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E-Book

Ein Jahr in der Provence

AutorRita Henß
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451345678
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
''Attention mademoiselle!' Fast wäre ich direkt in den großen, kräftigen Mann hineingelaufen, der plötzlich vor mir steht, eine Hand in die Hüften gestemmt, mit der anderen ein riesiges Blech balancierend. Croissants! Direkt aus dem Ofen. Mmmmh.' In vollen Zügen genießt Rita Henß das Abenteuer Provence.

Rita Henß lebt in Frankfurt und ist Autorin zahlreicher Publikationen vorwiegend über romanische, südamerikanische und arabische Länder. Für ihre journalistische Beschäftigung mit Frankreich wurde sie 1999 vom französischen Staat mit der Medaille d'Argent ausgezeichnet.

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Leseprobe

September


Zeit der Feigen

Vor meinem bodenhohen Schlafzimmerfenster steht ein Feigenbaum. Dicht schmiegt er sich an den rauen Putz der Fassade, bis hinauf zum Dach. Fast könnte ich vom Bett aus meine Hand ausstrecken zu den Früchten. Wäre da nicht das Fliegengitter ... Der feinmaschige, flächig gespannte Schutzwall hindert mich aber nicht, die beiden Türfügel weit zu öffnen und die noch sommerwarme Luft einzulassen. Auch nachts. Wunderbar!

Nachdem ich allerdings kurz vor dem Einschlafen das erste „Plopp“ durch die filigrane Drahtwand höre und dann noch eines und noch eines und noch eines die Stille der dunklen Stunden in unregelmäßigen Abständen durchdringt, bin ich versucht, doch auch das Türglas zwischen mich und das Draußen zu bringen. Mutig widerstehe ich.

Als um fünf Uhr zweiunddreißig (wie das Handy auf dem Nachttisch exakt dokumentiert) das erste Auto auf der Route de Bonnieux vorbeisaust an unserem Haus, verfluche ich meine Entscheidung. Vierzehn Minuten später höre ich die Müllabfuhr; die öffentlichen Tonnen stehen, das habe ich gestern bei meiner Ankunft schon gesehen, kaum einen Steinwurf entfernt. Immerhin scheppern ihre Plastikkörper nicht. Um sieben Uhr zwei brummt das erste Flugzeug am Himmel; der Aéroport Marseille-Provence liegt sozusagen gleich vor der Haustüre, hinter dem Rücken des Petit Luberon. Auch die Entfernung nach Cavaillon und zur Autobahn zwischen Marseille und Avignon beträgt keine zwanzig Kilometer. Ideal nicht nur für Ausflüge, sondern auch nur ein Klacks für Pendler. Denn Arbeit gibt es in den Dörfern des Luberon kaum noch, wie ich schon in Deutschland gelesen hatte.

Morgens um acht ist die Welt aber für mich wieder in Ordnung. Der dünne Verkehrsstrom vor meinem Schlafzimmerfenster versiegt. Nur noch „plopp“ macht es, „plopp“. Und wieder: „plopp“. Als ich endlich hinausschaue auf die mit Steinplatten belegte kleine Terrasse, sehe ich die Verursacher des Geräusches: Feigen. Ich hole einen Teller aus der antiken Anrichte und sammle die herabgefallenen, gelbgrünen Früchte auf. Einige liegen auch in dem Beet mit den Rosmarin- und Lavendelbüscheln, unter dem Olivenbäumchen, dem Rosenstrauch und den Herbstzeitlosen, deren Blütenblätter in sattem Sonnengelb leuchten. Rosa Oleander und ein Busch mit Granatäpfelchen bilden zu diesem floralen Tableau das Pendant am Fuß der hohen, grobsteinigen Mauer an der rechten Seite des Hofes. Über ihre bröckelige Haut aus dem für die Region typischen Kalkstein rankt Wein. Schlanke Zypressen begrenzen das kleine Grundstück zum Nachbarn hin. Und wie eine riesige schützende Hand breitet eine uralte Schirmpinie ihre Krone über den Aufgang zum Domizil meiner Vermieter, dem Ehepaar Loiret.

