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E-Book

Zu Gott ums Eck

Wie Kirche zu den Menschen kommt

AutorHeiner Koch
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641240783
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Das Christentum ist keine Philosophie, keine weltanschauliche Doktrin. Es bezeichnet eine im Glauben wurzelnde Beziehung zu Gott, die eine neue Qualität in der Beziehung zu mir selbst und zu meinen Mitmenschen möglich macht. In zwölf Kapiteln greift Heiner Koch Erfahrungen von und mit Menschen auf, die ihm in seiner Stadt begegnet sind. Er erzählt seine Geschichten und Erfahrungen so, dass der Mehrwert des christlichen Glaubens in einer unübersichtlichen, von Religionslosigkeit wie religiöser Pluralität geprägten Zeit deutlich wird. Ein überzeugendes und überraschend lebensnahes Glaubensbuch.
  • Der christliche Glaube stiftet Heimat
  • Gelebte Kirche: der Hauptstadtbischof erzählt
  • Erfrischend offen und dem Leben zugewandt
  • Der Hauptstadt-"Schießler" aus dem Hause Gütersloh
  • Glaubens-Klartext


Heiner Koch, Dr. theol., geboren 1954, war viele Jahre in der Seelsorge und als Studentenpfarrer tätig, danach als Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln. Ab Mai 2006 war er Weihbischof in Köln, ab Januar 2013 Bischof des Bistums Dresden-Meißen. 2015 wurde er zum Erzbischof von Berlin ernannt.

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KAP ITEL 1:

WAS IST EIGENTLICH NORMAL?

Warum man Gott im Osten anders begegnet

»Das ist doch nicht normal!« In diesem Satz, der mehr Vorwurf als Feststellung ist, schwingt gemeinhin emotionale Empörung mit. Irgendetwas, irgendwer verstößt da gerade ganz massiv gegen unser Weltbild, unsere Verhaltensvorstellungen. Im Rheinland sagt man auch gern mal: »Normal is dat nich.« In dieser Formulierung freilich schwingt schon mehr Gelassenheit gegenüber dem Andersartigen mit. Es ist mehr ein Wort gewordenes Kopfschütteln als eine emotionale Empörung. Vielleicht auch die unbewusste Erkenntnis: Was ist schon normal?

Ist es normal zu glauben? In einigen Regionen Deutschlands ist es so normal, dass man schon die Frage danach als »unnormal« empfinden würde. Aber diese Landkarte verändert sich zunehmend, das ist ebenfalls »normal«. Auch im stärker kirchlich geprägten Westdeutschland nimmt die »Glaubens-Normalität« ab. Insgesamt gehören rund 23,3 Millionen Deutsche der katholischen Kirche an. Vermutlich empfindet der Großteil der Gläubigen – in Westdeutschland – diese Zugehörigkeit als normal. Aber spätestens bei der Frage nach der Glaubenspraxis kommt man auch dort mit »normal« nicht mehr sehr weit: Früher war es normal, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Heute ist das – trotz weiterhin bestehender Sonntagspflicht für Katholiken – nicht mehr normal. Laut Statistik der Deutschen Bischofskonferenz liegt der Gottesdienstbesuch im Durchschnitt bei knapp 10 Prozent. Interessanterweise sind die Bistümer Görlitz (rund 19 Prozent) und Erfurt (knapp 17 Prozent) mit Abstand Spitzenreiter! Auch die anderen ostdeutschen Bistümer – mit Ausnahme von Berlin (gut 10 Prozent) – liegen deutlich über dem Durchschnitt. Salopp könnte man sagen: In Ostdeutschland ist es nicht normal, katholisch zu sein, aber als Katholik normaler, in die Kirche zu gehen.

