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E-Book

Trümmerkindheit

Erinnerungsarbeit und biografisches Schreiben für Kriegskinder und Kriegsenkel

AutorKathleen Battke
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641110406
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Noch immer leiden zahlreiche Menschen unter belastenden Erinnerungen an den 2. Weltkrieg - vor allem die, die damals Kinder waren, aber auch deren Nachkommen. Hier wie für viele andere schwierige Lebenserfahrungen gilt: Wer sich erinnert, wer erzählt und echtes Zuhören erfährt, hat es leichter mit der Verarbeitung. Biografisches Schreiben ist eine besonders wirksame Hilfe: Schreibend können lebensgeschichtliche Freuden und Leiden gewürdigt, eingeordnet und für die Nachwelt bewahrt werden. - Ein Praxisbuch mit Anleitungen und zahlreichen Übungen zum befreienden Erinnern und Leben-Schreiben.

'Zeugnis ablegen - dieses Prinzip aus der Zen-Philosophie und aus der Psychotherapie birgt Kräfte für seelische Heilung in sich. Es kann zur Versöhnung mit der eigenen und mit der kollektiven Geschichte beitragen. In berührender Weise wird auch der Leser dieses Buches Zeuge von den vorsichtigen Schritten zur Erinnerung.'

Aus dem Vorwort von Bettina Alberti

  • Für Kriegskinder und Kriegsenkel
  • Trendthema biografisches Schreiben
  • Kriegserinnerungen schreibend verarbeiten


Kathleen Battke, geb. 1959, Sprach- und Kulturwissenschaftlerin, Kommunikationsberaterin, Publizistin und Biografin in Bonn. Ihre Mutter erlebte den Zweiten Weltkrieg als Kind in Niederschlesien. Seit 2007 Seminare zur versöhnenden Erinnerungsarbeit und Workshops für kreatives biografisches Schreiben mit Kriegskindern und -enkeln.

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Leseprobe

Biografie- und Erinnerungsarbeit: Die eigene Lebensgeschichte als Kraftquelle entdecken

»Wer hervorbringt, was in ihm ist, wird durch das gerettet, was er hervorbringt. Wer nicht hervorbringt, was in ihm ist, wird von dem zerstört, was er nicht hervorbringt.«

Jesus, zit. nach dem Thomas-Evangelium

Warum macht es Sinn, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen? Mit einfachen, eindringlichen Worten sagt – zitiert vom Evangelisten Thomas – der historische Jesus, was geschieht, wenn wir uns unserer Innenwelt stellen. Und was geschieht, wenn wir das nicht tun: Rettung oder Zerstörung lauten hier die radikalen Alternativen.

Abgesehen davon, dass dies extrem klingt, werden Kriegskinder bestätigen können, was diese Weisheit in Bezug auf die eigenen Erinnerungen bedeutet. Wir haben also, so legt uns das Zitat nahe, die freie Wahl – und müssen dann den Konsequenzen ins Auge sehen.

Die Kriegskinder, die unsere Seminare und Schreibwerkstätten besuchen, haben sich für das entschieden, was hier »Rettung« genannt wird. Dafür, hervorzubringen, was in ihnen ist: die Erinnerungen an einen harten Teil ihrer Lebensgeschichte. Kein leichter Entschluss. Aber angesichts der Zerstörungskraft ungewürdigter und quälender Erinnerungen, verschütteter Kindheitsträume und ungefühlter Trauer offenbar doch für viele die heilsamere Wahl. Und eine Wahl von einiger Tragweite, auch über die ganz persönliche Entscheidung hinaus.

»Geschichte ist die geistige Form, in der sich ein Volk über seine Vergangenheit Rechenschaft gibt, um seine Zukunft zu gewinnen«, sagt der britische Historiker Arnold Toynbee. Geschichte versucht, das Gewesene gegenwärtig zu machen. Sie ist dabei nicht etwa ein sanftes Ruhekissen, sondern löst heilsame Unruhe aus.

Wo »Geschichte« das dokumentierte kollektive Gedächtnis von Völkern und Nationen ist, ist »Erinnerung« die geistige Form von uns Einzelnen, uns Rechenschaft über unsere Vergangenheit zu geben. Sinn bleibt auch hier, die Zukunft zu gewinnen – unsere persönliche, die unserer Kinder und Kindeskinder. Die Gegenwärtigkeit des Gewesenen ist dabei manchmal stärker, als wir es ertragen mögen. Und die Unruhe, die das auslöst, können wir nicht immer unmittelbar als heilsam erkennen. Warum biografische Arbeit dennoch Sinn macht, lässt sich anhand von drei Feldern begründen: ein ganz persönliches, individuelles Feld, ein kollektiv-menschliches und ein gesellschaftliches Feld.

