Im Wertschöpfungskonzept hervorzuheben ist, dass es sich in der wirtschaftswissenschaftliche Diskussion, wie sie hier erfolgt, um einen materiell messbaren Wert handelt. Im vorherigen Kapitel wurde bereits erwähnt, dass dieser von der Knappheit eines Gutes abhängig ist. Gleichzeitig wurden jedoch auch die Probleme aufgezeigt, die sich mit dem Knappheitsprinzip bei Musikprodukten ergeben.
In einem Großteil der Literatur, die sich mit der Wertschöpfung in der Musikindustrie befasst, wird von einer linearen Wertschöpfungskette ausgegangen. Auch dieses Kapitel befasst sich zunächst mit dem linearen Modell nach Porter. Dieses Modell soll kritisch betrachtet werden und die sich daraus ergebenden Probleme sollen Grundlage dafür sein, im vierten Kapitel das Modell zu modifizieren.
Den Begriff der „Wertkette" bzw. „Value Chain" prägte der Wirtschaftswissenschaftler Michael E. Porter im Jahr 1985. Mit dem Begriff „Wert" ist hier der Preis eines Gutes gemeint, welcher der Abnehmer des Gutes zu zahlen bereit ist.[83]Somit handelt es sich hierbei um eine materielle, quantitativ messbare Betrachtung eines Gutes.
Den Begriff der „Wertkette" definiert Porter in seinem Buch „Competitive Advantage: Creating and Sustaining Superior Performance" wie folgt:
„The value chain displays total value, and consists of value activities and margin. Value activities are the physically and technologically distinct activities a firm performs. These are the building blocks by which a firm creates a product valuable to its buyers."[84]
Nach Porter setzt sich die Wertkette somit aus den Wertaktivitäten und der Gewinnspanne zusammen. Die Wertaktivitäten lassen sich in primäre und unterstützende Aktivitäten unterscheiden. Die primären Wertaktivitäten umfassen die fünf funktionalen Bereiche Eingangslogistik, Produktion, Marketing und Vertrieb, Ausgangslogistik und Kundendienst eines Unternehmens. Die unterstützenden Aktivitäten Unternehmensinfrastruktur, Personalwirtschaft, Technologieentwicklung und Beschaffung wirken über die gesamte Wertkette und versorgen die funktionalen Wertaktivitäten mit Leistungen. Die Gewinnspanne ist die Differenz zwischen dem Ertrag des Produktes und den Kosten, die für die Ausführung der Wertaktivitäten entstanden sind.
Abbildung 7: Wertkette
Quelle: Porter (1992), S.62.
Porters Begriff der „Wertkette" bezieht sich somit auf zunächst intraorganisatorische Abläufe. Da aber ein Produkt oder eine Dienstleistung meist nicht vollständig in einem Unternehmen entsteht bzw. bestimmte Funktionen (beispielsweise Kundendienst) ausgelagert werden können, sind Wertketten mit vor- und nachgelagerten Wertketten anderer Unternehmen verknüpft.[85] Diese Verknüpfungen bildet die Wertschöpfungskette einer ganzen Branche.
Abbildung 8: vereinfachtes Modell der Wertschöpfungskette für ein Produkt X
Quelle: eigene Darstellung
Idealerweise sollte innerhalb der Wertschöpfungskette bei einem Produkt oder einer Dienstleistung auf jeder Stufe, vom Rohstoff bis zum Verbraucher, eine Wertsteigerung erfolgen. Ist das Zusammenspiel der einzelnen Glieder der Wertschöpfungskette nicht optimal, kann unter Umständen keine oder nur eine unzureichende Wertschöpfung stattfinden und es besteht die Gefahr, dass Werte vernichtet werden.
Die Wertkette ist als ein analytisches Instrument zu verstehen, um ein Unternehmen in strategisch relevante Tätigkeiten zu gliedern. Diese werden mit Hilfe der Wertkette auf Kostenverhalten und potentielle Differenzierungsstrategien untersucht, um mögliche Wettbewerbsvorteile zu identifizieren. 3.2 Wertschöpfungskette innerhalb der traditionellen Musikbranche
Anhand des oben beschriebenen Modells sollen in diesem Kapitel die Wertschöpfungsprozesse der traditionellen Musikindustrie dargestellt werden. Unter dem Begriff der „traditionellen Musikindustrie" fallen die Wertschöpfungsprozesse, die im Zusammenhang mit der Produktion von Musik, die über Tonträger vertrieben wird, stehen. Die Wertschöpfungsstruktur eines immateriellen Musikguts (beispielsweise eine MP3-Datei), welches auch zu der Erlösgenerierung in der Musikbranche beiträgt, soll zunächst nicht in die Betrachtung einfließen.
