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Buchkultur und digitaler Text. Zum Wandel der Buchkultur im digitalen Zeitalter

AutorLukas Weidenbach
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl73 Seiten
ISBN9783656748793
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Sonstiges, Note: 1,5, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Institut für Kultur und Medien), Veranstaltung: Medienkulturanalyse, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Buch spielt eine tragende Rolle in der Entwicklung der (westlichen) Zivilisation. Die Entwicklung der Schrift bot die Möglichkeit, Wissen über weite räumliche und zeitliche Distanzen zu transportieren. Über die Wahl von Papier als Trägermedium, dem gebundenen Kodex als Form und dem Buchdruck als Produktionsmethode erlangte das Buch seine heutige Gestalt. All dies hat nicht nur zu der Art und Weise beigetragen, wie wir heute denken und fühlen. Ohne diese Erfindungen wäre auch die technologische Entwicklung nicht möglich gewesen, die schließlich zum beinahe gänzlichen Verschwinden des Buches führen könnte: Die Informationstechnologie und in ihrem Herzen der digitale Code. Je mehr sich durch das Digitale ermöglichte Formen des Schreibens und Lesens, Geschäftsmodelle, ja Lebensentwürfe durchsetzen, desto mehr gehen die Vertreter einer klassisch orientierten Buchkultur auf die Barrikaden. Doch woher stammt dieses Konfliktverhältnis? Und was soll das überhaupt sein, eine 'Buchkultur'? Worin unterscheiden sich Buch und digitaler Text, und was bedeutet das für eine Gesellschaft, die sich auf dem Buch gründet und in der sich digitaler Text immer mehr durchsetzt? Diese Arbeit analysiert die gegenwärtige Lage des Papierbuchs, des elektronischen Buches und seiner Ausgabegeräte, und stellt die Frage nach dem Lesen in diesen Medien. Weiterhin nimmt sie Einblick in die Debatte um Buch und Lesen angesichts des digitalen Wandels, insbesondere in Hinblick auf den Buchmarkt und seine Teilnehmer. Abschließend wird die Frage behandelt, ob es eine Deutungshoheit des Digitalen gibt und wie digitaler Text kulturell in das bestehende System integriert werden kann.

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Leseprobe

2. Bücher und digitaler Text, Schreiben und Lesen


 

2.1. Text und seine Zustände


 

Auch wenn diese Arbeit nicht vorrangig texttheoretisch arbeitet, braucht sie doch einen Textbegriff. Im „Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie“ findet sich folgende Definition:

 

Der Text drückt ein übergeordnetes Thema, das aus untergeordneten Themen bestehen kann, sowie eine semantische Ganzheitlichkeit aus, die dem Text einen Sinn verleihen. Die Teile des Textes sind thematisch und semantisch durch Kohärenz und Kohäsion verbunden […]. Der Text ist Prozeß und Ergebnis einer kooperativen Tätigkeit. Der Textproduzent wählt ein Handlungsziel (seine Intention) und ein Thema, plant und verwirklicht die Texterzeugung; er setzt dazu gesellschaftliche(s)/individuelle(s) Erfahrungen und Wissen ein. Der Textempfänger aktiviert ein sozial, situativ, enzyklopädisch und sprachlich determiniertes Rezeptionsverhalten (Nünning 2004, 650).

 

Diese Definition stößt spätestens bei der Betrachtung von Hypertext an ihre Grenzen: Die Texterzeugung und damit auch ihre Intention liegt nicht mehr unbedingt in der Hand eines geschlossenen Systems von Textproduzenten; Kohärenz und Kohäsion sowie semantische Ganzheitlichkeit lösen sich auf (vgl. Kap. 2.1.2., auch 2.2). Dennoch bietet diese Definition eine gute Arbeitsgrundlage für diese Untersuchung. In Bezug auf Bücher und digitale Texte wird zudem von folgender Prämisse ausgegangen:

 

Im Grunde bildet jedes Informationssystem seine eigene Informationswelt, die Computer deshalb eine andere als das Typographeum, das Skriptorium eine andere als das psychische System des einzelnen Menschen. Die Auffassungen darüber, welche Informationswelt – oder welche Informationsmedium – als selbstverständlich und natürlich gilt, haben sich in der Geschichte im Zuge der technischen Entwicklung immer wieder geändert. […] Der Eindruck der ‚Natürlichkeit der Buchwirklichkeit‘ konnte in den letzten 200 Jahren wohl nur entstehen, weil die Konstruktionsprinzipien dieser Wirklichkeit den Europäern so selbstverständlich geworden sind, dass sie ihnen nicht mehr auffallen (Gieseke 2002, 139).

