Mit dem zunehmenden Interesse am Forschungsfeld Entrepreneurship sind eine Reihe neuer theoretischer Perspektiven entstanden, welche die Logik des unternehmerischen Handelns erklären. Diese Ansätze stehen im Kontrast zum traditionellen Modell des unternehmerischen Handelns und werden allgemein als neue theoretische Perspektiven der Entrepreneurship-Forschung bezeichnet (vgl. Fisher, 2012, S. 1019). Das traditionelle Modell stützt sich weitgehend auf das wirtschaftliche Denken von Personen in Unternehmen, um zu erklären, wie diese unternehmerisch handeln. Demnach suchen Unternehmer in feststehenden Bereichen oder Märkten, in denen die Nachfrage das Angebot übersteigt, nach unternehmerischen Gelegenheiten, welche sie schließlich abwägen und umsetzen (vgl. Shane/Venkataraman, 2000, S. 219 ff.; vgl. Fisher, 2012, S. 1019). Dass Unternehmer jedoch oft auch in Abwesenheit von Märkten Firmen gründen, ist eine Idee, die sich in der Forschung erst seit einiger Zeit durchgesetzt hat. Venkataraman (1997, S. 126) identifiziert dies als ein zentrales Phänomen, das durch die Entrepreneurship-Forschung zu erklären ist. Shane und Venkataraman (2000) weisen in einem Artikel, der dieses Phänomen in den Managementwissenschaften bekannt macht, ferner auf die zusätzliche Problematik hin, dass ein Großteil der Informationen, die benötigt werden, um neue Märkte zu erschaffen erst entstehen, wenn diese Märkte geschaffen sind. Das Thema der Chancenentdeckung hat spätestens nach dieser wegweisenden Arbeit die Aufmerksamkeit der Entrepreneurship-Forscher auf sich gezogen (vgl. Sarasvathy et al., 2007, S. 3). So führen Alvarez und Barney (2007) die „Creation Theory“ als Alternative zur dominanten „Discovery Theory“ in der Theorie der Chancenfindung ein.
In ähnlicher Weise diskutiert Sarasvathy (2001) die „Effectuation Theory“ zur Beschreibung unternehmerischen Handelns als Alternative zur „Causation-Theory“ bzw. der Theorie der rationalen Entscheidung und leistet damit in der Entrepreneurship-Forschung Pionierarbeit (vgl. Eyana/Masurel, 2017, S. 2; Sarasvathy, 2001; Perry et al., 2012; Read/Sarasvathy, 2005, S. 14). Causation und Effectuation sind zwei alternative Verhaltensweisen oder kognitive Prozesse, die Unternehmer bei der Identifizierung von Chancen und der Entwicklung neuer Geschäftsfelder nutzen (vgl. Perry et al., 2012, S. 839). Die weitere theoretische Entwicklung der Effectuation-Theorie hat Sarasvathy in der Landschaft der Strategieentwicklung als nützlich in Situationen positioniert, in denen die Vorhersagbarkeit gering, aber die Kontrollierbarkeit der Situation hoch ist (vgl. Sarasvathy et al., 2007, S. 3). Danach zeigt sie in ihrer Arbeit, dass Entrepreneure unter bestimmten Voraussetzungen einen anderen Weg gehen, um Chancen zu erkennen und zu nutzen als andere (vgl. Fisher, 2012, S. 1019; Sarasvathy, 2001). Effectuation und Causation bieten einen Rahmen für Entstehungsprozesse unternehmerischen Handelns im Kontext unterschiedlich hoher Ungewissheit bzw. Unsicherheit. Sie sind integrale Bestandteile des menschlichen Denkens, die gleichzeitig auftreten können und sich über verschiedene Zusammenhänge von Entscheidungen und Handlungen hinweg überlagern und verflechten. Dennoch stellt Sarasvathy die Ansätze in ihrem Artikel bewusst als Dichotomie gegenüber (siehe dazu auch Tabelle 8 im Anhang), um eine klarere theoretische Darstellung zu ermöglichen (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 245).
