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E-Book

Allgemeine Psychologie I

AutorJohannes Schiebener, Matthias Brand
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783170254695
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Allgemeine Psychologie I bildet für Studierende den Einstieg in die Psychologie. Um dieser Zielgruppe gerecht zu werden, werden die Themen Perzeption, Kognition und Handeln in diesem Lehrbuch kompakt und leicht verständlich vermittelt. Das in allen Kapiteln einheitliche Konzept spiegelt die empirische und naturwissenschaftliche Arbeitsweise in der Allgemeinen Psychologie wider. Phänomene und Theorien werden mit Alltagsbeispielen erläutert, neurobiologische Grundlagen erklärt und empirische Studien vorgestellt.

Dr. Johannes Schiebener ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Allgemeinen Psychologie: Kognition an der Universität Duisburg-Essen. Prof. Dr. Matthias Brand ist Professor für Allgemeine Psychologie: Kognition an der Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe

2         Wahrnehmung


Im Kapitel Wahrnehmung werden Sie die Grundprinzipien jener Funktionen kennenlernen, die dem Menschen Zugang zu Informationen über seine Umwelt ermöglichen. Sie werden zunächst das Wichtigste über Funktionsprinzipien der Wahrnehmung erfahren, die übergreifend für verschiedene Sinne gelten. Danach werden Sie im Einzelnen erfahren, wie Menschen ihre Umwelt sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen. Neben den psychologischen Aspekten erhalten Sie einen Einblick in den Aufbau und die Physiologie der jeweiligen Sinnessysteme. Auf diese Weise werden Sie lernen die psychologischen Prinzipien im Kontext der gegebenen Möglichkeiten der jeweiligen Sinnesorgane zu verstehen.

2.1       Theorien der Wahrnehmung


2.1.1    Einleitung und Phänomene


Menschen verfügen über vielfältige Fähigkeiten, um ihre Umwelt wahrzunehmen. Was die Wahrnehmungssysteme dabei alles leisten, wird uns nur selten bewusst. Wenn wir uns zum Beispiel im Straßenverkehr befinden, wissen wir natürlich, dass wir Sehen und Hören einsetzen, um uns sicher zu bewegen, aber ein großer Teil der beeindruckenden Leistungen, die unsere Wahrnehmung dabei erbringt, vollzieht sie »wie von selbst«. Vor dem Überqueren einer Straße zum Beispiel schätzen wir die Entfernungen und Geschwindigkeiten herannahender Autos ein. Doch wie schaffen wir das? Wenn wir an der Straße nach links blicken, trifft doch bloß Licht, das von den Autos und allen anderen Objekten reflektiert wird, auf unsere Augen. Das Bild, das daraus – rein physikalisch betrachtet – entsteht, ist zunächst nicht mehr als eine Ansammlung von vielen verschiedenen Konturen und Farbflächen. Doch wir sehen unterschiedliche Objekte und nehmen die Szene dreidimensional wahr. Wir können einschätzen, wie weit ein Auto entfernt ist, wie schnell es sich nähert oder auch wie groß es ist. Schauen Sie sich zum Beispiel einmal Abbildung 2.1 an.

Abb. 2.1: Eine Kuh auf der Weide

Es handelt sich bei dem Bild um eine Ansammlung von weißen und schwarzen Flächen und Strichen. Und doch sehen wir eine Wiese, Boden und in der Mitte eine Kuh, die uns ansieht.

Mit diesem und weiteren Phänomenen der Wahrnehmung werden wir uns im vorliegenden und den darauffolgenden Kapiteln befassen. In diesem Kapitel betrachten wir zunächst Theorien, die versuchen, Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung im Allgemeinen zu beschreiben, also Gesetzmäßigkeiten, die für die verschiedenen Sinnessysteme gelten. Schließlich verfügen wir neben der eben angesprochenen visuellen Wahrnehmung auch noch über eine ganze Reihe an weiteren Wahrnehmungsfunktionen.

2.1.2    Theorien der Wahrnehmung


Bevor wir auf einige Theorien der Wahrnehmung eingehen, wollen wir zunächst einmal klären, über welche Wahrnehmungssysteme Menschen überhaupt verfügen. Diese sind in drei Kategorien unterteilbar.

•  Die Exterozeptoren sind zuständig für die Wahrnehmung der entfernteren Umwelt. Sie ermöglichen uns, zu hören, zu sehen und zu riechen.

•  Die Propriozeptoren ermöglichen die Wahrnehmung der unmittelbar mit dem Körper in Kontakt stehenden Umwelt, sowie die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Darunter wird auch die Somatosensorik gefasst, die das Fühlen äußerer Reize auf der Haut erlaubt und so die Wahrnehmung durch Tasten ermöglicht. Außerdem informieren die Propriozeptoren über die Stellung der Gelenke sowie ihrer Lage im Raum, aber auch über den Gleichgewichtszustand.

•  Die Interozeptoren stellen dem Gehirn Informationen aus dem Inneren des Körpers zur Verfügung, zum Beispiel über den Pulsschlag, die Atmung oder organische Zustände.

