Die heutige Arbeitswelt unterliegt einem starken Wandel, der sich auf sämtliche Akteure im Arbeitsmarkt auswirkt. Angefangen mit der Entwicklung von der Industrie- hin zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, die in den 1970er Jahren begann (sog. Tertiarisierung), haben sich primär die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verändert.[46] Aufgrund des vermehrten Einsatzes neuer Technologien ist ein Rückgang der physischen Arbeitstätigkeiten zu verzeichnen.[47] Arbeitsaufgaben fordern nun zunehmend Wissensarbeit der Arbeitnehmer und die psychischen Anforderungen steigen an.[48] Lebenslanges Lernen gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Um den Arbeitsanforderungen weiterhin gerecht zu werden, wird eine kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeiter unabdingbar. Aus der Zunahme der Informationsdichte resultiert eine erhöhte Arbeitsdichte, in qualitativer und quantitativer Sicht. Weniger Mitarbeiter müssen immer mehr leisten und dies zunehmend unter Zeitdruck.[49]
Der globale wirtschaftliche Wettbewerb nimmt ebenfalls Einfluss auf die heutigen Arbeitsbedingungen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich Unternehmen häufig Veränderungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen gegenüberstellen, um die gesamte Ablauforganisation zu verbessern. Im Fokus liegt dabei die Sicherstellung des wirtschaftlichen Erfolgs. Innerhalb dieser Veränderungsprozesse liegt es in der Verantwortung der Unternehmensleitung und der Führungskräfte den Wandel so zu gestalten, dass er von allen Mitarbeitern begleitet und auch getragen werden kann. Unzureichende Kommunikation über laufende Prozesse, Vorhaben und Ziele der Umstrukturierung können andernfalls schnell Unsicherheit und Ängste bei den Mitarbeitern hervorrufen.[50] Mit dem Veränderungsmanagement und zunehmender Flexibilisierung findet ein ständiger Wechsel zwischen den Beschäftigungsformen, wie Vollzeit, Teilzeit, Zeitarbeit, Selbstständigkeit und Arbeitslosigkeit statt. Die veränderten, diskontinuierlichen Erwerbsbiografien der Beschäftigten, die heute nur noch selten den erlernten Beruf bis zum Ende ihrer Erwerbstätigkeit in einem Unternehmen ausüben können, nehmen negativen Einfluss auf soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, wodurch die psychosozialen Risiken bei der Arbeit zunehmen.[51]
Die Veränderung der Arbeitsformen selbst, wie die Entstehung der Telearbeit bei der Mitarbeiter einen Teil der Arbeit ortsunabhängig und zeitlich flexibel verrichten können, wird durch die Nutzung moderner Kommunikationsmittel, wie Laptops und Smartphones, mit denen von überall aus und jederzeit gearbeitet werden kann, begünstigt. Dabei verschmelzen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben zunehmend. Einerseits sind diese technologischen Entwicklungen von Vorteil, da die Flexibilität der Arbeitnehmer erhöht wird. Es ermöglicht ihnen private Termine, Arztbesuche und Erziehungsaufgaben besser wahrzunehmen. Dennoch besteht die Gefahr, dass sich das Berufs- zunehmend in das Privatleben verlagert. Always on, d.h. permanent erreichbar zu sein, lautet die Devise vieler Manager, wodurch sie ihre Freizeit nie wirklich zur Erholung nutzen können, sondern ständig dem Druck der Arbeit unterliegen.
Ein weiterer Aspekt der die Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt, ist der demografische Wandel. Bis 2020 wird eine Lücke von bis zu 1,2 Millionen Akademikerstellen prognostiziert und damit die Gewinnung einer Vielzahl neuer Fachkräfte unabdingbar. Die Zahl der über 50-Jährigen wird bis dahin auf über 50 Prozent ansteigen.[52] Je mehr sich das Durchschnittsalter der Beschäftigten aufgrund des demografischen Wandels erhöht, desto wichtiger ist es, dass Arbeit die Gesundheit nicht negativ beeinträchtigt, sondern die Erwerbstätigkeit bis zum Rentenalter gefördert wird.[53] Dass die aktuelle Entwicklung gegenteilig verläuft, belegt die Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zu psychischen Erkrankungen und Frührente. Demnach liegt die Zahl der Versicherten, die im Jahre 2012 erstmalig Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund psychischer Erkrankungen erhielten bei 75.000. Das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren. 10 Jahre zuvor lag die Zahl der Betroffenen bei noch rund 25.000. Seit über 10 Jahren sind psychische Erkrankungen der Hauptgrund für die Erwerbsminderungsrente. Jede zweite Frühverrentung basiert auf psychischen Leiden der Betroffenen.[54] Neben den Frühverrentungen resultieren aus dem Wandel in der Arbeitswelt auch die erhöhten Krankenstände und Fehlzeiten in Unternehmen. Die volkswirtschaftlichen Kosten von Arbeitsunfähigkeit betrugen im Jahr 2012 nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 92 Milliarden Euro.[55] Zusätzlich häufen sich in diesem Zusammenhang die organisatorischen und sozialen Probleme in Unternehmen. Die Gesamtheit dieser Faktoren spiegelt sich einem erhöhten Belastungs- und somit Krankheitsrisiko für die Beschäftigten wieder.
