Sie sind hier
E-Book

Beredtes Schweigen

Exegetisch-literarische Beobachtungen zu einer Kommunikationsform in biblischen Texten

AutorJürgen Ebach
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641141264
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Das Schweigen in biblischen Texten zur Sprache bringen
Dreimal spricht der Gottesbote zu Hagar, diese aber schweigt. »Da wollte Kain seinem Bruder Abel etwas sagen« heißt es in Genesis 4,8 - aber Kain spricht nicht. Was, wenn diese und weitere Leerstellen keine Tradierungsfehler, sondern literarische Absicht sind? Jürgen Ebach lauscht dem beredten Schweigen in Texten des Alten und des Neuen Testaments und entdeckt eine bisher nicht wirklich wahrgenommene Form biblischer Kommunikation. Zwischentexte mit außerbiblischen historischen, politischen und literarischen Schweigemotiven verbinden Bibel und Lebenswelt. Eine ebenso kluge wie unterhaltsame Lektüre für alle, die Freude an biblisch-exegetischen Entdeckungen haben!
  • Neue biblisch-literarische Entdeckungen von Jürgen Ebach
  • Klug, unterhaltsam und inspirierend


Dr. Jürgen Ebach, geb. 1945, ist Professor em. für Exegese und Theologie des Alten Testaments und Biblische Hermeneutik an der Ruhr-Universität Bochum. Er war langjähriges Mitglied im Editorial Board der Zeitschrift »Biblical Interpretation« (Sheffield), sowie Konsultor des »Freiburger Rundbriefs« (Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung) und ist Mitherausgeber der Buchreihe »Jabboq«. Seit vielen Jahren ist er Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Lange Zeit gehörte er der exegetischen Arbeitsgruppe und dem Präsidium des Kirchentags an, ferner dem Arbeitskreis Studium in Israel. Er ist Mitherausgeber der Bibel in gerechter Sprache, bei der er auch als Übersetzer mitgewirkt hat.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Annäherungen


Bere zum Beispiel kann mit seinem Schweigen Menschen umbringen. Wenn aber die Tante Gite sich für ein paar Stunden hinsetzt, um sich auszuschweigen, dann ist es wie Gesang, wie ein Violinspiel. Moische Kulbak, Die Selmenianer1

I.

Die Frage, was ein Schweigen besage, bekommt es in ihrer paradoxen Struktur damit zu tun, dass das Schweigen eine Form der Sprache ist. Das »beredte Schweigen« ist ein berühmtes Oxymoron.2 Ein klassischer Beispielssatz ist das »cum tacent, clamant« aus Ciceros erster Rede gegen Catilina.3 Indem die zuhörenden Senatoren schweigen, so will es der Rhetor Cicero zum Ausdruck bringen, lassen sie laut werden, dass sie seine Anklage gegen Catilina für zutreffend halten und die aus ihr resultierenden Forderungen teilen. Denn, setzt Cicero fort, würde er einen Unschuldigen so attackieren, brächen sie in lauten Protest aus.

Freilich stellt sich hier sogleich die Frage nach der Interpretationshoheit über das Schweigen4 und allemal ist nicht jedes Schweigen als Zustimmung zu werten. Das gilt vor allem, wenn diejenigen, die widersprechen wollten, zum Schweigen gebracht wurden oder wenn sie in ihrer sozialen Stellung von vornherein keine Stimme haben. Dann obliegt es denen, die sprechen können, die Weisung aus Prov 31,8 zu beherzigen: »Öffne deinen Mund für den Stummen, für den Rechtsanspruch aller Schwachen!« (pet??-p?ch? le’illem ’äl-d?n kålb en? ?al?f).

Eine solche Mundöffnung5 kann auch darin bestehen, dass die zum Schweigen Gebrachten in einer neuen literarischen Gestalt endlich doch zu Wort kommen. Christine Brückner lässt in dieser Weise die bei Shakespeare von Othello zuerst zum Schweigen aufgeforderte und dann gänzlich zum Schweigen gebrachte Desdemona6 eine in doppeltem Wortsinn »ungehaltene Rede« halten.7 Wie klänge eine ungehaltene Rede Abels, der in Genesis 4 kein einziges Wort sagt, und wie eine von Davids Tochter Tamar, die von ihrem Halbbruder Amnon vergewaltigt und dann von ihrem Bruder Absalom zum Schweigen verurteilt wird (2. Samuel 13)? Das Schweigen beider wird wie mehrere weitere hier in erster Annäherung betrachtete biblische Passagen noch ausführlicher zum Thema werden.

 

II.

