Im letzten Abschnitt ist erarbeitet worden, dass von Öffentlichkeiten im Plural gesprochen werden muss und, dass die Bereiche der Öffentlichkeit, unter anderem durch mediale Entwicklungen, stets in Bewegung sind. Da Öffentlichkeit nur in der Dichotomie mit Privatheit existiert, ist somit auch der Bereich des als privat Gekennzeichneten veränderlich. Riegraf et al. Schreiben dazu in ihrer Einleitung zu Geschlechterverhältnis und neue Öffentlichkeit, dass Öffentlichkeiten keine herrschafts- und geschlechterfreien Räume sind, dass umkämpft ist, wer in der Öffentlichkeit vertreten ist, und dass stets umstritten bleibt, was als allgemein verbindlich, politisch oder als privat zu gelten hat.[39]
Hier wird noch einmal hervorgehoben, was Nancy Fraser in der kritischen Auseinandersetzung mit Habermas Überlegungen zu Öffentlichkeit bereits hervorgehoben hat. Öffentlichkeiten sind Bereiche, die eng mit der politischen Ordnung verflochten sind und die dementsprechend komplexen Machtstrukturen unterliegen, die einzelne Bevölkerungsgruppen auf Basis der regulierenden Strukturkategorien Ethnie, Klasse und Geschlecht marginaliseren. Sie werden aus bestimmten Öffentlichkeiten ausgeschlossen bzw. unsichtbar gemacht. Vor allem in den letzten Jahren und unter Einbezug des von Kimberlé Crenshaw geprägten Konzepts der Intersektionalität[40] werden diese Strukturkategorien als sich gegenseitig beeinflussend verstanden. Die Zugehörigkeit zu mehr als einer Strukturkategorie kann den Effekt der Marginalisierung verstärken. Eine detaillierte Analyse dieser doch sehr komplexen Machtstrukturen würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen, sodass hier die Strukturkategorie Geschlecht einzeln betrachtet wird, wohlwissend, dass sie nur theoretisch von den anderen Faktoren zu trennen ist.
Die Kategorie Geschlecht ist ein besonders einflussreicher Faktor bei der Strukturierung öffentlicher Bereiche und führt mit der naturalisierten Verortung der Frau in der Sphäre des Privaten zu einem ungleichen Geschlechterverhältnis.
Die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre als Emanzipation gegenüber absolutistischen Ansprüchen der Feudalaristokratie ist notwendige Grundlage einer demokratischen Entwicklung nach Habermas. Dies hebt auch die feministische Forschung hervor, kritisiert dabei allerdings die Geschlechterblindheit seiner Theorie. Die Aufteilung der Lebenswirklichkeit in zwei gegensätzliche Sphären ist nämlich gleichzeitig auch Basis für die Exklusion und Subordination von Frauen in der patriarchalen Gesellschaft.
Die Unterscheidung von privat und öffentlich ist eng mit der symbolischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit verknüpft. Basierend auf der Theorie vom Geschlechtscharakter, der die Natur bzw. das Wesen von Frau und Mann erfassen soll, wird die Frau an Haus und Privates gebunden, dem Mann dagegen außerhäusliche Aktivitäten und öffentliches Agieren zugesprochen. Spätestens seit der Zeit der Aufklärung wird die Annahme, dass die Frau von Natur aus für den häuslichen Bereich prädestiniert ist, außerdem als Aussage mit wissenschaftlichem Anspruch verstanden. „Der Geschlechtscharakter wird als eine Kombination von Biologie und Bestimmung aus der Natur abgeleitet und zugleich als Wesensmerkmal in das Innere der Menschen verlegt“[41]. So werden Frauen aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen und dieser Ausschluss - aus Bereichen etwa der Politik, Wirtschaft, Medien, Universität oder Justiz- mit dem vermeintlich für diese Bereiche ungeeigneten weiblichen Charakter gerechtfertigt. Gleichzeitig wird die Gegensätzlichkeit des Geschlechtscharakters sozial legitimiert, indem sie als eine harmonische Einheit von sich ergänzenden Gegensätzen gedacht wird. So wird es möglich den Geschlechterdualismus „nicht nur als natürlich und daher notwendig, sondern auch ‚für ideal zu erachten und zu harmonisieren‘“[42] und damit zu verstärken.
