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Den Kaiser herausfordern

Die Usurpation im Römischen Reich

AutorEgon Flaig
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl600 Seiten
ISBN9783593440194
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis48,99 EUR
Im Römischen Reich kam es gelegentlich zu Usurpationen, dabei wurde der Kaiser herausgefordert und gestürzt. Im 1. Jahrhundert gelangten auf diese Weise Galba, Otho, Vitellius und Vespasian zur Macht. Kein Phänomen beleuchtet das Funktionieren dieser Monarchie so gut wie solche Fälle extremer politischer Krisen. In ihnen kommen die Bedingungen der Akzeptanz und die Strukturen der Herrschaft jäh zum Vorschein. Mithilfe von Diskursanalyse, Politischer Anthropologie und Historischer Soziologie entwirft Egon Flaig in seinem Standardwerk eine eigene Theorie des politischen Systems im Römischen Reich und leistet damit einen Beitrag zur Kulturgeschichte des Politischen.

Egon Flaig ist emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Rostock.

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Leseprobe

1. Die Akzeptanzmonarchie


1.1 Staat und Staatlichkeit – zur Anwendbarkeit der Begriffe


Das Imperium Romanum war ein Staat. Die staatlichen Funktionen waren hauptsächlich auf drei Ebenen gelagert. Die erste stellte die Zentrale dar, nämlich die kaiserliche Regierung, und an diese angegliedert der Senat und die Volksversammlung der Stadt Rom; die zweite waren die Provinzen, wo das Wechselspiel von Statthalter und provinzialen Versammlungen maßgeblich war; die dritte waren die Städte. Die mittlere Ebene war die am schwächsten ausgebildete. Das lag an der Besonderheit dieses Imperiums, das aus mindestens 2.000 selbstverwalteten Städten bestand, die den Rahmen abgaben für eine welthistorisch einmalige urbane Zivilisation. Diese Städte waren kleine Republiken mit sehr unterschiedlich intensiver Partizipation ihrer Bürger.36 Wegen dieser Überentwicklung des Städtewesens benötigte das Imperium Romanum keine dermaßen perfekte Verwaltung wie etwa das Mittlere Reich Ägyptens oder das chinesische ab der Song-Ära. Die Zentrale hingegen verfügte über gigantische Ressourcen finanzieller und militärischer und diplomatischer Art. Und sie sorgte für kontinuierliche und substantielle Investitionen in die Infrastruktur der Provinzen, ferner für jene extrem hohe Akzeptanz, von welcher die römische Herrschaft auf diesem multinational und multikulturell geprägten Territorium des Reiches sich getragen wußte.

Manche Historiker bezweifeln, daß dieses Imperium ein Staat gewesen sei. In regelmäßigen Wellenschlägen seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, kommt die Ansicht auf, man könne den Begriff des Staates nicht anwenden vor dem 17. Jh. oder überhaupt außerhalb der europäischen Geschichte. Das mutet seltsam an. Blickt man genauer, bemerkt man, daß dieser Zweifel fast ein rein deutsches Phänomen ist. Es hat eine intellektuelle Vorgeschichte, die sich hier nicht wiedergeben läßt. Die Diskussion über Staat und Staatlichkeit hat immer auch eine kategoriale Dimension. Die Historie ist eine Realwissenschaft; doch ein Großteil ihrer Begriffe sind keine empirischen Begriffe im Sinne sinnlicher Empirie wie ›Baum‹ oder ›Blume‹, sondern Funktionsbegriffe. ›Staat‹ ist ein solcher Funktionsbegriff,37 obschon es sich um eine Realkategorie handelt, die sich letztlich auf Empirisches bezieht. Indes, der ›Staat‹ hat ebenso wenig eine empirische Existenz wie die Gravitation. Und doch üben beide eine enorme Kraft aus; man kann diese Kraft empirisch feststellen und beobachten. Es sind also keine rein intelligiblen Entitäten; als logische Konstrukte beziehen sie sich auf Empirisches. Und die Empirie, welche der Historiker vor sich hat, ist, wie Johann G. Droysen kategorisch formulierte, niemals die Vergangenheit selber, sondern immer nur deren Spuren.38 Grosso modo sind es vier Sichtweisen, die dem Begriff des Staates abhold sind oder seinen Gebrauch drastisch einengen. Die erste ist eine kryptotheologische, aber scheinbar rechtshistorische, die zweite basiert auf einer Geschichte der administrierten Konzentration von Ressourcen, die dritte ist die Systemtheorie Luhmann’scher Prägung, die vierte entstammt der Politischen Anthropologie.