Biografie, persönlich genommen: Frieden schließen mit sich selbst

»Leben ist das, was passiert, während du gerade andere Pläne machst« – dieses John Lennon zugeschriebene Zitat macht halb humorvoll, halb resigniert deutlich, wie unsinnig es zu sein scheint, unser Dasein zu planen. Das Leben gibt diese Art von Ordnung, von Planungssicherheit so gut wie nie her: »So sehr wir auch versuchen, es dazu zu zwingen – mittendrin sterben wir, verlieren ein Bein, verlieben uns oder lassen ein Glas Erdbeermarmelade fallen«, stellt Natalie Goldberg, amerikanische Schriftstellerin und Lehrerin für kreatives Schreiben, lakonisch fest.

Biografiearbeit trägt dieser Einsicht Rechnung, indem sie sich aufmerksam den Brüchen und Krisen im Leben des Einzelnen widmet. Sie betrachtet diese Risse im Alltag nicht als Misserfolge, sondern als Anstöße für einen Veränderungsprozess. Der bewusste Umgang mit Krisenpunkten hilft zu erkennen, welche Bedeutung wir Umbrüchen geben und welche neuen Impulse dadurch in unser Leben kommen.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt erscheint mir Biografiearbeit für Menschen mit einer Kriegskindheit als heilsam. Denn an blinden Flecken oder Schattenregionen, die oft Markierungen sind für ins Unsichtbare verschobene Krisenerlebnisse, ist deren Lebensgeschichte oft reich.

In den meisten von uns wohnt die Sehnsucht, ein heiles, schönes, sinnvolles Leben zu führen. Wir wollen verstehen, wo wir herkommen, was der rote Faden in unserer Biografie ist, was unser Wachstum fördert oder hindert.

Oft kommt diese Sehnsucht erst an die Oberfläche, wenn wir gefragt werden: von den Kindern, von den Enkeln. Wir möchten ihnen etwas mit auf den Weg geben. Sie sollen mit Stolz auf unseren Schultern stehen können und so die Kette der Generationen fortsetzen.

Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte bringt mich als gehetzten, nach außen orientierten »Alltagsmenschen« in Kontakt mit meinem »Inneren Menschen«, dem vielleicht unvergänglichen Wesen in mir, meiner Kraftquelle. Der Anschluss an diese Kraftquelle, die meine Wahrheit und den Grund meines Hierseins kennt, hilft mir, mein Leben von innen heraus, aus tieferer Einsicht in Freiheit und Verantwortung zu gestalten.

Und schließlich ein essenzielles Motiv für Biografiearbeit, die befreit – auch wenn es noch immer ein Tabu ist: Wir möchten befreit Abschied nehmen, versöhnt sterben können.

Die besondere Angst vor dem Tod bei Kriegskindern, die Medizin und Therapie bereits hat aufmerken lassen, beunruhigt besonders im Alter, wo das Ende immer unausweichlicher ins Blickfeld rückt.

Wilhelm Schmid, Philosoph der Lebenskunst, nennt als entscheidendes Ziel für das Streben nach einem guten Leben dies: dass wir am Ende unser eigenes Leben bejahen können, dass wir einverstanden sein können damit, wie es gewesen ist. Das erlaubt uns würdevolles Loslassen.

Biografie, allgemein-menschlich gesehen: Lebensphasen und ihre Aufgaben

Die menschliche Entwicklung lässt sich unter verschiedensten Gesichtspunkten betrachten und in Phasen unterteilen. Gerade in Bezug auf Biografiearbeit hat sich in meiner Erfahrung die Betrachtung des Lebensrhythmus in Jahrsiebten als hilfreich erwiesen. Diese Rhythmik der persönlichen Entwicklung korrespondiert mit den Erneuerungszyklen unseres Organismus: Rund alle sieben Jahre sind wir rein rechnerisch gesehen »ein neuer Mensch«, da sich unsere Zellen stetig abbauen und neu bilden.

