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E-Book

Ein neuer Gott für die alte Welt

Die Geschichte des frühen Christentums

AutorManfred Clauss
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl544 Seiten
ISBN9783644118812
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Eine Sekte wird zur Weltreligion - Manfred Clauss' große Geschichte des frühen Christentums Als vor Jerusalem ein Wanderprediger am Kreuz starb, ahnte niemand, dass damit ein neues Zeitalter anbrach. Vier Jahrhunderte später wurde das christliche Bekenntnis zur römischen Staatsreligion. Manfred Clauss erzählt die aufregende Geschichte dieses frühen Christentums - von den versprengten Urgemeinden bis ins 6. Jahrhundert - und entwirft ein überraschendes, archaisch-schillerndes Panorama: Da wird aus heidnischen Sonnwendfeiern das Weihnachtsfest, Märtyrer sehnen sich nach dem Tod, ein neues, prägendes Lebensideal der Askese bildet sich heraus. Streiter für ihre Kirche wie Paulus und Augustinus propagieren ihre Lehre, schreiben gegen falsche Propheten an - und Gruppierungen wie Arianer und Doketisten bekämpfen sich bis aufs Blut. Denn es war nicht nur die Liebesbotschaft des Evangeliums, die den Erfolg brachte: Das Christentum, wie wir es heute kennen, ist nicht zuletzt das Ergebnis von Eifer, Gewalt und politischem Kalkül. Manfred Clauss zeichnet ebenso mitreißend wie gelehrt ein neues Bild unserer abendländisch-christlichen Anfänge. Die Wiederentdeckung eines verschütteten Ursprungs, der uns heute in vielem fremd ist - und doch die wechselvolle Geschichte der letzten zweitausend Jahre in Europa geprägt hat.

Manfred Clauss, geboren 1945 in Köln, ist Professor emeritus für Alte Geschichte, zu deren bedeutendsten Kennern er gehört. Er lehrte in Berlin, Siegen, Eichstätt und Frankfurt am Main. Seine Bücher über Staaten, Gesellschaften und Religionen in der antiken Welt haben ein breites Publikum auch außerhalb der Wissenschaft gefunden. Nicht wenige davon sind heute Standardwerke, so etwa «Das Alte Ägypten» (2001), «Alexandria. Schicksale einer antiken Weltstadt» (2003) und «Mithras. Kult und Mysterium» (2012).

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Leseprobe

«Ich bin die Wahrheit» – der christliche Fundamentalismus


Um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert entspann sich ein Streit zwischen zwei Theologen, die zu den bekanntesten Gestalten ihrer Zeit und der antiken Kirchengeschichte zählen.[1] Es handelt sich auf der einen Seite um Augustinus (354–430)[2], Bischof von Hippo in Nordafrika, einen der bedeutendsten lateinischen Kirchenväter der Spätantike; auf der anderen um Hieronymus (347–419), Klostergründer und Verfasser der Vulgata, der lange Zeit maßgeblichen Bibelübersetzung in die lateinische Sprache. Die beiden Theologen stritten um die Auslegung einer Stelle aus einem der Paulusbriefe. Aufschlussreich ist dabei die Form der Auseinandersetzung.[3]

Es war ein Streit auf hohem literarischem Niveau, daher waren die jeweiligen Vorwürfe noch einigermaßen geistreich. Hieronymus vermutete, Augustinus wolle sich durch die Angriffe auf ihn, der damals zweifellos der Bekanntere war, einen Namen machen, und sah sein ambitioniertes Programm der Bibelübersetzungen in Gefahr. Im Gesprächsangebot des Bischofs sah er «ein mit Honig bestrichenes Schwert», hatte Augustinus ihn doch als «Anwalt der Lüge» bezeichnet und – das probateste Mittel der persönlichen Verunglimpfung – seine Rechtgläubigkeit in Zweifel gezogen.[4] Dagegen konnte sich Hieronymus am besten wehren, indem er Augustinus seinerseits der Häresie bezichtigte. Die beiden fanden schließlich in dem britischen Mönch Pelagius einen gemeinsamen, selbstverständlich häretischen Gegner und kamen dadurch zu einer einigermaßen sachlichen Diskussion.

