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Die Sprachreiniger

Wie der Kampf gegen Fremdwörter den deutschen Nationalismus beförderte

AutorKarl-Heinz Göttert
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783843721875
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Nirgendwo entwickelte sich der Sprachnationalismus des 19. Jahrhunderts so rigoros und militant wie in Deutschland. Und nirgendwo waren die Folgen derart fatal. Karl-Heinz Göttert liefert mit seiner historischen Studie des Allgemeinen deutschen Sprachvereins eine bittere Realsatire aus dem Giftschrank der deutschen Kulturgeschichte - mit hohem aktuellen Bezug. 'Schmach über jeden Deutschen, der seine heilige Muttersprache schändet!' So wetterte Otto Sarrazin 1914 gegen alle, die es wagten, aus Fremdsprachen übernommene Lehnwörter zu verwenden. Er war der Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Sprachvereins, der zwischen 1886 und 1943 versuchte, die deutsche Sprache von fremden Einflüssen reinzuwaschen. Unter viel Applaus fochten seine Mitglieder darum, Worte wie 'Sauce' oder 'Dame' aus dem Wortschatz zu entfernen. Dabei verband sich dieser Kampf mit einem Chauvinismus, der geradewegs in Fremdenhass mündete, den Kriegsausbruch als Chance auf Deutsch als Weltsprache begrüßte und schließlich den Rassismus der Nazis aufnahm. Der Germanist Karl-Heinz Göttert hat die so erfolglose wie unheilvolle Geschichte dieses dogmatischen Intellektuellenzirkels umfassend recherchiert. Sein Buch zeigt, wie vernunftbegabte Bildungsbürger auf nationalistische Abwege geraten.

Karl-Heinz Göttert, geboren 1943 in Koblenz, war bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität zu Köln. Seine Schwerpunkte sind Rhetorik, Stilistik und Konversation. Er hat historische Kriminalromane sowie Standardwerke über Sprache und Orgelmusik verfasst. Bei Ullstein erschienen von ihm Deutsch. Biografie einer Sprache und Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Seine bei S. Fischer veröffentlichte Studie 'Mythos Redemacht' stand 2015 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.

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Leseprobe

»Pulver, Brot und Briefe waren die drei Hauptbedürfnisse«


Heinrich von Stephan

Stolp in Pommern, eine preußische Kleinstadt nahe der Ostsee, zwischen Stettin und Danzig gelegen. Hier erblickte im Jahre 1831 das Kind eines Schneiders und Betreibers einer Gastwirtschaft das Licht der Welt. Sein Name war Heinrich Stephan, eines von sechs Kindern, die die Mutter großzog. Wohl vom Vater ging der Ehrgeiz nach einer möglichst guten Schulbildung aus, zumindest soweit die finanziellen Möglichkeiten dies hergaben. Es reichte immerhin zur örtlichen Lateinschule, einem altsprachlichen Gymnasium, auf dem der kleine Heinrich Latein und Griechisch sowie Französisch lernte, wobei der Vater nebenbei für privaten Unterricht in Italienisch, Spanisch und Englisch sorgte. Die Sprachkenntnisse boten ein Sprungbrett aus der elterlichen Kleinbürgerlichkeit; im Falle des kleinen Heinrich versprachen sie eine Befreiung aus der Enge der preußischen Provinz.

Es fruchtete. Denn Heinrich, nebenbei auch noch musisch begabt, empfahl sich für eine Beamtenlaufbahn. Für ein Universitätsstudium reichte das Geld dann doch nicht. So trat er als Siebzehnjähriger in die Post ein, der er lebenslänglich angehören sollte, zuletzt als ihr oberster Dienstherr.

Es macht Spaß, diese ganz und gar unwahrscheinliche Biografie weiterzuverfolgen, die gleichzeitig viel Charakteristisches für die Zeit enthält. Mit all den Sprachen wurde Heinrich Stephan zunächst einmal »Schreiber« im Postamt der Vaterstadt. Die Prüfungen bestand er alle mit Auszeichnung. Er absolvierte den Militärdienst, ging dann nach Berlin, ins Zentrum Deutschlands. Dort schien nicht alles nach Plan gelaufen zu sein, denn man versetzte ihn nach Köln – schlimmer geht es nicht, weil die Preußen nirgendwo unbeliebter waren.

