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Der Schattenkrieg

Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad - Ein SPIEGEL-Buch

AutorRonen Bergman
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl864 Seiten
ISBN9783641095154
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Von der Staatsgründung Israels bis heute - die erste umfassende Geschichte der geheimen Tötungskommandos des Mossad
Mordanschläge, die dem israelischen Geheimdienst Mossad zugeschrieben werden, sorgen immer wieder für Aufsehen. Doch über die Hintergründe dieser Aktionen war bislang kaum etwas bekannt. In seinem packend geschriebenen Enthüllungsbuch deckt der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman nun erstmals die ganze Dimension eines Schattenkriegs auf, der seit Jahrzehnten im Geheimen ausgetragen wird. Er beschreibt die Erfolge und Misserfolge der zum Teil unbekannten Attentate, benennt Opfer, Täter und Verantwortliche und fragt, welchen Preis Staat und Gesellschaft in Israel für ihre Sicherheit bezahlen.

Ronen Bergman, geboren 1972, ist Chefkorrespondent für Militär- und Geheimdienstthemen bei der israelischen Tageszeitung Yediot Acharonot. Nach Abschluss seines Jurastudiums an der Universität Haifa arbeitete er zunächst für den israelischen Generalstaatsanwalt und promovierte dann an der Universität Cambridge mit einer Arbeit über den Mossad. Bergman ist einer der führenden Experten für Sicherheitsfragen und Geheimdienste im Nahen Osten, seine Analysen werden u.a. in der New York Times, im SPIEGEL und in der Zeit veröffentlicht. Er ist Autor mehrerer Bücher, für seine publizistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem B'nai B'rith's International Press Award und mit dem Sokolow-Preis, Israels wichtigstem Preis für Journalisten.

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Leseprobe

1 In Blut und Feuer

Am 29. September 1944 verbarg sich David Schomron im Dunkel der St. George Street, nicht weit entfernt von der Rumänischen Kirche in Jerusalem. Ein Kirchengebäude wurde von den britischen Machthabern in Palästina als Offiziersunterkunft genutzt, und Schomron wartete darauf, dass einer dieser Offiziere – ein Mann namens Tom Wilkin – die Unterkunft verließ.

Wilkin war Kommandeur der jüdischen Einheit der CID (Criminal Investigation Department, Kriminalpolizei) im britischen Mandatsgebiet. Er machte seine Arbeit ausgezeichnet, insbesondere wenn es darum ging, den jüdischen Untergrund, der regelmäßig für Unruhe sorgte, zu unterwandern und zu stören.[1]

Wilkin war aggressiv, gleichzeitig aber außerordentlich geduldig und berechnend, sprach fließend Hebräisch und hatte sich in 13 Dienstjahren in Palästina ein weitreichendes Netzwerk von Kontaktmännern aufgebaut. Dank der Informationen, die diese lieferten, wurden Untergrundkämpfer verhaftet, ihre Waffenlager beschlagnahmt und geplante Aktionen vereitelt, die auf einen britischen Abzug aus Palästina gerichtet waren.[2]

Das war der Grund, warum David Schomron Tom Wilkin umbringen wollte.

Schomron und sein Partner an jenem Abend, Jaakow Banai (Deckname Mazal, »Glück«), waren Agenten der Lechi, der radikalsten aller zionistischen Untergrundbewegungen, die Anfang der 1940er-Jahre gegen die Briten kämpften. Lechi war zwar das Akronym für »Kämpfer für die Freiheit Israels« auf Hebräisch, doch betrachteten die Briten die Gruppe als Terrororganisation und bezeichneten sie abfällig als »Stern-Bande«, nach ihrem Gründer, dem romantischen Ultranationalisten Avraham Stern. Stern und seine kleine Gefolgschaft verursachten mit Attentaten und Bombenanschlägen ein gezieltes Chaos – eine Kampagne »persönlichen Terrors«, wie der Einsatzleiter der Lechi (und spätere israelische Ministerpräsident), Jitzchak Schamir, es nannte.[3]

