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E-Book

Maß und Zeit

Entdecken Sie die neue Kraft der klösterlichen Werte und Rituale

AutorWilhelm Schmid-Bode
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl251 Seiten
ISBN9783593404035
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Stille, Konzentration, Geborgenheit - auf viele Menschen üben die alten Werte, Rituale und Traditionen, die wir aus den Klöstern kennen, einen großen Reiz aus: Das Kloster bietet ein Leben, das der atemlose, laute und überfüllte Alltag den meisten von uns heute verweigert. Doch wir können viel davon in unser Leben übernehmen.

Dr. med.Wilhelm Schmid-Bode ist Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Experte für Stressforschung und Traditionelle Chinesische Medizin in München. Er gibt Seminare zu Selbstmanagement und Stressbewältigung und veröffentlichte bereits mehrere Lebenshilfe- Bücher, z. B. »Glück ist kein Zufall« und »Vier Stresstypen und vier Wege zur Gelassenheit«.

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Leseprobe
Die Aktualität der klösterlichen Werte Woher sie kommen, wohin sie führen Hätte ich in jungen Jahren einer Frau, die ich erobern wollte, vom Reiz eines Klosters erzählt, wären meine Nächte einsam geblieben. Kloster hörte sich nach räumlicher und geistiger Beengtheit an, nach Unfreiheit. Klosterferien wurden zwar schon in den 80er Jahren angeboten, waren aber eher etwas für esoterische Kreise. Dann aber fingen weltoffene Geistliche wie der Jesuitenpater Rupert Lay an, zu 'guten Hirten' der deutschen Wirtschaft aufzusteigen. Manager lernten bei ihnen - oft nach dem ersten Herzinfarkt -, die Gedanken an Börse und Büro abzuschalten und in der Stille zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen. Doch das praktizierten sie meist auf einer Insel, an einem weltfernen Strand oder in jener splendid isolation in der Toskana oder in der Provence, an der andere gut verdienen. Und es ging dabei auch nicht darum, neue Inhalte für sich zu entdecken, sondern darum, den psychosomatischen Folgen von Stress und dem Burnout-Syndrom vorzubeugen und Leistungsabfall zu vermeiden. Klug wie sie waren, vermieden jene guten Hirten ein Vokabular, das ans Kloster gemahnt hätte, denn da wären ihnen ihre sehr weltlichen Klienten davongelaufen. Beim Stichwort Kloster denken die meisten Menschen zuallererst an Mauern, an das Abgesperrte, Verschlossene, was das lateinische claustrum, von dem sich der Begriff ableitet, auch meint. Das musste in einer Zeit, die die Globalisierung zur allein selig machenden Religion erklärte und grenzenlose Kommunikation zur Pflicht, abschreckend klingen. Und dennoch ist die neu entdeckte Anziehungskraft des Klosters nicht zu leugnen. Warum hat nun in den letzten Jahren das Wort 'Kloster' für viele das Abschreckende, Lebensfeindliche verloren? Warum hat es eine geradezu magische Attraktivität entfaltet? Warum finden Bücher und Filme über das Klosterleben ein rapide wachsendes Publikum? Wa-rum suchen die Menschen ausgerechnet Zuflucht in dieser Gegenwelt? Die Befürchtung, dass sich Klosterbegeisterte in eine Romantik verirren, die mit den Inhalten und Anliegen klösterlicher Werte nicht das Geringste zu tun hat, liegt nahe. Und dass wir in einer karrierebetonten, besitzorientierten Gesellschaft früher oder später eine Sinnkrise erfahren, ist nicht weiter erstaunlich. Die meisten von uns wollen dieser Welt entkommen, jedoch ohne sie zu verlassen. Die Flucht in eine Sucht liegt gefährlich nahe, ob es Magersucht oder Fresssucht ist, ob es sich um sozial noch unauffällige Designerdrogen handelt, die mittlerweile in Karrierekreisen bis in die Chefetagen üblich geworden sind, um einen kaschierten Alkoholismus oder um destruktive illegale Drogen. Es könnte also durchaus sein, dass es derzeit Klosterjunkies gibt, die sich an einer Illusion berauschen, dass sie sich rasch mal dieser Möglichkeit bedienen, weil sie manches andere an Fluchtmitteln im satten Angebot