Der Krankenstand drückt aus, wie hoch der Anteil der Beschäftigten ist, die an einem Kalendertag im Durchschnitt arbeitsunfähig erkrankt sind.[56] In der gesetzlichen Krankenversicherung lag der Krankenstand im Jahr 2013 bei 3,78 Prozent mit einer leichten Zunahme gegenüber dem Vorjahr. Laut dem Gesundheitsbericht der DAK nahm der Krankenstand ebenfalls im Jahr 2013 mit 4,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr leicht zu (2012: 3,8 Prozent). Die meisten Ausfalltage wurden durch Muskel- und Skeletterkrankungen (21,5 Prozent) verursacht, gefolgt von Erkrankungen des Atmungssystems (17,3 Prozent). Psychische Erkrankungen haben einen Anteil von 14,6 Prozent am Gesamtkrankenstand und liegen auf dem dritten Rang.[57] Im BKK Gesundheitsreport 2013 haben sich die psychischen Erkrankungen erstmals auf Platz zwei der häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit eingeordnet. Den ersten Rang belegen weiterhin Krankheiten des Muskel-Skelettsystems, insbesondere Rückenleiden, sowie auf Platz drei Erkrankungen des Atmungssystems.[58] Der Anstieg psychischer Erkrankungen wird als überdurchschnittlich hoch eingestuft. Beachtlich sind dabei die Fehltage pro Arbeitsunfähigkeitsfall mit 39,5 Tagen, die auf psychische Störungen zurückzuführen sind (s. Anhang 2). Die durchschnittliche Falldauer der Arbeitsunfähigkeit liegt vergleichend bei 13,5 Tagen, also dreimal niedriger. Die psychischen Erkrankungen nehmen im Trend verglichen zu den Vorjahren kontinuierlich zu (s. Anhang 3).[59]
Akuterkrankungen und Unfälle wurden in den vergangenen Jahren durch die kostenintensiveren Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Stoffwechsels und Erkrankungen der Psyche in der Statistik der Arbeitsunfähigkeitsgründe abgelöst. Ursachen hierfür liegen u.a. in veränderten Lebensgewohnheiten, wie Bewegungsmangel, einseitiger Ernährung, Übergewicht sowie der Zunahme seelischer Störungen aufgrund psychosozialer Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz. Stress im Arbeitsleben sorgt Untersuchungen zufolge für eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magengeschwüren und Migräne zu erkranken.[60] Die Bedeutung des Anstiegs psychischer Störungen ist immens. Die dadurch entstehenden Krankheitskosten werden mit jährlich knapp 27 Milliarden Euro beziffert.[61] Es liegt nahe, dass sich in Anbetracht dieser Umstände die Unternehmen zukünftig verstärkt mit dem Thema der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter auseinandersetzen müssen.
Ein häufig genutztes Instrument, um Aussagen über den Gesundheitszustand der Beschäftigten zu erhalten, sind Fehlzeitenanalysen, in denen erkennbar ist, wie viele Tage die Mitarbeiter aufgrund Krankheit nicht zur Arbeit erscheinen konnten. Dieser Umstand wird als Absentismus bezeichnet. Produktivitätsverluste die hierdurch ausgelöst werden stellen jedoch meistens nur die Spitze des Eisbergs dar.[62] Denn ein niedriger Krankenstand muss nicht zwangsläufig heißen, dass die Belegschaft gesund und leistungsfähig ist. Es ist zu beobachten, dass zunehmend Beschäftige trotz Krankheit zur Arbeit gehen. Dieses Phänomen wird als Präsentismus bezeichnet. Gründe hierfür liegen in der Angst vor Arbeitsplatzverlust und erhöhtem Leistungsdruck, die zur psychischen Belastung für die Mitarbeiter werden. Auch Rücksicht auf Kollegen, auf die gegebenenfalls das eigene Arbeitsvolumen übertragen werden müsste oder auch das Pflichtgefühl gegenüber dem Arbeitgeber veranlassen Mitarbeiter dazu, erkrankt am Arbeitsplatz zu erscheinen.[63] So sehen sie sich häufiger vor der Fragestellung, ob sie so krank sind, dass sie zu Hause bleiben müssen oder doch noch so gesund, dass sie zur Arbeit gehen können.
Präsentismus lässt sich weit weniger leicht messen, als Absentismus, der sich klar in den Fehlzeitenreportings widerspiegelt. Ob ein Mitarbeiter Rückenschmerzen und Kopfschmerzen hat, lässt sich nicht immer gleich auf den ersten Blick erkennen. Doch die Folgen sind meist gravierend. Zunächst mindert sich die Leistung der Beschäftigten kurzfristig, die...