Von der Ermöglichungsdidaktik zu kollaborativem Lernen
- Kollaboratives Lernen -
Lernen im Duktus des kollaborativen Ansatzes ist eine Ermöglichungs -, Ereignis- oder eine Lernsituation, die von allen Beteiligten gewollt ist, bei dem sich alle Beteiligten in kollaborativer Weise in der Beziehung, im Gespräch engagieren und einbringen, es handelt sich um ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Streben nach Lösungen, tieferem Verständnis, Selbstreflexion und neuem Wissen.
Es geht um ein gemeinsames Erkunden von individuellen Wirklichkeiten, um eine Suchbewegung neues, tieferes Verständnis für persönliche und berufliche Fragen zu gewinnen, gemeinsame Lernsituationen in der Erwachsenenbildung in denen Lehrer, Moderatoren, Begleiter, Lerninitiatoren gleichzeitig Lernende sind, zu schaffen.
Kollaboratives Lernen beinhaltet von Beginn an das gemeinsame Lernen mit intensiver Reflexion und Interaktion, ein Versuch, in der Gruppe, den „Lerngegenstand“ gemeinsam zu erarbeiten, ein gemeinsames Verständnis für die Personen und für die eingebrachten Themen zu entwickeln.
Kollaboratives Lernen unterscheidet sich deutlich von kooperativem Lernen, bei dem die Lernenden unterschiedliche Teilaufgaben selbständig oder in kleinen Gruppen bearbeiten und sie zum Schluss zu einem Gesamtergebnis zusammenfügen.
Einige grundlegende Annahmen, dieses postmodernen, ermöglichungsdidaktischen, sozialkonstruktionistischen, kollaborativen Ansatzes in der Erwachsenenbildung, in der Weiterbildung, in Anlehnung an H. Anderson (Das therapeutische Gespräch 1999) sind:
1. Menschen und Lerngruppen sind sprach- und bedeutungserzeugende Systeme.
2. Ihre Konstruktion von Wirklichkeiten, das Bilden von Urteilen, Gewinnen von
Erkenntnissen, vollzieht sich immer als eine Form sozialen Handelns, und entsteht
nicht als beziehungsunabhängiger mentaler, geistiger Prozess beim Einzelnen.
3. Der Geist des Einzelnen, die mental-emotionale Identität ist sozial konfiguriert, auch das Ich, die Individualität hat sozialen und relationalen Charakter.
4. Unsere eigene Realität, die wir uns und den Erfahrungen zuschreiben bzw. deren
Bedeutung sind Interaktionsphänomene, die von Menschen miteinander und mit sich selbst in Kommunikation und Handlungen erzeugt und erlebt werden.
5. Denken, Sprache ist generativ, hat den Charakter Sinn, Bedeutung zu erzeugen und ist eine Form sozialer Teilhabe.
6. Wissen ist gesellschaftlich konstruiert, Erkenntnis ist ein diskursives Verfahren, Erfahrungen werden mit Bedeutungen verknüpft, Erfahrungen werden laufend interpretiert, bis zur Uminterpretation der Interpretation als Möglichkeit der Reflexion.
Goolishan & Anderson, 1987, S.532: „Sprache ist die Umwandlung von Erfahrung, und zugleich verwandelt sie, was wir erfahren können“.
Wenn wir dann Lernen, Erkenntnis und Sprache zusammengenommen auf diese Weise verstehen, wird sehr deutlich, dass Gespräch, Dialog eine große Rolle spielen, besonders das wie wir miteinander reden, wie wir miteinander in Beziehung sind. Lernen in diesem Zusammenhang kann verstanden werden als eine Form sozialen Suchens, Erkundens und Fragens, intentional gesteuert mit der Bewegung in Richtung Sinn, persönlichem Sinn. Lernen als ein Produkt gemeinschaftlichen Gedankenaustausches, für kollaborative Forscher und Praktiker ist die Beziehung der Ort der Erkenntnis.
Lernen, Bedeutungserzeugung wird als reziproker Prozess verstanden, eine oder mehrere Personen reagieren auf andere Personen, deren Antworten, Fragen, Handlungen.
Im Ergänzungsprozess (neue Erkenntnisse, neue Ideen...) entsteht das Potential für Bedeutungsentfaltung in Beziehung. Diese individuellen, gleichzeitig relationalen Ergänzungen, docken natürlich an vergangene biografische Erfahrungen, Urteile, Muster an. Lernen ist prinzipiell offen, eine lebenslange Möglichkeit neue Bedeutungen, neuen Sinn zu kreieren, neues Handeln zu ermöglichen. Der kollaborative Ansatz geht der Frage nach: Wie können wir gemeinsam lernen und gleichzeitig individuellen Sinn schaffen? Er führt zu dem „noch nicht Erkannten, noch nicht Gesagten“, als gemeinsame Suchbewegung, die Erkenntnis als relationalen und generativen Prozess beschreibt, der den Dialog als Erkenntnis- und Transformationsmöglichkeit versteht.
