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E-Book

'Kommst du Freitag?'

Mein wunderbares Fernbeziehungsleben

AutorDorit Kowitz
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451336591
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was hat eine Zugverspätung in Hamburg mit dem zerstochenen Reifen am Berliner Ostbahnhof zu tun? Was gibt's da zu heulen, und warum führt all das geradeaus zur Frage nach dem Sinn? Nach dem Sinn, so zu leben, als Paar: du immer hier und er immer da. Woanders, ewig und drei Tage. Nach der Angst davor, dass er fremdgeht. Danach, ob es eine Familienplanung geben wird. Es kann schön sein. Es kann so nerven. Es macht, auch, weise.

Dorit Kowitz hat viele Jahre in einer Fernbeziehung gelebt. Sie war redakteurin beim 'Stern' und arbeitet nun als freie Reporterin.

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Leseprobe

Rituale, schöne und tückische


Als weibliches Wesen, das weit entfernt von seinem Lebensmenschen haust, ist es ja so: An den Wochentagen bist du täglich deine Kopie von Bridget Jones, frei zu tun und zu lassen, was dir gut tut oder auch nicht. Peinliche Fernsehsendungen gucken zum Beispiel, sich dabei die Beine epilieren und die Augenbrauen zupfen, und nachher darf das French Dressing ruhig auf deine ausgebeulte Sporthose tropfen, weil du den Salat gleich aus Schüssel schlingst und dir dabei die vom Zupfen roten Punkte auf deinen Beinen betrachtest. Ad-hoc-Dienstreisen ins Ausland oder endlose Abendveranstaltungen mit Provinzpolitikern stehen nie zur Abstimmung; Weiber-Kinoabende mit anschließendem übermäßigen Weingenuss bedürfen keiner Ansage; das auffrischende Interesse anderer Männer an dir wird nicht registriert und kommentiert; das nächtliche Schreiben an langen Reportagen nicht gestört durch die Frage: „Und was wollen wir heute Abend essen? Ich hab auf irgendetwas Appetit, weiß aber nicht, worauf.“

Keiner will was, keiner fragt was, keiner sagt was.

Aber das Wochenende wird unwillkürlich zum Muss, zum Jour fixe, zur nicht selbstverständlichen Selbstverständlichkeit – und das bei einem Gastronomen und einer Politikredakteurin, das passt formal natürlich: null. An Wochenenden wird in einem Restaurant der meiste Umsatz erzielt, gehen gern zur Unzeit Eiswürfelmaschinen kaputt oder läuft im Keller des Cafés bestialisch stinkend der sogenannte Fettabscheider über. Da will die Mannschaft gelobt werden oder verschläft der beste Barkeeper seinen Dienstantritt, weil er verdammt noch mal jung ist und die Nacht zuvor in einem Club durchgemacht hat. Es kann dann durchaus ungünstig sein, wenn der Café-Besitzer mit seiner Freundin 198 Kilometer entfernt in Berlin adrett bildungsbürgerlich durchs Pergamonmuseum schlendert und das Handy ausgestellt hat. Hinterher: „Verpasste Anrufe – 7“:

Das simpelste wie tückischste Ritual aber ist: dass das Wochenende dir und deinem Freund gehört. Das heißt nämlich, dass es anderen nicht gehört. Und dir allein sowieso nie. In den meisten Fällen geht das in Ordnung. In den meisten.

In meinem Job, ich war Korrespondentin einer Münchner Zeitung in Berlin geworden, war aber jedes vierte Wochenende ohnehin amputiert, und das meint nur die geplanten Sonntagsdienste. Hinzu kamen Parteitage, Wahlkämpfe, Neuwahlen, Verbrecherjagden, Politikerrücktritte, Hochwasserfluten oder Rechtsradikale, die zwischen Weihnachten und Neujahr beliebten, im hintersten Winkel Brandenburgs einen Ausländer zu Tode zu jagen. Da „muss“ man nicht los, da will man los als Reporterin (meistens, jedenfalls). Bloß ist jede Zweisamkeit natürlich hin und die nächste Chance dazu in fünf Tagen, frühestens.