Aus meinem schmalen Badezimmerfenster kann ich durch die Äste einer zweiten Pinie einen Ausschnitt der Dorfsilhouette erspähen. Sie ähnelt, so befand bereits Nostradamus, der Dichterprophet, Arzt und Astrologe aus Saint-Rémy, einem großen Schiff; deutlich erkenne man „Bug und Heck“. Auch die Kommandobrücke, würde ich ergänzen. Und alle möglichen Vorderschiff-Aufbauten. Trutzige Quader und Kuben jedenfalls, gelblichweiß mit grauschimmernder Patina, klammern sich hoch oben an die Hügelflanke. Wie weit sie sich ziehen, konnte ich gestern im Abendlicht bereits sehen. Da schimmerten die Steine golden. Und ein wolkenloser Himmel spannte sich noch immer über die Dächer.

„Mistral“, hatten mir Madame und Monsieur Loiret erklärt, als sie mich abholten am Busbahnhof von Cavaillon und meinen erfreuten Blick nach oben sahen, auf das seidige, blitzblaue Firmament. Der Zufall (in Gestalt der besten Freundin der Cousine eines Freundes, deren Eltern usw.) hat mir die freundlichsten Vermieter der Welt beschert. Mit tiefen familiären Wurzeln in der Region, großem Wissen um ihre Geschichte, um ihre aktuellen Eigenarten und Probleme, um ihre Sehenswürdigkeiten und ihre Natur.

Gestern also putzte der lou magistral den Himmel blank. Was dieser kräftige Wind aus dem Rhônetal sonst noch alles anrichten kann, erfahre ich schon ein paar Tage später. Am eigenen Leib und aus den ersten Geschichten, die ich im Dorf beim Kaffeetrinken oder Einkaufen höre. Kaum tausend Seelen wohnen hier noch, weiß Monsieur Loiret, „im Winter deutlich weniger, wenn die Feriendomizile und Zweitwohnsitze verlassen sind“.

Aber noch stehen Fahrzeuge mit fremden Kennzeichen auf den beiden großen Parkplätzte am Ortseingang und auf den kleinen Arealen, die an zwei, drei anderen Ecken als solche gekennzeichnet sind. Ich mache mich zu Fuß auf zu einer ersten Erkundung. Zwar kenne ich Ménerbes von früheren Besuchen, doch diese waren kurz und liegen lange zurück. An „Le Progrès“ indes kann ich mich erinnern. Und an die schmale Terrasse dieses Café-Presse-Tabac mit dem zukunftsweisenden Namen – Fortschritt bedeutet er im Deutschen.

Gerade tasten sich die ersten Sonnenstrahlen über die Mauer des hoch über der Ebene hängenden Aussichtsbalkons. Kein Wunder, dass auf dem grünen Blechtisch dort bereits die Katze der Besitzer hockt. Auch der kleine, schwarzweiß gefleckte Hund lässt nicht lange auf sich warten; schnüffelt vorsichtig an dem noch unbekannten und bislang einzigen Gast. „Une noisette, s’il vous plaît“, hatte ich am Tresen bestellt, eine Haselnuss, wörtlich übersetzt, vulgo: Espresso mit Milch (geschäumt, wie ich hoffe, aber nicht gleich beim ersten Mal zu fragen wage). Auf dem gütigen Gesicht des Wirts lag ein sanftes Lächeln. Es ist nahezu unermüdlich, wie sich im Laufe der Monate herausstellen wird.

„Ah, c’est là que vous êtes“ In dem geschützten Eckchen links neben der Tür hatte mich Monsieur „Le Progrès“ offenbar nicht vermutet. Ganz vorsichtig stellt er meine Bestellung ab; neben die aufgeschlagene Zeitung. Am Tresen hatte ich höflich gefragt, ob das dort liegende Exemplar von „La Provence“ „frei“ sei zum Lesen, und nach dem freundlichen Nicken der drei Männer auf den Barhockern die Regionalpostille nach draußen entführt. Der Mistral hat gute Arbeit geleistet, strahlend blau spannt sich der Himmel bis zum kalkweißen Haupt des Mont Ventoux.