Woher kommt diese Bereitschaft der christlichen Denker zum Streit und vor allem zur persönlichen Diffamierung des Andersdenkenden? Der Christ verachtete grundsätzlich alle diejenigen, die seine eigene Glaubensüberzeugung nicht teilten und damit Ungläubige waren. Nach christlichen Vorstellungen konnte solch ein Ungläubiger niemals der Freund eines Christen werden. So schreibt der Mailänder Bischof Ambrosius im 4. Jahrhundert: «Es darf nicht sein, dass der Glaube um der Freundschaft willen zerstört wird. Denn keiner kann eines Menschen Freund sein, der Gott die Glaubenstreue bricht.» Freunde dagegen sind alle diejenigen, die die christliche Wahrheit verkünden, wie es ein anderer Bischof einmal formuliert hat.[5] Aus der Gemeinschaft der Gläubigen, der sich diese Autoren selbstverständlich zugehörig fühlen, fallen die unterschiedlichen Gruppierungen der Ungläubigen heraus.

Wahrheit – das ist der Begriff, um den es vor allem geht. Im Bereich der Religion gab es in der vorchristlichen Antike keine dogmatisch geschlossenen Systeme, die universale Geltung beanspruchten und «Wahrheit» von «Irrlehre» kanonisch unterschieden. In der heidnisch-antiken Tradition sah man den religiösen Grundkonsens durch unterschiedliche Kulte nicht in Frage gestellt. Oder um es mit Augustinus zu sagen: «Jene [Heiden] verehren die vielen falschen Götter auf die gleiche Weise.»[6]

Der Kirchengeschichtsschreiber Sokrates (381–439) überliefert den Ausspruch eines heidnischen Philosophen, es habe in der Mitte des 4. Jahrhunderts mehr als dreihundert verschiedene pagane Kulte gegeben, weil, so dessen Begründung, «Gott auf unterschiedliche Weise verehrt werden möchte»[7]. Die Vielzahl an Kulten stellte gleichsam ein Angebot an die Menschen dar, die auf dem «Markt» der Götter auswählten; je nach Zeit, Geld und Interesse konnte man sich etwa in der einen oder anderen Mysteriengemeinschaft engagieren. Es war eine der Grundüberzeugungen jener Heiden, dass es mehr als nur einen Weg zur Erkenntnis des Göttlichen oder zur Wahrheit gebe, wie es Symmachus, der Stadtpräfekt von Rom, gegen Ende des 4. Jahrhunderts als Replik auf christliche Ansprüche formulierte.[8]

Das christliche Wahrheitsverständnis war dagegen ein völlig anderes. Man kann es anhand eines Spruches verdeutlichen, der Jesus zugeschrieben wird: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben», so heißt es im Johannes-Evangelium.[9] Der entscheidende Aspekt ist dabei, dass Wahrheit personalisiert wird. «Ich bin die Wahrheit» bedeutet in der Diskussion der Christen mit anderen oder untereinander: Ich habe recht. Aufbauend auf der christlichen Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Lehre war schnell das Modell der Orthodoxie und deren Gegenpol, der Heterodoxie beziehungsweise der Häresie, etabliert. Wahrheit war Orthodoxie, und Orthodoxie war Wahrheit. Der wahre Christ war orthodox, allein der Orthodoxe war ein wahrer Christ. Darauf konnten sich gewiss alle Christen verständigen.

Hier tut sich jedoch ein Problem auf. Wir sprechen heute – beispielsweise – von Christen, Juden und Heiden. Lassen wir die Heiden einmal beiseite und konzentrieren uns auf Christen und Juden. Wir können diese Gruppen unterscheiden, aber damit treffen wir nicht das antike Verständnis, jedenfalls nicht das christliche. Nur die Christen waren der eigenen Ansicht nach die wahren Juden, ihnen standen die falschen Juden gegenüber, jene also, die immer noch nicht begriffen hatten, dass der Messias längst gekommen war.