Die erste Sichtweise stammt von Carl Schmitt. Er hat die Anwendung des Staatsbegriffs auf die Antike kategorisch zurückgewiesen. Von ›Staat‹ zu reden im Zusammenhang mit Athenern oder Römern ist für ihn »eine schlimmere Fehlerquelle als wenn man vom Bienen- oder Ameisenstaat spricht.«39 Seine Ansicht erfreut sich vor allem in der deutschen Rechtshistorie einer andauernden breiten Rezeption. Freilich mischen sich in diese Rezeption mehr geschichtstheologische Prämissen, als den fachlichen Rezipienten bewußt oder lieb ist. Denn für Schmitt ist die gesamte Geschichte seit etwa 30 n. Chr. eine Heilsgeschichte, die ständig auf die apokalyptische Katastrophe zutriebe, wenn nicht ein ›Katechon‹ – ein Aufhalter – dies jedes Mal verhinderte. Vor diesem Hintergrund ist der Hauptsatz der Schmitt’schen politischen Theologie zu lesen: »Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.«40 Dieser Satz zerbricht die Antike in eine heidnische Vorgeschichte, die uns fremd und ohne die geringste Relevanz für uns ist und in eine Heilsgeschichte, in die sich das Imperium Romanum reichstheologisch eingliedert. Der moderne Staat ist nach Schmitt entstanden aus dem Bemühen, den religiösen Bürgerkrieg im westlichen Mitteleuropa stillzulegen. Dieser hätte die christliche Welt apokalyptisch vernichtet, wenn nicht diese übergeordnete Instanz sich herausgebildet hätte, um dem Rückfall ins Chaos Einhalt zu gebieten. Der Staat ist entstanden als rettende Instanz. Die stattliche Anzahl von Rechtsgelehrten, die fast jede Position Schmitts ablehnen, aber trotzdem diesen Gedanken beibehalten und den modernen Staat hervorgehen lassen aus der Notwendigkeit, daß eine neutrale Instanz die konfessionellen Kriege beendete, sie transportieren meist ohne Wissen und sicher wider Willen eine stattliche geschichtstheologische Ladung.41

Die zweite Sichtweise beruht auf andersartigen Prämissen; und ihre Vertreter erzählen eine andere Genese des (modernen) Staates: Diese habe nichts zu tun mit den religiösen Bürgerkriegen. Sie resultiere vielmehr aus der Dynamik von feudalen Monarchien, die ständig Ressourcen mobilisieren und konzentrieren mußten, um Kriege führen zu können. Charles Tilly hat 1992 diese Ansicht prägnant formuliert. Seine vielzitierte Eingangsdefinition verweist auf mehrere Aporien, die in diesem Ansatz stecken:

»Let us define states as coercion-wielding organizations that are distinct from households and kinship groups and exercise clear priority in some respect over all other organizations within substantial territories. The term therefore includes city-states, empires, theocracies, and many other forms of government, but excludes tribes, lineage, firms, and churches as such.«

Nach dieser Definition gälte als Staat auch eine militärisch überlegene Räuberbande, die ein bestimmtes Territorium regelmäßig terrorisiert. In der Definition erscheint eine denunziatorische Tendenz, die sich als ›kritisch‹ ausgibt. Ähnlich verfährt Wolfgang Reinhard, welcher dieselbe These schon 1987 vertrat und sie 1999 in seinem umfangreichen Werk zur Geschichte der Staatsgewalt ausführte, darlegend, wie die Expansion des Militärs und die Extension der Steuerwesens den Monarchien einen enormen Zuwachs an herrschaftlichen Befugnissen und organisatorischer Kompetenz erbrachte. An sich verhält sich diese These indifferent zur Frage, ob auch in Hochkulturen außerhalb Europas sich Staaten bildeten.42 Indes, Niklas Luhmann verlautbarte 1994 apodiktisch: »Soviel ist klar: Der Staat ist eine europäische Erfindung.« Dieser Verengung folgt Reinhard und behauptet, daß »Europa den Staat erfunden« habe, weshalb die europäische Entwicklung eine »weltgeschichtliche Ausnahme« darstelle.43 Er geht noch einen Schritt weiter und schränkt die Geltung des Begriffs ›Staat‹ auf das lateinische Europa des 16. bis 20. Jhs. ein. Eine kühne Aussage, die Reinhard nicht belegen kann. In mehreren Hochkulturen läßt sich nachweisen, daß die organisatorische Kompetenz der Zentrale anwuchs im Zusammenhang mit einem kostspieligen Militär und einem effizienten Steuerwesen. Einige davon übertreffen die absolutistischen Monarchien des frühneuzeitlichen Europa deutlich oder gar bei weitem.

Halten wir an dieser Stelle inne, bevor wir uns der dritten Sichtweise zuwenden. Reinhards These ist genau besehen tautologisch, auch weil seine Definitionen unscharf sind und er historisches Vergleichen unterläßt. Gerade deswegen sind solche Mißgriffe geschichtstheoretisch hilfreich. Sie erinnern daran, daß Kategorienbildung sich nicht von den Weber’schen Standards verabschieden sollte. Das ist der kantianische Tribut, den unsere Wissenschaft zu entrichten hat. Aussagen über historische Besonderheiten und über historische Einzigartigkeit sind logisch nur möglich, wenn der Historiker analytische Konzepte verwendet, die erlauben, Vergleiche forschungspraktisch durchzuführen. Georg Jellineks Trias – Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt – stellt solche Konzepte dar; alle drei lassen sich modifizieren, ...

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