Wir fragten einander nicht: Wann kommst du Freitag?

Wir fragten: Kommst du Freitag?

Aus dem Katalog der Antworten:

„Vielleicht.“

„Muss mal sehen, ob ich da nicht nach Dings fahre, um den Minister zu interviewen.“

„Da ist doch der Parteitag.“

„Wir bauen den Laden um, kannst gerne kommen, aber ich hab’ echt wenig Zeit.“

„Wir können doch nicht zur Party am Müggelsee, ich muss nach Frankfurt, diese Geiseln interviewen, die sie freigelassen haben.“

„Na, nee, ich fahre doch zum 60. meiner Ma nach Bayern. Du kannst, wie gesagt, gern mit. Aber ...“

Anhänglich sollte man da nicht sein. Es ist schon so: Paare, die zusammenleben, fürchten einander im Alltag zu verschleißen. Paare, die nicht zusammenleben, sehnen sich nach Alltag. Sich danach zu sehnen, ist komfortabler, im Vorher-Nachher-Vergleich.

Sie schleichen sich schnell in so eine Liebe auf Abstand, die Gewohnheiten und Angewohnheiten, die stillschweigenden Vereinbarungen und unausgesprochenen Regeln, die Erwartungen und Zwänge. Sie werden ein unerschöpfliches Reservoir – auch für Glücksmomente, vor allem aber für Missverständnisse. Das ist nicht anders, als wenn man zusammenlebt. Es ist nur umständlicher. Drum muss man sich manches einfacher machen.

Zu unserem Glück mochten wir Berlin, beide. Ich hatte mich mit 25 Jahren gegen Anstellungen in Dresden und Hamburg entschieden und für die sich aufplusternde, werdende Hauptstadt. Ich arbeitete zuerst freiberuflich, die feste Stelle bei der Zeitung kam ein Jahr später hinzu.

Paul hatte ich gar nicht groß gefragt, ob ihm Berlin passt oder nicht. Es war nicht so, dass ich seine Meinung nicht hören wollte, im Gegenteil. Ich wusste, dass er wusste, Leipzig wäre für mich der falsche Ort zur falschen Zeit. Um meine Entscheidung zu bekräftigen, schenkte er mir zu Weihnachten ein Laptop, das seinerzeit so viel gekostet haben muss wie drei Monatsgewinne seiner Kneipe eingebracht hatten. Vor Steuern. Er stotterte es ab. Es war eine fette Liebeserklärung.

Eine Fern-Liebe funktioniert da genau wie eine Nah-Liebe: Man muss sich in ein paar wesentlichen Dingen einig sein. Bloß, was wesentlich ist, ändert sich fortwährend. Man kann darauf hoffen, dass „die Chemie“ zwischen ihm und dir schon mitteilen wird, was gerade Sache ist. Allerdings können chemische Verbindungen auf Distanz flugs instabil werden.

Als Helene dreißig wurde, war sie verliebt in einen 29-jährigen Schriftsteller, der in Wien und England lebte. Er vergötterte sie. Er hatte ihren Geburtstag als James-Bond-Film mit Spielorten in ganz Berlin inszeniert, der Showdown in einer alten Fabrik-Halle uferte zu einer sagenhaften Party aus. Gegen drei Uhr morgens und nach gefühlten zehn Wodka Sour erzählte mir der Schriftsteller, dass er ungemein glücklich sei mit Helene. Genau wie er wolle sie am liebsten gleich Kinder, genau wie er träume sie von einem Cottage in Südengland.

