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E-Book

Frauen brauchen Männer (und umgekehrt)

Couchgeschichten eines Wiener Psychiaters

AutorRaphael Bonelli
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641213633
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Warum alle gewinnen, wenn Männer männlich und Frauen weiblich sind
Weshalb gerät das moderne Beziehungsleben zwischen den Geschlechtern so häufig in eine Schieflage? Der Wiener Psychiater und Neurowissenschaftler Raphael M. Bonelli taucht ein in das Seelenleben von Mann und Frau und beleuchtet dort besonders das Unbewusste und Verdrängte, und wie dies die heutigen Paarbeziehungen beeinflusst: offene Beziehungen, die doch nicht ganz so offen sind, Männer auf der Suche nach ihrer weiblichen Seite, geschlechtslose Freundschaft, die sich als recht geschlechtlich entpuppt, Karrierefrauen mit paradoxen Heimchen-am-Herd-Sehnsüchten.

Bonelli erzählt ebenso unterhaltsam wie einfühlsam Fallgeschichten aus seiner eigenen therapeutischen Praxis, fernab von Klischees und Ideologien. Er identifiziert vier unbewusste Liebestöter und analysiert, wie moderne Männlichkeit und Weiblichkeit miteinander harmonieren können. Als erfahrener Paartherapeut zeigt er, wie der Eros wiederbelebt werden kann: Wer das jeweilige Talent zur Männlichkeit oder zur Weiblichkeit nicht verkümmern lässt, sondern entfaltet, findet zurück zu einer glücklichen und funktionierenden Paarbeziehung auf Augenhöhe.

Raphael M. Bonelli, geboren 1968, ist Neurowissenschaftler an der Sigmund Freud Universität Wien sowie Psychiater und systemischer Psychotherapeut in eigener Praxis. Forschungsaufenthalte an der Harvard-Universität, der University of California (Los Angeles) und der Duke University mit zahlreichen Publikationen im Bereich der Gehirnforschung und Habilitation im Fach Neuropsychiatrie.

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Leseprobe

2


Die Abgründe der Seele

Sigmund Freud hat das Unbewusste zwar nicht selbst entdeckt, aber wie ein Höhlenforscher immer tiefere Gänge im Inneren ausgeleuchtet. Er gilt zu Recht als Pionier der Seele. Von neidenden Kollegen wurde ihm manchmal Widersprüchlichkeit in seiner Kartographie angekreidet. Das ist vielleicht manchmal zutreffend. Doch in Wirklichkeit hat er in seinen Schriften nur versucht, die unterirdischen Falten der Seele präzise abzubilden, ohne Rücksicht auf eigene, bereits publizierte theoretische Konstrukte. Er beschreibt das Leben, wie er es antrifft. Deswegen hat sich sein Konzept trotz mancher Holprigkeiten bis ins 21. Jahrhundert gehalten. Es lässt sich auch ausgezeichnet auf die aktuellen Probleme der Millennials anwenden.

Fall 6: Nicht so ganz gelungen

Der 30-jährige Musiker Helmut G. kommt zum Psychiater. »Das ist das erste Mal, dass ich so was mache – mit einem Seelenklempner. Mir geht es schlecht. Ich habe vor zwei Wochen meine zweite Trennung durchleben müssen. Mit Angelika war ich zwei Jahre zusammen, sie ist jetzt 36. Wir haben teilweise zusammengewohnt. Ich kann jetzt nicht mehr durchschlafen, wache um 3.00 Uhr auf und bin hellwach. Keine Chance, wieder einzuschlafen. Appetit habe ich auch nicht mehr – ich muss mich zum Essen zwingen.

Angelika hat einen 16-jährigen Sohn. Ihre Partnerschaften sind immer schiefgegangen. Man kann mit ihr nicht reden. Sie hat stundenlang am Computer gespielt. In unserer Beziehung ist sie immer seltener mitgegangen, wenn ich Konzerte gegeben habe. Aber sie war wahnsinnig eifersüchtig, was meine Frauenkontakte betraf. Sie hat ständig mein Handy durchforstet, um Frauen in meinem Leben zu entdecken.