der Zeitgeistlichen schon erfolglos ausprobiert haben. Ob klösterliche Werte jemandem wirklich helfen können, aus einer schwierigen oder sogar ausweglos erscheinenden Situation herauszufinden, muss jeder kritisch denkende Mensch zuerst einmal infrage stellen. Sieht es doch so aus, als sei das Kloster auf Zeit zwar geeignet, gestressten, aber letztlich gefestigten Menschen eine Verschnaufpause zu verschaffen, in der sie zu sich kommen, nicht aber eine langfristige Umstrukturierung der Lebensweise zu erreichen, es sich mithin also um eine Seelendiät mit Rückfallgefahr handelt. Doch ein extremes Beispiel hat mir vorgeführt, welche Kraft in den klösterlichen Werten steckt und dass sie imstande sind, sogar Heroinsüchtigen in ein Dasein ohne Abhängigkeiten zurück zu verhelfen. Ausgerechnet denen klösterliche Prinzipien und Inhalte vermitteln zu wollen, scheint schwer vorstellbar. Dass es geht und wie, erfuhr ich, als ich durch Zufall auf einer Italienreise von 'Mondo X' hörte, dem Projekt des Franziskanerpaters Eligio zur Rehabilitation von Drogenabhängigen. Pater Eligio, ein welterfahrener Mann aus Bisenrate bei Mailand, als Telefonseelsorger zur Kultfigur geworden, hatte durch gute Beziehungen zur Geschäfts- und Fußballwelt Mittel für seine Idee lockergemacht, Drogenabhängige in völliger Abgeschiedenheit von ihrer Sucht zu befreien. Als er Ende der 80er Jahre im Südosten der Toskana bei Cetona einen aufgelassenen mittelalterlichen Konvent entdeckte, der erste, den Franz von Assisi außerhalb seiner engeren Heimat in Umbrien gegründet hatte, wusste Pater Eligio sofort, dass dies der ideale Ort hierfür sein würde. Sechs Frauen und achtundzwanzig Männer im Alter von 22 bis 33 Jahren zogen in der Klosterruine ein und unterwarfen sich strengen Regeln. Nein, sie mussten keineswegs einem Orden beitreten, ihre Konfession war so gleichgültig wie ihre Herkunft oder ihre Ausbildung. Doch sie mussten auf vieles verzichten, wenn sie Mitglied der Frateria di Padre Eligio werden wollten. Kein Fernsehen, keine Zeitungen, kein Radio, keine Musik aus der Konserve. Nur zweimal im Jahr durften Eltern oder Geschwister auf Besuch kommen, nach drei Jahren ist der erste Urlaub zu Hause erlaubt. Alles, was hier gegessen und getrunken wurde, musste selbst gemacht, selbst erarbeitet werden. Jeder konnte alles lernen. Gemeinsam wurde eine Zisterne instand gesetzt, Olivenöl gepresst, der Kirchenboden aus Travertin verlegt, die Felder bewirtschaftet, Gemüse geerntet, Marmelade gekocht, Wände restauriert, ein Fresko freigelegt. Ziel war von Anfang an, aus dem Konvent ein exklusives Gästehaus zu machen, sodass das Unternehmen sich selber trägt. Das Ziel wurde bald erreicht. Die fünf Doppelzimmer und drei Suiten, karg, aber schön eingerichtet, waren trotz der keineswegs kargen Preise sofort ausgebucht. Das Restaurant wurde innerhalb weniger Jahre zum Geheimtipp. Mondo X funktioniert nach wie vor nach denselben Regeln. Der gut bestückte Weinkeller steht nur den Gästen zur Verfügung, denn auch der Verzicht auf Alkohol gehört zu den Aufnahmevoraussetzungen. Jedes Mitglied dieser 'Bruderschaft' in Cetona hat die Möglichkeit, wann immer es will das Experiment abzubrechen, kann aber dann nicht mehr zurückkehren. In Mondo X ist der Tag streng gegliedert: in Arbeitszeit auf dem Feld, in den Werkstätten, im Garten, im Restaurant oder in der Küche, und in Erholungszeit. Die Mahlzeiten sind einfach und finden immer exakt zur selben Uhrzeit statt. Es gibt zwar keinerlei konfessionelle Vorgaben, in den Andachtszeiten steht jedem frei, was er unter Beten verstehen will. Es steht auch jedem frei, zu entscheiden, an welchen Freizeitbeschäftigungen er teilnimmt, ob er gregorianische Choräle oder Klavierspielen lernen will, die Kunst, Blumen zu stecken oder Mosaike zu legen. Der sensationelle Erfolg von Mondo X beschäftigte mich. Die Rückfallquoten derer, die das Kloster nach einigen Jahren verlassen, sind minimal. Pater Eligio hat verstanden, was den