B Psychosoziale Folgen der Arbeitslosigkeit bei
Jugendlichen
„Arbeitslos zu werden, ist für die meisten Menschen eine der einschneidendsten negativen Erfahrungen mit einer Vielzahl von Folgen für das subjektive Wohlbefinden. … Die meisten jungen Menschen müssen sich heute darauf einstellen, irgendwann in ihrem Leben einmal oder mehrere Male arbeitslos zu werden.“[85]
l Strukturelle Merkmale arbeitsloser Jugendlicher
„Mit der Arbeitslosigkeit scheint eine spezifische soziale Selektion einherzugehen.“[86] Bestimmte Gruppen von Jugendlichen sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht oder betroffen als andere. Mädchen bzw. junge Frauen, Jugendliche mit Migrationshintergrund[87] sowie Jugendliche aus sozial schwachen und/oder kinderreichen Familien, behinderte Jugendliche sowie unentschlossene Berufswähler haben schlechtere Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Zudem sind Jugendliche aus regional schwächeren Wirtschaftsregionen von Arbeitslosigkeit betroffen. „Die regionale Ungleichverteilung der Arbeitslosigkeit ist unter Jugendlichen besonders ausgeprägt und verringert die Berufschancen von Jugendlichen sowohl in vielen ländlichen wie in einigen altindustriellen großstädtischen Arbeitsmarktproblemregionen.“[88] Vor allem jedoch haben Jugendliche mit einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit wie ehemalige Sonderschüler, Jugendliche ohne Hauptschulabschluss und Ausbildungsabbrecher geringere Chancen im Konkurrenzkampf mit leistungsstärkeren Bewerbern. „In diesen Gruppen genügen oft auch nicht die Fähigkeiten, Motivationen und das Durchhaltevermögen den Ansprüchen einer Berufsausbildung.“[89] Einiges spricht dafür, „… dass die fraktionelle Erwerbslosigkeit weniger zugenommen hat als die langfristige und dass sie sich weitgehend auf Jugendliche in unqualifizierten Berufen beschränkt …”[90], denn jeder „… zweite registrierte arbeitslose Jugendliche hat keinen Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss.“[91]
ll Theoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Arbeitslosigkeit
und psychischer Gesundheit
An dieser Stelle seien Überlegungen zum Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit lediglich angeschnitten, da sie sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Auf die Frage, in wie weit sich oder warum Arbeitslosigkeit sich auf die Psyche des Menschen auswirkt, liefern Paul und Moser einen theoretischen Ansatz, der sich auf die starke innere Bindung Erwerbsloser an Erwerbsarbeit bezieht.[92] „Die Arbeitsethik Arbeitsloser unterscheidet sich nämlich kaum von der Arbeitsethik Erwerbstätiger – beide zeigen eine hohe Wertschätzung der Erwerbsarbeit – und bleibt auch im Verlauf der Arbeitslosigkeit erstaunlich stabil. Arbeitslose befinden sich daher regelmäßig in einer Situation mangelnder Passung ihrer Einstellungen zu Erwerbsarbeit mit ihrer realen Erwerbssituation. Solche Situationen, die durch eine Inkongruenz von Zielen und Einstellungen einerseits und der realen Gegebenheit andererseits gekennzeichnet sind, werden in diversen psychologischen Theorien als Ursache psychopathologischer Symptome angesehen. … Es wäre demnach möglich, dass gerade die bei den meisten Erwerbslosen hohe und stabile Wertschätzung der Arbeit einer der Gründe für ihre eingeschränkte seelische Gesundheit ist.“[93] Die meisten Theorien sehen in der Erwerbslosigkeit die kausale Ursache für das schlechte seelische Befinden Arbeitsloser. Dabei sind Depressionssymptome und eingeschränkte Selbstwertgefühle die Hauptsymptome des Arbeitslosigkeitssyndroms.[94]
lll Psychische und soziale Aspekte der Arbeitslosigkeit
„Dass ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer Belastung existiert, wird heute von kaum einem Wissenschaftler noch ernsthaft in Zweifel gezogen.“[95] Nach Häfke gibt es allerdings keine aktuellen und kaum empirische Untersuchungen zu den psychosozialen Folgen der Jugendarbeitslosigkeit, aber auch er bestreitet das Vorhandensein eines Zusammenhangs von Erwerbslosigkeit und psychosozialen Folgen nicht: „Systematische Untersuchungen über die Folgen von Arbeitslosigkeit im Erleben und im Bewusstsein von Jugendlichen liegen nur in analytischer, nicht aber in empirischer Form vor. … Unbestritten ist es auch, dass die Arbeitslosigkeit massive Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Menschen zeigt.“[96] Eine finnische Untersuchung kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit eher gering sind: „Youth unemployment was shown not to have such a dramatic largescale detrimental effect as was suggest in public opinion and expert articles.“[97]