Die Wertschöpfungskette soll in Anlehnung an die Darstellung bei Gersch/Avaria[86] beschrieben werden. Ähnliche Darstellungen mit teilweise anderen Bezeichnungen der einzelnen Prozessstufen können jedoch auch bei anderen Autoren gefunden werden.[87]
Abbildung 9: Traditionelle Wertschöpfungskette (physische Produkte)
Quelle: in Anlehnung an Gersch/Avaria (2007), S. 3.
Zu den wertsteigernden Aktivitäten innerhalb des physischen Tonträgergeschäfts zählen die Schaffung der musikalischen Inhalte durch Texter und Komponisten, das Music Publishing durch einen Musikverlag und/oder die Verwertungsgesellschaften, das Künstlermanagement sowie die Aufnahme des Mastertapes und die Vervielfältigung des Songs durch die Plattenfirma.[88] Die Distribution erfolgt im Anschluss zumeist über den stationären Handel oder über den Versandhandel. In den letzten Jahren hat außerdem der physische Vertrieb über Internethändler, wie beispielsweise Amazon, an Bedeutung gewonnen.[89]
Die Aufnahme eines Songs auf einen Tonträger sowie Live-Aufführungen von Songs durch einen Künstler fallen unter die Erstverwertung. Von der Zweitverwertung spricht man, wenn ein bereits aufgenommener und veröffentlichter Song in Veranstaltungslokalitäten wiedergegeben oder durch das Radio und Fernsehen gesendet wird. Weiter fallen hierunter auch die erlaubten Privatkopien eines Tonträgers. Da diese Arten der Verwertung für die Rechteinhaber oftmals kaum kontrollierbar sind, können die Rechte durch Verwertungsgesellschaften wie die GEMA (Urheberrechte der Komponisten, Autoren und Verlage) oder der GVL (Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler/Musiker und der Plattenfirmen) wahrgenommen werden. Unter Drittverwertung fallen beispielsweise Erlöse von bereits erschienenen Songs, die im Rahmen einer Kompilation nochmals ausgewertet werden. aber auch private Mitschnitte gesendeter Tonträgeraufnahmen.[90]
Dabei muss nicht zwangsweise jede Stufe in der oben dargestellten Reihenfolge durchlaufen werden. So ist es beispielsweise üblich, dass für Promotionszwecke meist erst die Sendung des Musikstücks über das Radio oder das Fernsehen erfolgt, bevor dieses im Handel zum Verkauf angeboten wird.[91]
Bis vor einigen Jahren zeichnete sich das traditionelle Musikgeschäft durch eine hohe vertikale Integration aus. Das heißt, die zentralen Wertschöpfungsaktivitäten
Produktion, Vervielfältigung, Veröffentlichung, Vermarktung und Vertrieb[92]wurden von den großen Plattenfirmen selbst übernommen. Diese Integration über den Großteil der Wertschöpfungskette benötigt einen hohen Kapitalbedarf für die vertragliche Bindung von Musikern, die Produktion des Mastertapes, die Herstellung des physischen Tonträgers und die Finanzierung der Werbung für das produzierte Musikstück. Dieser hohe Kapitalbedarf sowie der bessere Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzkanälen haben im traditionellen Tonträgergeschäft hohe Eintritts- und Wachstumsbarrieren gebildet, welches die Konzentrationsbestrebungen seit Mitte der 80er Jahre vorangetrieben hat:
„Anfänglicher hoher Kapitalbedarf und mangelnder Zugang zu den Beschaffungs- und Vertriebskanälen sind für den Tonträgermarkt relevante Wachstumsbarrieren vom Independent zum Major." [93]
Allerdings entspricht das oben dargestellte Modell nicht mehr der heutigen Realität. Kromer beschreibt einen erheblichen Rückgang der Fertigungstiefe innerhalb der Tonträgerindustrie. Das heutige Kerngeschäft der Majors beschränkt sich auf die Vermarktung und Distribution[94] der Tonträger-Produkte. Die kreativen Bestandteile, das Komponieren und Produzieren der Songs, liegt meist in den Händen externer Produzenten. Auch die Produktion der Tonträger wurde ausgelagert, indem die firmeneigenen Produktionsstätten verkauft wurden.[95] Dies hat zur Folge, dass der Beteiligungsanteil der Majors am Endkonsumentenpreis des Tonträgers von 76% in den 70er und 80er Jahren auf 50% aktuell gefallen ist.[96] Für Kromer liegt das Hauptproblem jedoch nicht an der Erosion der Wertbeiträge eines Tonträgerunternehmens, sondern vielmehr darin, dass mit dem Trägermedium selbst keine Umsätze mehr gemacht werden können, welche die Kosten zur Aufrechterhaltung der Unternehmensstruktur eines Majors tragen könnten.[97]
Wurde im vorherigen Kapitel der Wertschöpfungsprozess für physische Tonträger betrachtet, soll hier...