Ich selber stamme aus dem Rheinland. Dort bin ich groß geworden, die Atmosphäre entlang des Rheins zwischen Düsseldorf und Bonn habe ich aufgesogen, sie hat mich erfüllt und geprägt. Vieles vom rheinischen Leben ist mir selbstverständlich, eben normal geworden. Das Rheinland ist meine Heimat. Jetzt in Berlin merke ich, wie wenig selbstverständlich vieles von dem ist, was ich dort angenommen, mit dem ich gelebt habe und das ich für »normal« gehalten habe. Die Mentalität zum Beispiel: die rheinische Unbefangenheit, mit der Kontakte angeboten und aufgegriffen werden, die unverbindliche Direktheit menschlicher Beziehungen, die Leichtigkeit, mit der man nach dem Motto lebt: »Et hät noch immer jot jejange!« Nicht nur der Karneval ist vielen Menschen in Berlin so fremd, dass sie über die, die da im fernen Westen ihre tollen Tage kriegen, bestenfalls den Kopf schütteln können.

Zur Normalität gehört im Rheinland auch das Leben im christlichen Milieu. Selbstverständlich sind die vielen kirchlichen Krankenhäuser, die unzähligen Kirchtürme, der Kölner Dom und der liebe Gott in den Karnevalswitzen und -liedern und im Schützenbrauchtum. »Ich gehe regelmäßig zur Kirche«, sagte mir einmal ein Schütze einer kirchlichen Bruderschaft: »Jedes Jahr beim Schützenhochamt bin ich dabei.« Er sagte es ganz ohne Augenzwinkern. Für ihn war das das Normale. So normal, dass ihm der seiner Antwort innewohnende Witz gar nicht auffiel.

Dass es irgendwie und irgendwo den »lieben Gott« gibt, ist für den Durchschnitts-Rheinländer sicher. Diese Zuversicht tut ihm ja irgendwie auch gut. Aber alles soll bitte »rheinisch-katholisch« bleiben, nicht zu konsequent und nicht zu verbindlich: »Der liebe Gott ist nicht so«, sagt der rheinische Katholik über einen seiner Vorstellung nach eher sehr großzügigen, also typisch rheinländischen Gott. Der Rheinländer als Atheist? Eine solche Lebensentscheidung konsequent durchzuhalten, das wäre vielen dann vielleicht doch zu lebensfern und zu anstrengend, zumal in einem so christlich geprägten Umfeld. Solch einen radikalen Bruch mit der eigenen Sozialisation würde er wahrscheinlich als unnormal empfinden. Und: Normal will er schon bleiben, der »normale« Rheinländer. Natürlich ist der Rheinländer in dieser »R(h)einkultur« ein Klischee. Auch im Rheinland wächst die Zahl der kirchlich und religiös Uninteressierten. Selbstverständlich gibt es dort überzeugte Atheisten. Wiewohl die Tendenz eher die ist, sich als Agnostiker zu bezeichnen – man weiß ja nie. Insgesamt hat es inzwischen nichts oder nur noch wenig Anrüchiges, nicht an Gott zu glauben. Aber: »Normal is dat nich!«

»Normal« ist für die Berliner etwas anderes. Normal heißt hier in Bezug auf Glauben und Religion: Es gibt keinen Gott. Erst recht nicht solch einen »komplizierten« Gott, wie ihn die christliche Botschaft verkündet – mit ihrer »Drei in Eins«-Trinitätslehre, mit ihrem Gedanken »im Tod ist das Leben«, mit diesem Jesus, der zugleich »wahrer Mensch und wahrer Gott« ist. Von Wundern, Jungfrauengeburt und anderen »Kuriositäten« gar nicht erst zu reden. Und dann ist das auch noch ein Gott, mit dem ich in intensiver Beziehung leben soll – auf den hin ich mich als gläubiger Christ ausrichte, von dem ich mich berufen weiß und vor dem ich Verantwortung für mein Handeln und Tun trage.

16 Prozent der Berliner gehören der evangelischen und gut 9 Prozent der katholischen Kirche an, im Westen sind es mehr, im Osten deutlich weniger. Normal findet für die meisten Berlinerinnen und Berliner die Welt ohne Gott statt. Für sie beginnt das Leben mit der Geburt und endet mit dem Tod – mehr gibt es nicht. Die Welt ist geworden aus einer Materie, die immer da war, und sie wird genauso wieder zerfallen ins Nichts oder in irgendetwas, was immer das auch sein mag. Auf jeden Fall gibt es nichts, was die letztlich greif- und erforschbare Dimension des Lebens übersteigt. Alles andere sind irreale Utopien, für die es in dieser Welt keinen Ort gibt. Allenfalls Träume für die, die sich mit der Wirklichkeit der Welt und der ihres Lebens nicht abfinden können, Vertröstungen für die, die mit der Trostlosigkeit ihres Lebens nicht zurechtkommen. Diese Haltung faktischer Gottlosigkeit ist hier in Berlin und in Ostdeutschland normal. Diese Normalität ist den meisten Menschen in ihrer Familie und in der sie umgebenden Gesellschaft eingeflößt worden.