Statistische Häufungen von Depressiven, Kontaktarmen und psychosomatisch Gestörten unter den Arbeitslosen werden oft damit erklärt, dass diese Menschen eher arbeitslos werden. Dagegen spricht allerdings, dass es bei Massenentlassungen zu gleichen psychosozialen Folgen kommt.[98] Seelisches Leid kann sowohl eine mögliche Wirkung als auch eine Ursache von Arbeitslosigkeit sein. „Es kann also belegt werden, dass Erwerbslosigkeit eine Verschlechterung des Befindens bewirkt, dass aber bei einigen Menschen eine bereits vorhandene psychische Labilität die Erwerbslosigkeit begünstigt.“[99] Dabei sind die „… Auswirkungen der Erwerbslosigkeit auf die psychische Gesundheit … deutlich stärker als die Auswirkungen der psychischen Gesundheit auf den Erwerbsstatus.“[100]
Bei den psychischen und sozialen Auswirkungen infolge der Arbeitslosigkeit handelt es sich um ein komplexes Wirkungsgefüge. „Den“ arbeitslosen Jugendlichen gibt es nicht, daher kann auch nicht über „die“ Auswirkungen schlechthin gesprochen werden. Erwerbslosigkeit wird immer individuell anders erlebt. Dabei müssen soziale und zeitbedingte Variablen berücksichtigt werden, die be- oder entlastend wirken können. Jugendarbeitslosigkeit ist also nicht als isolierter Belastungsfaktor zu betrachten, denn sie steht im Zusammenhang mit sich gegenseitig verstärkenden Benachteiligungen wie z.B. Problemen in der Familie, demotivierende Erfahrungen in der Schule, beengende Wohnverhältnisse oder das Leben in strukturschwachen Wirtschaftsregionen.[101] Art und Ausmaß der während der der Arbeitslosigkeit empfundenen psychosozialen Belastungen hängen stark von der sozialen Herkunft und dessen Unterstützung und den finanziellen Ressourcen bzw. dem faktischen Ausmaß der finanziellen Belastungen ab. Geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und Verhaltensweisen spielen ebenfalls eine Rolle.[102] Wichtige Unterschiede sind in den Bedingungen wie Stadt/Land-Unterschiede, Familienhintergrund, Persönlichkeitsmerkmale (Alter, Geschlecht, Ressourcen, Gesundheitszustand), Erziehungs- und Sozialisationseinflüsse, Kontaktmöglichkeiten und Bindungen, Qualität der persönlichen und sozialen Ressourcen, persönliche Ausprägungen bzw. Dispositionen für die Bewältigung von Belastungen, allgemeines Aktivitätsniveau des Betroffenen und dessen Berufsorientierung, Ethnie sowie bisherige berufsbiografische Erfolge und Kontinuitätserfahrungen zu beachten. Allerdings haben die „… bisherige Berufstätigkeit und Dauer der Arbeitslosigkeit … einen geringeren Einfluss auf das Ausmaß der … Belastungen als ursprünglich angenommen. Generell gilt, dass die Belastungen umso höher sind, je geringer die Qualifikation der Jugendlichen und der Sozialstatus des Elternhauses sind. Am wenigsten durch Arbeitslosigkeit tangiert sind Kinder von Selbständigen.“[103] Die Bewältigung der Arbeitslosigkeit gelingt umso besser, je stabiler die vorherige Erwerbskarriere war, was nur selten auf junge Menschen zutreffen kann, aber auch Jugendliche, die die Schule erfolgreich abgeschlossen haben, blicken optimistischer in die Zukunft und haben mehr Selbstvertrauen als jene ohne Abschluss. Das Ausmaß der Belastungen ist ferner von Vorhandensein alternativer Rollen wie z.B. als Student oder Ehrenamtlicher, die dem Erwerbslosen ähnliches soziales Ansehen geben wie durch die Erwerbstätigenrolle, abhängig.[104] Schließlich ist es für das Empfinden der Arbeitslosigkeit entscheidend, ob sie in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs oder Aufschwungs stattfindet, ob die Grundstimmung pessimistisch oder hoffnungsvoll ist. Mitentscheidend über das Ausmaß der Folgen der Arbeitslosigkeit ist ebenso die regionale Infrastruktur, d.h. die Struktur des Arbeitsmarktes sowie die gegebenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Wichtig ist zudem wer nach Ansicht der Betroffenen verantwortlich ist sowie das soziale Klima in der Bevölkerung und deren Ansprüche, Werte, Hoffnungen, Ängste, Bedürfnisse und Überzeugungen.
„Heute müssen wir wieder über Massenarbeitslosigkeit sprechen. Im Vergleich zur Arbeitslosigkeit in den dreißiger Jahren ist hervorzuheben, dass es auch ein Erfolg der Arbeiterbewegung ist, wenn Arbeitslosigkeit heute bei uns nicht gleichzeitig Hunger und Elend...