Suchtkranken fehlt: eine Gebrauchsanweisung für die Freiheit. Durch die Erfahrungen in Mondo X verfügen sie über ein Instrumentarium, mit dem sie ihren Alltag bewerkstelligen können. Sie wissen, dass Stille, Ordnung, Disziplin und Einfachheit keine Einengung bedeuten, keine Verarmung, sondern eine Bereicherung. Und sie wissen, dass die in Mondo X gelebten Rituale und Regeln sinnstiftend sind. Nicht nur Drogenabhängige, die meisten von uns sind einer Ideologie verfallen, die uns unbegrenzte Möglichkeiten als Basis von Lebensqualität verkauft, eine Vorstellung, die durch das Internet noch verstärkt wurde. Doch wie auch dieses bald schon zeigte, wie viele Risiken und Gefahren bis hin zur Sucht diese Entgrenzung mit sich bringt, kann auch das Überangebot an Unterhaltung und Kommunikationstechniken im alltäglichen Leben bedrängend werden. Ist es ein Gewinn, bereits beim Frühstück fernzusehen? Ist es erstrebenswert, rund um die Uhr überall erreichbar zu sein? Bereichert es uns, Urlaubsfotos wildfremder Menschen im Netz ansehen zu können? Gleicht die Effizienz der E-Mail den Ärger und den Zeitverlust aus, den wir durch das Löschen von Spam-Mails hinnehmen müssen? Darüber nachzudenken versagen wir uns aber, vielleicht aus Angst vor dem, was wir dann erkennen müssten. Nach der breitschultrigen Opulenz der 80er Jahre setzte das Design von der Mode bis zum Mobiliar auf Purismus und verkündete als Leitsatz, weniger sei mehr. Doch die Reduktion der äußeren Form war nur neuer Kaufanreiz. In praller werdenden Tüten wurde nun Minimalismus nach Hause getragen. Die innere Reduktion hingegen erscheint uns mühsam und unsinnig, bevor wir sie ausprobiert haben. Wozu sollten wir selbstquälerisch auf etwas verzichten, das wir uns leisten können? Natürlich: Das claustrum des Klosters beschränkt die Freiheiten in vielerlei Hinsicht. Aber da setzt dieses Buch an. Es will einfach vermitteln, dass Einschränkung auch bereichern kann. Das hört sich paradox an, ich weiß. Und wer mich abends am schön gedeckten Tisch tafeln sieht, misstraut mir vermutlich. Doch es geht darum, diese Einschränkung lebensnah zu definieren und einmal die Probe zu riskieren, wie sich ein Dasein ohne all das anfühlt, was wir gewohnt sind. Vom Sinn der klösterlichen Werte Sie haben dieses Buch in die Hand genommen, weil Sie etwas loswerden wollen: Unrast, Zweifel, das Gefühl, Ihr Leben habe kein rechtes Ziel, die Angst vor dem Tod, trübe Stimmungen, Stress. Nicht anders als Mönche und Nonnen suchen Sie nach irgendeiner Art von Erlösung. Doch erlöst werden kann nur, wer sich vorher löst, herauslöst. Das ist keine leichte Übung, auch für Menschen im Kloster nicht. Und die dort in Regeln festgelegten Werte sind, richtig verstanden und zeitgemäß gedeutet, dabei eine Art Trainingshilfe. Klösterliche Werte sind Wegweiser. Nur einleuchtend also, dass es in allen Religionen dieselben sind: Demut und Bedürfnislosigkeit, Arbeit und Askese, das rechte Maß, Schweigen und Kontemplation. Dass sie sich über Jahrtausende gehalten haben, beweist, dass sie den Brüdern und Schwestern nutzen, ob sie in einem Zen-Kloster in Japan leben oder in einem katholischen Kloster in Bayern. Wobei halfen und helfen sie? Bei einer Suche, die uns mit der von Mönchen und Nonnen verbindet: der nach Sinn. Zulauf bekamen Orden wie Religionsgemeinschaften deswegen immer dann, wenn sie es vermochten, ihre Werte als eine Alternative zu den unbefriedigenden irdischen Reizen und Werten zu vermitteln. Dieses Buch möchte nur zeigen, wie modern, wie anwendbar diese Leitbegriffe sind, auch wenn sie uns zuerst altmodisch und verstaubt anmuten. Wer an sich selber verspüren will, wie weniger mehr bedeuten kann, wie Verzicht zum Gewinn wird, muss das Experiment wagen und seine alltäglichen Angewohnheiten zumindest für eine Zeit aufgeben. Ob das wie bei Mondo X aus begreiflichen Gründen drei Jahre und mehr dauert oder nur ein paar Wochen, wie es die zahlreichen Modelle von Kloster auf Zeit vorführen, ob es mit