Aber Köln bedeutete Rheinprovinz, und in der herrschte einige Ungeordnetheit, was die Verwaltung betraf, zum Beispiel ein Tarifwirrwarr. Wer da den Durchblick behielt oder gar für solchen sorgte, fiel positiv auf. Stephan muss in dieser Hinsicht einiges geleistet haben, auch wenn er nebenbei Hobbys betrieb, zum Beispiel das Verfassen von Musik- und Theaterkritiken.

Ob an der nun folgenden Geschichte etwas dran ist oder nicht (sie wird in verdächtig voneinander abweichenden Versionen überliefert): Jedenfalls soll der Generalpostmeister Heinrich Schmückert beobachtet haben, wie er auf der Straße den Streit zwischen einer italienischen Dame und einem Kölner Kutscher schlichtete – auf Italienisch natürlich. Der beeindruckte Vorgesetzte ließ ihn daraufhin nach Berlin zurückkehren, und Stephan wurde Sekretär im Generalpostamt.

Das war 1856. Drei Jahre später erschien von dem zu diesem Zeitpunkt erst Siebenundzwanzigjährigen die Geschichte der preußischen Post von ihrem Ursprunge bis auf die Gegenwart, auf unfassbaren 800 Seiten, komplett aus den Archiven erarbeitet. Sein Vorbild, das er anerkennend nannte: Leopold von Ranke, das lebende Berliner Professorendenkmal. Und weil das Organisatorische sein Metier war, folgte im selben Jahr auch noch der Leitfaden für die schriftlichen Arbeiten im Postwesen, besser bekannt als Der kleine Stephan. Zu dieser Zeit war Stephan noch Postrat in Potsdam, 1863 wurde er dann Oberpostrat im Generalpostamt in Berlin.

Was man bedenken muss: In dieser Zeit, noch vor den Kriegen mit Dänemark, Österreich und Frankreich, die zur Gründung des Deutschen Reiches führten, existierten in »Deutschland« fünfzehn selbstständige Postverwaltungen, nur locker überdacht vom deutsch-österreichischen Postverein. Alle diese Verwaltungen hatten mit den anderen Ländern jeweils eigene Verträge. Das schrie förmlich nach Vereinfachung, überhaupt nach einer Abwicklung mit weniger Pannen, bei der die Post entweder gar nicht oder nur über leidige Umwege mit fast unkalkulierbarer Verspätung ankam.

Stephan muss klar gewesen sein, dass ein Neuanfang unabdingbar war. Und er ergriff die Chance zum Handeln, als sie sich bot. Dies war zunächst 1866 der Fall, als preußische Truppen in die ehemals Freie Stadt Frankfurt am Main einmarschierten, wo sich die Generaldirektion der alten Post befand. Sie gehörte dem Fürsten von Thurn und Taxis und beherrschte mit ihren kaiserlichen Privilegien seit 300 Jahren das Feld mehr schlecht als recht. Heinrich Stephan erhielt den Auftrag zu Verhandlung und Übergabe, an deren Ende ein einheitliches deutsches Postwesen im Rahmen des Norddeutschen Bundes stand – mit einer Entschädigung des Fürsten in Höhe von drei Millionen Talern. Verträge mit den süddeutschen Staaten, vor allem mit Württemberg und Bayern, folgten, und überall hatte Stephan das Sagen, in Absprache mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, der den immer noch jungen Mann immer höher weiterempfahl, bis er 1870 schließlich auf die Stelle des Generalpostdirektors beim Generalpostamt des Norddeutschen Bundes gehoben wurde.

Ein Jahr später gab es das Deutsche Reich und mit ihm eine Post, die dem Reichskanzleramt zugeordnet war. Die weiter bestehenden 22 Bundesstaaten mussten eingegliedert werden, wobei Württemberg und Bayern auf einer Eigenständigkeit beharrten, die erst 1919 endete. Zusätzlich hatte Stephan während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 die Feldpost organisiert und in diesem Zusammenhang eine Erfindung gemacht, die erst heute langsam zu verschwinden droht: die Postkarte. Die damaligen militärischen Erfolge der Deutschen waren neben dem Einsatz der neuartigen Telefonleitungen auch dieser Form von Nachrichtendienst zu verdanken. Stephan selbst fasste es bemerkenswert prägnant zusammen, wenn er in seinem 1874 im Wissenschaftlichen Verein zu Berlin gehaltenen Vortrag Weltpost und Luftschifffahrt über diesen Krieg schrieb: »Pulver, Brot und Briefe waren die drei Hauptbedürfnisse.«

