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E-Book

Alles aus Liebe

Eine Reise ins Herz des Fußballs

AutorAlex Raack
VerlagTropen
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783608110524
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Ist doch eigentlich egal, wohin. Ist doch eigentlich egal, welches Team. Wichtig ist: mit wem. Und warum. Weil man Bock auf Fußball hat. Und noch mehr Bock, diese Leidenschaft zu teilen. Das macht einen doch erst zum Fan.« Noch nie war der Profifußball verabscheuungswürdiger, noch nie war er korrupter, noch nie so weit entfernt von denen, die ihn doch eigentlich erst groß machen: den Fans. Alex Raack, ehemaliges Mitglied der 11FREUNDE-Redaktion und heute freier Journalist, erzählt Geschichten von Menschen, die ihr Herz an diesen Sport verloren haben. Auf der Suche nach dem Sinn der Fußballliebe traf er sich mit singenden Essenern, ging mit einem Werder-Fan ins HSVMuseum, spielte eine Rolle in einem Roadmovie über Fans aus dem Ruhrgebiet und war mit Fans unterwegs, die lieber Fußball in der zweiten tschechischen Liga schauen, als zum FC Bayern zu gehen. Ein Buch über Fußball, nicht über Fußballer. Ein Buch über Fans, nicht über 200 Millionen Euro schwere Superstars. Und ein Buch, das all denen Hoffnung geben soll, die nicht mehr an die große Liebe Fußball glauben.

<p>Alex Raack, geboren 1983 in Celle, war bis September 2016 Redakteur für das Fußballmagazin »11FREUNDE«, nun schreibt er als freier Autor über seine Leidenschaft. Seine Biographie über Uli Borowka »Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker« avancierte zum Spiegel-Bestseller. Bei Tropen erschien zuletzt »Wolle« (2018). <br /></p>

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Leseprobe

1. Kapitel

Berlin Olympiastadion


In dem der Autor zu Beginn seiner Reise auf der Suche nach dem aktuellen Zustand der deutschen Fanseele erstmal wieder zu sich selbst finden muss. Natürlich bei einem Spiel seiner Mannschaft.

»Fick dich, du Werder-Fotze!«

So beginnt sie, meine Reise durch Fußballdeutschland. Mit einem gut gemeinten Ratschlag eines Berliner Jünglings, doch bitteschön Geschlechtsverkehr mit mir selbst zu betreiben. Mein neuer Freund hat offenbar Anstoß an meinem grün-weißen Schal genommen, der, aber das konnte der Wüterich im Vorbeigehen nicht erkennen, gar kein Schal von Werder Bremen ist, sondern von Red Star Paris, einem Klub, den ich im Sommer 2016 kennenlernen durfte. Weil aber heute, am 10. Dezember 2016, Spieltag ist und Hertha BSC gegen Werder Bremen spielt, steht alles in grün und weiß unter verschärfter Beobachtung.

Solche Beleidigungen sind nie nett, aber wo, wenn nicht beim Fußball, sollte man selbst einem herzhaften »Fick dich« mit angemessener Gelassenheit begegnen? Fußball sei kein Hallenhalma, meinte schon mein Jugendtrainer und wollte damit deutlich machen, dass dieser Sport eben auch mal rau, dreckig und assi sein kann. Und darf. Wobei das dem Hallenhalma nicht gerecht wird, gibt es diese Brettspieldisziplin doch gar nicht. Wer weiß, welch kerniger Ton dort herrschen würde.

Heute werde ich das nicht mehr in Erfahrung bringen, denn am Berliner Ostkreuz, jener nicht enden wollenden Verkehrsknotenbaustelle im Herzen von Friedrichshain, muss man einen klaren Kopf bewahren, will man nicht von hektischen Großstädtern in den Ketwurststand gerempelt werden. Ab in die knüppelvolle Bahn und ohne Zwischenhalt Richtung Olympiastadion.