einem Ortswechsel verbunden ist oder, wie ich es als Schüler praktiziert habe, zu Hause gemacht wird: Es beginnt mit der praktischen Übung, die uns erleben lässt, dass vermeintlich Einengendes erweitern kann. Für das Experiment brauchen Sie kein Geld und keinen Zeitgeistlichen. Es braucht nicht einmal eine klösterliche Tradition. Es braucht keine Bindung an einen festen Ort, an ein veritables Kloster. Und es braucht keine konfessionelle Festlegung, denn die klösterlichen Werte finden sich in allen Religionen dieser Welt. Wenn hier von Kloster die Rede ist, denken Sie also nicht an ein geschlossenes, abgeschiedenes Terrain und denken Sie nicht nur an Mönche in weißer, schwarzer oder brauner Kutte, wahlweise an Nonnen in ähnlichem Kostüm. Sie werden auch tanzenden Derwischen in weißen Wollröcken begegnen oder Buddhisten in Orange und Gelb. Denn es geht in diesem Buch nicht allein um die christlichen klösterlichen Werte, sondern um das, was sie mit denen anderer Religionen und Kulturen verbindet. Das Gemeinsame findet sich nicht an der Oberfläche, es findet sich in der Tiefe, in grundlegenden Idealen wie Demut und Askese und in der mystischen Tradition. So wie Mondo X seinen Einwohnern, will dieses Buch Ihnen das Werkzeug liefern, mit dem Sie Ihr Kloster überall errichten können. Das Einzige, was Sie mitbringen müssen, ist die Bereitschaft zur Selbstdiagnose, das heißt zum Eingeständnis, dass Ihr, dass unser Alltag bestimmt wird von der Idee der Steigerung. Wir wollen beruflich weiterkommen, wir wollen noch mehr von der Welt sehen, wir wollen mehr Glücksmomente erleben, mehr Geld verdienen, mehr Freunde gewinnen. Der Komparativ ist zum Prinzip unseres Daseins geworden und der Werbeslogan eines großen Konzerns verkündet das programmatisch: 'Gut ist uns nicht gut genug'. Dennoch ist der Kern aller Unzufriedenheiten das Leiden am Zuviel. Zu viele Verpflichtungen, zu viel Arbeit, zu viel Druck, zu viel Besitz, zu viel Lärm, zu viele Angebote, ob es sich um modische oder geistige Trends handelt. Wir haben in fast allem das Maß verloren und ständig das Gefühl, die Zeit renne uns davon. Maßlosigkeit ist die Ursache jeder Sucht und schuld an jedem Problem, das sich mit dem Zuviel herumschlägt. Mit zu viel Besitz, Stress, Reizen, Geräuschen. Deshalb empfinden wir zunehmend eine Sehnsucht nach dem Einfachen. Warum wir sie empfinden, hat der Dichter Günter Herburger in dem Gedicht Vergnügen in beispielhafter Kürze formuliert: So einfach könnte es sein, wie ein Reim, wie ein müheloser Kuss, Voraussetzung ist, dass man Arbeit und Werte neu verteilen muss. Uns ist bewusst, dass wir uns nur neu orientieren können, wenn wir reduzieren. Und dass wir nur zum Wesentlichen gelangen, wenn wir Ängste und Bedürfnisse ablegen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Zufriedenheit und Wohlgefühl im Dasein einfach sind, nur der Weg dorthin ist es nicht unbedingt. Zeitgeistliche versperren ihn uns, auch Institutionen oder sektiererische Angebote. Dass ein Leben, in dem es Glauben gibt, sogar noch beim Sterben einfacher ist, haben die Forschungen mit Menschen, die Nahtod-Erlebnisse hatten, bewiesen. Wer an irgendetwas glaubte, hatte dabei keine Angstgefühle, vielmehr das Gefühl von Weitung und Schwerelosigkeit. Wer an nichts glaubte, durchlitt Gefühle der Enge, der Bedrängnis, der Bedrohung. Wahrscheinlich sind Sie jemand, der wie ich an Gott glaubt, an eine göttliche Macht, an ein höheres Wesen, was auch immer wir uns darunter vorstellen. Wie jeder Mönch, jede Nonne suchen wir eine persönliche Gotteserfahrung. Doch uns kann es ja nicht wie Klosterbrüdern und -schwestern darum gehen, uns völlig von diesseitigen Interessen zu verabschieden. Wenn Sie einen Partner, eine Familie, Freunde, einen Beruf haben und in einer Welt leben, aus der Sie sich keineswegs zurückzuziehen gedenken, können für Sie nicht dieselben Ratschläge taugen wie für Klosterinsassen. Wozu sich also mit Regeln befassen, mit Gesetzen, die im Kloster