Bei den Firmungen, die ich spende, nehmen oftmals auch Menschen am Gottesdienst teil, die selbst keine Christen sind, aber mit dem Firmling verbunden sind. Als ich nach einer Firmung am Ende des Gottesdienstes aus der Kirche auszog, blieb ich bei einem jungen Paar mit seinen Kindern stehen. Die Eltern hielten mir ihre beiden Kinder hin, ich gab ihnen den Segen und fragte lächelnd: »Na, wann werdet ihr denn gefirmt?« In diesem Augenblick erstarrten die Gesichter der Eltern, und die Mutter antwortete: »Niemals, wir sind gottlos, leider.« Nicht Christ zu sein, war für diese Familie, wie sich danach im Gespräch zeigte, selbstverständliche Normalität, die gegeben ist und die selbstverständlich so bleibt, wie sie ist, wie sie auch bei ihren Eltern und Großeltern war. Eine unverrückbare Realität, an der sich nie etwas ändern wird, oder besser: die zu ändern man sich nicht befähigt fühlt. Mir ist diese Begegnung nachgegangen, denn trotzdem hielten mir diese Eltern ja ihre Kinder zum Segnen hin. Und sie sagten, »leider« seien sie gottlos. Sie empfanden es doch irgendwie als Defizit und sahen zugleich keinen Weg, dies zu ändern. Empfanden sie die Kirche als »closed shop«, zu dem sie auch bei bestem Willen niemals Zugang bekämen? Ich frage mich: Was können wir als Kirche tun, um solchen Menschen die Scheu zu nehmen, um ihnen Wege zu eröffnen, die Kirche, den Glauben – auch ganz unverbindlich – kennenzulernen?

Ich habe in vielen Begegnungen in Ostdeutschland eine wichtige Erfahrung gemacht: Menschen haben sich nicht von Gott verabschiedet. So wie es jemand etwa im Rheinland täte, wenn er Atheist würde. Nein, in Ostdeutschland gab es so eine bewusste Verabschiedung nicht – denn wie soll ich jemanden verabschieden, den ich gar nicht kenne, der für mich gar nicht existiert, der in meinem Leben, in meinem Alltag schlicht nicht vorgekommen ist?

Das DDR-Regime beförderte ein solches Leben in der Gottlosigkeit mit einer Effektivität, die bemerkenswerterweise bis heute nachwirkt und den Status der Normalität nicht eingebüßt hat. Der gesellschaftliche Lebensrhythmus wurde und wird flankiert von Jugendweihen – die sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen – bis hin zu gottfreien Beerdigungsriten. An wichtigen Lebensstationen, sonst Wegmarken für christliche Rituale, entstand dadurch keine Leerstelle, sondern ein anderes, gottfreies Ritual nahm selbstverständlich den Platz ein.

Inzwischen hat die Kirche darauf reagiert: So gibt es die in allen katholischen Bistümern in Ostdeutschland verbreiteten »Feiern der Lebenswende« für konfessionslose Jugendliche – als christlich geprägte Alternative zur atheistischen Jugendweihe. Der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke entwickelte das Modell vor rund 20 Jahren als Dompfarrer. Die 14-Jährigen bereiten sich über mehrere Monate gemeinsam darauf vor, absolvieren zusätzlich Sozialprojekte und gestalten schließlich zusammen die Feier in der Kirche.

Immer wieder erlebe ich es, dass Menschen, die in einer religionsfernen Atmosphäre groß geworden sind, nicht verstehen können, dass es Menschen gibt, die an einen Gott glauben: »Wie kann man nur?« Vielleicht kann man ja noch verstehen, dass Gott eine Formel ist für den Wunsch, dass das Leben irgendwie unter einem guten Stern stehen möge. An einen allmächtigen Gott zu glauben, mit dem...

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