Gerade für die, denen die Wahl gegeben ist zu reden oder zu schweigen, bleibt die Frage, wann das eine oder das andere an der Zeit ist. In diesem Betracht ist immer wieder der Satz aus Koh 3,7 zu bedenken. Ihm zu Folge gibt es wie für manche andere Gegensatzpaare, bei denen jeweils das eine an der Zeit ist, »eine Zeit zu schweigen und eine Zeit zu reden« (‘et la?aš?t we‘et ledabber). Allzu rasches Reden freilich ist zu keiner Zeit geboten. »Ein verständiger Mensch schweigt« (’?š tev?n?t ja?ar?š), heißt es in Prov 11,12 und Prov 17,27 urteilt: »Wer die Worte zurückhält, beweist Klugheit; wer einen kühlen Kopf behält, ist ein weiser Mensch.« Der darauffolgende Vers fügt die ironische Sentenz an, es sei auch den Dummen geraten zu schweigen, weil sich ihre Dummheit erst im Sprechen erweise. »Auch ein Narr, wenn er schweigt, kann als weise gelten, wenn er seine Lippen verschließt, als verständig«, heißt es da (gam ’äw?l ma?ar?š ??ch?m je??šev ’o?em ?ef?t?w n?v?n).

»It is better to remain silent at the risk of being thought a fool, than to talk and remove all doubt of it.« Diese hübsche Zuspitzung der biblischen Sentenz wird (u. a. im Internet) ebenso oft wie falsch Samuel Johnson, Mark Twain und besonders gern Abraham Lincoln zugeschrieben. Was angebliche Zitate des letzteren angeht, so gibt es im Internet immerhin auch das schöne selbstironische »Zitat«: »›80 % der Zitate im Internet sind frei erfunden.‹ Abraham Lincoln.« Der vermutlich früheste Beleg für jenen Satz über das Schweigen findet sich übrigens in Maurice Switzers »Mrs. Goose, Her Book« aus dem Jahr 1907.8

Ein entsprechender bekannter Satz aus der Spätantike geht auf Boethius9 zurück. Da wird jemand von einem Angeber gefragt: »Intellegis me esse philosophum« (»Begreifst du, dass ich ein Philosoph bin?«), und er antwortet bissig: »Intellexeram, si tacuisses« – »Ich hätte es begriffen, wenn du geschwiegen hättest.« Daraus wurde der bekannte gereimte Sinnspruch »Si tacuisses, philosophus mansisses«  – »Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben.« Die Beherzigung dieses Plädoyers für das Schweigen wie das entsprechende in Prov 17,28 ließe den schweigenden Dummkopf nicht klüger werden; sie hätte immerhin die Dummheit zu verbergen vermocht.

Und wenn es um die Dummheit der Mächtigen geht? »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.« Das heißt – nicht nur für Minnesänger – auch: bei wem ich in Lohn und Brot stehe, dessen Schande verschweige ich besser. Auch ein Verschweigen kann zuzeiten klug, jedenfalls im eigenen Interesse geboten sein. Zuweilen gilt dann auch: »Da schweigt des Sängers Höflichkeit.«10

Diese Formulierung macht übrigens darauf aufmerksam, dass die Bekundung des Schweigen-Wollens und die des Nicht-schweigen-Wollens geradezu in eins fallen können. Eine rhetorische Figur wie »davon will ich lieber schweigen« oder »davon ganz zu schweigen«, betont ja gerade das, über das nicht geredet werden soll, und ruft es umso plakativer ins Bewusstsein. Hier ist es das rhetorisch betonte Schweigen, das umso beredter ist.

 

III.

Es gibt auch das ebenso sprichwörtliche »tiefe Schweigen«. Voller Zorn sagt die Göttin Juno in Vergils Aeneis:11 »Was zwingst du mich mein tiefes Schweigen (alta silentia12) zu brechen und meinen verborgenen Schmerz öffentlich auszusprechen (verbis vulgare – in Worten unters Volk zu bringen)?« – »Schon lange habe ich das Schweigen zum Mittel gegen das Unheil« (palai to sigan pharmakon blab?s ech?), bekundet der Chorführer in Aischylos’ »Agamemnon«;13 das Böse soll nicht noch durch – womöglich gar voyeuristisches – Davon-reden verdoppelt werden. In dieser Perspektive referiert Ruth Poser eine Wahrnehmung von Dori Laub, der zahlreiche Interviews mit Überlebenden der Schoah geführt hat, und hält fest, »dass viele Betroffenen Schweigen als den adäquateren Ausdruck für das von ihnen Erlittene ansehen – die Umsetzung des Geschehenen in ein erinnerbares Wissen nämlich setzt dieses zugleich der Gefahr des Vergessens und der Banalisierung aus.«14

Das Schweigen als ein Nicht-reden-Können kann die Folge traumatischer Erfahrungen sein. Das wird im Abschnitt über »Ezechiels Schweigen« zum Thema werden. »Gegen das Schweigen klagen« lautet dazu und auch dagegen der programmatische Titel einer Studie von Ulrike Bail,15 in der sie die Psalmen 6 und 55 auslegt und dabei auch in eine beziehungsreiche Konfiguration mit der Geschichte der zum Schweigen gebrachten Davidtochter Tamar bringt.