Er geht der Frage nach, wie im Dialog-Prozess, in der Beziehung, in der Begegnung unterschiedlichster Wirklichkeiten Erkenntnis, Wissen und Neues entsteht, Lernen stattfindet und wie jeder Einzelne an diesem Prozess beteiligt ist, schweigend oder sprechend.
Die praktische Ausgestaltung der Ermöglichungsdidaktik, des kollaborativen Ansatzes in der Erwachsenenbildung, Weiterbildung wird im Dialogteil dieser Arbeit beschrieben, beinhaltet, wie bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt schon deutlich geworden ist, ein deutliches Umdenken.
Merkmale einer Haltung: Kollaborativer Lehrer/Lerner
Wie kann Erwachsenenlernen als kollaboratives Prozessgeschehen in seminaristischen Bildungsangeboten ermöglicht werden? Wie kann ein Weg aussehen, der durch den Dialog Erkennen und Handeln als relationalen Prozess, das Erfahren von Selbst-wirksamkeit, das Erleben von Handlungskompetenz, die Erfahrung von Sinn erfahrbar macht? Handlungsfähigkeit, die nicht nur die Fähigkeit individuell verantwortliche Entscheidungen treffen zu können und sie umzusetzen beinhaltet, sondern auch das Erkennen, Realisieren, Vermehren und Erweitern von Wahlmöglichkeiten.
Dieser gemeinsame Prozess soll Erfahrungen von Freiheit (Erkennen eigener Muster, Selbstdistanzierung und Selbsttranzendenz), Bezogenheit (verbunden sein als individuelle Persönlichkeit) und Hoffnung (Mitgestaltungsmöglichkeit an eigener und sozialer Zukunft) ermöglichen.
Harlene Andersen (Der gleichberechtigte Dialog als Perspektive der Veränderung) prägte den Begriff der philosophischen Haltung - eine Seinsweise - bezogen auf die gemeinsame Suchbewegung mit dem Anderen, bezogen auf das Fremde im Anderen und in mir selbst. Eine Einstellung unabhängig von einer bestimmten Rolle die alle Beteiligten am Lernprozess als verantwortliche Experten und Lerner begreift. Möglicherweise beeinflusst diese Haltung den Lernprozess selbst außerordentlich.
„Der Dialog......ist genau das, was uns von den autoritären Behauptungen der „Eingeweihten“ befreit.“ (B. Madison in H.Anderson -Das therapeutische Gespräch- 1999, S.131)
Merkmale dieser Haltung im Kontext kollaborativen Lernens in der Erwachsenenbildung können sein:
Alle, die wollen, sind beteiligt, sie sind Dialogpartner im Fragen, Erzählen, Erkunden, Interpretieren von Themen und Sachverhalten. Jeder ist aus seiner
Sicht Experte und kann wertvolle Beiträge geben.
Im kollaborativen Prozess ist jeder einzelne Mitgestalter einer neuen Sichtweise,
einer Lösung, einer Veränderung, der Generierung von neuem Wissen. Viele
Stimmen ermöglichen viele Perspektiven.
Alle sind Teil eines interaktiven Geschehens, der Grad des Interesses, der
Aufmerksamkeit für eigene und fremde Urteile/Bedeutungen ermöglicht
ungewohnte Sichtweisen, tastende Versuche in die Zukunft, in Richtung Lösungen.
Es ist hilfreich das eigene Denken, Fühlen und Suchen authentisch als das „im
Moment zur Verfügung stehende“ stimmig mitzuteilen.
Die Fähigkeit und Bereitschaft, sich irritieren, überraschen zu lassen, Ungewissheit
auszuhalten. Dieser kollaborative dialogische Prozess generiert nicht nur neues
Wissen, die philosophische Haltung impliziert auch, sich selbst zu verändern, auch
was eigene unumstößliche Wahrheiten betrifft.
Achtsamkeit, Bewusstheit, Offenheit und Reflexionswunsch sind Teil des
schöpferischen Lernprozesses (der natürlich manchmal auch schmerzhaft ist) in
diesen seminaristischen Fort- und Weiterbildungskonzepten.
Die Erkenntnis der relationalen Natur von Wissen und Erkenntnis führt zu dem kollaborativen Ansatz, zum dialogischen Ansatz, zum Dialog-Prozess als Ermöglichungsform von Lernen in der Erwachsenenweiterbildung. Wissen ist in diesem Sinne ein: „kultur-, sprach- und...