notwendig sein mögen, aber im Alltag kaum zu verwirklichen scheinen? Was sollen wir anfangen mit Vorschriften, die sich ungemütlich, einengend und bedrängend anhören? Sie werden mich also zu Recht fragen, worin der Sinn klösterlicher Werte denn liegt, der es rechtfertigt, sich auf sie einzulassen. Ihre Kraft beruht darauf, dass sich in ihnen Erfahrungen, Erkenntnisse, Erlebnisse aus Jahrtausenden verdichten. Und dass sie auf ganz archaische menschliche Bedürfnisse antworten, vor allem auf eines: etwas zu finden, was uns hilft, nicht zu zerbrechen beim Gedanken an unsere Endlichkeit. Dieses Verlangen nach dem Nichtendlichen verbindet über sämtliche Unterschiede hinweg die Weltreligionen. Gemeinsam war und ist Sinnsuchern, ob sie in ein Kloster gehen oder wie wir im Alltag nach einer neuen Ausrichtung forschen, das Bedürfnis, sich mit etwas Höherem, etwas Größerem zu verbinden. Es ist die Sehnsucht nach einer geistigen Geborgenheit. Wer sich in solcher Weise aufgehoben fühlt, verliert die größte und zentrale Angst, die Angst vor dem Tod. Das Streben nach dem höchsten Ziel, dem Einswerden mit dem Göttlichen, der unio mystica, ist das Gemeinsame der mystischen Traditionen, die sich in allen Weltreligionen finden. Sie entstehen bevorzugt in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen beim Niedergang einer Kultur. Zukunftsangst, Existenzangst und ein Gefühl der Sinnleere erzeugen dann das Verlangen nach nichtendlichen Werten. So war es am Übergang vom 7. zum 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung nicht nur in Griechenland, wovon noch ausführlicher die Rede sein wird, sondern auch in Indien. Auch hier entwickelte sich eine Stadtkultur, auch hier wandten sich die Menschen vom althergebrachten Opferkult ab und suchten nach einer mystischen Vereinigung der Einzelseele, atman, mit der Weltseele, brahman, einem unpersönlich gedachten göttlichen Prinzip. Mystisch, wenn auch anders als in Griechenland, ist hier auch die Vorstellung von dem Kreislauf der Wiedergeburten, samsara genannt, und der Vergeltung der Taten im folgenden Leben. Befreiung aus der ständigen Wiederholung des Leids war durch strenge Askese möglich, die von Wandermönchen praktiziert und gepredigt wurde. Einer von ihnen war Buddha. Er glaubte zwar an keinen Gott, auch nicht an eine ewige Seele, vielmehr an das nirwana als einen Zustand der Ruhe und des Glücks, den wir bereits im Diesseits erleben können. Doch wie die christlichen Gnostiker und die Neuplatoniker war er überzeugt, dass die Menschen sich zu ihrer Erlösung aus der Verhaftung mit dem Irdischen lösen müssen. Auch nach Buddhas Einsicht führt der Weg zur Erlösung über das Mönchtum. Wie später die christlichen Mönche hatten bereits die buddhistischen auf Besitz, sexuelle Befriedigung und Machtstreben zu verzichten; wie im Christentum wurden bereits in der Frühzeit des Buddhismus Lebensgemeinschaften in Klöstern eingerichtet. Und so wie in christlichen Klöstern das Gebet zu Gott im Mittelpunkt des Daseins stand, war es dort die Versenkung in sich selbst, die Meditation, die aus alten Yoga-Praktiken hervorgegangen war. Wer liest, was christliche oder muslimische, jüdische oder hinduistische Mystiker geschrieben haben und schreiben, erkennt die große innere Verwandtschaft. Sie alle gehen davon aus, dass es für das Geheimnis einer persönlichen Gottes-erfahrung kein einfaches Rezept gibt, und sie wollen nicht Gott verstehen, sondern ihn erleben. Das liegt auch den meisten von uns nahe. Wie sehr wir nach dem Erleben hungern, verraten schon unsere hilflosen Versuche, es durch freizeitindustrielle Vergnügen zu kaufen, sei es in Erlebnisreisen oder in der Erlebnisgastronomie. Auch wenn das nur schale Ersatzbefriedigungen sein können, ist an dem Bedürfnis nichts Schlechtes, verweist es doch auf etwas tief in uns Verwurzeltes. Was wir lernen, verändert unseren Verstand, aber nur was wir erleben verändert unsere Seele.
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