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Schuldverarbeitung und Schuldbekenntnisse der Freikirchen nach dem Dritten Reich

AutorMatthias Scheel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783640603749
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, Note: 1,3, Theologische Hochschule Friedensau (Kirchengeschichte), Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, anhand der Betrachtung dreier Freikirchen deren Prozesse der Vergangenheitsbewältigung und Schuldverarbeitung in Bezug auf das eigene Verhalten im Dritten Reich darzustellen und miteinander zu vergleichen. Ein besonderer Fokus soll dabei auf den offiziellen Erklärungen der drei Freikirchen zu Verhalten, Schuld und Versagen im NS-Deutschland liegen. Die Arbeit beginnt mit einer sehr allgemeinen Betrachtung über 'Lage und Verhalten der Freikirchen im Dritten Reich'. Wegen der ungeheuren Größe des Themas beschränke ich mich hierbei und im Folgenden auf die Bischöflich methodistische Kirche , den Bund der Baptistengemeinden (ab 1941 Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden) und die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, wobei letztere ob des leichteren Zugangs zu Quellenliteratur den Schwerpunkt bildet. Für die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten erfolgt darüber hinaus eine gesonderte, kurze Skizzierung der eigenen Lage im Dritten Reich, da die Gemeinschaft zur damaligen Zeit nicht Mitglied in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) war und auch kaum als Freikirche angesehen wurde. Es wird sich aber zeigen, dass sich ihr Verhalten während und nach der NS-Zeit nicht wesentlich unterschied von dem anderer Freikirchen. Nach der Darstellung der Schuld- und Vergangenheitsverarbeitung anhand öffentlicher und persönlicher Stellungnahmen, Dokumenten und Verlautbarungen werden in einem dritten Schritt die offiziellen Erklärungen der drei Freikirchen zu Verhalten, Schuld und Versagen im Dritten Reich auf inhaltliche sowie äußere Aspekte (Entstehungszeit und -anlass, Veröffentlichung und Wirkung des Textes) untersucht und anschließend miteinander verglichen. In der folgenden Erarbeitung soll das Bewusstsein leitend sein, dass die Betrachtung von Schuld und Schuldverarbeitung aus einer Außenperspektive immer in der Gefahr steht, zu einer 'Schuldzuweisung' und damit selbst zu 'Schuld' zu werden, wenn nur noch das Versagen und nicht mehr die Menschen in ihren spezifischen Lebenssituationen gesehen werden. Um der Glaubhaftigkeit der christlichen Kirchen und ihrer Gläubigen willen ist es dennoch unbedingt erforderlich, dass das eigene Verhalten vor dem Hintergrund der Bibel - das heißt vor ethischen und theologischen Gesichtspunkten - ständig reflektiert wird, um mögliches Fehlverhalten zu erkennen, vor Gott und Menschen um Vergebung bitten zu können und frei zu werden für Gegenwart und Zukunft.

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Leseprobe

4 Schuldverarbeitung der Freikirchen in der Zeit nach der NS-Diktatur


 

4.1 Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland


 

4.1.1 Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten im Dritten Reich


 

Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten wurde von anderen Kirchen und Freikirchen in der Zeit des Nationalsozialismus und noch lange danach unter die Rubrik Sekten oder Sondergemeinschaften gezählt. Die heutigen Gastmitgliedschaften im ACK und im VEF lagen für die Gemeinschaft am Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 noch in weiter Ferne. Zudem trugen die Auseinandersetzungen mit der im Ersten Weltkrieg abgespaltenen Splittergruppe der Siebenten-Tags-Adventisten Reformbewegung, mit dem Dauerbrenner römischer Katholizismus und mit der Person Ludwig Richard Conradi erheblich dazu bei, dass die Sicht der Führungspersönlichkeiten der Gemeinschaft in der Zeit des Nationalsozialismus fast ausschließlich nach innen gerichtet war. Daneben waren aber auch theologische Gründe ausschlaggebend dafür, dass sich die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland in hohem Maße loyal zum nationalsozialistischen Staatswesen verhielt und kaum gegen offensichtliche Missstände Protest einlegte.