Der Auslöser des Schlussmachens war mein 30. Geburtstag. Eine Frau hat angerufen – eine ehemalige Kollegin. Ich habe sie am Handy weggedrückt, um Angelika keinen Grund für eine Szene zu geben. Aber wie das Leben so spielt, sie hat gesehen, dass ich einen Anruf verheimlichen will. Sie hat mich vor allen angeschrien, dass ich sie belogen und betrogen habe … Wenn ich auf der Straße Frauen nachgeschaut habe – das ist doch das normalste der Welt, das macht jeder Mann! – , dann ist sie gleich aggressiv geworden.

Der Sex ist zwischen uns auch immer weniger geworden. Sie war da sehr kompliziert. Und unangenehm war auch, dass ihr Bub gleich neben ihrem Schlafzimmer sein Zimmer hatte. Er hat an der Türe geklopft, wenn wir seinem Geschmack nach zu laut waren. Das steigert nicht unbedingt die Erotik … Sie konnte wirklich nett sein – das ist aber immer weniger geworden. Ich habe sie finanziell unterstützt – ich weiß gar nicht, wie sie jetzt weitermacht. Na, vielleicht hat sie eh schon den Nächsten? Sie konnte aber auch sehr aggressiv sein – einmal hat sie mich sogar geschlagen! Ich durfte danach nicht einmal sagen, dass ich Schmerzen habe. Ich war früher oft alleine: das mag ich nicht. Deswegen lass ich mir viel gefallen. Das Problem war – glaub ich – , dass wir nie richtig über unsere Beziehung gesprochen haben.«

Helmut und Angelika haben wohl nicht so richtig harmoniert. Schwer zu sagen, wer daran mehr Anteil hatte. Gott sei Dank muss ein Psychiater nicht Richter sein. Viel von diesen Konflikten war für beide offensichtlich nicht wirklich aussprechbar. Es lag unausgesprochen zwischen ihnen. Diese unausgesprochenen Liebestöter, denen wir auf der Spur sind, sind bei den meisten Paaren im Unbewussten beheimatet. Freud beschreibt das Unbewusste 1916 in der Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse: »Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.« Wenn Freud selbst Vergleiche empfiehlt, dann verwenden wir zum besseren Verständnis das weltbekannte Bild der dunklen Mienen von Moria aus J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe: ein prachtvolles, riesiges Grottensystem, bestehend aus Stollen, Schmieden, Gängen, Hallen und einer ganzen Stadt unter den drei mächtigen Bergen. Gefährlich und unheimlich. Tief unten ruht vielleicht ein unermesslicher Schatz, aber vielleicht auch das namenlose Grauen. Wer weiß?

Das Bewusstsein: der Hobbit im Hirn

Um das Unbewusste zu verstehen, müssen wir beim Bewussten beginnen. Denn Ersteres ist ja die bloße Negation von Letzterem. Das Bewusstsein gleicht einer Theaterbühne. Der international renommierte Kognitionswissenschaftler Michael Posner von der University of Oregon nannte es 1980 den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit (spotlight of attention). Diese treffende Analogie ist in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen: Der Mensch richtet einen hellen Lichtkegel auf gewisse Punkte seines Interesses. Diejenigen, die derart beleuchtet werden, betreten damit die Bühne des Bewusstseins. Alles rundherum bleibt im Dunkeln. Das Bild kommt ursprünglich aus der Philosophiegeschichte: Schon der französische Philosoph René Descartes formulierte, dass das Gehirn Bewusstsein erzeugt, indem es gewisse Informationen auswählt und auf einer inneren Leinwand abbildet, wo sie von einem »Homunculus«, so eine Art kleiner Hobbit (eine Metapher für die Seele), betrachtet werden.

Das Gehirn führt ständig eine Vielzahl von emotionalen und kognitiven Operationen durch, doch wir haben stets nur zu einem Bruchteil dieser Vorgänge bewussten Zugang – auf der Bühne des Theaters. Der große Rest läuft hinter der Bühne ab, unbewusst, hinter den Türen von Durin, wo das riesige Reich des Es, des Unbewussten beginnt.

Es umfasst drei Gebiete: gleich hinter der Bühne, »backstage« (1) das Vorbewusste, dahinter weitflächig und großräumig angelegt (2) das Unbewusste im engeren Sinn und schließlich, ganz tief unten und streng abgeriegelt (3) das Verdrängte (siehe Abbildung 1).