Sarasvathy definiert Causation (z. Dt. „Kausalität“) als Prozess, der eine bestimmte Wirkung entfaltet und sich auf die Auswahl der Mittel zur Erzeugung eines bestimmten Effekts konzentriert (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 245). Dieser Prozess ist kongruent zu erarbeiteten Strategiemodellen und basiert auf der rationalen Argumentation der neoklassischen Mikroökonomie (vgl. Chandler et al., 2007, S. 1). Die zugrundeliegende prädiktive Logik besagt, dass soweit die Zukunft prognostiziert werden kann, sie auch kontrollierbar ist (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 251). Gleichzeitig nimmt die kausale Logik die Umwelt als weitgehend außerhalb der Kontrolle der Entscheidungsträger wahr, weshalb diese versuchen, sie vorherzusagen und sich an Veränderungen anzupassen (vgl. Read/Sarasvathy, 2005, S. 15). Die Chancenerkennung resultiert dabei aus einem rationalen Suchprozess, in dem Handlungsalternativen identifiziert und analysiert werden. Die Alternative mit der höchsten Renditeerwartung wird schließlich im Entscheidungsfindungsprozess ausgewählt und umgesetzt. Kausale Modelle des Unternehmertums umfassen die formulierten und artikulierten Absichten des Unternehmers, unterstützt durch seine persönliche Kontrolle, die die Umsetzung sicherstellt (vgl. Chandler et al., 2007, S. 1). Die von solchen Modellen geforderte Planung und Analyse geht von Bedingungen aus, unter denen die Verteilung der Ergebnisse in einer Gruppe von Fällen durch Berechnung oder statistische Inferenz annähernd vorhersagbar ist (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 252). Unternehmer, die bei der Verfolgung von Chancen und der Entwicklung neuer Geschäftsfelder den Causation-Ansatz folgen, beginnen daher von Anfang an mit klaren und vorher festgelegten Zielen. Sie nutzen ihre Ziele um Wettbewerbsanalysen durchzuführen und um bereits vorhandenes Wissen und Fähigkeiten zu nutzen. Der Prozess, der dem kausalen Ansatz von Entrepreneurships zugrunde liegt, ist in Abbildung 2 im Anhang dargestellt. Das Flussdiagramm zeigt, wie das Erkennen und Bewerten von Chancen, die Festlegung von Zielen und das Erstellen eines Plans zur Nutzung der identifizierten Chancen führen (vgl. Fisher, 2012, S. 1023). Die Fähigkeit Größe, Wachstumsraten und potenzielle Trends von Zielsegmenten zu prognostizieren, ermöglicht es dem Unternehmen seine eigene finanzielle Zukunft zu sichern (vgl. Brettel et al., 2012, S. 168; vgl. Sarasvathy, 2003a, S. 206 ff.). Kausales Denken ist folglich immer in solchen Bereichen von Nutzen, in denen die Zukunft vorhersehbar ist, Ziele bekannt sind und ein exogenes Umfeld als Selektionsmechanismus dient. Jedoch ist es wenig nützlich in Problemräumen, die durch Knight’sche Unsicherheit[1] (Knight, 1921) gekennzeichnet sind (vgl. Sarasvathy et al., 2007, S. 5).
Die theoretischen Wurzeln der Effectuation-Theorie von Sarasvathy finden sich in den Arbeiten von Frank Knight (1921), Jim March (1991), Henry Mintzbergs (1994) sowie Karl Weick (1984) wieder (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 254 ff.; vgl. Kraaijenbrink et al., 2011, S. 2). Das Kunstwort „Effectuation“ leitet sich aus dem englischen Begriff „to effect sth.“ ab und bedeutet in etwa „das Bewirken“ (vgl. Schaake, 2008, S. 18). In ihrer Dissertation (1998) beschäftigt sich Sarasvathy einerseits mit der Frage der Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Entscheidungsprozessen erfahrener Unternehmer, die mit der gleichen Idee für ein neues Unternehmen beginnen und beim Aufbau genau die gleichen Entscheidungen treffen. Und andererseits damit, welche grundlegenden Überzeugungen über die Vorhersagbarkeit der Zukunft die Entscheidungen beeinflussen (vgl. Sarasvathy, 2003b, S. 18).Sarasvathy verwendet dazu Think-Aloud-Protokolle, in denen sie die Versuchspersonen bittet, ständig laut zu sprechen und zu beschreiben was sie denken während sie mit Problemen und Entscheidungen konfrontiert sind. Die Logik, der die erfahrenen Unternehmer folgen, wird aus ihren laut ausgesprochenen Gedankengängen zu den Problemen und während der Entscheidungsfindung extrahiert (vgl. Perry et al., 2012, S. 839). Die Ergebnisse ihrer Untersuchung stellt sie der Entrepreneurship-Forschung als Effectuation-Theorie vor. Die Theorie setzt sich explizit mit der Kontrolle anstatt mit der Vorhersage der Zukunft sowie der endogenen Zielerstellung und einer teilweise konstruierten Umwelt auseinander (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 256; vgl. Kraaijenbrink et al., 2011, S. 2).
So stellt die Effectuation-Theorie einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Entrepreneurship dar (vgl. Perry et al., 2012, S. 837). Die zugrundeliegende Logik besagt, dass eine Vorhersage der Zukunft nicht notwendig ist, solange diese kontrollier- und steuerbar ist, (vgl. Sarasvathy, 2001, S. 251). Effectuale Unternehmer sehen die Welt somit als offen, noch im Entstehen und sowohl Firmen als auch Märkte als von Menschenhand geschaffene Artefakte an (vgl. Sarasvathy, 2003b, S. 23). Als Theorie befreit Effectuation den Unternehmer also von vorgegebenen Zielen und ermöglicht es ihm, Unsicherheit in Chancen umzuwandeln, indem diese als Werkzeuge für die Entwicklung neuer Ziele verstanden werden (vgl. Deligianni et al., 2017, S. 351). Nach der Logik von Effectuation wird demnach jeder Aspekt der kausalen Logik, einschließlich des Problemraums, des Lösungsprozesses, der Grundprinzipien und der Gesamtlogik invertiert (vgl. Read/Sarasvathy, 2005, S. 14; vgl. Sarasvathy, 2001, S. 250 f.; vgl. Sarasvathy et al., 2007, S. 3). Effectuation-Prozesse sind somit konvergent zu emergenten Strategieprozessen, da sie vor allem dazu geeignet sind unvorhergesehene Ereignisse zu nutzen (vgl. Chandler et al., 2007, S. 1).
Im Rahmen einer Unternehmensgründung findet die Effectuation-Logik eher in den frühen Phasen der Gründung Anwendung. Denn in Umgebungen, die durch größere Ungewissheit gekennzeichnet sind, ist diese Logik wahrscheinlich effektiver. Wenn das neue Unternehmen und der Markt aus der Ungewissheit in eine vorhersehbarere Situation kommen, findet hingegen ein Übergang zu kausalen Strategien statt (vgl. Perry et al., 2012, S....