Wilkin wusste, dass man ihn im Visier hatte. Fast drei Jahre zuvor hatte die Lechi schon einmal versucht, ihn und seinen Chef Geoffrey Morton umzubringen. Es war die erste, unbeholfene Aktion der Gruppe. Am 20. Januar 1942 brachten Attentäter auf dem Dach und in den Räumlichkeiten des Gebäudes Yael Street Nr. 8 in Tel Aviv Bomben an. Doch statt der beiden Personen, auf die sie es abgesehen hatten, töteten sie drei Polizeibeamte – zwei Juden und einen Engländer, die eintrafen, bevor Wilkin und Morton die Ladungen auslösen konnten. Wenig später floh Morton aus Palästina, nachdem er bei einem weiteren Angriff auf sein Leben verletzt worden war – diesmal als Racheakt dafür, dass er Stern erschossen hatte.[4]

Solche Einzelheiten, das Hin und Her, wer wen in welcher Reihenfolge getötet hatte, kümmerten Schomron nicht. Die Briten hatten das Land besetzt, das die Zionisten als das rechtmäßig ihre betrachteten, und das allein zählte. Schamir hatte gegen Wilkin öffentlich die Todesstrafe verhängt.[5]

Für Schomron und seine Kameraden war Wilkin kein Mensch, sondern vielmehr ein Ziel, prominent und daher wertvoll. »Wir waren zu beschäftigt und hungrig, um uns Gedanken über die Briten und ihre Familien zu machen«, sagte Schomron.[6]

Als die Attentäter herausfanden, dass Wilkin im Nebengebäude der Rumänischen Kirche lebte, machten sie sich zu ihrer Mission auf. Schomron und Banai hatten Revolver und Handgranaten in ihren Taschen. In der Nähe befanden sich zusätzliche Lechi-Mitglieder, elegant mit Anzug und Hut bekleidet, damit sie wie Engländer aussahen.

Wilkin verließ die Offiziersunterkunft in der Kirche und machte sich auf den Weg zur Einrichtung der Kriminalpolizei im Russenbau, wo der Untergrundtätigkeit verdächtige Personen festgehalten und verhört wurden. Er war wachsam wie immer und sah sich unterwegs ständig um. Dabei behielt er eine Hand die ganze Zeit über in der Tasche. Als er die Ecke St. George Street und Mea Schearim Street erreichte, erhob sich ein Jugendlicher, der vor einem örtlichen Gemüseladen saß, und ließ seinen Hut fallen. Das war das Signal. Die beiden Attentäter gingen auf Wilkin zu und identifizierten ihn anhand der Fotos, die sie sich angesehen hatten. Schomron und Banai ließen ihn passieren und hielten mit schweißnassen Händen ihre Revolver umklammert.[7]

Dann wandten sie sich um und zogen die Waffen.

»Bevor wir es taten, sagte Banai: ›Lass mich als Erster schießen‹«, erinnerte sich Schomron. »Doch als wir ihn sahen, konnte ich mich nicht zurückhalten, glaube ich. Ich schoss als Erster.«

Insgesamt feuerten Banai und Schomron 14 Schüsse ab. Elf dieser Kugeln trafen Wilkin. »Es gelang ihm, sich umzudrehen und seine Pistole zu ziehen«, sagte Schomron. »Doch dann fiel er mit dem Gesicht voran zu Boden. Aus seiner Stirn ergoss sich ein Strahl Blut wie aus einer Quelle. Es war kein besonders schöner Anblick.«

Eilig kehrten Schomron und Banai ins Halbdunkel zurück und flüchteten mit einem Taxi, in dem ein anderes Lechi-Mitglied bereits auf sie wartete.

»Das Einzige, was ich bereute, war, dass wir vergaßen, seine Aktentasche mitzunehmen, in der er seine ganzen Dokumente hatte«, sagte Schomron. Abgesehen davon »empfand ich rein gar nichts, nicht einmal den Anflug eines Schuldgefühls. Wir glaubten, je mehr Särge nach London geschickt würden, desto näher wäre der Tag der Befreiung.«[8]

Die Vorstellung, dass die Rückkehr des Volkes Israel in das Land Israel nur durch Gewalt erreicht werden könne, war freilich keine Erfindung von Stern und seinen Kameraden von der Lechi.

