4 IFRS 15 Umsatzerlöse aus Verträgen mit Kunden
4.1 Das Projekt „Revenue Recognition“
4.1.1 Hintergrund und Projektverlauf
Die Forderung nach weltweit einheitlichen Rechnungslegungsstandards ist nicht neu, aber dennoch top aktuell.[138] Derzeit arbeitet das IASB an zahlreichen Projekten, um die ange-strebte Konvergenz zwischen IFRS und US-GAAP weiter voranzutreiben.[139] Ziel der Konver-genzbemühungen ist es, qualitativ hochwertige prinzipienorientierte Rechnungslegungs-standards zu entwickeln,[140] „die verständlich und durchsetzbar sind und deshalb von allen Marktteilnehmern an allen Börsenplätzen akzeptiert werden“[141].
Umsatzerlöse sind eine entscheidende Kennzahl bei der Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens. Doch obwohl die Umsatzrealisierung zu einem der bedeutendsten Bereiche der Rechnungslegung zählt, existieren diesbezüglich bis-lang nur unzureichende Vorschriften. Neben Regelungsinkonsistenzen und -unschärfen weisen die IFRS bei der buchhalterischen Beurteilung von Mehrkomponentenverträgen zum Teil erhebliche Regelungslücken auf. In der Praxis erfolgt daher häufig ein Rückgriff auf die deutlich detaillierteren (und teilweise schwer durchschaubaren) Regelungen der US-GAAP.[142] Diese führen allerdings insbesondere branchenübergreifend zu einer schlechten Vergleichbarkeit und können zudem eine abweichende Bilanzierung gleichartiger Geschäfts-vorfälle zur Folge haben. Die Aussagefähigkeit und Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen ist daher derzeit stark einschränkt. Eine der Zielsetzung entsprechende Darstellung der Ertragslage kann somit weder nach IFRS noch nach US-GAAP in jedem Fall gewährleistet werden.[143] Aus diesem Grund haben die beiden Boards im Jahr 2002 das Konvergenzprojekt „Revenue Recognition“ eingeleitet, um einen einheitlichen und prinzipienorientierten Standard zur Umsatzrealisierung zu schaffen.[144]
Nachdem jahrelang kein wesentlicher Fortschritt im Projekt „Revenue Recognition“ erzielt wurde, veröffentlichten die beiden Standardsetzer im Dezember 2008 das Diskussions-papier (DP) „Preliminary Views on Revenue Recognition in Contracts with Customers“, in welchem sie ihre Vorschläge zu einer Neugestaltung der Umsatzrealisierung vorstellten.[145] Das Resultat der darauf folgenden Auswertungen und Beratungen ist der im Juni 2010 her-ausgegebene Exposure Draft (ED) „Revenue from Contracts with Customers“ (ED/2010/6). Dieser löste allerdings eine bisher unbekannte Flut an kritischen Kommentaren aus.[146] Die beiden zuständigen Gremien reagierten auf die breite Kritik der Öffentlichkeit, indem sie ihr Modell zur Umsatzrealisierung erneut überarbeiteten und im November 2011 einen aktuali-sierten Standardentwurf veröffentlichten.[147] Nachdem die knapp 360 eingegangenen Stell-ungnahmen zum Re-ED/2011/6 „A revision of ED/2010/6 Revenue from Contracts with Customers“ (ED/2011/6) sowie die Ergebnisse der zahlreichen öffentlichen Diskussion-srunden (round tables) und Beratungen (Redeliberations) umfassend erörtert wurden, verab-schiedeten die Boards im Mai 2014 den finalen Standard IFRS 15.[148] Seine Übernahme in das EU-Recht (Endorsement) ist für das zweite Quartal 2015 vorgesehen.[149] Abbildung 8 stellt den Projektverlauf nochmals grafisch dar.
