Der Teil der Definitionen stellt gültige und einheitliche Begriffsbestimmungen in der ganzen Arbeit sicher. Basis-Informationen bilden die weitere Grundlage dieses Kapitels und ergänzen die Begriffsbestimmungen mit dem fachlichen Hintergrund zum Thema der Hypothese (vgl. Punkt 1.4 - Hypothese).
Die Hypothese gilt für alle Angestellten von Versicherungsunternehmen, die in einem arbeitsrechtlichen Dienstverhältnis stehen, als Aufgabe, die „Vermittlung von Versicherungsverträgen" übernommen haben und ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen als unselbständiger Arbeitnehmer/unselbständige Arbeitnehmerinnen tätig sind.
Geografisch wurde dabei der österreichische, deutsche und teilweise gesamteuropäische Wirtschaftsraum betrachtet.
Es handelt sich beim Versicherungs-Außendienst in der Regel um ein rechtlichwirtschaftliches Verhältnis, das auch durch Abhängigkeit (Weisungsgebundenheit) gekennzeichnet ist, wobei die Angestellten rechtlich und organisatorisch ein Teil des Versicherungsunternehmens sind. Hauptaufgabe des Außendienstes ist die Wahrnehmung der Absatzfunktion. Damm (Prof. Peter Damm, Wirtschaftswissenschaftler) definiert die Absatzfunktion, als eigenständige Teilaufgabe im Versicherungsunternehmen, das im Unternehmen jedoch einen völlig eigenen Charakter aufweist.[16] Diese Abgrenzung der Absatzfunktion bereitet in der Praxis einige Schwierigkeiten, weil das Produktionsverfahren von ,Versicherungsschutz' auf den Erkenntnissen der Wahrscheinlichkeitstheorie beruht, während die Sachgüterherstellung vor allem unter Anwendung chemischer, physikalischer und biologischer Gesetze und Gesetzmäßigkeiten Güter produziert.[17] Gemäß der versicherungsspezifischen Interpretation ist Absatz als Grundlage für die Produktion der Dienstleistung Versicherungsschutz' anzusehen. Absatz wird manchmal auch als Vertrieb bezeichnet.
In dieser Arbeit wird der wissenschaftliche Ansatz der Definition der Absatzfunktion zugrunde gelegt: „.'Außendienst' oder ,Außendienstorganisation' als Mitarbeiter und sachliche Ausrüstungen mit dezentralen Standorten, gleichgültig, für welche Funktion sie eingesetzt werden."[18]. Es werden folglich nur jene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in dieser Arbeit behandelt, die der Außendienstorganisation angehören und Absatzfunktionen erfüllen - jedoch keine Beschäftigten, die rein absatzverbundene Funktionen bekleiden.
Dieses Dienstverhältnis wird im Allgemeinen als Versicherungs-Außendienst, Exklusivvertrieb oder Ausschließlichkeitsvertrieb bezeichnet. Als dezentraler Absatz besitzt das Außendienstsystem vor allem im Geschäft mit privaten Haushalten, den freien Berufen und den kleinen bis mittleren gewerblichen Kunden und Kundinnen hohe Marktanteile.
Dies ergibt sich besonders aus der Initiativkraft der angestellten Vermittler und Vermittlerinnen in der Nähe der Kunden, weiter aus den guten Möglichkeiten zur Kommunikation bei der Beratung und der Abwicklung der Geschäfte, sowie den im Allgemeinen guten Kenntnissen über den regionalen Teilmarkt. Dies führt zu hoher Anpassungsfähigkeit des Absatzes und fördert die Entwicklung von Präferenzen der Kunden und Kundinnen gegenüber dem Vermittler/der Vermittlerin, die auch dem Versicherer zu Gute kommen.
Mögliche Nachteile liegen jedoch in den damit verbunden Absatzkosten, die sich aus variablen und fixen Kosten zusammensetzen (vgl. Tabelle 1 - Charakterisierung der persönlichen Kosten im Vertrieb), sowie möglicher Konflikte zwischen den vom Versicherer bevorzugten Geschäftsfeldern und davon abweichenden Geschäftsfeldern der Vermittler.
Dazu kommt, dass Disponibilität und Zurechenbarkeit der Kosten des Exklusivvertriebes die Steuerung vor große Herausforderungen stellt:[19]
Tabelle 1: Charakterisierung der Kosten im persönlichen Vertrieb
Quelle: Reiner, J.O.: Kundenwertsteigerung im Außendienst; Duisburg: 2003, S. 77
„Nach aktuellen Ergebnissen der Kienbaum-Vergütungsstudien haben nur 75% der im Außendienst Angestellten einen variablen Vergütungsbestandteil. Dieser liegt überwiegend in der Bandbreite zwischen 10% und 35% der Gesamtvergütung."[20]
Damit wird auch sichtbar, dass der Einzelkostenbegriff relativ ist und einen hohen Anteil an kundenseitigen Gemeinkosten hat.
