In diesem ersten Kapitel wird die Unternehmenskrise als Ganzes betrachtet. Anfangs wird der Krisenprozess als Vorstufe der Krisenprozessmodelle beschrieben. Folglich wird auf die zwei wichtigsten Krisenprozessmodelle von den Autoren Müller und Krystek eingegangen und Überschneidungen, der unterschiedlichen Ansätze, werden betrachtet. Des Weiteren wird die Krisenursachenforschung behandelt. Am Ende beschreibt der Autor anhand einer durchgeführten Studie des KSV1870 die Krisenursachen österreichischer Unternehmen.
Das Verstehen von Prozessverläufen in Krisen ist im Zusammenhang des gesamten Krisenmanagements (Vorsorge, Früherkennung und Bewältigung) von essentieller Bedeutung. Wenn eine Krise als Prozess dargestellt wird, wobei sich charakteristische Phasen ableiten lassen, kann das Ansatzpunkte für ein punktuelles Einsetzen eines aktiven bzw. reaktiven Krisenmanagements aufzeigen (Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 32). Laut der Autoren Krystek und Moldenhauer (2007, S. 32 ff.) muss der Krisenprozess in die verschiedenen Phasen unterteilt und charakterisiert werden, da eine prozessuale Darstellung für eine Krisenvermeidung und -bewältigung nicht ausreichend ist. Nach Michalak, Krystek und Moldenhauer gibt es im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl an Ansätzen zur Phaseneinteilung des Krisenprozesses (Jossé, 2004, S. 37; Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 34 ff.; Michalak, 2012, S. 46). Es ist wichtig herauszufinden wie sich Krisen zusammensetzen, denn eine oberflächliche Betrachtung ist gefährlich (Müllehner, 2014). Unter den unterschiedlichsten Ansätzen für die Phaseneinteilung werden in der Literatur das Vier-Phasen-Modell von Müller und der Aggregatszustand des Krisenprozesses nach Krystek am stärksten betrachtet. Diese Betrachtungsweise ist nachstehend auch der Fall.
Eine Darstellung aller Ansätze ist in dieser Arbeit nicht von Notwendigkeit, denn in der vorhandenen Krisenliteratur gibt es eine Menge an Krisenphasenkonzepten (Schulenburg, 2008, S. 44). Es wird auf die zwei vom Autor als schlüssigsten empfundenen Modellen eingegangen und deren Eigenheiten werden beschrieben. Am Ende werden die Ansätze in einen Kontext gebracht und eine Definition, wie der Krisenprozess für die weitere Bearbeitung verstanden wird festgelegt.
3.1.1.1 Krisenphasen nach Müller
Müller kennzeichnet seinen Ansatz durch die verschiedenen Krisenarten, die zeitlich miteinander verknüpft sind. Hierbei wird auf die unterschiedlichen Unternehmensziele in den Phasen eingegangen. Er unterscheidet zwischen der strategischen Krise, der Erfolgskrise, der Liquiditätskrise und der Insolvenz (Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 35 f.). Er präzisiert seinen Ansatz zusätzlich mit einer zeitlichen Komponente, lang-, mittel und kurzfristig, in den einzelnen Krisenphasen. Darüber hinaus verseht Müller das Ergreifen von wirksamen Gegensteuerungsmaßnahmen am Anfang mit dem Handlungsdruck, sprich Krisenvermeidung und am Ende mit dem abnehmenden Handlungsspielraum um eine Krise noch zu bewältigen (Krystek, 1987, S. 25 ff.). Die angeführte Abbildung verdeutlicht wie der Krisenprozess nach Müller verstanden wird.
Abbildung 1: Krisenphasen nach Müller
Quelle: Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 36
Bei der strategischen Krise sind überlebensnotwendige Erfolgspotenziale substantiell gefährdet (Müller, 1986, S. 56). Unternehmen weisen in dieser Phase oft keine positiven Ergebnisse auf. Hier sind die ersten Anzeichen zu erkennen. Reagiert ein Unternehmen nicht mit adäquaten Gegenmaßnahmen auf die ersten Krisensymptome, wie stagnierende Umsätze, rückläufige Aufträge, sinkende Marktanteile und unausgelastete Kapazitäten, so tritt zwangsläufig die zweite Phase ein - die Erfolgskrise (Brunke & Klein, 2008, S. 54).
Die Erfolgskrise zeichnet sich dadurch aus, dass Erfolgsziele wie Rentabilitäts-, Umsatz- und Gewinnziele gefährdet sind. Das Eigenkapital wird durch Verluste stark belastet und führt folglich zu einer Überschuldung. Das bedeutet für Anteilseigner zunehmende Wertvernichtung. Nicht nur Shareholder verlieren das Vertrauen zum Unternehmen, sondern auch andere Stakeholder wie Banken, Kunden und Lieferanten. Zumeist ist die Unternehmensführung nicht mehr in der Lage die Krise zu beherrschen (Brunke & Klein, 2008, S. 54).
Die Liquiditätskrise ist dann erreicht, wenn die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gefährdet ist. Das Eigenkapital ist fast zur Gänze aufgebraucht und negative Meldungen über die wirtschaftliche Lage treten an die Öffentlichkeit. Es besteht eine akute Illiquidität und/oder Überschuldung. Die weitere Zukunft eines Unternehmens kann ohne externe Hilfe nicht mehr gestaltet werden, denn eine positive Entwicklung erscheint hier schwierig (Brunke & Klein, 2008, S. 54; Krystek, 2006, S. 47).