 

In Bezug auf Röm 13 sahen die Siebenten-Tags-Adventisten in der Institution des Staates eine göttliche Einrichtung, wobei diese an keine bestimmte Staatsform gebunden sei. „Der Adventist betrachtet also ausnahmslos jede Obrigkeit als von Gott eingesetzt. Für ihn repräsentiert sie ein Teil der gottgewollten Ordnung.“[37]

 

Dies trug dann auch maßgeblich dazu bei, dass sich Adventisten selbst in äußerst bedrängten Situationen weiter loyal zum NS-Regime verhielten, wobei hier nicht vergessen werden darf, dass es dennoch immer wieder einzelne Adventisten gab, die sich in passivem oder aktivem Widerstand gegen den antigöttlichen und unmenschlichen Staat stellten, sei es in der Verweigerung des Waffendienstes, dem Verstecken von Juden oder anderen „staatsfeindlichen“ Handlungen.

 

Nach dem schnellen Verbot der Gemeinschaft am 26. 11. 1933 und der kurz darauf am 6. 12. 1933 erfolgten Verbotsaufhebung war die Gemeinschaftsleitung peinlich bemüht, auf allen erdenklichen Wegen weiteres Konfliktpotential mit dem Staat zu vermeiden und diesem seine uneingeschränkte, treue Ergebenheit deutlich zu machen, um der Gefahr eines erneuten Verbotes entgegen zu wirken. Hatte man sich anfangs mit politischen Stellungnahmen sehr zurückgehalten, so veröffentlichten adventistische Zeitschriften in Deutschland nun häufiger Artikel zum Nationalsozialismus, die wiederum von einem durchweg positiven Tenor geprägt waren.[38]

 

Die Gemeinschaftsleitung war bestrebt, politische Stellungnahmen einzelner Mitglieder möglichst zu unterbinden oder einer Zensur zu unterstellen, was auch auf die Prediger und Gemeindeglieder weitergegeben wurde. „G.W. Schubert, der neue Vorsteher der MED, brachte diese Forderung mit folgenden Worten auf einer Evangeliumsarbeiterversammlung zum Ausdruck: ‚Wir haben keine politischen Auseinandersetzungen, keine Schwierigkeiten mit der Regierung oder mit irgendwelcher geistlichen Leitung. Wir wollen nur Gottes Wort studieren. … Wir erwarten, daß unsere Arbeiter keine andern Probleme beschäftigen.’“[39]

 

Ein erneutes Verbot schwebte wie ein drohendes Damoklesschwert über der Gemeinschaft[40] sodass die Gemeindeleiter ihre Glieder in pietistischer Verengung anwiesen, sich jeglicher staatspolitischer Äußerungen zu enthalten und treu an den Glaubensgrundsätzen der Siebenten-Tags-Adventisten fest zu halten. Der starke Jenseitsbezug und die Forderung nach politischer Abstinenz führten dann schließlich dazu, dass das Gros der Adventisten und die Gemeinschaftsleitung vor offenkundigen Missständen und Gräueltaten im NS-Staat die Augen verschlossen oder sogar selbst mit einstimmten in Huldigungen an den Führer, antisemitische Parolen und rassische Wahnvorstellungen. Inwieweit dies nur aus taktischem Kalkül geschah, „um unter der staatsloyalen Decke um so ungestörter adventistische Sonderlehren ausleben zu können, läßt sich heute im einzelnen schwer entscheiden, zumal die Übergänge zwischen taktischer Beteuerung, Konzessionsbereitschaft und Zustimmung aus Überzeugung fließend sind.“[41]

 

Die Gemeinschaftsleitung verfolgte wohl gemeinsam mit der Mehrzahl ihrer Mitglieder „eine Strategie des Überlebens (…), die freiwillige Selbstbeschränkung, Schweigen, Kompromisse und Anpassung in Lehre und Gemeindeleben, Mitarbeit in Teilbereichen (NSV) und Bejahung der politischen Ziele miteinschloß.“[42]

 

Dennoch wird man wohl das Verhalten nicht einfach damit erklären können und dürfen, dass die Gemeinschaftsleitung aus fürsorglichen Überlegungen diesen impertinenten Weg einschlug, um aus der Gemeinde keine Märtyrerkirche zu machen. Eine gewisse theologische Indifferenz der noch vergleichsweise jungen christlichen Gemeinschaft in Deutschland tat dabei ihr Übriges, wie aus einem Brief des Vorsitzenden der MED Adolf Minck 1940 ersichtlich wird:

 