So besoffen konnte ich gar nicht sein, als dass ich nicht sofort wusste, nichts davon kann stimmen. Helene wollte lieber gar keine Kinder als „jetzt schon eins, eher gehe ich ins Kloster als Babyärsche abzuwischen“, lautete der O-Ton einer unserer letzten Weiberabende. Und Landhäuser waren ihr nur recht, solange sie anderen gehörten. Jedwede Besuche in Bauernhöfen, Rustikos und Cottages waren für sie illustre Trips in, wie sie fand, „realitätsverneinende Huschebubu-Welten“ aus Terrakotta, Holzdielen, Lavendelbüschen, freigelegten Balken und Rasenaufsitzmähern. Sie dienten ihr als Beweis dafür, dass es überlebensnotwendig für sie ist, sich an große Städte, das Bauhaus und seine Jünger zu halten. Nur in postmodernen Hallen, möglichst aus Beton, glaubte Helene, könne sie atmen und existieren.

Ich vernahm Helene ein paar Tage später. Wie sich herausstellte, hatte weder sie den Schriftsteller belogen noch er sie. In ihrer Verliebtheit, der vermeintlich stimmenden „Chemie“, hatten sie die Zeichen und Worte des anderen übersehen und überhört, übergangen und unterschlagen, die klaren Ansagen an den raren gemeinsamen Wochenenden gescheut. Weder hatte er je zu ihr gesagt: „Ich will ein Kind mit dir, jetzt“, noch sie zu ihm: „Ich nicht, niemals.“

Ein halbes Jahr lang probierten sie es noch miteinander. Dann war Schluss. Der Schriftsteller heiratete schnell eine große Blondine vom Fernsehen und das im eigenen Ferienanwesen in der Grafschaft Devon. Sie bekamen hurtig hintereinander zwei Kinder und werden glücklich sein bis an ihr ... Na, wer weiß. Der Agent des Schriftstellers verriet mir einmal, dass ihm eine Novelle des Mannes vorliegt, die er für undruckbar hält. Alles darin dreht sich um die Obsession und unerhörte Liebe zu einer milchkakaobraunen Schönheit, die Beton als Fetisch hat.

Eine Fernliebe verführt dazu, nur für den Augenblick zu leben, es einfach zu genießen, dass man sich sieht und etwas Schönes miteinander anstellt, um montags drauf wieder seiner Profession nachzugehen, ohne Last, ohne Verbindlichkeit. Eine Weile lang fühlt sich das toll an. Nach dieser Weile kann sich das ungemein hohl anfühlen. Man versteht erst nach und nach, dass sich auf Distanz zu lieben erst recht heißen kann, sich durch gemeinsame Träume zu binden. Man darf Lust haben, gemeinsame Pläne zu schmieden, trotz der Entfernung. Sie müssen ja nicht alle wahr werden, aber ein paar können dann überhaupt wahr werden.

Als ich mich für Berlin entschieden hatte (und gegen ein gemeinsames Pärchenleben mit Quiche Lorraine zum Abendbrot und gepflegtem Mittwochabendsex), freute Paul sich einfach. Berlin! Er liebäugelte fortan damit, auch herzuziehen, seine Geschäfte aus der Ferne zu steuern oder sie ganz zu verlagern. Ich träumte ein bisschen mit und ahnte immer, von Berufs wegen Skeptikerin, wie schwer das gehen würde, ein Café in Leipzig und eins in Berlin? Aber, wer weiß?

Das klingt großmäulig, so, als hätten wir jedes Wochenende die Sau rausgelassen und alles mitgenommen, was die aufstrebende Angeber-Stadt so hergab, jeden räudigen Club an der Spree, jedes neue In-Lokal an den Ausläufern der Friedrichstraße, jede halblegale Szeneparty. Ich war überhaupt nicht hip, kannte aber ein paar überengagierte Szenegänger, die uns gerne hie und da eingeschleust hätten; in der Redaktion häuften sich sowieso die Society-Einladungen der neuen Berliner Republik. Aber wir ließen lauter Gelegenheiten verstreichen. Es kam anders. Wir wurden plötzlich: häuslich, spießig, traut. Wir aßen so gut wie jeden Freitagabend in meiner Wohnung. Und ich fing allen Ernstes an, mir das Kochen beizubringen.

Der Drang dazu kam wie aus dem Nichts und fügte sich in diese beängstigende neue Melange meines Lebens, die aus sanierter Jugendstilwohnung, geleastem Golf-Neuwagen,...

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