Mein Vermieter hatte mich auf seinem morgendlichen Gang zum Baguette-Holen mit den Einkaufsmöglichkeiten von Ménerbes bekannt gemacht: ein Bäcker, eine épicerie, die französische Variante des Krämerladens, donnerstags Markt auf dem großen Parkplatz. Voilà. Dafür aber drei Restaurants, drei Immobilienhändler, drei Galerien. Und im Verkaufsständer von „Le Progrès“ neben „Le Figaro“ und „Le Monde“ auch die „Süddeutsche“, die „FAZ“, „The Times“ sowie eine Fülle von Magazinen in allerlei Sprachen und mit breiter Themenpalette, von Haus- und Wohnungsdekoration über Küche, Garten und Politik bis hin zu kleinformatigeren Ausflugsführern. Ich werde „La Provence“ die Treue halten. Zur Lektüre im Café oder als eigenes Kauf-Exemplar für einen Euro in der Mittagspause zu Hause.

Mein neues Zuhause – außer dem Schlafzimmer umfasst es einen großzügigen cuisine-salon, sodass ich von der Küchenzeile durch das Wohnzimmer auf die Veranda schauen kann – ist nicht nur komplett und überaus geschmackvoll möbliert. Sondern auch bestens ausgestattet: Geschirr und Kochgerätschaften in Mengen und Varianten, dass ich mich am liebsten sofort an Herd und Backofen stellen möchte. Madame und Monsieur Loiret versorgen mich zudem mit der Information über die besten und schönsten Märkte in der Umgebung: Petit Palais, Bonnieux, Coustellet. – „Sonntag Coustellet?“ Aber gerne!

Coustellet liegt an der zentralen Achse zwischen dem Luberon und den Monts de Vaucluse, zwischen den Städtchen Cavaillon und Apt. Ein carrefour de commerce – eine wirtschaftliche Drehscheibe, wie ich an meinem ersten Marktsonntag dort rasch feststellen kann: drei Bäcker – „beim mittleren gibt es die besten Croissants“, verrät Monsieur Loiret –, zwei Banken, Apotheke, Zeitungs- und Zigarettenladen, die Cave Coopérative, eine Handvoll Cafés und Kneipen, ein Keramik-Shop, die Dépandance eines berühmten Chocolatiers, ein Fischgeschäft – „rund 200 TPEs“, sagt mein Vermieter, très petites entreprises. Angesiedelt haben sich diese Kleinunternehmer offenbar vor noch nicht allzu langer Zeit; kaum eines der Gebäude in Coustellet scheint mir älter als zwanzig, dreißig Jahre. Nur der pépinériste, der Baumschulgärtner und Pflanzenzüchter, wirbt mit dem Slogan „Schon seit 1889“. Und in den Rebfeldern der Umgebung duckt sich so mancher historische mas oder clos; restaurierte, oft großzügige Anwesen, inzwischen weltweit angeboten als mehr oder minder luxuriöse Feriendomizile.

Die D 900 teilt Coustellet in zwei Hälften; Nord und Süd. Die größte Attraktion dieses vrai-faux hameau, dieses Kunstgebildes aus Industriezone und Dorf – „c’est moche, mais ça bouge“, sagen die Leute, es ist hässlich, aber es bewegt sich was –, ist das hypermoderne Lavendelmuseum. Auf seinem riesigen Parkplatz stellen wir das Auto ab. Kaum fünfzig Schritte weiter stehen schon die ersten Marktstände. Ihr Angebot: Kunstrasen, „garantiert made in France“, wie der junge, gut aussehende Verkäufer mit gewinnendem Lächelnd radebrecht; Handtaschen, eher praktisch als schick, allerlei Lavendelprodukte. „Der Bauernmarkt beginnt auf der anderen Straßenseite.“ Merci, Monsieur Loiret, dann besteht ja noch Hoffnung.

Vorbei an gebrauchten Büchern und Trödel, an knallbunten Lesebrillen, ausladenden Strohhüten und flattrigleichten Zipfelkleidern bahnen wir uns den Weg zur...

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