In Harganat
Freitag,
13. August 2010
Nachdem in der Nacht unaufhörlich der Regen auf das Jurtendach geprasselt hat, ist Wasser am Ofenrohr entlang gelaufen und hat eine kleine Lache auf dem flachen Podest gebildet, auf dem der Ofen steht.
Auch an verschiedenen anderen Stellen ist etwas Wasser eingedrungen. Das müssen wir möglichst bald in den Griff bekommen; aber heute lugt die Sonne zwischen den Wolken hindurch. Wir können die Trockenlegungsarbeiten auf den Nachmittag verschieben.
Eine Einkaufstour in Mörön geht vor, denn unser Hausstand benötigt dringend einige Ergänzungen, außerdem sind wir neugierig auf unsere mongolischen „Enkelkinder“, die wir bisher nur von Fotos kennen.
Den Ort, unter russischer Ägide planquadratisch angelegt, gliedern breite Staubstraßen, zwischen denen kleine, meist einstöckige Holzhäuser stehen.
Die Grundstücke, oft noch zusätzlich mit einer Jurte bestückt, umgibt ein über mannshoher Bretterzaun als Blick- und Windschutz (weniger als eine Maßnahme gegen Einbruch, denn Bat schwingt sich locker über den Zaun und entriegelt dann von innen das Tor). So entsteht links und rechts der Fahrwege eine nur durch grün oder blau gestrichene Tore aus Blech unterbrochene Bretterfront.
Die Fahrpisten selbst sind nach dem dauernden Regen schlammig und übersät mit schmutzig braunen Seen. Wo sich im Zentrum die beiden asphaltierten Hauptstraßen kreuzen, findet sich das Einkaufsviertel mit mehreren engen, vollgestellten Supermärkten. Auch ein relativ edel wirkendes Hotel ist vorhanden. Im Süden, gleich um die Ecke, kommt man zum zentralen Versammlungsplatz, dessen nördliche Längsseite begrenzt das Verwaltungsgebäude des Aimaks. Im Westen prunkt das Theater, wo gerade Renovierungsarbeiten durchgeführt werden. Die Ostseite verziert eine Plakatwand und im Süden, vis-à-vis auf der anderen Straßenseite, hinter einer Baumreihe versteckt, steht das Postamt.
Der Städter sucht zum Einkauf ganz gern einen der Supermärkte auf, wir als Touristen ebenfalls; man benötigt keine besonderen Sprachkenntnisse, denn man bedient sich selbst.
Für die Landbevölkerung stellt der Markt im Norden im Randbereich der Stadt mit Abstand die wichtigste Versorgungsquelle dar. Autos, oft klapprig und verbeult, Lieferwagen, dazwischen Pferdefuhrwerke, verstopfen die Straße. Zwischen Bretterbuden, mit Planen abgedeckten, nachlässig zusammengezimmerten Marktständen, Verkaufscontainern, einer Markthalle, einfachen Buden, drängen sich die Menschen, wenige im schmucken Deel, die meisten in ganz europäischer, oft abgetragenen Straßenkleidung, Männer, Frauen, Kinder, Jung und Alt, alles bunt durcheinander, dazwischen Herren in dunklem Anzug mit Hut, Damen in Minirock und Stöckelschuhen. Aus Lautsprechern tönt unaufhörlich und penetrant die Aufforderung zum Einkauf.
Bat strebt einem Geschäft für Küchenausstattung zu, mit uns im Schlepptau. Wir durchwaten oder umrunden tiefe Pfützen und finden uns in einem wegen Stromausfalls düsteren Ladenraum wieder, wo Töpfe, Pfannen, Besteck, Rührbesen, Schöpfer, Trichter, große bunte Thermoskannen chinesischer Herkunft angeboten werden. An einem Marktstand beschaffen wir einen Wok, wichtig zum Kochen auf dem Herdfeuer zuhause im Ger, und einen Eimer zum Wasserholen. Wir verstauen unsere Schätze im Auto. Neben Nudeln, Reis, Mehl, Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken, Kraut brauchen wir zum Überleben noch Brot, Marmelade, Honig, Tee, Nescafé und Kekse zur Teatime. Fleisch bekommt man in der Markthalle, wo in einem Nebenraum auf groben Tischen Berge von Rind- und Hammelteilen ausgebreitet liegen. Dahinter stehen und hocken in großer Zahl die Verkäuferinnen und preisen ihre Waren an. In der Luft hängt intensiver Schlachthausgeruch. Einige wenige Fliegen schwirren, aber nicht so, dass einem der Appetit verginge. Ich erstehe ein schönes Stück vom Rind.
Im Supermarkt besorgen wir noch einige Konserven, Orangensaft und 5 Flaschen Bier, Marke Khanbräu. Es kann, wie wir bald feststellen, mit unserem heimischen Gerstensaft konkurrieren.
Jetzt sind wir eingedeckt für die nächsten Tage. Nur noch Mitbringsel für Uganaa, Bats Frau und für Tanan, die Fünfjährige, fehlen. Indra ist mit ihren fünf Monaten kaum an einem Geschenk interessiert.
Das Postamt hält auch bei Stromausfall den Kontakt zur Welt. Dort existiert ein Stromaggregat und ein öffentlicher Internetraum. Unsere Führungszeugnisse sind noch immer Thema Nummer eins. Die Kemptener Polizei mailt und teilt mit, dieselben seien beim Einwohnermeldeamt der Stadt zu beantragen. Postwendend wird das erledigt! Wir informieren unsere Verwandtschaft über Befinden und Verbleib und erfahren, was es Neues gibt in der Heimat. Schon eine feine Sache, dieses Medium. Wir lernen es zunehmend schätzen.