Abb. 8: Projektverlauf
(Quelle: Eigene Darstellung)
Zielsetzung des IFRS 15 ist es, entscheidungsnützliche Informationen hinsichtlich Art, Umfang, Zeitpunkt und Unsicherheit in Bezug auf Umsatzerlöse und Zahlungsströme aus Kundenverträgen zu liefern.[150] Der neue Standard ist erstmalig für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2017 beginnen, verpflichtend anzuwenden. Eine vorzeitige An-wendung ist nach erfolgter EU-Übernahme zulässig und im Abschluss zu vermerken.[151] Zur erstmaligen Anwendung des Standards gehört auch die rückwirkende Anwendung auf bestehende Verträge, die zu Beginn der Berichtsperiode noch nicht oder nicht vollständig erfüllt wurden. Im Hinblick auf die Vergleichsperioden können Unternehmen zwischen den folgenden zwei Methoden wählen:
Vollständige retrospektive Anwendung von IFRS 15 auf frühere Berichtsperioden (mit bestimmten praktischen Erleichterungen) oder
Beibehaltung der früheren Beträge, die nach den zuvor geltenden Standards bilanziert wurden und Anpassung des Eigenkapitals in Höhe des kumulativen Effekts ab Beginn der ersten Berichtsperiode.[152]
Abbildung 9 fasst die Übergangsvorschriften nochmals grafisch zusammen.
Abb. 9: Übergangsvorschriften
(Quelle: KPMG (2014b), S. 28)
4.1.3 Anwendungsbereich von IFRS 15
IFRS 15 ersetzt die derzeit geltenden Regelungen in IAS 18 und IAS 11 sowie sämtliche Interpretationen – IFRIC 13, IFRIC 15, IFRIC 18, SIC-31.[153] In den Anwendungsbereich des neuen Standards fallen grundsätzlich alle Verträge mit Kunden zur Erbringung von Sach- und/oder Dienstleistungen, die im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Unter-nehmens entstehen.[154] Ausgenommen sind davon allerdings:
Leasingverträge, die in den Anwendungsbereich von IAS 17 fallen;
Versicherungsverträge im Anwendungsbereich von IFRS 4;
Finanzinstrumente und andere vertragliche Rechte oder Pflichten, die unter IFRS 9, IFRS 10, IFRS 11, IAS 27 oder IAS 28 fallen; sowie
nicht-finanzielle Tauschgeschäfte zwischen Unternehmen desselben Geschäfts-bereichs, die darauf abzielen, Veräußerungen an Kunden oder potenzielle Kunden zu erleichtern.[155]
Die Regelungen des IFRS 15 finden darüber hinaus auch auf die Bewertung und Erfassung von Gewinnen/Verlusten aus der Veräußerung bestimmter nicht-finanzieller Vermögenswerte Anwendung, die keine Leistungen des Unternehmens im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit darstellen (z.B. Verkauf von Sachanlagen oder immateriellen Vermögens-werten).[156] Zins- und Dividendenerträge fallen dagegen nicht mehr in den Anwendungs-bereich des Standards zur Erlösvereinnahmung und werden somit künftig Regelungs-gegenstand von IFRS 9 bzw. IAS 39.[157]
Sofern ein Kundenvertrag in den Anwendungsbereich mehrerer Rechnungslegungs-standards fällt, welche Hinweise zur Identifizierung und Bewertung von Vertragskompo-nenten enthalten, haben deren Vorschriften generell Vorrang.[158]
Das Grundprinzip des IFRS 15 besteht darin, dass Umsatzerlöse zu erfassen sind, wenn die Leistungsverpflichtung erbracht und somit die Verfügungsmacht an der versprochenen Ware bzw. Dienstleistung auf den Kunden übertragen wurde. [159]
Der neue Standard folgt dem asset-liability approach, wodurch die aus dem Kundenvertrag resultierenden Leistungsverpflichtungen und -ansprüche im Fokus stehen. Diese werden saldiert in der Bilanz ausgewiesen. Bei Vertragsabschluss sind somit i.d.R. keine Ver-mögenswerte oder Schulden aus dem Vertrag zu bilanzieren, da sich die Leistungsver-pflichtung und der Anspruch auf Gegenleistung in gleicher Höhe gegenüberstehen. Erst bei Erfüllung einer Leistungsverpflichtung entsteht ein contract asset oder eine contract liability. Umsatzerlöse sind in Höhe der erfüllten Leistung auszuweisen. [160] Für die Bestimmung der Höhe und des Zeitpunkts der Umsatzrealisierung sind dabei die in Abbildung 10 darge-stellten fünf Schritte zu durchlaufen.[161]
Abb. 10: Fünf-Schritt Modell
(Quelle: In Anlehnung an: IFRS 15.IN7)
Der neue Standard ermöglicht eine praktische Erleichterung, indem dieser auf...