U. Bail beginnt ihr Buch (a.a.O., 13–15) mit einem eindrücklichen, die dann folgenden alttestamentlichen Exegesen präfigurierenden Abschnitt über die zum Schweigen gebrachte Philomele, von der u. a. eine der »Metamorphosen« Ovids handelt (VI, 412–674). Sie wird von ihrem Schwager Tereus vergewaltigt, der sie danach einsperrt und ihr zudem die Zunge herausschneidet, damit sie davon nicht sprechen kann. Die so zum Schweigen gebrachte Philomele webt ein Gewand »und in die weißen Fäden webte sie purpurne Markierungen ein zur Anzeige des Verbrechens« (purpureasque notas filis intexuit albis, indicium sceleris [Ovid, met. VI, 577f.]). »Philomeles Kunst fand eine schweigende Stimme« (Philom?las techn? si?p?san h?ur?ke phon?n)  – »die Hand ahmt die Sprache nach« (mimeitai t?n gl?ttan h? cheir [beide Zitate aus der Fassung des Stoffs bei Achilleus Tatios, Leukippe und Kleitophon, V, 5,4f.]). Dieses Gewand lässt sie ihrer Schwester Prokne, Tereus’ Frau, zukommen und die kann die in den Stoff gewebte Botschaft lesen – das Gewebe (textum) wird buchstäblich zum Text. Dieser Text ist ein vielfädiges Gewebe und er hat einen roten Faden bzw. mehrere (purpureasque notas). Beides wahrzunehmen, die vielfältigen Verknüpfungen in einem Text und seine roten Fäden empfiehlt sich bei der Lektüre auch und gerade von biblischen Texten.

Dabei kann das Schweigen selbst ein Element der Klage sein; das Schweigen des klagenden Menschen »kann nur ein Schweigen sein«, notiert N. Lohfink, »das übergroßem Schmerz oder lähmendem Schreck entspringt.«16 Das Schweigen und noch das Schweigen des Todes kann sehr laut werden. Von einem »schallenden Schweigen« spricht Rose Ausländer in ihrem ebenso überschriebenen Gedicht aus dem Jahr 1965:17

Schallendes Schweigen


Manche haben sich gerettet

 

Aus der Nacht
krochen Hände
ziegelrot vom Blut
der Ermordeten

 

Es war ein schallendes Schauspiel
ein Bild aus Brand
Feuermusik
Dann schwieg...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Christentum - Religion - Glaube

Transitus Mariae

E-Book Transitus Mariae
Beiträge zur koptischen Überlieferung. Mit einer Edition von P.Vindob. K. 7589, Cambridge Add 1876 8 und Paris BN Copte 129 17 ff. 28 und 29 (Neutestamentliche Apokryphen II) - Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten JahrhunderteISSN N.F. 14 Format: PDF

The discussion about the beginnings of Transitus-Mariae literature (apocryphal texts about the life and death of the Mother of Jesus) is marked by two hypotheses. The first is marked by the…

Abram - Abraham

E-Book Abram - Abraham
Kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Genesis 14, 15 und 17 - Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 350 Format: PDF

This substantial contribution to Pentateuch research shows paradigmatically how the politico-geographical concepts from Genesis 14 and the concepts of the theology of promise in Gen 15 are…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Weitere Zeitschriften

ARCH+.

ARCH+.

ARCH+ ist eine unabhängige, konzeptuelle Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Der Name ist zugleich Programm: mehr als Architektur. Jedes vierteljährlich erscheinende Heft beleuchtet ...

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

Baumarkt

Baumarkt

Baumarkt enthält eine ausführliche jährliche Konjunkturanalyse des deutschen Baumarktes und stellt die wichtigsten Ergebnisse des abgelaufenen Baujahres in vielen Zahlen und Fakten zusammen. Auf ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

Gastronomie Report

Gastronomie Report

News & Infos für die Gastronomie: Tipps, Trends und Ideen, Produkte aus aller Welt, Innovative Konzepte, Küchentechnik der Zukunft, Service mit Zusatznutzen und vieles mehr. Frech, offensiv, ...