Im Siebenjahresrhythmus, ohne Dogmatik als hilfreiche Richtschnur angelegt, zeigen sich Aufgaben und Fragen der Lebensstufen deutlich. Er hilft uns, uns selbst zu verstehen und gleichzeitig nicht alles gar zu »persönlich« zu nehmen.

Betrachten wir kurz die Lebensjahrsiebte der Kriegskinderjahrgänge 1930 bis 45: Diese Menschen sind jetzt zwischen Mitte 60 und Anfang 80.

Wir haben es also vor allem mit dem zehnten Jahrsiebt – 63 bis 70 –, dem elften Jahrsiebt – 70 bis 77– und dem zwölften Jahrsiebt – 77 bis 84 – zu tun. Welche Fragen und Aufgaben hält das Leben in dieser Zeit für uns bereit?

»Vom 63. Lebensjahr an wird man freier vom Gewebe des Schicksals. Diesen Zeitpunkt erlebt man häufig wie eine Neugeburt«, sagt zum Beispiel Gudrun Burkhard in ihrem Buch Das Leben in die Hand nehmen: Arbeit an der eigenen Biografie. Es ist – oder war es zumindest bisher – die Zeit des Rückzugs aus dem Berufsleben, des Übergangs ins Private, in die Freisetzung von Pflichten. »Unsere körperlichen Kräfte nehmen weiter ab; Seele und Geist beginnen mehr und mehr, sich vom Körper zu lösen. Wir können uns so mehr den geistigen, auch spirituellen Seiten des Lebens zuwenden.«

Genau hier begegnen Menschen in diesem Alter nun dem, was viele Forscher als Kriegskindertrauma beschreiben: Der zunehmende Raum für die nicht-materielle Seite des Lebens (in nüchterner psychologischer Fachsprache auch »Verlust der Ich-Kontrolle« genannt) spült Gedanken, Gefühle, innere Stimmen hoch, die in den Jahrzehnten – oder Jahrsiebten – des Tätigseins, der Sorge um Familie, Besitz und Beruf keinen Raum hatten. Die Lösung vom Körper fällt schwer – im Gegenteil, er rückt vielleicht sogar noch einmal deutlich in die Aufmerksamkeit, weil sich dort Ängste und Verdrängung manifestiert haben.

Gudrun Burkhard hat erforscht, dass die Jahrsiebte ab 63 etwas gemeinsam haben: »In dieser Lebensphase kann der ältere Mensch erneut Qualitäten erüben, die für die ersten Jahrsiebte« (also die Kinder- und Jugendzeit zwischen dem ersten und 21. Lebensjahr) »grundlegend waren«.

Hier sehe ich die Chance und die Günstigkeit des Zeitpunktes für die Kriegskindergeneration, sich genau jetzt mit der eigenen Kindheit im Krieg auseinanderzusetzen.

Im Jahrsiebt zwischen 63 und 70, sagt Gudrun Burkhard, »lassen wir in uns das Staunen wieder aufkommen: ein neues Staunen vor der Natur, über die Umgebung, die Enkelkinder … Wenn wir in dieser Zeit nochmals auf unsere erste Kindheit schauen, so können wir erneut das Gefühl der Dankbarkeit entwickeln«.

Genau diese Leichtigkeit, dieses dankbare Staunen ist vielen Kriegskindern durch traumatische Erlebnisse zunächst verstellt. Aber sie wollen das nicht mehr hinnehmen: Die Sehnsucht nach dem Wiederfinden des kindlichen Staunens ist – zum Glück! – mächtig.

(Vielleicht liegt hier der Segen des Phänomens, das manche Seminarteilnehmerinnen als die Selbstwahrnehmung beschreiben, »nie richtig erwachsen geworden« zu sein. Da ist etwas erstarrt und nicht mehr weiter mitgewachsen. Auch meine Mutter ist mir – in späteren Jahren, als ich erwachsen hinsehen konnte – wie eine Kind gebliebene Frau erschienen. Das wird zunächst oft als Problem und Mangel angesehen, sowohl von den Betroffenen als auch der nächsten Generation. Doch für den Zugang zum Staunen, zur Freude und zum Nichtwissen kann diese eingefrorene Kindlichkeit durchaus hilfreich sein. Für uns Kinder war meine Mutter jedenfalls immer eine wunderbare Spielkameradin!)

»In uns können wir noch einmal dieses Kind entstehen lassen«, ermutigt...

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