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E-Book

Die inklusive Schule

Standards für die Umsetzung

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783170239821
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Inklusive Schulen entwickeln - wie geht das? Dieser Band definiert Mindestanforderungen, die bei Schulentwicklungen mit der Zielperspektive Inklusion zu beachten sind und erläutert praxisnah Ziele und Strategien der Umsetzung: Von der Klärung struktureller Voraussetzungen, dem Aufbau Regionaler Bildungslandschaften, über die Gestaltung eines inklusiven Unterrichts und prozessbegleitender Diagnostik bis hin zu Fragen institutioneller Übergänge, Konzepten für die Aus- und Weiterbildung und der Beratung. Zudem werden bereits erprobte Schulentwicklungsinstrumente vorgestellt und erläutert. Unter Beteiligung namhafter AutorInnen aus der Integrations- und Inklusionsforschung werden hiermit mustergültige Leitlinien für die Entwicklung inklusiver Schulen vorgelegt.

Prof. Dr. Vera Moser lehrt Allgemeine Rehabilitationspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Leseprobe

Einleitung


Standards für die Umsetzung von Inklusion im Bereich Schule


Vera Moser

 

Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland stehen viele Fragen zur Klärung an, in welcher Weise die Konvention umgesetzt werden kann – dies betrifft insbesondere die inhaltliche Füllung dessen, was mit der Bereitstellung der „angemessenen Vorkehrungen“ gemeint ist. Dass sie umgesetzt werden muss, und zwar auch in einem definierten Zeitraum, ist jedoch inzwischen auch durch einschlägige Rechtsgutachten eindeutig belegt und insofern unumstritten.

Die Bundesregierung hat das Deutsche Institut für Menschenrechte mit dem Monitoring der Umsetzung der Konvention beauftragt. Zugleich sind auf den verschiedenen Ebenen von Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen inzwischen Verlautbarungen veröffentlicht worden bzw. in Arbeit, um Empfehlungen für die Umsetzung zu erarbeiten. Auch ein „Nationaler Aktionsplan der Bunderegierung zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ liegt inzwischen vor, und die einzelnen Bundesländer haben ebenfalls solche Aktionspläne bereits entwickelt oder solche in Arbeit. Für den Bereich der Schule hat die Kultusministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung“ eingerichtet, um auf die veränderten Vorgaben durch die Konvention einzugehen. Diese neuen Empfehlungen wurden der Öffentlichkeit Ende 2010 unter dem Titel „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ zur Kommentierung vorgelegt und am 20. 10. 2011 verabschiedet. Richtungsweisend ist an diesem Papier, dass inklusive Bildung nicht mehr als Problem der sonderpädagogischen Förderung gesehen wird und die einfache Fortschreibung der „Empfehlung zur Sonderpädagogischen Förderung“ von 1994 aufgegeben wurde – kritische Stimmen haben jedoch zu Recht angemerkt, dass eine Prioritätensetzung inklusiver Bildung gegenüber dem Sonderschulsystem nicht erkennbar sei: „Die Papiere spiegeln die verbindliche Richtungsentscheidung der Konvention für ein inklusives Bildungssystem nicht wider“ (Deutsches Institut für Menschenrechte 2011, 8, Herv. i. O.).

Die Einrichtung inklusiver Schulen kann keineswegs als primär sonderpädagogische Aufgabe verstanden werden. Sie bezieht sich zwar vordringlich auf die Belange behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn man die UN-Behindertenrechtskonvention zugrunde legt; Inklusion ist aber ebenfalls bezogen auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen aus marginalisierten Lebenslagen – der Bildungsbericht 2010 weist inzwischen ein Drittel aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen als betroffen von Risikolebenslagen aus. Insofern fehlen dringende und verbindliche bildungspolitische Empfehlungen dahingehend, wie das Schulsystem als Ganzes auf diese Befunde und die Konvention zu reagieren hat, inwiefern die Umsetzung von Inklusion von den Kultus- und den lokalen Schulbehörden initiiert werden sollte (Anpassung der Schulgesetze, Erarbeitung von Verwaltungsvorschriften) und welche notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen sind. Insbesondere an ersten Praxisbeispielen wird deutlich, dass umfassende Kenntnisse über die Entwicklung inklusiver Schulen nicht konsistent zusammengetragen wurden und unklar blieb, inwiefern an vorhandenes Wissen aus der langjährigen Integrationsforschung und -praxis angeknüpft werden kann (letzteres Problem ist z. T. auch wissenschaftspolitisch verursacht, in dem ein Streit darüber entbrannt ist, ob Inklusion Integration ablösen sollte, Inklusion gegenüber Integration etwas qualitativ oder quantitativ anderes sei oder ob Integration eine z. T. nur unzureichende Praxis einer besseren Idee war). Auch hier hat das Papier des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom 31. 3. 2011 eindeutig Position bezogen:

„Die Wirk- und Überzeugungskraft der Konvention wäre größer, wenn alle wüssten, dass Inklusion – anders als vermutet – sehr gut erprobt ist. Zu wenig Beachtung finden wissenschaftliche Untersuchungen, die nicht nur zeigen, dass Inklusion gelingt, sondern auch, dass der Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Begabungen elementare Anreize für individuelles Lernen schafft.“ (Deutsches Institut für Menschenrechte 2011, 5)

In diesem Buch wird ebenfalls die ausdrückliche Position vertreten, dass Integration und Inklusion keineswegs unterschiedliche Ansätze darstellen, Inklusion jedoch in der Konsequenz noch stärker auf Schulentwicklung fokussiert ist und dabei zur Grundlage hat, auf Etikettierungen von Schüler/innen zur Ressourcengewinnung zu verzichten.

