"Man kann nicht über Qualitätskontrolle, über Qualitätssicherung in der Medizin schlechthin sprechen, ohne daß man den Gedanken der klinischen Obduktion einfließen läßt und fördert. Die Qualitätskontrolle … kann auf die klinische Obduktion nicht verzichten. … Die Therapie ist heute in vielem aggressiv, … daß eine ständige Überwachung - im Leben durch Laborwerte …[und] im Tode durch die klinische Obduktion erfolgen muß, damit "wir wissen, was wir tun", was wir können." [1]
Unverändert stellt die klinische Sektion nach weit überwiegender Auffassung auch heutzutage eine wichtige, kostengünstige und direkte Maßnahme der Qualitätssicherung dar, wenn es um die Beurteilung von Diagnostik und Therapie am Lebensende geht.[2],[3],[4] Dessen ungeachtet erlebte die Obduktionspathologie in Deutschland entgegen dem allgemeinen medizinischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte einen drastischen Niedergang. Kontinuierlich sinkende Obduktionszahlen,[5] eine Verschiebung des ärztlichen Aufgabenspektrums innerhalb des Fachs Pathologie weg von der Obduktion [6] und weitere Gründe, auf die in dieser Arbeit näher einzugehen sein wird, führten zu einer generellen Marginalisierung dieser Prozedur. Eine intellektuelle Verarmung bezüglich ihrer technischen Methodenvielfalt war die Folge. Spezielle Sektions- und Präparationsmethoden zur optimalen Darstellung besonderer Befunde sind nicht selten (wenn überhaupt) nur noch aus Büchern, nicht jedoch aus eigener Anwendung bekannt. Die Erkenntnis, dass selten benötigte Fertigkeiten verkümmern, verlernt oder ganz vergessen werden, deckt sich mit der langjährigen Berufserfahrung des Autors. Der Stellenwert der klinischen Sektion innerhalb des Arbeitspensums der Pathologen sank beständig, mit der Folge, dass im Seziersaal der Zeitfaktor wichtiger wurde als eine möglichst gründliche Präparation und anschauliche Darstellung der Befunde. Präparatorische Kreativität, Akribie und handwerkliches Können verschwinden nach und nach zu Gunsten einer genügsamen schablonenhaften Art des Sezierens unter Zeitdruck. Aus Vielfalt wird Einfalt, von einer Weiterentwicklung des Verfahrens ganz zu schweigen. Selten angewandte spezielle Sektionstechniken geraten mit der Zeit in Vergessenheit. Das von Friemann schon 2002 befürchtete Szenario, dass "… durch den dramatischen Rückgang der Obduktionszahlen auch die entsprechenden Kenntnisse zu ihrer Durchführung nur noch einigen wenigen vorbehalten sind oder sogar auf Dauer ganz verloren gehen.",[7] beginnt nun Realität zu werden. Schweikardt beschreibt den Prozess "… insofern als Verlustgeschichte … als der Erfahrungsschatz der älteren Generation von Pathologen auf dem Gebiet der klinischen Sektion mit deren Ausscheiden aus dem Beruf verloren geht und damit auch das Bewusstsein für ihre Bedeutung innerhalb des Berufsstands immer weiter schwindet." [8]
Soll die klinische Obduktion ihren Funktionen im Gesundheitssystem auch künftig ernsthaft gerecht werden,[9] dann bedarf es ihrer stärkeren allgemeinen (Re-)Akzeptanz innerhalb der Medizin. Um die zu erreichen, muss die Obduktion von ihrem anachronistischen Ruf befreit und qualitativ auf ein zeitgemäßes Niveau gebracht werden. Hierzu gehören Verbesserungen ihrer Rahmenbedingungen, beispielsweise der Einsatz moderner Medien bei der Dokumentation der Obduktion, ein standardisiertes Protokoll zur besseren Auswertbarkeit und Vergleichbarkeit aller Ergebnisse, die selbstverständliche unmittelbare Fotodokumentation am Seziertisch, eine noch stärkere Ausrichtung der gesamten Obduktion auf die klinischen Bedürfnisse, technische Verbesserungen im Seziersaal, kürzere Berichtszeiten und nicht zuletzt eine aufwandsgerechte Honorierung.
