Abbildung 4 n:n-Medium
Quelle: (Göldi, 2008, S. o)
Gute Kommunikation gelingt nur mit einem Feedback und erzeugt ein emotionales Resonanzmuster (Netzwerk-Weiterempfehlung) und Involvement{24}. Die Informationen werden nicht nur übermittelt, sonder auch von Empfängern kreativ gestaltet (Kreation) (Simon, 2009, S. 56)
In einer vernetzen Kommunikation
entstehen leicht sogenannte virale Effekte bei der Informationsübertragung. Die User können miteinander in Kontakt treten und ein Netzwerk bilden. Ein solches Netzwerk besteht aus einer Menge von Elementen (Knoten), die mittels Verbindungen (Kanten) miteinander verbunden sind. Im Falle eines Sozialnetzwerkes sind diese Knoten Personen und die Kanten deren Beziehungen untereinander. Bei der Verbreitung der Informationen zwischen den Usern entsteht ein Rückkopplungseffekt und emotionale Resonanz (vgl. Kruse, 2010a, o.S.). Virales Marketing kann nur in einem offenen unkontrollierten, dynamischen Netzwerksystem funktionieren und wirtschaftliche Erfolge für das Unternehmen haben. Die Unternehmenskommunikation wird nicht mehr nach altem Prinzip „Tue Gutes und rede darüber“, sonder „Sei wirklich gut und lass Dir dabei zuschauen“ gestaltet. Unternehmen können nicht wie früher nur Botschaften senden, die Botschaften werden mitgestaltet und öffentlich im Netzt besprochen. Neue Kommunikationskultur ist eine Kultur der offenen Gespräche zwischen Unternehmen und Kunden, zwischen den Menschen.
Wie sich die Informationen verbreiten, wie virale Effekte erzeugt werden, zeigen folgende Theorien und Modelle: Die Diffusionstheorie von Rogers (vgl. Rogers, 2003, o.S.) hilft beim Verstehen von Mechanismen einer viralen Verbreitung von Informationen, Ideen, Objekten, die Rogers als Innovationen bezeichnet. Die Verbreitung wird durch das Internet beschleunigt und verändert (Rogers, 2003, S. 215). Den Verbreitungsprozess von Innovationen nennt Rogers Diffusion. Innovation wird mittels verschiedener Kanäle über eine Zeit hinweg den Mitgliedern eines sozialen Systems kommuniziert. Innovation (Rogers, 2003, S. 12): Basisinnovationen sind etwas grundlegend Neues – sie stellen revolutionäre Neuartigkeiten dar. Entfaltungsinnovationen sind im Zeitverlauf den Basisinnovationen nachgelagert und besitzen eine geringere Innovationstiefe. Sie werden deshalb auch als inkrementelle Innovationen bezeichnet. Sie stellen Weiterentwicklungen der Basisinnovationen dar (Guha, 2008, S. 12ff). Die meisten Menschen nehmen eine neue Innovation an, nicht weil sie durch die Werbung oder die Wissenschaft überzeugt wurden, sondern weil nahe stehende Menschen, Sport und/oder Freizeitgruppen bzw. Personen aus dem gemeinsamen Arbeitsumfeld, die Innovation bereits nutzen (Leibold, 2007, S. 10). Innovationseigenschaften (wahrgenommen von potenziellen Adoptern) beeinflussen die Adoption und die Geschwindigkeit der Innovationsdiffusion: relativer Nutzen, Kompatibilität, Komplexität, Testbarkeit und Beobachtbarkeit (Rogers, 2003, S. 15-16). Kommunikationskanäle für den Informationsaustausch können durch die Massenmedien und durch interpersonelle Kommunikation erfolgen. Mit Hilfe der neuen Medien können vergleichsweise schnell relativ viele Personen erreicht werden (epidemische Verbreitung). Eine wesentlich geringere Reichweite besitzen die interpersonellen Kommunikationskanäle. Allerdings sind diese hinsichtlich der Überzeugung einer Person, eine Innovation zu akzeptieren, wesentlich effektiver (Rogers, 2003, S. 18).
Der Durchschnitt der Menschen ist eher risikoavers und verschiebt seine Entscheidung, solange für ihn noch Unsicherheit herrscht. Erst wenn die frühen Adoptoren die Idee angenommen haben, beginnt der „Druck der Masse“ (mit der Konsequenz, dass auch die weiteren Mitglieder des sozialen Systems die Idee übernehmen{25}) (Hermann, 2004, S. 33). Dabei sind drei Kriterien bedeutend: Charaktereigenschaften der Adopter, Contentbeschaffenheit der viralen Botschaft und interpersonelle Netzwerke (Pontilli, 2009, S. 5). Anhand der Innovationsfreudigkeit (Innovativeness) der Adopter können Adopterkategorien unterschieden werden (Diffusionskurve) (Rogers, 2003, S. 215): Innovators (Innovatoren), Early Adopters (frühe Übernehmer), Early Majority (frühe Mehrheit), Late Majority (späte Mehrheit), Laggards (Nachzügler). Die Innovationsentscheidung hängt stark von den anderen Mitgliedern des sozialen Systems ab und bildet über die Zeit die Glocken-Kurve. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass verschieden Menschen unterschiedlich offen für Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen sind. Diffusionstheorie unterscheidet verschiedene Stufen des Adoptionsprozesses:
Knowledge, von einer Innovation erfahren
Persuasion, von einer Innovation im positiven oder negativen Sinn überzeugt werden
Decision, sich für oder gegen eine Innovation entscheiden
Implementation, die Innovation implementieren
Confirmation, die Innovationsentscheidung bestätigen und weiter nutzen oder rückgängig machen.