Derzeit ist der Versicherungsvertrieb durch vielfache Einflussfaktoren massiv unter Druck. Es steht zu erwarten, dass dieser Druck in Zukunft bedeutend zunehmen wird.[21]
In der im Kapitel 2.1 erwähnten Fokusstudie von Horvath & Partners (Horvath & Partners, Managementberatung) wird der Versuch eines Nachweises erbracht, dass die Versicherungsunternehmen (EU-weite Auswertung) weiterhin auf die wichtige Rolle des Angestellten-Außendienstes setzen - da Größe, Produktion und Wachstum in starkem Maße von der Wirksamkeit dieses Vertriebsweges abhängen.
Die Studie nennt dabei folgende Herausforderungen vor denen die Versicherungsunternehmen stehen:
Zunehmend wechselbereite und preisorientierte Kunden
Kontinuierliche Zunahme der Marktanteile konkurrierender Vertriebswege (Makler, Internet, Agenturen, etc..)
AD ist geprägt durch hohe Fluktuation und alternde Vertreterschaften
Erhöhter Verwaltungsaufwand (Verlust der „aktiven Verkaufszeit"), sinkende Provisionssätze, Rückgang der direkten Unterstützung
Notwendige Höherqualifizierung (Technik, Komplexität der Produkte)
Mangel an qualifizierten, engagierten Nachwuchskräften
Die Gesamtheit des Angestellten-Außendienstes eines Versicherungsunternehmens stellt in der Regel keine homogene Größe dar. Verschiedenartige Typen von Vermittlern und Vermittlerinnen betätigen sich im Markt und leisten Beratungs-, Vermittlungs- und Betreuungstätigkeit mit unterschiedlichen Positionierungen im Koordinatensystem unterschiedlicher Interessen. Auch, dass der Vermittler/die Vermittlerin aufgrund des Ausschließlichkeitsprinzips nur das Angebot „seines" oder „ihres" Versicherungsunternehmens vermitteln kann, und deshalb der geschäftliche Erfolg davon abhängig ist, dass das Versicherungsunternehmen für die Kundschaft des Vermittlers/der Vermittlerin ein geeignetes Angebot verfügbar hat und mit den Preis-Leistungs-Relationen wettbewerbsfähig ist.
Durch die entstandene Komplexität stehen die Personalverantwortlichen und Führungskräfte vor der Herausforderung, dass die traditionellen Steuerungssysteme versagen, Alternativen zwar in Sicht sind, jedoch noch kein Ansatz einer Neuorientierung angedacht ist.
Laut einer Studie des Beratungsunternehmens EVOLOG (Systemgesellschaft für Unternehmensberatung mbH, Köln)[22] steht allerdings auch der Beratungsansatz vor einem Paradigmenwechsel:
vom Einstieg über ein spezielles Produktabsatzmotiv zum Einstieg über die Versorgungslage des Kunden.
Diese Neuausrichtung muss jedoch in allen Unternehmensteilen berücksichtigt werden, damit dieser Wandel konsequent umgesetzt und vom Vermittler/der Vermittlerin gelebt werden kann. Das trifft vor allem auf diese Bereiche zu:
Produkte (Komplettierung der Versorgung vs. Attraktivität)
Anforderungsprofile: Analysefähigkeit, individuelle Gestaltung, Aufbau der Geschäftsbeziehung
Ausbildung: Philosophietransfer und Kundenorientierung
Steuerungssysteme: Kunden und Kundinnen im Fokus
Vergütung: zusätzliche qualitative Kriterien, wie Aufbau von Geschäftsbeziehungen, Beratungsqualität, Produktverteilung.
Es verschärft sich der Wettbewerb in der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche und dieser Wettbewerb existiert nicht nur auf der Ebene der Versicherungsunternehmen, „...sondern auch unter den in einer Region agierenden Beratern. "[23]
Ein Thema das die Fluktuation berührt, ist das Image des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit. Erstaunliche Unterschiede bestehen im Ansehen der Versicherungsbranchen im Allgemeinen und dem jeweils persönlichen bekannten Versicherungsvermittler im Besonderen, in ebendieser öffentlichen Meinung. Dafür können folgende Gründe geltend gemacht werden: [24]
„Versicherungsprodukte und -bedingungen sind so komplex, dass nur wenige sich eine Beurteilung der Preiswürdigkeit eines Versicherungsangebotes zutrauen können mit der Folge, dass „Fallen" und „Tücken" befürchtet werden (mangelnde Markttransparenz).
Vielfach gemachte Erfahrungen, dass subjektiv als berechtigt empfundene Schadenersatzansprüche abgelehnt wurden, mit der Folge, misstrauisch gegenüber dem Leistungswillen der Versicherungen zu sein.
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