 

Doch wodurch zeichnen sich die jeweiligen „Informationssysteme“ (die auch Wissenssysteme sind) Buch und digitales Textnetzwerk aus? Was sind ihre medienästhetischen Voraussetzungen?

 

2.1.1. Das Papierbuch


 

Das (gedruckte) Buch ist das zentrale Element der oben beschriebenen, sich über lange Zeit als Buchkultur verstehenden Gesellschaft der Neuzeit. Im Folgenden sollen seine medienästhetischen Voraussetzungen erörtert werden.

 

Das Buch als ausgereifte Technologie

 

Ist das Buch eine ausgereifte Technologie, ein non plus ultra des Lesens, wie eine gängige Argumentationslinie lautet? Richtig ist, dass das Buch und seine Bestandteile einen langen, quasi-evolutionären Prozess durchlaufen haben, der maßgeblich von Lektürepraktiken und -bedürfnissen geprägt war (vgl. Chartier/Cavallo 1999, 9ff). Technologische Entwicklungen wie der Buchdruck (oder die Bindung von Blättern zu Kodizes, die Einführung von Interpunktion, Indizes und Spalten, das Bücherrad[5] und viele andere mehr) fanden ja nicht im leeren Raum statt, sondern immer unter dem Eindruck eines Bedürfnisses, das erfüllt werden musste, sollte oder konnte. Ob eine Idee zur einer technologischen Entwicklung überhaupt erst entsteht und dann auch noch Anklang findet, hängt immer vom historisch spezifischen Kontext ab, in dem sie steht. Es ist im Nachhinein relativ leicht nachzuzeichnen, aber unmöglich vorauszusehen, welche Faktoren zur Verbreitung einer Erfindung beigetragen haben.

 

Um das Buch wurden im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Techniken sowohl der Rezeption (z.B. Lesen, Blättern etc.) als auch der Produktion (Kodizes, Textgliederungen etc.) ausgebildet, die den Umgang mit dem Text erleichtern sollten. Diese standen immer im Zusammenhang mit historisch spezifischen Ansprüchen an das, was der Text in seiner Form als Buch leisten sollte. Viele dieser heute üblichen Techniken entstanden schon vor dem Buchdruck, im 11. bis 14. Jahrhundert, durch scholastische Gelehrte. Die neuen Arten und Zwecke, vom Buch Gebrauch zu machen, gingen einher mit einer enormen Zunahme des Schrifttums auf allen Ebenen ab dem 12. Jahrhundert (vgl. Hamesse 1999, 164f). Das Buch wurde zunehmend ein intellektuelles Arbeitsinstrument, das zum Zwecke des Studiums und der Erstellung von Kommentaren funktionalisiert wurde. Die Methode der Compilatio (das Schreiben aus Versatzstücken) war ein Produktionstechnik, das neue Ansprüche auch an das Lesen stellte. Waren im Frühmittelalter Orientierungsmerkmale noch hauptsächlich in Form von Verzierung, farblicher Abhebung und unterschiedlichen Schriften vorhanden, entstanden nun immer mehr Techniken, die die Arbeit mit dem Text erleichtern sollten: Die Unterteilung der Seite in zwei (leichter lesbare) Spalten, die Gliederung der Texte in Sequenzen (leichtere Auffindbarkeit und Nachschlagbarkeit), Rubriken, Absatzzeichen, Kapitelüberschriften, Zusammenfassungen, Inhaltsverzeichnisse, alphabetische Register etc. (vgl. Chartier/Cavallo 1999, 30-37). Dies erleichterte die ausschnitthafte Lektüre und ein überblicksartiges Wissen, das mit der Zunahme des Schrifttums notwendig geworden war.

