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E-Book

Vampire. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten

AutorGunther Reinhardt
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheReclam 100 Seiten 
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783159613192
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Sie hausen in Schlössern in den Karpaten - oder besuchen die Highschool; sie schlafen in uralten Gruften oder genießen ihr Luxusleben in Manhattan. Sie sind hässliche Monster, smarte Verführer, Zombies oder Vorzeige-Spießer. Und sie haben uns den größten Fantasy-Hype des 21. Jahrhunderts beschert.Gunther Reinhardt verfolgt die Karriere der Vampire von 1725 an, als die Leiche des Serben Peter Plogojowitz gepfählt und verbrannt wurde. Er begleitet ihren Weg vom Grabgespenst über Lord Ruthven und Dracula bis Edward Cullen aus Twilight. Und er zeigt, was der Vampir verkörperte und zeitweise politisch bedeutete, für welche Ängste er jeweils stand und welche Wandlungen er in Filmen, Romanen und TV-Serien erlebt hat und weiterhin erlebt.

Gunther Reinhardt, geb. 1967, ist stellvertretender Leiter des Kulturressorts von Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten und ständiger Mitarbeiter beim Rolling Stone; er schreibt vor allem über Phänomene der Popkultur.

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Leseprobe

Von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern: Vampire und Volksglaube


Seit ungefehr sechzig Jahren hat sich in Ungarn, Polen, Schlesien und Mahren ein neues Schauspil hervor gethan; indem allda Leut, die schon mehrere Jahr oder Monat zuvor verstorben sennd, wider zurück kommen, reden, gehen, die Dörfer beunruhigen, Menschen und Thier mißhandlen, ihren Verwandten das Blut aussaugen, ihnen Krankheiten und endlichen gar den Tod verursachen, sich auch von solchen überlästigen und schädlichen Besuchungen nicht zurück halten lassen, bis man ihre Leiber wieder ausgrabt, spißt, ihnen das Haupt abschlagt, das Herz ausreißt, oder sie verbrennt.

Als der Benediktiner Augustin Calmet (16721757) diese Zeilen im Jahr 1745 in seiner Gelehrten Verhandlung von denen so genannten Vampiren niederschreibt, scheint sich die ganze Welt vor diesen blutsaugenden Untoten zu fürchten – und dies mitten im Zeitalter der Aufklärung. Calmet verzeichnet in seiner Schrift jedenfalls 1680 Vorfälle, in denen Menschen der festen Überzeugung waren, Vampire gesehen zu haben: Leichen, die nicht verwesen wollten, die sich im Grab bewegten, nachbluteten, auferstanden, um über Nachbarn, Freunde und Verwandte herzufallen.

Viele solche Vampirberichte, die Clemens Ruthner die »X-Files der Aufklärung« nennt, werden im Wiener Staatsarchiv verwahrt. Sie stammen, weil Mulder und Scully aus der TV-Serie Akte X noch nicht erfunden sind, von Militärärzten, die Frombald, Flückinger oder Glaser heißen. Und mit diesen amtlichen Protokollen nimmt der moderne Vampirmythos als eine Erfindung der Frühen Neuzeit seinen Anfang. Nachdem erste Gerüchte über auferstandene Vampire bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts auftauchen, breitet sich dieser Aberglaube in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts rasant in Europa aus. Ausgangspunkt ist zunächst das Gebiet, in dem sich nach dem Türkenkrieg von 1718 die österreichische Militärgrenze befindet – in Mähren, Ungarn, auf dem Balkan. Ruthner schildert die Situation dort folgendermaßen: »Die Nachkriegszeit nach den Feldzügen gegen die Türken bringt nicht nur eine schlechte Versorgungslage der Bevölkerung und Epidemien mit sich, sondern ebenso einen gesellschaftlichen Umbruch nach dem Machtwechsel. Im Zuge der österreichischen Okkupation kommt es zur De-Islamisierung, zum schwelenden Religionsstreit zwischen katholischer und orthodoxer Kirche sowie generell zu einer Art von Kulturkampf zwischen den ›befreiten‹ Südslawen und ihren neuen österreichischen ›Kolonisatoren‹.« Auf diesem Boden gedeiht der Aberglaube.