Uganaa empfängt uns in ihrem Ger hinter dem Bretterzaun mit der Kleinen auf dem Arm. Im Hintergrund auf dem Bett schläft ihr Vater. Tanan unterbricht ihr Spiel am Boden und nähert sich Elisabeth offen und zutraulich. Ich empfinde allerdings die Atmosphäre als eher kühl, ja frostig. Später erfahren wir, dass mich mein Gefühl nicht getrogen hat.
Wir flüstern, um den Vater nicht zu stören, bekommen Milchtee und Gebäck angeboten. Bei der Verabschiedung übergeben wir unsere kleinen Geschenke, Malutensilien für die Kinder, Parfüm für Uganaa, wie nach Landessitte üblich, mit der rechten Hand, der Ellbogen wird mit der linken unterstützt.
Draußen auf dem Land im Gercamp, jetzt bei klarer, reiner Luft, Sonne und leichtem Wind, ist es zum Aufatmen schön.
Wir werden uns selbst versorgen, das bedeutet: Holzhacken, Wasser holen, kochen, vielleicht auch Brotbacken. Aber jetzt heißt es, die Lebensmittel maussicher zu verstauen. Das frische Gemüse kommt in eine der dafür freigemachten Alukisten, für die länger haltbaren Produkte und das Brot ist eine der zwei eingeflogenen Plastiktonnen mit Schraubverschluss vorgesehen.
Wie sich bei einer Probe auf dem Herd, nach Abnahme des runden Deckels über dem Feuerraum herausstellt, passt der Wok nicht, er ist zu groß! Kein besonderes Problem. Wir tauschen einfach den Ofen gegen einen größeren aus dem Nachbar-Ger. Dann besorgen wir noch einen Arbeitstisch für die Küche, ein Vorrats- und Geschirrregal, das Teller, Becher und Töpfe, Konserven, Honig und Marmelade aufnimmt, stellen zum Wasserfassen die andere unserer in der Kiste angereisten Tonnen auf einen schnell beschafften Holzklotz und last but not least schleppt Bat einen Waschtisch herbei, der das Badezimmer ersetzt. Meine selbst konstruierte Duschkabine, ebenfalls eingeflogen, werde ich gelegentlich im Freien aufhängen. Jetzt hole ich noch Trinkwasser aus dem Bach drunten im Talboden gleich in der Nähe des Camps. Drei Eimer passen in die Tonne und müssten für heute und morgen reichen. Brennholz zum Kochen und Einheizen in der Früh ist genügend vorhanden.
Von Bat sollten wir uns aber bald zeigen lassen, wie man den Ofen effektiv anfeuert, denn heute Morgen dauerte es viel zu lange, bis wir gemütlich warm hatten.
Mittlerweile wissen wir schon, wie das gemacht wird: Man platziert zwei Scheite parallel mit kleinem Abstand Richtung Rauchabzug weisend, knüllt etwas Papier dazwischen, dünnes Reisig obenauf, kleinere Scheite quer darüber, hält ein einziges Streichholz hin und schon knistert und knackt das Feuer. In wenigen Minuten kocht Wasser im Wok. Heute wird Gemüsereis serviert.
Samstag,
14. August 2010
Schließt man die Eingangstür, die beim mongolischen Ger immer nach Süden weist, herrscht, wenn die zweite Öffnung oben auch abgedeckt ist, völlige Dunkelheit. Man kann aber an der großen quadratischen Filzmatte, die die Mitte des Daches abdeckt und außen mit Seilen an den vier Ecken abgespannt ist, die vordere, Richtung Tür zeigende Ecke zurückschlagen und lässt auf diese Art Luft und Licht von oben in die Behausung, allerdings auch Regen, so man Pech hat. Das hatten wir aber über Nacht nicht, im Gegenteil. Der Sichelmond stand am Horizont und Sterne beleuchteten die romantische Szene. Elisabeth benutzt nächtens den Eimer und weiß nicht, was sie verpasst.
Morgendliche Sonnenstrahlen locken aus den Federn. Ich heize als Erstes ein, denn es ist frisch in der Frühe. Mit meinem Wassereimer stolpere ich noch etwas verschlafen den Geröllhang hinunter zum Bach. Ich blicke auf mein gewelltes Spiegelbild im Wasser, finde es soweit akzeptabel, lege kurz meine Brille hinter mich auf ein Grasbüschel, begnüge mich mit Katzenwäsche, schöpfe meinen Eimer voll und trabe zurück zum Ger, um Kaffeewasser aufzusetzen.
Elisabeth macht am Waschtisch bereits große Toilette. Warmes Wasser dazu liefert der Wok.
Zehn Minuten später lassen wir uns Kaffee mit Marmeladebrot schmecken, bei prächtiger Aussicht durch die Jurtentür auf die gegenüberliegenden Berge.
Frisches Wasser siedet bereits wieder, muss aber noch einige Minuten weiterkochen, damit Keime abgetötet werden, bevor es mit Trichter und Schöpfer in die bereitstehenden Thermoskannen abgefüllt wird. Jede fasst zwei Liter, damit ist der Tagesvorrat an Trinkwasser gesichert. Gespült wird später draußen in der Plastikschüssel.
Wir machen uns auf zum ersten Erkundungsgang: Östlich vom Camp erhebt sich ein steiniger mit schütterem Gras bewachsener Hügel, oben mit zackigem Felsgrat. Von dort müsste sich einen guter Überblick bieten. Als geübte und trittsichere Bergwanderer erreichen wir in einer halben Stunde weglos den Gipfelgrat, müssen aber wieder durch eine kurze Rinne...