Erneuerungen dürfen aber auch vor der Organpräparation, dem eigentlichen Kern der Obduktion, nicht Halt machen. Sie ist der Schlüssel zur vollständigen Aufdeckung aller pathologischen Veränderungen und deren anschaulicher Darstellung vor den klinischen Ärzten. Die tradierten Präparationsmethoden müssen hinterfragt werden: Unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen wurden sie einst entwickelt? Genügen sie noch dem gegenwärtigen medizinischen Kenntnisstand? Sind sie geeignet, die aktuelle Behandlungsrealität abzubilden und zu evaluieren? Werden sie den modernen medizintechnischen Behandlungsmöglichkeiten gerecht? Müssen sie nicht an die mittlerweile veränderten Zielsetzungen der klinischen Obduktion angepasst werden? Ohne eine modernisierte Sektions- und Präparationstechnik als Kernstück einer technisch, organisatorisch und personell zeitgemäß angelegten klinischen Obduktion wird diese medizinische Prozedur als solche keinen Bestand haben, auch wenn sie für die Medizin und das Gesundheitssystem nach wie vor unverzichtbar zu sein scheint. Es ist zu befürchten, dass die klinische Sektion de facto ausstirbt, falls sie nicht weiterentwickelt wird und ihre frühere Anziehungskraft zurückgewinnt.[10] Große Teile der Ärzteschaft scheinen von ihrem notwendigen Fortbestand nicht überzeugt zu sein, schon werden ihr ein Funktionsverlust und Legitimitätsprobleme bescheinigt.[11]
Die klinische Sektion kann auch heute noch schnelle verlässliche Aussagen zu Grundkrankheit, Todesursache, Nebenerkrankungen, postinterventionellen Zuständen etc. hervorbringen, vorausgesetzt der Obduzent [12] wählt anhand der Vorgeschichte des Patienten und der klinischen Fragen die optimale Präparationsmethode. Ein erfahrener Obduzent kann so in vielen Fällen schon während der makroskopischen Untersuchung der Organe einen Großteil der krankhaften Veränderungen erkennen (sehen, fühlen, riechen und hören) und zusammen mit dem Kliniker in einem patientenindividuellen Gesamtzusammenhang interpretieren. Die zeitraubende histologische Untersuchung dient dann der Bestätigung und Vertiefung der Diagnosen, aber nur selten der Korrektur. Um allerdings diese makroskopischen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten zu erlangen, braucht ein Obduzent ständige Praxis in Form einer kontinuierlich hohen Sektionsquote und das Wissen um die Fülle der existierenden Präparationsmethoden und -techniken.
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gehören statistisch zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland.[13] Im weltweiten Maßstab stellt die koronare Herzerkrankung eine Hauptursache für Morbidität und Sterblichkeit dar.[14] Überdies ist bekannt, dass ein großer Prozentsatz der Menschen, die an einem akuten Koronarereignis versterben, zuvor symptomfrei war und gesund erschien.[15] Arteriosklerose und die Zeichen des Bluthochdrucks finden sich regelmäßig bei Patienten mit nicht-kardialen Todesursachen.[16] All diese Fakten spiegeln sich notwendigerweise auch im Seziersaal wider. Als unmittelbare Todesursache findet sich im Sektionsbericht meist eine näher bezeichnete Form von Herzversagen unterschiedlichster Genese. Letzten Endes stirbt aber jeder Mensch an einem Herzstillstand.[17]
Das Herz nimmt aus diesen Gründen stets eine Schlüsselstellung für beide beteiligten Parteien ein. Für den Obduzenten ist es Träger der (mitunter überraschenden) Todesursache von makroskopisch komplexem Bau und selten völlig frei von pathologischen Veränderungen. Für den Kliniker ist das Herz Träger von messbaren Vitalfunktionen wie Frequenz oder Blutdruck, dank modernster Medizintechnik oftmals gut untersucht und final überwacht, und ihm stellen sich am Seziertisch Fragen nach dem Grund für den Herzstillstand, nach dem Auslöser des Herzstillstands zu genau diesem Zeitpunkt, nach der Übereinstimmung des morphologischen Zustands des Herzens mit dem klinischen Bild des Patienten zu Lebzeiten und nach möglichen Konsequenzen für sein zukünftiges ärztliches Handeln. Somit wird dem Herzen bei der klinisch-pathologischen Fallbesprechung nach der Obduktion immer besondere Aufmerksamkeit zuteil, auch dann, wenn eine kardiale Erkrankung des Patienten gar nicht im Mittelpunkt der ärztlichen Bemühungen stand. Genau dieser Schlüsselstellung des Herzens wird eine genügsam-schlichte Methode der anspruchslosen Gewohnheitspräparation, die sich als Folge des Niedergangs der Obduktion herausgebildet hat, ebenso wenig gerecht, wie den (auch optischen) Erwartungen der Kliniker an eine moderne Obduktionsdiagnose. "Die Pathologen arbeiten weitgehend immer noch mit Methoden des 19. Jahrhunderts, während Ihre klinischen Partner moderne Verfahren des 20. und 21. Jahrhunderts anwenden ..." [18] Lediglich wenige spezialisierte Kardiopathologen beherrschen ein größeres Repertoire an Präparationstechniken, um mit den rasanten Entwicklungen der Kardiologie Schritt halten und auf die speziellen Anforderungen und Fragestellungen von Kardiologen und Kardiochirurgen eingehen zu können.
Die Kunst der Herzpräparation besteht darin, nicht nur dem Obduzenten selbst die pathologischen Veränderungen aller untersuchten Strukturen möglichst vollständig offenzulegen, sondern auch den makromorphologisch wenig geübten Klinikern jeglicher Fachdisziplin eine rasche anatomische...