Diese Strategie geht auf acht Männer zurück, die am 29. September 1907 in einer stickigen Einzimmerwohnung mit Blick über einen Orangenhain in Jaffa zusammenkamen. Es war exakt 37 Jahre, bevor das Blut aus Wilkins Kopf strömte. Damals war Palästina noch ein Teil des Osmanischen Reiches. Mieter des Apartments war Jitzchak Ben Zwi, ein junger Russe, der früher im Jahr in das osmanische Palästina emigriert war. Wie die anderen, die sich an jenem Abend in seiner Wohnung trafen – sämtlich Einwanderer aus dem Russischen Reich, die auf einer Strohmatte auf dem Fußboden des von Kerzen erhellten Zimmers saßen –, war auch er ein bekennender Zionist, wenngleich er einer Splittergruppe angehörte, die einst die Bewegung zu entzweien gedroht hatte.[9]

Der Zionismus als politische Ideologie war 1896 aufgekommen, als der jüdische Wiener Journalist Theodor Herzl Der Judenstaat veröffentlichte. Das Werk war unter dem Eindruck seiner Berichterstattung über den Prozess von Alfred Dreyfus entstanden, eines in Paris zu Unrecht des Verrats bezichtigten und verurteilten jüdischen Armeeoffiziers.

In seinem Buch argumentierte Herzl, der Antisemitismus sei in der europäischen Kultur so fest verwurzelt, dass das jüdische Volk wahre Freiheit und Sicherheit nur in einem eigenen Nationalstaat erlangen könne. Die jüdische Elite Westeuropas, der es gelungen war, sich eine bequeme Existenz einzurichten, lehnte Herzls Ideen zum großen Teil ab. Bei den armen und zur Arbeiterklasse gehörenden Juden Osteuropas hingegen, die unter regelmäßigen Pogromen und ständiger Unterdrückung litten, fielen seine Gedanken auf fruchtbaren Boden. Manche reagierten damit, dass sie sich linken Aufständen anschlossen.

Herzl selbst betrachtete das jüdische Stammland Palästina zwar als ideales Gebiet für einen künftigen jüdischen Staat, betonte dabei aber, dass jedwede Ansiedlung dort geregelt und behutsam vonstattengehen müsse, über offizielle diplomatische Kanäle und mit internationaler Duldung, sollte ein jüdischer Staat denn eine Überlebenschance in Frieden haben. Herzls Weltsicht wurde als politischer Zionismus bekannt.

Ben Zwi und seine sieben Kameraden waren, wie auch die meisten anderen russischen Juden, praktische Zionisten. Anstatt darauf zu warten, dass ihnen der Rest der Welt eine Heimat zugestand, glaubten sie daran, selbst eine zu schaffen – indem sie nach Palästina gingen, das Land bestellten und die Wüste zum Erblühen brachten. Sie wollten nehmen, was ihnen nach eigener Überzeugung zustand, und verteidigen, was sie genommen hatten.[10]

Dies brachte die praktischen Zionisten in direkten Konflikt mit den meisten Juden, die bereits in Palästina lebten. Als winzige Minderheit in einem arabischen Land – viele waren Krämer, Religionsgelehrte und Beamte des Osmanischen Reiches – zogen sie es vor, nicht aufzufallen. Durch Unterwürfigkeit, Kompromisse und Bestechung war es diesen eingesessenen palästinensischen Juden gelungen, sich ein gewisses Maß an Frieden und Sicherheit zu erkaufen.

Ben Zwi und die anderen Neuankömmlinge waren über die von ihren Landsleuten hingenommenen Bedingungen jedoch entsetzt. Viele lebten in bitterer Armut und besaßen keinerlei Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, wodurch sie auf Gedeih und Verderb von der arabischen Mehrheit und den führenden Beamten des korrupten Osmanischen Reiches abhängig waren. Arabische Mobs griffen jüdische Siedlungen an und plünderten sie, meist ohne Konsequenzen. Schlimmer noch fanden Ben Zwi und die anderen, dass sich ebendiese Siedlungen unter den Schutz arabischer Bewacher gestellt hatten – die ihrerseits bisweilen mit dem angreifenden Pöbel...

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