Als wäre all dies nicht genug, erfolgte der eigentliche Paukenschlag erst noch. In einer Denkschrift von 1868 hatte Stephan den Gedanken eines Weltpostvereins skizziert, mit störungs- beziehungsweise gebührenfreiem Transit und Erhebung der Kosten lediglich im Absenderland. Das ganz und gar Unwahrscheinliche gelang nach Kongressen in Bern 1874 und Paris 1878. Deren Vorsitz lag stets bei Stephan, dem Vielsprachler, der dank seiner Spanischkenntnisse seinen ersten internationalen Vertrag mit Spanien geschlossen hatte. Zunächst machten 22 europäische und außereuropäische Regierungen mit, aber die Zahl wuchs unaufhörlich. Der Durchbruch war jedenfalls erzielt und die Welt in einem wichtigen Punkt globalisiert. Der erbliche Adelsstand für den Initiator folgte als Belohnung für diesen Erfolg. Der Generalpostmeister war mittlerweile Wirklicher Geheimer Rat mit dem Titel Exzellenz, etwas später Staatssekretär, also Postminister, daneben Träger des Roten Adlerordens am Band. Ein Ölgemälde zeigt den einstigen Stolper Jungen in umwerfendem Flitter. Erst nach Bismarcks Rücktritt 1890 wurde es auch stiller um Stephan.

Hinzuzufügen wäre noch vieles, vor allem der Ausbau des Telegrafenwesens, das unter Stephans Leitung der Post eingegliedert wurde. Auch der mittlerweile auf 34 000 Meilen ausgebaute Schienenweg half bei der Postbeförderung, für die inzwischen täglich 2578 Eisenbahnzüge im Einsatz waren. In seinem Vortrag Weltpost und Luftschifffahrt glänzte Stephan mit diesen und noch viel mehr Zahlen, darunter die 250 000 ankommenden und abgehenden Briefe und Postkarten allein in Berlin, pro Minute 173. An Silvester des Vorjahres lagen in 311 Briefkästen der Stadt 547 377 Briefe und Postkarten – je ein Brief auf zwei »Seelen«, die nicht Schreib-, sondern, ihrem Alter entsprechend, lediglich »Schreifähigen« mit eingerechnet. Im Vorjahr wurden im gesamten Reich 500 Millionen Briefe verschickt, dazu 230 000 Millionen Zeitungen ausgeliefert, 45 Prozent davon privat, des Weiteren wurden zehn Millionen Telegramme zugestellt. Allein die Korrespondenz in Verbindung mit Verlobungen kam auf 350 000 Briefe pro Jahr, bei einem Finanzvolumen von zehn Millionen Talern, wobei der immer gut aufgelegte Stephan vorschlug, bei Liebesbriefen das Porto zu halbieren.

Voller Stolz nachgetragen wurden Zahlen um Zahlen über die »Gesamtcirculation im Reichspostgebiet«, im Vorjahr 800 Millionen Sendungen, pro Minute 1400. Die Korrespondenz ins Ausland zählte 95 Millionen Briefe, von den Fidschi-Inseln bis Grönland. Auf »Mutter Erde« insgesamt kämen jährlich um die 3,3 Milliarden Briefe an, jede Sekunde 100 Stück. Bei einer Gesamtbevölkerung von 1,3 Milliarden ergebe das pro Kopf durchschnittlich drei Briefe im Jahr. Russland wurde für seine Anstrengungen in seinem Riesenreich gelobt und bei Japan erwähnt, dass Verfehlungen wie die Unterschlagung von Briefen nicht unter siebzig Tagen Zwangsarbeit zur Folge hätten.

Und immer wieder dringt ein Hauptpunkt durch: das Weltweite, das die Nationen Überspannende, der Verkehr als wahrer Befrieder der Menschheit. Nein, nicht das Militär beherrscht diese Welt, sondern die Post. Die Menschen wollen sich nicht gegenseitig totschießen, sondern sich Karten, Briefe und Pakete zuschicken. Als Ausblick diente die allerneueste Beförderungsmöglichkeit, die sich ebenfalls bald in den Dienst der Post stellen lasse: die...

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