für geflüchtete Menschen anzubieten. Wir wissen, dass nicht jeder und jede Traumatisierte eine psychotherapeutische Einzelbehandlung benötigt – häufig auch nicht an erster Stelle. Verschiedene Arten von Hilfen, wie z. B. die Unterstützung durch Ehrenamtliche und Laienhelferinnen, können entlastend sein. Daher gehen wir davon aus, dass auch helfende Laien von diesem Buch profitieren können, wenn es um tieferes Verstehen geht.

Wer wir sind


Wir, die wir dieses Buch schreiben, sind die Psychotherapeutin Simone D. Kaster und der Psychotherapeut Christian Gerlach, die lange neben eigener Praxistätigkeit in einem Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge mitgearbeitet haben, eine Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ljiljana Joksimovic, die aufgrund persönlicher Erfahrungen als Migrantin und Geflüchtete seit Jahrzehnten im Bereich der klinischen Behandlung von Zugewanderten und Geflüchteten tätig und engagiert ist, und eine Psychiaterin und Psychotherapeutin, Luise Reddemann, die sich seit über drei Jahrzehnten mit der Behandlung von traumatisierten Menschen befasst. Wir kommen aus verschiedenen Therapieschulen und erlebten unseren Austausch während des Entstehungsprozesses dieses Buches als sehr fruchtbar und bereichernd. Wir kommen auch aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten: Praxis, Klinik, Beratungsstelle. Es ist uns daher bewusst, dass in einer Einzelpraxis nicht alles geleistet werden kann, was in den Arbeitsstrukturen einer Beratungsstelle oder einer Klinik möglich ist. Dennoch hoffen wir, dass unsere Ausführungen auch für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen hilfreich sind, sich zuzutrauen, Geflüchtete zu begleiten oder zu behandeln. Es wurde uns sehr deutlich, dass es uns allen in unseren unterschiedlichen Praxisfeldern um gelingende Beziehungen mit den Klientinnen geht. Die Tatsache, dass wir aus vielfältiger und unterschiedlicher professioneller Erfahrung schreiben, dass wir jeweils in unserem persönlichen Stil schreiben, mag zeigen, dass Teamwork, fachlicher Austausch und Diversität der Perspektiven im Umgang mit den hier beschriebenen Herausforderungen sehr sinnvoll sind. Vielleicht kann dies an der einen oder anderen Stelle aber auch irritieren, und eventuell wird hierdurch der Lesefluss beeinträchtigt. In unseren Augen jedoch stellt gerade diese Vielfalt ein wertvolles Abbild der Arbeit mit Geflüchteten dar, sodass wir bewusst auf die einheitliche Stilisierung des Textes verzichtet haben.

Bevor wir im Folgenden einige unserer Grundhaltungen beschreiben und auch, welchen Themen Sie in diesem Buch begegnen werden, möchten wir uns bei Frau Annette Windgasse und Frau Monika Schröder für ihre hilfreichen Anregungen für das Buch bedanken.

Ethische Grundhaltung


Eine ethische Grundhaltung ist uns ein Anliegen, daher verweisen wir auf das Ethikhandbuch des Weltärztebundes. Hier heißt es in der neuesten Version der World Medical Association, dass der Arzt/die Ärztin verspricht: »to consecrate my life to the service of humanity« und »the health and wellbeing of my patient will be my first consideration«. Dies wird dann weiter ausgeführt mit »I will respect the autonomy and dignity of my patient«3.

Dies kann eine Orientierung für alle Helfenden sein, selbst wenn sie nicht direkt ärztlich-therapeutisch tätig sind. Sein Leben dem Dienst an der Menschlichkeit zu weihen, das sind große Worte, vor denen man zurückschrecken kann. Wir lesen sie aber auch als Ermutigung und vor allem so, dass die Ärzte, die das formuliert haben, nicht meinen, dass Einzelne von uns die Welt retten können, sondern dass unser Dienst an jeder einzelnen Patientin/an jedem Patienten sinnvoll ist. Manche Kollegen scheinen Angst vor der Aufgabe zu haben, sich um Geflüchtete in ihren Praxen zu kümmern, und erwarten große Probleme, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Wir wünschen uns, den Lesern diese Ängste nehmen und Vorbehalte ausräumen zu können; wir haben aber auch Respekt vor den Bedenken, weil wir sie von uns selbst kennen. Weiter unten gehen wir unter der Überschrift »Können wir alle retten?« auf dieses Dilemma näher ein. Wir werden auch Überlegungen anstellen zum würde- und mitgefühlsorientierten Umgang mit Geflüchteten. Auch wenn in einer Einzelpraxis anders gearbeitet werden muss und eine multiprofessionelle bzw. interdisziplinäre Arbeit wie z. B. in einer Beratungsstelle oder Klinik in dieser Weise nicht möglich ist, hoffen wir, dass unsere Ausführungen auch für niedergelassene Kolleginnen hilfreich sind, Geflüchtete zu behandeln oder zu begleiten. Wir unterscheiden dies, weil nicht jede/r Geflüchtete Psychotherapie will oder benötigt, selbst wenn er – oder sie – traumatisiert ist.

Wir behandeln und begleiten Menschen, nicht Traumata! Die Menschheit wäre längst untergegangen, wenn Traumatherapie allein helfen würde, denn diese gibt es bei großzügiger Rechnung allenfalls seit einem guten Jahrhundert, nämlich seit dem Ersten Weltkrieg. Damals machten sich einige Psychoanalytiker, u. a. auch Freud, Gedanken, wie man traumatisierte Soldaten behandeln könne4.

Wir möchten Sie einladen, sich kurz in das folgende Szenario hineinzuversetzen, weil wir davon ausgehen, dass das, was wir hier verdeutlichen möchten, Einfühlung voraussetzt.

Stellen Sie sich bitte vor: Sie sind gezwungen, Ihre Heimat kriegsbedingt zu verlassen oder weil Sie einem mörderischen System entkommen möchten. Sie können nur mitnehmen, was Sie auf dem Leib tragen; nach langer, beschwerlicher und teils lebensbedrohlicher Flucht kommen Sie in einem anderen Teil Ihres Landes an. Dort hoffen Sie, wieder ein Zuhause zu finden, denn dort leben Verwandte, Freunde, zumindest aber Menschen, die Ihre Sprache sprechen und die ihre Heimat nicht verloren haben. Sie hoffen, freundlich und verständnisvoll aufgenommen zu werden und Mitgefühl und Gastrecht zu erfahren. Doch weit gefehlt. Man begegnet Ihnen mit großem Misstrauen, man lässt Sie spüren, dass Sie unerwünscht sind, dass man in Ihnen einen minderwertigen Menschen sieht, der zu Recht seine Heimat verloren hat. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen solches widerfahren würde, wenn Sie erleben müssten, dass Jahr um Jahr sich nichts ändert und sogar Ihre Kinder, die bereits dort geboren werden, wo Sie versuchen, eine neue Heimat zu finden, immer noch als Fremde, als Unerwünschte, Minderwertige behandelt werden?

Würden Sie darum kämpfen, dass Sie eine Entschädigung erhalten, dass Sie, sobald das möglich ist, wieder zurückkönnen in die verlorene Heimat? Würden Sie resignieren? Würden Sie versuchen, sich dort, wo Sie jetzt sind, so gut anzupassen, dass in Vergessenheit gerät, woher Sie kommen und was Sie erlitten haben? Welche...

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