Aufgrund der beschriebenen noch unklaren Gemengelage über die Frage nach dem„Wie“ der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich – auch auf Anregung der „BAG Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ – eine Arbeitsgruppe aus dem Bereich der Integrations- und Inklusionsforschung gegründet, die mit den hier vorliegenden Standards zur Umsetzung von Inklusion für den Bereich Schule Leitlinien aufzeigen will, die für die Entwicklung inklusiver Schulen orientierend sein sollten. Standards basieren dabei auf normativen Überzeugungen zu sogenanntem „best practice“, sie sind sowohl gewonnen aus vorhandenen Forschungsergebnissen, Ausbildungsbestimmungen, aber auch aus Kenntnissen gelungener Praxis. Sie können als Minimal- oder Durchschnitts- bzw. Regelstandards formuliert werden. Wir haben in diesem Buch allerdings auf diese Differenzierung verzichtet, da hierfür noch keine ausgewiesenen Forschungsbefunde vorliegen. Beschrieben sind also in erster Linie Regelstandards. Solche Standards sind allerdings in den individuellen Schulentwicklungsprozessen noch einmal mit Indikatoren zu versehen, die für die konkrete Implementierung und Evaluation von Inklusion vonnöten sind.

Standards stehen derzeit jedoch in der Kritik, da sie primär im Kontext von output-orientierten Steuerungskonzepten im Bildungssystem genutzt werden. Entwickelt man aber zusätzliche Standards, die sich auf weitere Qualitätsdimensionen von Bildungsprozessen beziehen, werden auch andere Funktionen von Schule sichtbar, nämlich ihre Sozialisations- und ihre Integrationsfunktion. Demnach wird unter „out-put“ nicht alleine der Anstieg von spezifischen kognitiven Leistungen einzelner Schüler/innen verstanden, sondern auch der Aspekt der Entwicklung einer förderlichen Lernumgebung. Dieser Aspekt wurde zudem als explizite Aufgabe des Lehrerhandelns in den Standards der Kultusministerkonferenz formuliert: „Lehrer und Lehrerinnen beteiligen sich an der Schulentwicklung, an der Gestaltung einer lernförderlichen Schulkultur und eines motivierenden Schulklimas“ (Ständiges Sekretariat der Kultusministerkonferenz 2004, 3). In der Expertise des Erziehungswissenschaftlers Terhart ist darüber hinaus festgehalten, dass Standards keineswegs dauerhafte Konzepte seien, sondern sich in der ständigen Weiterentwicklung, auch durch Evaluationsschleifen, befänden: „Die Arbeit an Standards für die Lehrerbildung setzt eine permanente Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Leitbildern für den Lehrerberuf sowie Leitbildern für Schule und Unterrichten voraus“ (Terhart 2002, 2.1, Herv. i. O.). Insofern sind auch die hier vorgelegten Standards Orientierungslinien, die der weiteren Diskussion, Evaluation und Entwicklung unterliegen. Die Entwicklung von Standards zur Umsetzung von Inklusion wurde für folgende thematische Bereiche vorgenommen:

  • Rechtliche Grundlagen und angemessene Vorkehrungen
  • Strukturelle Voraussetzungen und Ressourcen im Kontext von Schulentwicklung
  • Transitionen: Übergänge von Kindergarten/Schule, Grundschule/Sek I und Schule/Beruf
  • Professionalisierung und Aus-, Fort- und Weiterbildung
  • Unterricht (einschl. Standards und Kompetenzen)
  • Vorkehrungen zur Sicherung von Lernerfolgen in der inklusiven Schule einschl. Lern- und entwicklungsbezogener Diagnostik
  • Unabhängige Beratung.

Die jeweils in den Beiträgen formulierten Standards beziehen sich sowohl auf die Ebene der politisch-rechtlichen Steuerung, der Administration (Verwaltung einschl. Kostenträgern), des einzelnen Systems Schule, der Professionellen wie auch auf das Individuum unter der Perspektive der Bereitstellung „angemessener Vorkehrungen“.

Insgesamt geht die Beschreibung von Standards für Inklusion von folgender Definition aus:

„Inklusive Pädagogik bezeichnet Theorien zur Bildung, Erziehung und Entwicklung, die Etikettierungen und Klassifizierungen ablehnen, ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen nehmen, für deren Partizipationin allen Lebensbereichen plädieren und auf strukturelle Veränderungen der regulärenInstitutionen zielen, um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer/innen gerecht zu werden.“ (Biewer 2009,193)

Diese Formulierung wäre noch dahingehend zu ergänzen, dass Inklusion eine menschenrechtsbasierte, an sozialer Zugehörigkeit orientierte Perspektive ist. Inklusive Systeme lassen sich hinsichtlich der Dimensionen ihrer Verfügbarkeit, ihrer Zugänglichkeit, ihrer Akzeptierbarkeit und ihrer Anpassungsfähigkeit (vgl. auch Stellungnahme der Monitoringstelle in diesem Band) messen. Sie verstehen sich als eine wesentliche Qualitätsdimension gesellschaftlicher Institutionen und stellen damit auch ein zentrales Qualitätsmerkmal von Schule dar.

Abschließend seien ein paar Dankesworte erlaubt: Dieses Buch ist in...

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