Die letzte Krisenphase laut Müller ist die Insolvenz. Hier können spezifische Gläubigerziele nicht mehr bedient werden. Die Insolvenz stellt gewissermaßen einen Sonderfall dar, weil durch die Überschuldung und Illiquidität ein dominantes Unternehmensziel schon verfehlt wurde. Trotz Insolvenz besteht die Möglichkeit substanzielle Teile mit der gesetzten Zweck- und Zielsetzung zu erhalten (Brunke & Klein, 2008, S. 54; Krystek, 2006, S. 47).
3.1.1.2 Krisenprozess nach Krystek
Das Vier-Phasen-Modell nach Krystek unterteilt, wie Müller, eine Unternehmenskrise in vier Phasen. Jedoch erweitert Krystek sein Modell um Aggregatszustände und Beeinflussbarkeit im Krisenprozess. Unter Betrachtung dieser Erweiterungen unterteilt sich das Modell inhaltlich in potenzielle, latente, akut/beherrschbare und akut/nicht beherrschbare Krisen (Krystek, 2006, S. 48). Im Vergleich zum Modell nach Müller müssen nicht alle Phasen im Krisenprozess durchlaufen werden, der Ablauf der verschiedenen Phasen kann variieren (Krystek, 2006, S. 50). Diese Einteilung ist als logisch aufeinander folgende Ereignisse, wobei diese nicht zwingend in einer zeitlichen Abfolge eintreten müssen, zu verstehen (von Löhneysen, 1982, S. 102). Die unten stehende Abbildung veranschaulicht den Krisenprozess nach Krystek.
Abbildung 2: Krisenprozess nach Krystek
Quelle: Hutzschenreuter & Griess-Nega, 2006, S. 48
Die potenzielle Unternehmenskrise ist die erste Phase, hier hat die Krise seinen Anfang. Diese Stufe beschreibt eine mögliche, aber noch keine reale Krise. Durch das nicht Vorhandensein von wahrnehmbaren Krisensymptomen wird diese Phase auch als Quasi-Normalzustand bezeichnet. Jedoch kann durch fehlende oder falsche strategische Entscheidungen eine Basis für spätere Krisenausbrüche geschaffen werden (Krystek, 2006, S. 39). Diese Phase ist unter Betracht des Grades der Beeinflussbarkeit von hoher Bedeutung. Hierbei können, durch Ableiten einer adäquaten Strategie Gegensteuerungsmaßnahmen im Falle eines Eintritts eingesetzt werden (Krystek & Müller , 1997, S. 1 ff.).
Die zweite Phase ist die latente Unternehmenskrise. Charakteristisch für sie ist, dass die Krise verdeckt, aber schon vorhanden, ist. Dem Unternehmen zur Verfügung stehende Instrumentarien reichen im Regelfall noch nicht aus, um diese wahrzunehmen (Krystek, 2006, S. 49). Dies wird laut Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 26) nicht als Krisenfrüherkennung eingestuft. Es besteht noch eine relativ große Bandbreite an Möglichkeiten und ein noch nicht akuter Handlungs- und Entscheidungszwang. Deshalb hat hier ein aktives Krisenmanagement besondere Bedeutung (Krystek & Lentz, 2013, S. 39 f.).
Die dritte Phase, die akut/beherrschbare Unternehmenskrise ist erreicht, wenn es dem Unternehmen nicht gelingt die latente Unternehmenskrise rechtzeitig zu erkennen. Die ausgebrochene und akut gewordene Krise wird mittels negativen Entwicklungen von spezifischen Erfolgsgrößen konkret wahrgenommen. Die Anforderungen an ein (reaktives) Krisenmanagement nehmen bei fortschreitender Devastation von Handlungsmöglichkeiten und steigendem Zeitdruck zu (Krystek & Lentz, 2013, S. 40). In dieser Phase des Krisenprozesses werden mehrheitlich Kräfte zur Krisenbewältigung ans Unternehmen gebunden und Krisenbewältigungsreserven ausgeschöpft (Krystek, 2006, S. 49 f.). Mit dem verfügbaren Krisenbewältigungspotenzial reicht es aus, ein Fortschreiten der Krise noch abzuwenden, deshalb ist eine Beherrschung möglich (Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 38). Gelingt eine konstruktive Bewältigung der akut/beherrschbaren Krise nicht, tritt die vierte Phase ein, die akut/nicht beherrschbare Unternehmenskrise. Die Krisenbewältigungsanforderungen übersteigen hier die gegenwärtigen Bewältigungspotenziale. Durch die fortschreitende destruktive Wirkung wird eine freiwillige oder zwangsweise Liquidation des Unternehmens forciert. In solch einer Situation scheidet das Unternehmen in ihrer derzeitigen Ziel-, Zwecksetzung und Struktur vom Markt aus (Krystek & Lentz, 2013, S. 40). Entwickelt sich aus der akuten Unternehmenskrise eine Katastrophe werden überlebenswichtige Unternehmensziele nicht erreicht (Krystek, 2006, S. 50).
3.1.1.3...