Meine Schwester hat sich um Karten gekümmert. Ich wollte erst gar nicht. Weil das Olympiastadion von meiner Wohnung aus gesehen auf der anderen Seite der Stadt liegt. Weil das Berliner Dezemberwetter so einladend ist wie ein Ketwurstwettessen. Weil meine Mannschaft seit Jahren so miesen Fußball spielt. Weil … ich Weichei vermutlich besser beim Hallenhalma aufgehoben wäre. Nun stehe ich doch in der Bahn und trinke Rotwein aus der Flasche, weil mir der vom Bier begünstigte Harndrang schon immer so sehr auf den Sack ging. Besonders dann, wenn man eingekeilt mit vielen anderen Menschen Zeit in Bussen, Bahnen oder Stadien verbringen muss. Das habe ich früher schon so gemacht, als ich noch nicht von meiner Schwester zum Fußball gucken überzeugt werden musste. Regelmäßig saß ich mit unserem Fanklub Subkultur Bremen in schlecht belüfteten Reisebussen, deren Toiletten bereits nach der ersten halben Stunde nicht mehr zu gebrauchen waren, weil massige Typen in Jeanswesten dort Dinge getan hatten, von denen ich hier nicht zu schreiben wage.

Rotwein also. Die heilsame Wirkung setzt bereits nach den ersten sechs Stationen ein und lässt mich darüber nachdenken, was ich eigentlich vom heutigen Abend erwarte. Werder Bremen galt einst als Spektakel. Es gab Jahre, da konnte die Mannschaft drei Gegentore kassieren und man verlor als Fan trotzdem nicht die Hoffnung, weil Werder dann eben vier Treffer erzielte. Aber das ist lange her. Seit einigen Spielzeiten kreucht mein Klub im unteren Tabellenviertel, hat die Kohle aus den goldenen Champions-League-Jahren offenbar längst verbraten und lässt deshalb Fußballer auflaufen, von denen ich nicht wüsste, welchen Namen ich mir aufs Trikot flocken lassen würde, wenn ich noch einmal zehn Jahre alt wäre. In solchen Momenten kommt in mir der Erfolgsfan durch und das wiederum gefällt mir gar nicht. Nein, ich erwarte mir nicht viel von diesem Spiel.

Am Stadion. Die S-Bahn-Station hustet die Fan-Klümpchen auf den Vorplatz, rechts von uns thront der riesige Berliner Betonkessel. Die Erinnerung daran, dass ich hier bereits dreimal meine Mannschaft im Pokalfinale erleben durfte, macht das Hier und Jetzt auch nicht besser. Ich brauche ganz dringend jemanden, der mir ein wenig Hoffnung gibt. Die Flasche Rotwein ist schon leer.

Dann erfahre ich, dass ausgerechnet der prominenteste Hoffnungsbringer von allen sich um uns kümmern wird: Gott himself. Unsere Stadionbegleiter aus Norddeutschland arbeiten in der Diakonie und wollen gerne dem Stadionpfarrer einen Besuch abstatten. Das Olympiastadion verfügt über eine eigene Kapelle, die sich tief im Bauch des Ungetüms befindet. Pfarrer Bernhard Felmberg hält hier an Spieltagen ehrenamtlich die Andacht. So etwas gibt es in Deutschland sonst nur in Frankfurt und Gelsenkirchen.