Die Jesus-Anhänger waren Juden, und sie blieben aus ihrer Sicht Juden, mochten die anderen Juden dies auch anders sehen und diese Bezeichnung weiter für sich reklamieren. Es dauerte lange, bis sich die Christen nicht mehr als Juden verstanden. Der erste lateinische Kirchenschriftsteller Tertullian weist um 200 darauf hin, dass die Juden sich wesentlich von den Christen unterschieden: in der Ablehnung bestimmter Speisen, im Feiern der Festtage, in der Praxis der Beschneidung, schließlich auch dem Namen nach. Aber noch Augustinus muss zweihundert Jahre später jene Christen zurechtweisen, die sich noch immer Juden nennen; sie sollten sich lieber «Israel» nennen, auch wenn den anderen Juden dieser Name eher zustehe.[10] Für Augustinus war der Begriff «Juden» als theologische Kategorisierung durchaus tragbar. Er war jedoch zugleich eine soziale Kategorie, von der sich der Kirchenvater strikt abgrenzen wollte. Wenn auch die Christen die wahren Juden waren, so konnte dies doch zu so vielen Missverständnissen und Verwechslungen führen, dass Augustinus den anderen Juden gerne die Bezeichnung überließ. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Kirchenvater diese Klarstellung zu einer Zeit trifft, in der die christlichen Kaiser beginnen, durch ihre Gesetze zunehmend Häretiker, Heiden und Juden pauschal zu diskriminieren. Erst die staatlichen Judengesetze brachten die Christen seit dem beginnenden 5. Jahrhundert zu der Erkenntnis, dass sie zwar die wahren Juden seien, dies aber nicht laut sagen sollten.

Wir fassen hier einen Kern des christlichen Selbstverständnisses. «Wahr» und «falsch» sind Kategorien, deren Zuordnung dem rationalen Diskurs entzogen sind. Die Irrationalität ist Kennzeichen des Christentums.[11] Das Eigene ist wahr, alles andere ist falsch, doch nur, wenn die staatliche Macht ins Spiel kommt, kann die Orthodoxie – beziehungsweise die Wahrheit – definiert und durchgesetzt werden. Dann kann es passieren, dass diejenigen, die sich dieser staatlich definierten und aufgezwungenen Wahrheit nicht beugen, ihr Leben lassen müssen.

Die Christen sprachen die Sprache der damaligen Zeit und mussten folglich eine Begrifflichkeit für ihre eigene Sicht der Dinge finden. Dies führte zu einer Inflation des «Wahren». Nehmen wir nur das Phänomen Gott. Lange vor der Geburt Jesu war der Kaiser Augustus Gott gewesen, und zugleich war er der Sohn eines Gottes, seines Adoptivvaters Julius Caesar: Gott von Gott. Um später Christus zu charakterisieren, fügte man jeweils das «wahr» hinzu: So wurde Jesus wahrer Gott von wahrem Gott. Wenn der christliche Autor Tertullian an unterschiedlichen Stellen «Religionsfreiheit» fordert, dann ist entscheidend, was er unter «Religion» versteht. Jeglicher Duldungsgedanke im modernen Sinne ist ihm fremd, da es für ihn nur eine «Religion» gibt, die, da der Begriff seit Jahrhunderten anderweitig besetzt ist, bei ihm die «wahre Religion des wahren Gottes» heißt. Dieser wahren Religion entspricht ebenso eine wahre Irreligiosität; sie findet sich bei all denen, die nicht Christen sind.[12] Die Römer unterschieden seit langem zwischen «Religion» und «Aberglauben», falscher oder übertriebener Frömmigkeit.[13] Wenn es aber aus christlicher Sicht nur eine Religion, nur eine wahre Religion gibt, ist alles andere Aberglaube. Die wahre Religion ist die christliche, allerdings nur diejenige, die Tertullian für die richtige hält.

Nach Laktanz (250–325), der als Erzieher der Söhne des Kaisers Konstantin erheblichen Einfluss auf deren Religionspolitik ausübte, verteidigt der Christ «seine wahre und fundierte Freiheit». Auch für diesen Kirchenvater gibt es nur eine wahre Religion, die eigene. An alle anderen wendet er sich mit unmissverständlichen Worten: «Falls ihr noch einen Rest Verstand besitzt, lernt, dass die Menschen deshalb schlecht und ungerecht sind, weil [viele] Götter verehrt werden, und dass alle Übel aus dem Grund die menschlichen Dinge von Tag zu Tag mehr belasten, weil [der wahre] Gott, der Schöpfer dieser Welt und deren Lenker, völlig vernachlässigt wird, weil man entgegen dem, was göttliches Recht ist, gottlose Religionen angenommen hat.»[14] Damit ist die Ablehnung aller falschen, paganen Weisheit vorbereitet.

Dem Wahren steht das Falsche gegenüber, ja die Welt...

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