Leichen, die nicht schnell genug verwesen, werden zu Vampiren ernannt und wie angebliche Hexen zu den Sündenböcken des Kollektivs erklärt. Man gibt ihnen die Schuld an Todesfällen, Krankheiten oder Missernten. Die ersten Vampire, beziehungsweise die ersten bekannten Opfer dieser Vampir-Hysterie, sind der serbische Bauer Peter Plogojowitz und der Heiducke Arnold Paole.

Am 21. Juli 1725 erscheint in der österreichischen Staatszeitung die Copia eines Schreibens aus dem Gradisker District in Ungarn. Verfasser des Berichts ist der Kameralprovisor Frombald. Es handelt sich um ein Schreiben, das er von der Front an die Zentralverwaltung in Wien geschickt hat. Der Feldarzt berichtet, dass die Heiducken, also serbische Freischärler, unter seiner Überwachung einen Körper exhumiert und mit einem Pflock aufgespießt und verbrannt hätten, weil sie ihn für einen Vampir hielten.

Nachdeme bereits vor 10 Wochen ein in dem Dorf Kisolova, Rahmer-District, gesessener Unterthan Namens Peter Plogojoviz, mit Tod abgegangen und Rätzischer Manier zur Erden bestattet worden, hat sich in ermeldtem Dorf Kisolova geäusseret, daß innerhalb 8 Tagen 9 Personen sowol alt als junge nach überstandener 24 stündiger Kranckheit also dahin gestorben, daß, als sie annoch auf dem Todt-Beth lebendig lagen, offentlich ausgesaget, daß obbemeldt vor 10 Wochen verschiedener Peter Plogojoviz zu ihnen im Schlaf gekommen, sich auf sie gelegt und gewürget, daß sie nunmehro den Geist aufgeben müsten.

Die besten Anti-Mittel (alle Angaben ohne Gewähr)

1. Pfählen (tötet)

2. Enthaupten (tötet)

3. Tageslicht (tötet)

4. Feuer (tötet)

5. Fließend Wasser (tötet)

6. Kruzifix (schwächt)

7. Weihwasser (schwächt)

8. Knoblauch (schreckt ab und schwächt)

9. Hostie (schreckt ab)

10. Spiegel (entlarvt)

Frombald berichtet, dass er sich überreden ließ, den Leichnam in Begleitung eines Geistlichen zu untersuchen. Und tatsächlich macht er einige sonderbare Entdeckungen, die mit denen der Dorfbewohner übereinstimmen. Zum Beispiel, dass der Körper »nicht der mindeste sonst der Todten gemeiner Geruch verspüret«, dass sich die alte Haut geschält und »sich frische neue darunter hervor gethan« habe, dass das Gesicht, die Hände, die Füße und der ganze Leib in so einem Zustand sind, dass »sie zu Leb-Zeiten nicht hätten vollkommener seyn können«. Auch bemerkt er im Mund der Leiche frisches Blut, »welches der gemeinen Aussag nach er von denen durch ihme Umgebrachte gesogen«. All diese Anzeichen seien typisch für die Wesen, die die Dorfbewohner »Vampyri« nennen, schreibt Frombald und berichtet, wie er tatenlos zusieht, als die Leiche geschändet wird:

Nachdeme nun sowol der Popp als ich dieses Spectacul gesehen, der Pövel aber mehr und mehr ergrimter als bestürtzter wurde, haben sie gesamte Unterthanen in schneller Eil einen Pfeil gespitzet, solchen dem Todten-Cörper zu durchstechen an das Hertz gesetzet, da dann bey solcher Durchstechung nicht nur allein häuffiges Blut so gantz frisch auch durch Ohren und Mund geflossen, sondern andere wilde Zeichen (welche wegen hohen Respect umgehe) vorbey gangen, sie haben endlich oftermeldten Cörper in hoc casu, gewöhnlichem Gebrauch nach zu Aschen verbrennet.

