Das Konzept der Gruppenidentität schreibt den Personen, die die Merkmale dieser Gruppe tragen, eine Zugehörigkeit zu. Aufgrund von Gemeinsamkeiten - seien es die Sprache, die Herkunft, äußerliche Ähnlichkeiten oder die Kultur - identifizieren sich Mitglieder einer Gruppe miteinander. Doch innerhalb dieser Gruppe grenzt die individuelle Identität den Einzelnen in seiner Einzigartigkeit von den anderen ab und setzt sein eigenes Selbstgefühl fest. Der Verlust der Identität führt zu großen psychologischen Problemen bei den Betroffenen, denn geht die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe verloren, schwindet auch das persönliche Selbstwertgefühl.
Einer der zahlreichen psychologischen Effekte der Sklaverei ist der Verlust des Selbst als eigene Kontrollinstanz, der unweigerlich zum Identitätsverlust führt. Die direkte Aberkennung der Identitäten der versklavten Afrikaner erfolgte in erster Linie durch das gewaltsame Herausgerissenwerden aus ihren sozialen Strukturen und die darauffolgende Verweigerung ihrer eigenen westafrikanischen Namen sowie durch ihre wahllose Umbenennung durch die weißen Sklavenhalter. So verloren versklavte Afrikaner und Afroamerikaner sogar die Kontrolle über ihren eigenen Namen. Dies ist als ein „Prozeß der Entmenschlichung“ zu sehen, und „neue Namen als Zeichen dafür, daß ihre frühere Identität nun völlig ausgelöscht ist und sie sich der neuen Ordnung total unterworfen haben“ (Herman 2003: 132). In einem von Barbara Freeman zitierten Interview sagt Morrison Folgendes zum Problem der Namenlosigkeit: „If you come from Africa, your name is gone. It is particularly problematic because it is not just your name but your family, your tribe. When you die, how can you connect with your ancestors if you have lost your name?” (1997: 134), denn die afroamerikanische Auffassung des Todes geht von einer Zusammenkunft der Seele mit den verstorbenen Vorfahren aus, mit denen man während seiner Lebenszeit auf mystische Art verknüpft ist (vgl. Lavina 2003: 76). Morrison spricht von der Zerstörung eben dieser Verknüpfung, aufgrund der im Roman von verlorenen Seelen’ die Rede ist. Der Bruch dieser Verbindung zu den Ahnen führte in der Sklaverei zum dramatischen Identitätsverlust und bezeichnet somit einen Teil des kulturellen Traumas.
In Beloved wird mitunter diese Problematik der Namengebung thematisiert. Sklaven und Ex-Sklaven leiden unter ihrer Namenlosigkeit, denn die Namen, die sie haben, sind nicht ihre eigenen, sondern die, die ihre Besitzer ihnen in gleichgültiger Weise gegeben haben und somit ihre Allmacht sogar über ihre Namen demonstrieren. Sammelnamen wie Paul D, der vierte aus der Reihe alphabetisch benannter Pauls, oder Sixo (Six-O) unterstreichen somit den Status von Sklaven als menschliches Vieh, an die Bezeichnungen sowie Brandmarkungen - wie Sethes Mutter eine trägt - ohne weiteres von außen herangetragen werden können. So stellt auch Paul D fest, dass ein Name, der von einem weißen Besitzer gegeben wurde, dessen Zweifel an der Menschlichkeit des Sklaven kennzeichnet und fragt sich: „Is that where the manhood lay? In the naming done by a whiteman who was supposed to know?“ (Beloved 125)[4].
Manche Sklavenbesitzer geben ihren Sklaven den eigenen Nachnamen, um sie als ihren Besitz zu markieren oder, ihrer Ansicht nach, ihnen ihre Gunst kundzutun, so wie Mr. Garner es für seine Sklaven auf „Sweet Home“ tut. Doch da diese Namen für Afroamerikaner nichts repräsentieren - oder sogar, ganz im Gegenteil, sehr vieles, und zwar Evidenzen einer schrecklichen Realität - können und wollen viele Sklaven und Ex-Sklaven sich nicht mit diesen identifizieren und ändern ihren Namen. „Es ist verständlich, dass vor diesem geschichtlichen Hintergrund Namen für Afroamerikaner eine ständige Erinnerung an die Umstände bedeuten, denen sie sie verdanken“ (Blunk 1984: 155). So beschließt zum Beispiel Baby Suggs nach dem Erlangen ihrer Freiheit den Namen Jenny Whitlow, den ihr vorheriger Besitzer auf dem Verkaufsbrief an Mr. Garner angegeben hat, abzulehnen und den ihres Mannes Suggs anzunehmen, der sie „Baby“ nannte. Die Tatsache, dass sie den Grund und die Herkunft ihres Namens Jenny bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, verdeutlicht die große Lücke in ihrer bisherigen Selbstkenntnis. Doch ihre persönliche Namenwahl ist ein Ausdruck der Selbstbehauptung und Identifizierung mit ihrem Mann sowie die affirmative Bestätigung ihrer Freiheit. In dieser Weise versucht sie, die in der Sklaverei zwangsweise entstandene Selbstentfremdung zu revidieren, was ausschlaggebend für die Schaffung einer neuen Identität und Schließung der Lücke ist, denn die ursprüngliche Identität kann das Opfer auch nach dem Erlangen der Freiheit nicht wiederherstellen. „Jede neue Identität, die es in Freiheit entwickelt, muß die Erinnerung an das versklavte Selbst mit einschließen“ (Herman 2003: 132).