Hinter der Bühne: das Vorbewusste

Das Vorbewusste ist der Teil des Wahrnehmens und Wissens über sich, den der Mensch zwar momentan nicht präsent hat, den er sich aber jederzeit bewusst machen kann. Während man etwa liest, könnte man auch problemlos die sensorischen Empfindungen des Sitzens und die Hintergrundgeräusche wahrnehmen. Diese werden normalerweise aber ausgeblendet, weil man sich dann besser auf das Wesentliche konzentrieren kann. Was wesentlich ist, bestimmt der Mensch. Bei bestimmten psychischen Krankheiten (etwa der Manie) funktioniert diese Ausblendung (durch das Frontalhirn) nicht: dann ist man von jeder Kleinigkeit ablenkbar. Das Prinzip des Tinnitus ist zum Teil auch darauf zurückzuführen: Ohrgeräusche sind zwar bei vielen Menschen da, aber sie beginnen sie erst dann wahrzunehmen, wenn sie darauf angesprochen werden (wenn also die Aufmerksamkeit dorthin gelenkt wird). Wichtig, damit etwas im Vorbewusstsein bleiben kann, ist die emotionale Neutralität. Je mehr mich der Tinnitus stört, umso mehr werde ich ihn bewusst wahrnehmen. Die eigene Geschlechtlichkeit ist in der Regel 95 Prozent des Tages vorbewusst. Das schließt durchaus nicht aus, dass diese Geschlechtlichkeit in Begegnungen mit dem anderen Geschlecht jederzeit blitzartig aktualisiert und einsetzen werden kann: bewusst oder unbewusst.

Der Blick des Bewusstseins fällt hauptsächlich dann auf die vorbewussten Bereiche, wenn diese Schwierigkeiten machen. Unser rechtes Bein ist uns normalerweise vorbewusst, wenn es aber beim Skifahren bricht, ist es plötzlich schmerzhaft bewusst. Genauso ist das mit der Psyche, die sich etwa bei Liebeskummer ins Rampenlicht drängt und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dann kann man im schlimmsten Fall nicht einmal mehr arbeiten, weil das Restbewusstsein für die gestellten Aufgaben nicht mehr ausreicht.

Das Unbewusste im engeren Sinn

Das Unbewusste im engeren Sinn (in der Folge nur »Unbewusstes« genannt) ist durch das Bewusstsein nur mehr mit großer Mühe erreichbar. Und das nur unvollständig. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – kann es Denken und Handeln des Menschen aus dem Untergrund stark beeinflussen. Umso mehr, je stärker es aus dem Verborgenen agiert. Das Unbewusste wird aus zwei Zuflüssen gespeist: dem inneren Lebensprinzip und dem Ichideal, bestehend aus von außen kommenden, verinnerlichten Ideen aus dem Bereich des Über-Ichs (siehe Kapitel 1). Das Lebensprinzip ist biologisch vorgegeben, das Ichideal ist gesellschaftsabhängig veränderlich.

Wenn das Ichideal dem Lebensprinzip – der inneren Wahrheit des Menschen – entspricht, führt das zu innerer Harmonie und Stimmigkeit. Wenn nicht, erzeugt die Widersprüchlichkeit eine seelische Disharmonie, mit der Freud viele Bücher gefüllt hat. So hat etwa der halbwüchsige Auto-Rowdy durch seine verhätschelnde Erziehung (von außen) das narzisstische Ichideal der eigenen Unverwundbarkeit verinnerlicht, das im Widerstreit mit seinem (angeborenen) Selbsterhaltungstrieb steht. Immer wieder hört man, dass letzterer unterlag.

Das biologisch angeborene Lebensprinzip ist auf Lebens-, Art- und Selbsterhaltung ausgelegt und äußert sich einerseits in Trieben und Instinkten (Selbsterhaltung), andererseits in einer leisen Intuition für den richtigen Umgang mit anderen (Arterhaltung): Jeder Mensch hat in sich ein Gefühl für Gerechtigkeit und ethisch gutes Handeln, das letztlich der Allgemeinheit (der Art) zugutekommt. Diese Intuition nannte der prominenteste aller Freudschüler Alfred Adler Gemeinschaftsgefühl; man könnte auch von Gewissen sprechen. Immanuel Kant bezeichnete es als »das moralische Gesetz in mir«, welches das Gemüt des großen Philosophen »mit immer neuer und...

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