Ich bin nicht sehr gläubig, zumindest nicht aus klassisch-kirchlicher Perspektive. In einer Kirche war ich schon sehr lange nicht mehr. Und ganz sicher nicht eine Stunde vor Beginn eines Fußballspiels. Aber nun stehe ich gemeinsam mit meiner Schwester, unseren Bekannten und etwa dreißig weiteren Fans vor dem VIP-Eingang und warte darauf, von einem Mitarbeiter des Pfarrers abgeholt zu werden. Wir werden in den Innenraum des Stadions geführt. Längst sind nicht alle Plätze besetzt, aber der große Kessel zischt und köchelt schon ein wenig. Das ist definitiv einer meiner liebsten Momente bei Stadionbesuchen: der Übergang raus aus den grauen Treppenaufgängen ins kunterbunte Irrenhaus. Unten der sattgrüne Rasen, ein einzigartiger Sound, zusammengemischt aus Tausenden von Stimmen und Geräuschen, ein erwartungsfroher Vibe, dessen Faszination man sich schwer entziehen kann. Wir werden bis fast ganz an die Rasenkante geführt und schwenken im letzten Moment nach links, wo uns das Stadion wieder zu verschlucken droht. Neben den Eingängen stehen die Sky-Experten um Lothar Matthäus und warten auf die nächste gut bezahlte Dampfplauderei. Ich singe Lothar Matthäus ein Lied und Christoph Metzelder hört mir kurz zu. Ob sich Lothar daran erinnern kann, wie ich ihm einst zum langen Interview in einem schicken Münchener Hotel gegenübersaß und er sich konsequent weigerte ein charmanter Gesprächspartner zu sein? Bestimmt nicht. Wir passieren die Fußballgötter und erreichen nach wenigen Stufen die kleine Kapelle.

Am Eingang greife ich mir eher aus Verlegenheit ein Buch. Mit vollem Einsatz – Das Neue Testament mit Lebensberichten internationaler Spitzensportler heißt es. »Das dürfen sie gerne behalten«, sagt mir eine der Mitarbeiterinnen und zwinkert mir verschwörerisch zu. Höflich bedanke ich mich. Wie soll man auch eine Bibel zurückweisen? Auf einer Doppelseite berichtet der ehemalige Bundesligatorhüter Dirk Heinen von seinem Weg zu Gott. »Eine besondere Liebesgeschichte« lautet der Titel. Und ich denke mir, dass dieses Credo ganz hervorragend zu dem passt, was ich in den kommenden Monaten für dieses Buch erleben möchte. Denn nichts anderes ist der Fußball doch. Eine kollektiv umschwärmte Geliebte, ein Herzensbrecher, mal in grün, rot oder blau gekleidet, aber immer mit derselben Masche erfolgreich. Während der kurzen Andacht denke ich über Dirk Heinen nach.

Welch skurriler Moment in meinem Leben als Fußballfan. Zu Beginn meiner Reise auf der Suche nach der deutschen Fankultur, meiner geplanten Erkundung der großen Liebe Fußball, sitze ich in einer Stadionkapelle und lausche Pfarrer Felmberg, der von Glauben, Hoffnung und Miteinander spricht. Ich muss an meinen klugen Vater denken, der zwar keine Ahnung von Fußball hat, aber einst mit mir darüber philosophierte, wie viel Religion Fußball ist und wie viel Fußball Religion. Und darüber, dass der Gang ins Stadion letztlich nichts anderes sei, als der Marsch in die Kirche. Wenn auch mit deutlich betrunkeneren Gemeindemitgliedern. Da ist schon was Wahres dran. Fußball ist in Deutschland so groß und mächtig-wichtig, wie es die Kirche einmal war und gerne wieder wäre. Jetzt muss ich nur noch meinen Glauben an das Spiel wiederfinden.

Der hat in den vergangenen Jahren ganz schön gelitten. Das mag damit zu tun haben, dass ich mein Hobby zum Beruf machte und sieben Jahre lang als Redakteur für das Magazin 11FREUNDE arbeitete. Die Sicht auf die große Liebe verändert sich naturgemäß, wenn sie einen professionellen Anstrich bekommt. Es liegt aber auch an der Entwicklung des großen Fußballs. Denn die ist katastrophal. Sportlich gesehen entwickelt sich das Spiel immer weiter, die Spieler sind schneller, fitter und technisch variabler als noch vor zwanzig Jahren. Aber das ganze Drumherum löst bei mir in steter Regelmäßigkeit Würgereflexe aus. Am liebsten würde ich das alles auskotzen, die vielen Transfermillionen, die großen Sponsorendeals, die Business Seats und Logen, die korrupten Funktionäre, die großen Turniere, die man eigentlich gar nicht mehr begleiten sollte, weil sie auf einem Fundament aus Dreck und Betrug stehen. Meine große Liebe Fußball wurde von Menschen, ...

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