 

Der Apparat aus Überschriften, Kommentaren und separaten Abhandlungen diente den scholastischen Gelehrten zur „Modernisierung“[6], d.h. zur Eingliederung in den Kanon antiker Quelltexte (vgl. Grafton 1999, 268). Dies stieß den Humanisten der Renaissance des 16. Jahrhunderts auf, die darin die ursprüngliche Absicht der klassischen Texte verfälscht sahen. Ein Ansatzpunkt war die gotische, formalisierte, schwer lesbare Schrift scholastischer Manuskripte, gegen die die Humanisten neu entwickelte Minuskel- und Kursivschriften[7] setzten (vgl. ebd., 271f). Der Buchdruck beschleunigte die Verbreitung der neuen Schrifttypen. Darüber hinaus nahm nun bei vielen Büchern der Text die gesamte Seite ein (statt durch einen Kommentar gerahmt zu werden, vgl. ebd. 272). Dies erlaubte kleinere Formate, so dass „das neue Buch, ernst und elegant, praktisch und portabel“ (ebd. 274) zur Norm wurde.

 

Nicht immer diente die technologische Entwicklung dem bestmöglichen Buch. Gilt das Buch als Speicher für Wissen über Zeit, so wurde diese Funktion z.B. durch die Benutzung von neuartigem, kostengünstigerem Holzschliffpapier seit ca. 1850 beeinträchtigt: Dieses Papier ist stark säurehaltig und weist daher starke Verfallserscheinungen auf. Dies erschwert die Konservierung der schriftlichen Überlieferungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Erst Ende des 20. Jahrhunderts setzte hier ein Umdenken ein (vgl. Dessauer o.J.).

 

Durch die Fortschritte der Drucktechnologie sind heute Farbdrucke kein Problem. Allerdings wird dafür aus technischen Gründen meist geglättetes, brillantweißes Papier verwendet, das wiederum zum langen Lesen nicht so angenehm ist wie das gebrochen weiße, ungeglättete Papier, das heute für die meisten Romane verwendet wird (vg. Kipphan 2000, 127f). Die neuen Drucktechniken bieten auch eine Oberflächenveredelung wie zum Beispiel Prägungen oder Laminierungen, die auf dem zeitgenössischen Buchmarkt für Cover eingesetzt werden, um das Buch von der Konkurrenz abzuheben – die jedoch die gleichen Techniken benutzt.

 

Um auf die eingangs erwähnten Stimmen, die das Buch als vollendete Technologie sehen, zurückzukommen: Vieles ist in Jahrhunderten technologischer Entwicklung auf die Buchform hin optimiert worden, wie z.B. die Lesbarkeit von Satz und Schrift oder der Einsatz von Farben und Illustrationen. Dieses Optimum wird oft von Digitaltexten (die grundsätzlich nur schwer an den Maßgaben der Buchform zu messen sind) nicht erreicht. Andererseits gilt dies auch für einen Großteil gedruckter Bücher – und viele Kriterien, wie ein Buch optimalerweise auszusehen habe, sind erstens historisch spezifisch und damit wandelbar, wie das Vorangegangene gezeigt hat, und zweitens nicht unbedingt an einer bibliophilen Tradition und damit an diesen Gestaltungsrichtlinien orientiert, sei es aufgrund von Ignoranz, als bewusster Bruch oder aus anderen Gründen.

 

Das Buch als Objekt

 

Das Buch zeichnet sich – insbesondere in Abgrenzung zum digitalen Text – zuvorderst durch das materielle Vorhandensein aus. So besitzt es eine spezifische Haptik, die digitaler Text nicht besitzt. Die haptische Wahrnehmung aber bietet spezifische Orientierungsfunktionen im Text: Das Fahren des Fingers über die Zeile, das Markieren einer Stelle durch das Stecken eines Fingers zwischen die Seiten, intuitive Informationen darüber, wie viel eines Buches schon gelesen wurde und wie viel noch verbleibt (über die Dicke des Buchblockteils links bzw. rechts), ggf. Aufschluss darüber, ob es sich um eine Textseite (aus rauem Papier) oder eine eingebundene Bildtafel (aus glattem, beschichteten Papier) handelt und dergleichen mehr. Die Haptik eines digitalen Textes hingegen – sofern man überhaupt davon sprechen kann – ist die Haptik seines Ausgabemediums. Vgl. dazu Kap. 2.1.3.

 

Die spezifische Gestik, mit der ein Buch bedient wird, muss erlernt werden. Sie unterscheidet sich von den Gesten, mit denen digitaler Text (über verschiedene Darstellungsmedien) gelesen wird. Darüber...

Blick ins Buch

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