Allerdings gibt es laut Elisabeth Klaus, die Öffentlichkeit nicht als Gegensatz zum Bereich des Privaten versteht, sondern als einen Diskussions- und Verständigungsprozess, der Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt und legitimiert[43], auch in der patriarchalen Konstruktion der Beschränkung von Frauen auf die Privatsphäre sogenannte Frauenöffentlichkeiten. Diese umfassen als eine Teilöffentlichkeit, die sich auf Basis gemeinsamer Erfahrungen konstituiert, all jene Kommunikationsforen und –formen, in denen sich Frauen untereinander und ohne Anwesenheit von Männern am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess beteiligen und in denen ihre Erfahrungen eigenständige Relevanz haben.[44]
Aufgrund der ungleichen Verteilung des Relationsfaktors Macht auf die unterschiedlichen koexistierenden Öffentlichkeiten, haben diese Frauenöffentlichkeiten allerdings keine große Sichtbarkeit. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass ein autonomes Zusammentreffen von Frauen nur in bestimmten sozialen Situationen legitim ist, allerdings die Voraussetzung für die Entstehung von Frauenöffentlichkeiten als Ort für Frauenkommunikationsprozesse bildet[45]. So ergibt es sich, dass Frauenöffentlichkeiten eher eine systemerhaltende Funktion der sozialen Integration von Frauen erhalten, und die Reproduktion der herrschenden Geschlechternormen bestärken[46]. Effektiv scheinen Frauenöffentlichkeiten erst dann in der tatsächlichen Durchsetzung von Fraueninteressen zu werden, wenn sie sich gezielt um eine politische Agenda organisieren. In diesem Fall spricht man dann allerdings von feministischen Öffentlichkeiten. „Feministische Öffentlichkeit […] [beschreibt] ein politisches Prinzip, das zur Überwindung der Selbst-Losigkeit der Frau beiträgt und den Prozeß [sic!] der Selbstfindung von Frauen unterstützt“[47]. Frauenöffentlichkeiten waren zwar notwendige Voraussetzung für das Entstehen feministischer Öffentlichkeiten, doch erst die Frauenbewegungen erkämpfen sich autonom-emanzipatorische Öffentlichkeiten und generieren ausreichenden öffentlichen Druck, um sich außerdem Zugang zu traditionell männlich besetzten Öffentlichkeiten zu erarbeiten. Für die Frauenbewegung des späten 19. Jahrhunderts ging es dabei vor allem um das Wahlrecht und die rechtliche Möglichkeit des Zugangs zu höherer Bildung, sowie dem Arbeitsmarkt. Die zweite und dritte Frauenbewegung setzt den Kampf der Feministinnen des 19. Jahrhunderts fort, erweitert ihn um Fragen faktisch-sozialer Gleichstellung und bemüht sich außerdem um die Dekonstruktion der gesellschaftlich-kulturell akzeptierten Vorstellung des natürlichen Geschlechtscharakters[48]. Feministische Öffentlichkeiten setzten damit neue Themen auf die Tagesordnung der politischen Debatte und öffnen den Bereich der Öffentlichkeit für Frauen. Das berühmte Motto der zweiten Frauenbewegung ‚das Private ist Politisch‘ wird dabei zum Programm und es kommt zu einer Verschiebung der sachlichen, räumlichen und zeitlichen Grenzen der Bereiche öffentlich und privat.
Den Bewegungen für die Frauen- und Geschlechterliberation geht es allerdings nicht nur um öffentliche Autonomie und politische Beteiligung, sondern auch um das Recht auf Private Autonomie. Dieses bezieht sich auf die „freie Wahl der Lebens- und Beziehungsformen, auch wenn diese einem traditionellen heteronormativen Familienverständnis widersprechen“[49]. Das Recht auf Öffentlichkeit ist mit dem Recht auf Privatheit insofern verbunden, als dass erst innerhalb des öffentlichen Diskurses eigentlich festgelegt wird, wer und was unter den Schutzbereich der Privatrechte fällt.
Da der männliche Charakter historisch mit der Fähigkeit der Vernunft gleichgesetzt wird, und der Bereich der öffentlichen Tätigkeit als ein von Emotionen frei zu haltender Raum gilt, erscheinen Männer vermeintlich natürlich zur Umsetzung gesellschaftlich wichtiger Tätigkeiten innerhalb der Sphäre der Öffentlichkeit prädestiniert. Männern wird damit immanent die Fähigkeit zugesprochen, sich für die Interessen der Gesamtgesellschaft, und somit beider Geschlechter, einsetzen zu können und Entscheidungen für das Allgemeinwohl zu treffen. Frauen dagegen, wird die Fähigkeit der Rationalität abgesprochen. Treten sie als Konsequenz der Errungenschaften der Frauenbewegungen nun doch in die Bereiche der Öffentlichkeit, kommt es trotz formal-rechtlicher Gleichstellung beider Geschlechter, zu Irritationen, wie Margrit Brückner in ihren Überlegungen zur Verbindung von Geschlecht und Öffentlichkeit festhält[50].
Die ungleiche Machtverteilung im allgemeinen Geschlechterverhältnis setzt sich auch in öffentlichen Räumen fort. Die Art, Chancen und Grenzen der Begegnung zwischen Männern und Frauen, werden auch dort durch die Machtverhältnisse bestimmt. Männer kontrollieren den öffentlichen Raum also nicht nur, indem sie den Zugang für Frauen noch weitestgehend regulieren, sondern auch durch die inhärent männliche Domination öffentlicher Räume. Wenn Frauen öffentliche Räume betreten, machen sie schon aufgrund ihres Geschlechts die...