Das slawische Lehnwort Vampir bzw. Vampyri, dessen etymologische Herkunft unsicher ist (das Suffix pyr bzw. pir könnte beispielsweise für »trinken«, aber auch für »geflügeltes Wesen« stehen; die unter anderem in Serbien, der Ukraine oder der Slowakei gebräuchliche Bezeichnung Upir bzw. Upyr könnte sich von »unverbrannt« ableiten), taucht hier erstmals in einem historischen Bericht auf. Zwar gibt es ältere Mythen, die vampirähnliche Dämonen kennen: die altsumerische geflügelte Göttin Lilith, die in aramäischer Zeit zum Nachtgespenst wurde, das das Blut von Kindern trinkt; der Fledermausgott Camazotz der Maya oder Lamien und Lemuren der griechischen beziehungsweise der römischen Mythologie, vor deren Zugriff Kinder mit Knoblauchketten geschützt werden sollten. Doch die eigentliche Geschichte der Vampire beginnt auf dem Friedhof des serbischen Dorfes Kisolava, als dort die Leiche von Peter Plogojowitz ausgegraben wird. Der Vampir ist also ein modernes Monster, noch nicht einmal 300 Jahre alt.

Zunächst wird Frombalds Bericht allerdings kaum zur Kenntnis genommen. Erst sieben Jahre später sorgt der Frontbericht eines weiteren Militärarztes dafür, dass ganz Europa von einer Vampir-Hysterie erfasst wird. Im Januar 1732 schickt der Regimentsfeldscher Johann Flückinger das Protokoll der Hinrichtung eines Vampirs nach Wien. Tatort ist erneut Serbien. Als Vampir wird diesmal ein Heiducke namens Arnold Paole aus Medvedga ausgemacht:

In 20 oder 30 Tagen nach seinem Tod-Falle haben sich einige Leute beklaget, daß sie von dem gedachten Arnond Parle geplaget würden, wie denn würcklich 4 Persohnen umgebracht worden. Um nun dieses Ubel einzustellen, haben sie auf Einrahten ihres Hadnucks, welcher schon vorhin bey dergleichen Begebenheiten gewesen, diesen Arnond Parle in beyläuffig 40 Tagen nach seinem Tode ausgegraben, und gefunden, daß er gantz vollkommen und unverweset sey, auch ihm das frische Bluht zu den Augen, Nasen und Ohren herausgeflossen, das Hembd, Ubertuch und Tücher gantz bluhtig gewesen, die alten Nägel an Händen und Füssen samt der Haut abgefallen, und dargegen andere neue gewachsen seyn. Weil sie nun daraus ersehen, daß er ein würcklicher Vampir sey, so haben sie demselben nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durchs Hertz geschlagen, worbey er nen wohlvernehmliches Geächzen gethan, und ein häuffiges Geblühte von sich gelassen. Worauf sie den Cörper noch selbiges Tages gleich zur Aschen verbrant und solche in das Grab geworffen. Ferner sagen obgedachte Leute aus, daß alle diejenige, welche von den Vampirs geplaget und umgebracht worden, ebenfals zu Vampirs werden müssen. Also haben sie die obberührte 4 Persohnen auf gleiche Art exsequirt.

Flückingers Actenmäßiger Bericht über die Vampirs, so sich zu Medvegia in Servien an der Türckischen Gräntzen sollen befunden haben wird schnell zu einer Art Bestseller, zahllose Zeitungen drucken ihn ab und von Wien aus erreicht er binnen weniger Wochen die anderen europäischen Großstädte. Der Bericht wird auch ins Englische und Französische übersetzt. 1732/33 werden mindestens zwölf Bücher und vier Dissertationen zum Thema...

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