Bei der Übertragung eine virale Information werden die wesentlichen Prinzipien und Mechanismen der Theorie von Rogers verifiziert. Die Definition von Meinungsführer wird vom Viralen Marketing für die Multiplikatoren übernommen{26}.
Im Viralen Marketing muss vor allem der Punkt vorhergesagt werden, an dem das System kippt, der sogenannte Tipping Point. Die Theorie von Malcolm Gladwell über den Tipping Point beschreibt, dass sich Ideen, Produkte, Botschafen und Verhaltensweisen genauso wie ein Virus verbreiten (Gladwell, 2002, S. 13). Eigenschaften: Ansteckung, kleine Ursachen haben eine große Wirkung{27}, Veränderung treten nicht allmählich, sondern in einem dramatischen Moment ein (das epidemische Prinzip). Diesen dramatischen Moment nennt Gladwell Tipping Point (Gladwell, 2002, S. 15). Der Tipping Point ist der Moment der kritischen Masse, die Schwelle zu einer schnellen Veränderung (Ausbruch der Infektion). Für die Verbreitung eine Epidemie kann z.B. die Weihnachtzeit so ein Tipping Point verursachen, wenn die Zahl der Menschen, die den Überträgern begegnen, gestiegen ist (Gladwell, 2002, S. 299).
Im Viralen Marketing ist es wichtig zu erfahren, ob eine Vorhersage für die Entwicklung der Verbreitung einer Botschaft innerhalb eines sozialen Netzwerkes möglich ist. Wann und wie erreicht man den „Tipping Point“ mit exponentiellem Wachstum, wann gelingt es die Lawine ins Rollen zu bringen und wie bewähren sich nichtlineare Modelle im wirtschaftlichen Entscheidungsverhalten? (Hermann, 2004, S. 26). Epidemiologie liefert eine Erklärung der Mechanismen einer epidemischen Verbreitung.
Infektionsepidemiologie bietet die Anhaltspunkte für die Planung viraler Marketing-Kampagnen (bestimmte Richtwerte, an denen man sich orientieren kann) (Hermann, 2004, S. 16). Eine Epidemie ist die Verbreitung einer „Infektion“ innerhalb einer Population, die mehr als die zu erwartenden Fälle (endemische Verbreitung) infiziert. Mathematische Modelle der Epidemiologie erklären die Übertragungsmechanismen eines Virus. Modellierung von Infektionsübertragungen (Informationsweitergabe) ist für die Vorhersage der Entwicklung eines Verbreitungsprozesses wichtig. Modelle (Simulationen) basieren auf Chaostheorie (Gilbert & Troitzsch, 2005, S. 260). Die hohe Komplexität nichtlinearer Dynamik komplexer Systeme spielt bei der Modellierung eine beeinträchtigende Rolle. (Eichner & Kretzschmar, 2003, S. 86). Nichtlineare Systeme reagieren auf Störungen, im Gegensatz zu linearen Systemen, nicht proportional und sind damit schwierig vorhersagbar, wie die meisten in der Natur vorkommenden Systeme (Adamy, 2009, S. 1-2). Der Übertragungsprozess wird in der Epidemiologie mit Hilfe deterministischer und stochastischer Simulationsmodelle erklärt (vgl. Eichner, 2007, o.S.).
Eines der einfachsten infektionsepidemiologischen Modelle ist das auf Kermack-McKendrick zurückgehende deterministische SIR-Modell.
Abbildung 5 SIR-Modell
Quelle: (Wetzler, 2009, S. 39)
Das Modell beschreibt in erster Linie die grundlegenden Prozesse von Krankheitsübertragung, Genesung und Erwerb einer Immunität und somit den Verlauf einer „typischen“ viralen Infektion (Hermann, 2004, S. 15).
Die Gesamtpopulation ist N = S + I + R (Wetzler, 2009, S. 21){28}. Die mathematischen Überlegungen aus der Infektionsepidemiologie lassen sich nicht einfach auf marketingtechnische Zusammenhänge übertragen. Viele Daten sind im Online- wie Offline-Marketing zu unspezifisch oder noch nicht bekannt. Ab wann bezeichnet man jemanden, der von einer bestimmten Werbebotschaft erfahren hat, als „infiziert“? Wer gilt als „gesund“ bzw. „suszeptibel“? Epidemiologische Modelle als Anhaltspunkte können dazu verwendet werden, durch „was-wäre-wenn“-Simulationen bestimmte Ergebnisse vorherzusagen und Marktstrategien zu verbessern, die...