„Je treuer und gewissenhafter jeder Adventist in dieser Kriegszeit auf dem ihm zugewiesenen Posten seine Pflicht tut, umsomehr darf er in Friedenszeiten Verständnis und Entgegenkommen für seine Glaubens- und Gewissensüberzeugung erwarten. (…) Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass wir den im Römerbrief Kap. 7,12 niedergelegten Grundsatz nach wie vor für uns verbindlich halten: ‚Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut.’ Ausserdem ist nachdrücklich und mit allem Lehrgeschick zu betonen, dass wir uns in der Befolgung der Vorschriften und Gebote Gottes in dieser Kriegszeit verständig einfügen und der Obrigkeit gegenüber den ebenfalls durch Gottes Wort gebotenen Gehorsam leisten (Röm 13,1-5).“[43]

 

Nach dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des NS-Staates konnte man dann im Rückblick auf das eigene Verhalten mehr oder weniger zufrieden feststellen, „daß unsre Brüder und Mitarbeiter im Prediger- und Lehrerberuf sich im allgemeinen in Übereinstimmung mit den Ratschlägen in Diener des Evang., S. 345-351, von politischer Betätigung auch unter dem vergangenen Regime ferngehalten haben. Wo sich in wenigen Fällen Brüder der Partei anschlossen, taten sie es in gezwungener Weise oder aus Gründen, die dem Werk (nach ihrem Empfinden und in ihrem Bereich) dienen sollten. Gesinnungsgemäß waren sie, soweit bekannt ist, keine Vertreter politischer Bestrebungen und Ziele. Unsere Kräfte und unser Dienst gehören nach wie vor uneingeschränkt der Verkündigung des Evangeliums Jesu.“[44]

 

Man versuchte auf diese Weise sich gegenüber der Gemeinschaftsleitung in den USA, gegenüber den eigenen Gemeinden und gegenüber den Besatzungsbehörden zu rechtfertigen. Eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte und des eigenen Verhaltens im nationalsozialistischen Deutschen Reich - von einem Schuldeingeständnis und einem Schuldbekenntnis ganz zu schweigen - lag zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne. Die unmittelbaren Aufgaben und Probleme nahmen die gesamte Aufmerksamkeit und Energie der Gemeinschaftsleitung in Anspruch. Die Schwierigkeiten betrafen die zum Teil katastrophale humanitäre Lage der Kirchenmitglieder (ganz besonders in der Besatzungszone der Sowjetunion), einige zerstörte Gemeindehäuser, die Auseinandersetzung mit den Reformadventisten und ihren nicht enden wollenden Vorwürfen und die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Mutterkirche in Amerika. „Die Vorwürfe [gegen die Adventisten in Deutschland] konzentrierten sich dabei vor allem auf zwei Kernpunkte: Deutsche Adventisten hätten in Fragen der Sabbatheiligung adventistische Standards gebrochen und ihre Beteiligung im Militärdienst müsse als Abweichen vom allgemein deklarierten Noncombatant-Standpunkt angesehen werden.“[45]

 

4.1.2 Die Schuldfrage in der Zeit des Umbruchs


 

Den zaghaft beginnenden Dialog mit der adventistischen Mutterkirche in Amerika bestimmten in erster Linie gerade diese innergemeinschaftlichen Themen, wobei auch die Klärung der organisatorischen Neuordnung der Gemeinschaft in Deutschland ein vordringliches Problem darstellte, da nach dem Krieg vor allem die niederländischen Adventisten nicht mehr zur MED gehören wollten, die ursprünglich aus mehreren Staaten in der Mitte Europas und Missionsgebieten weltweit bestanden hatte. „So verdichteten sich die Gespräche immer mehr bis zu dem Ergebnis, dass Deutschland als Staat eine eigene Division bilden solle.“[46]

 

Wendeten sich in der evangelischen Kirche und in der Ökumene neben Angehörigen der Bekennenden Kirche vor allem die ausländischen Kirchenführer mit dem Ziel an ihre eigene Kirche in Deutschland, „womöglich von (…) [dieser] eine Erklärung zu verlangen, die deren Verhältnis zu den übrigen Kirchen und der Ökumene derart klarlegt, daß sofort vertrauensvolle Verbindung aufgenommen werden könne“[47], so unterblieb gerade dies bei den Siebenten-Tags-Adventisten.

 

Wie in der Zeit des Nationalsozialismus waren das Gemeindeleben und die Äußerungen und Veröffentlichungen der Gemeinschaft auch danach noch weiter von...

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