In ähnlicher Weise entscheidet sich Stamp Paid, der in Ohio entflohenen Sklaven Hilfe leistet, selbst für diesen Namen, um somit einerseits für sich selbst ein unvergessliches Denkmal für den bitteren Grund seiner Befreiung zu setzen, und andererseits auszudrücken, dass er niemandem mehr zu etwas verpflichtet ist. Der Umstand, mit dem Stamp Paid seine ,Schuld bezahlt’ gemacht hat, ist eine starke psychische Belastung für ihn[5]. Anders als viele, die sich wie Baby Suggs selbst benannt haben, um eine eher positive Identifikation zu finden, möchte Stamp Paid durch seine Namensgebung nicht vergessen, was er erlitten hat. Folglich hat Stamp Paid seine persönliche traumatische Erfahrung nicht verdrängt, sondern hält sie mit seinem Namen bewusst in Erinnerung. „It’s become a common practice, among the community, to give a name to someone according to their characteristics: it’s life that gives you a name, in a way” lauten Toni Morrisons Worte in Bezug auf den Namenwechsel aufgrund persönlicher Merkmale oder Erfahrungen (Morrison zit. in Pérez-Torres 1977: 99). So hat der Namenwechsel für die Charaktere auch die Funktion, das natürliche Bedürfnis nach Subjektivität zu erfüllen (vgl. Pérez-Torres 1977: 99).
Im Falle Sethes ist ihr Name, wie der Leser erfährt, der des schwarzen Mannes, der sie gezeugt hat. Im Vergleich zu vielen anderen Sklaven ist Sethe von ihrer Mutter selbst benannt worden, die ihr den Namen des einzigen Mannes gab, mit dem sie in emotionaler Verbindung stand. „You she gave the name of the black man. She put her arms around him“ (B 62), ist die Information, die Sethe von Nan erhält, und dass ihre Mutter alle anderen durch Vergewaltigungen gezeugten Kinder namenlos weggegeben bzw. während der Middle Passage über Bord geworfen hat; namenlos, um in keiner Weise eine Beziehung zwischen sich und den unerwünschten Kindern herzustellen. Anders ist es bei Sethe, die als einziges ,benanntes’ Kind ihrer Mutter eine Einzigartigkeit erhält und sich somit sowohl mit ihrer Mutter als auch mit ihrem ihr unbekannten Vater identifizieren kann. In diesem Sinne stellt für Sethe ihr Name eine positive Referenz dar und gibt einen direkten Kontrast zu Paul D, dessen Name die Unpersönlichkeit ,weißer’ Bezeichnung repräsentiert.
Es ist anzunehmen, dass Morrison den Namen Sethe bewusst wählte, der im Gleichklang mit Lethe[6], dem Fluss des Vergessens, ist, um Sethes Wunsch, die traumatische Vergangenheit zu vergessen, auch im Namen dieser Protagonistin metaphorisch festzuhalten. Außerdem beinhaltet ihr Name, wenn man ihn mit Lethe assoziiert, die Symbolik des Wassers, welche im Roman sehr häufig mit Trauma, genauer ausgedrückt mit dem Verdrängungsakt in Verbindung gebracht wird.
Auch Denvers Name stellt eine persönliche, positive Referenz her. Sethe benennt sie nach der weißen Amy Denver, die ihr auf dem Weg in die Freiheit und bei der Geburt von Denver behilflich ist und, so meint Sethe, ohne deren Hilfe sie es nicht hätte schaffen können. Die Tatsache, dass Denver immer wieder gerne die Geschichte ihrer Geburt hören will, sagt aus, dass sie die Einzigartigkeit ihrer Namensgeschichte positiv mit sich selbst in Verbindung bringt. Eine andere Verbindung, die durch Denvers Namen hergestellt wird, ist die zur Hoffnung. Denver ist in Freiheit geboren, mit Hilfe einer weißen Person, die eine Schwarze als Mensch ansieht und Denvers Namensgeberin wird, „the magic of her birth [...] testified to that friendliness as did her own name“ (B 29). In diesem Sinne wird Denver als eine zukunftsweisende Figur im Roman gekennzeichnet und symbolisiert die Hoffnung auf ein freies, gleichberechtigtes Leben der Afroamerikaner im von Weißen dominierten Amerika.
Interessant ist auch, dass Sethe die noch ungeborene Denver ,Antilope’ nennt, ohne zu wissen, dass ein Antilope ein wildes Tier in Afrika ist - sie weiß nur, dass sie in ihrer Kindheit vor Sweet Home von den direkt aus Afrika stammenden Schwarzen darüber gehört hat. Somit besteht eine, wenn auch nur symbolische, Verbindung zwischen Denver und ihrer ursprünglichen kulturellen Herkunft.
Einen Kontrast zu Denvers Namen stellt Sethes namenlose, verstorbene Tochter Beloved dar, die den oben erwähnten Verlust von Namen durch die Sklaverei repräsentiert und somit eine Brücke zur Vergangenheit herstellt. Wenn man die Tatsache betrachtet, dass ,Beloved’ eigentlich kein Name, sondern ein Wort ist, das Sethe auf den Grabstein ihrer vor dem Tod mit lediglich als...