Gesetze der Psychophysik


Eine frühe theoretische Herangehensweise an das Verständnis von Wahrnehmungsprozessen verschiedener sensorischer Systeme ist die klassische Psychophysik. Hierbei wird versucht, zu identifizieren und zu beschreiben nach welchen Gesetzmäßigkeiten sensorische Eingangssignale in beobachtbare Ausgangsgrößen des psychischen Verhaltens übersetzt werden. Mit anderen Worten: Es wird betrachtet, wie die objektiven Eigenschaften physikalischer Reize subjektiv wahrgenommen werden und wie diese subjektive Wahrnehmung durch Verhaltensäußerungen nachweisbar ist. Wie laut muss zum Beispiel ein Ton sein, damit er wahrgenommen wird, so dass eine Person richtig angeben kann, dass gerade ein Ton präsentiert wird? Und wird ein Licht, das doppelt so hell ist wie ein anderes Licht, auch als doppelt so hell wahrgenommen?

Weber (1846) stellte fest, dass der kleinste merkliche Unterschied ΔI zwischen einem Standardreiz I und einem Vergleichsreiz mit zunehmender Größe des Standardreizes konstant wächst. Deshalb stellte Weber die Formel der Weber’schen Konstante (c) auf: ΔI / I = c. Die wahrgenommene Reizstärkenveränderung steigt also proportional mit der Referenzreizstärke, wie in Abbildung 2.2 dargestellt.

Beispiel

Wenn also die Lautstärke des Motors eines Autos auf einer fiktiven Tonskala den Wert 1 hat und der Motor um 1 lauter werden muss damit wir bemerken, dass er lauter wurde, dann muss ein Motor mit der Lautstärke 2 um 2 lauter werden damit wir bemerken, dass er lauter wurde.

Weber schlug vor, dass die Konstante c sich nur zwischen den sensorischen Modalitäten (auditiver, visueller Wahrnehmung usw.) unterscheidet, aber innerhalb einer Modalität konstant bleibt.

Diese Überlegungen wurden später von Fechner (1860) erweitert. Das Weber-Fechner’sche Gesetz beschreibt mit Hilfe einer logarithmischen Funktion, dass sich die subjektiv wahrgenommene Größe eines Reizes E aus der Weber’schen Konstante c sowie der faktischen, physikalischen Größe I des Reizes ergibt: E = c log (I). Aufgrund des Einbezugs des Logarithmus ist der Zusammenhang zwischen der physikalischen Reizintensität und der empfundenen Reizintensität nicht mehr proportional steigend. Stattdessen nimmt die Steigung in immer höheren Bereichen der physikalischen Skala ab. Mit anderen Worten: Bei sehr hohen Reizintensitäten muss die Reizintensität mehr als proportional gesteigert werden, damit die Veränderung bemerkt wird ( Abb. 2.2).

Abb. 2.2: Darstellung der Prinzipien der drei beschriebenen Gesetze der Psychophysik. Abbildung adaptiert nach Müsseler (2008)

Stevens (1957) wies darauf hin, dass diese Beschreibung jedoch nur in bestimmten Grenzen die Zusammenhänge zwischen den physikalischen Ausgangsreizen und den – mit den Messmethoden erhobenen – Erlebnisdaten erklärt. Seiner Argumentation folgend lässt sich der Zusammenhang zwischen Eingangsreiz und Wahrnehmung besser mit Hilfe einer Potenzfunktion, der Stevens’schen Potenzfunktion, beschreiben: E = aIb. Hier ist a ein konstanter Wert, der von der skalierten Messeinheit abhängt. Auch b ist eine Konstante, die durch das gerade untersuchte Sinnesgebiet sowie die Leistungsfähigkeit des sensorischen Systems in diesem Gebiet bestimmt wird. So berücksichtigt die Funktion, dass die Schwelle etwa bei der Wahrnehmung eines Gewichtsunterschiedes eine andere ist, wenn der tatsächliche Unterschied zwischen zwei Gewichten 1 Kilogramm beträgt, als wenn der Unterschied 100 Kilogramm groß ist (siehe auch Zwislocki, 2009).

Wahrnehmung im Kontext: Gestaltpsychologie

Während die klassische Psychophysik die Wahrnehmungsgesetze einzelner, ganz konkret abgrenzbarer Reize zu beschreiben versuchte, wurde Wahrnehmung in der Gestaltpsychologie stärker im situativen Kontext betrachtet (siehe z. B. Koffka, 1935; Köhler, 1958; Lewin, 1923; von Ehrenfels, 1890; Wertheimer, 1912). Zum besseren Verständnis schauen Sie sich zunächst einmal Abbildung 2.3 an.

Sicher stellen Sie fest, dass Sie ein Viereck sehen. Jedoch ist überhaupt kein Viereck auf dem Bild enthalten. Unter bestimmten Umständen werden dem wahrgenommenen Reiz scheinbar Eigenschaften hinzugefügt, die in der physikalischen Vorlage überhaupt nicht existieren.

Merke

Die Gestaltpsychologie schlug vor, dass die Wahrnehmung einzelner Aspekte einer Gesamtkonstellation von der Gesamtkonstellation mitbestimmt und ergänzt wird.

Abb. 2.3: In dieser physikalischen Reizvorlage ist kein Viereck enthalten, trotzdem nehmen Sie sicherlich eines wahr

Die sogenannten Gestaltgesetze sollten dabei dem übergeordneten Prinzip der...

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