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Heillos

Ein Frauenarzt über das Paradox katholischer Krankenhäuser

AutorMichael Halbfas
VerlagPublik-Forum Edition
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783880952676
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Michael Halbfas, war über 20 Jahre an einem katholischen Krankenhaus als Gynäkologe tätig. Infolge der Kölner Auseinandersetzungen um die 'Pille danach' gerät er in die Fallstricke der Sexualmoral und Heuchelei katholischer Krankenhausführung und scheidet aus der Klinik aus. In seiner persönlichen Geschichte spiegeln sich die Widersprüche und Psychopathologien von kirchlichen Trägern im Gesundheitswesen wider. Der Autor reflektiert diese und formuliert in der Folge Perspektiven und Anforderungen an die katholische Kirche.

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Leseprobe

Kirche und (medizinische) Welt


Notwendige Einmischungen aus Sicht eines katholischen Laien


Das moderne Krankenhauswesen fußt auf dezidiert christlichen Ursprüngen. Ausgangspunkt für die Medizin im Mittelalter war das Betroffensein vom Leid der anderen, das Mitleiden. Dies löste unter christlichem Vorzeichen entsprechende Überlegungen aus, wie geholfen werden könne. Die Anfänge solcher Bemühungen liegen in der Errichtung von Hospizen oder Altenheimen, die häufig Klöstern angeschlossen waren. Barmherzigkeit und existenziale Sorge waren dabei zweifellos die leitenden Themen der frühen Christenheit und insbesondere der rasch entstehenden Orden. Im deutschen Sprachraum entstanden die »Heilig-Geist-Spitäler«, in Frankreich die sogenannten »Hôtel-Dieus«. Schon in der Namensgebung wird deutlich, wie stark bei solchen Altenpflege- und Krankenversorgungseinrichtungen der Zusammenhang zwischen dem Krankendienst und der Einbindung der Patienten in Gottes Schöpfungs- und Heilsordnung gesehen wird. Die Patienten etwa im Hôtel-Dieu von Beaune (Burgund) wurden neben der Versorgung mit medizinischer Hilfe, die natürlich nur eingeschränkt und auf dem Niveau der Zeit erfolgen konnte, von einem jeden ihrer Betten aus konfrontiert mit eindrucksvollen und großformatigen Bildern der christlichen Heilsgeschichte. In der Konfrontation mit diesen Bildern und den dahinterliegenden Erzählungen und Botschaften wurde möglicherweise der wesentlichere Teil der Behandlung gesehen. Heilung wurde also in einem viel umfassenderen Sinne verstanden, als wir dies heutzutage gewohnt sind.

Dem modernen Bewusstsein ist ein so enger Zusammenhang zwischen Heil im umfassenden und religiösen Sinn und Heilung im medizinischen Sinn eher fremd geworden. Aber besonders angesichts lebensbedrohlicher Erkrankungen und der Endlichkeit alles Lebens kann auch die fortschrittlichste und profilierteste Medizin keine tragfähigen Antworten mehr anbieten. In solchen Situationen stellen sich insofern auch dem modernen Menschen – so er sie nicht von vornherein verdrängt – Fragen, die nur noch in einem religiösen oder metaphysischen Kontext beantwortet werden können. Er trifft in der Regel aber nicht mehr auf Ärzte oder sonstige Mitarbeiter im Gesundheitssektor, die ihre Arbeit in einem solchen Horizont sehen wollen oder können. Unabhängig von dieser Situation besteht dennoch sicherlich bei vielen die Erwartung, dass in Institutionen mit christlicher Trägerschaft noch am ehesten ein Sensorium für eine solche Dimension anzutreffen sei. Entsprechende Selbstbeschreibungen werden von christlichen bzw. katholischen Institutionen denn auch getroffen; man schaue sich nur die entsprechenden Homepages und Leitbilder an. Aber wie sehen diesbezüglich Anspruch und Wirklichkeit aus? Stellt die christliche Trägerschaft einer Einrichtung gegenüber an­deren Anbietern ein besonderes Qualitätskriterium dar? Wird Krankenversorgung hier anders betrieben als etwa in Institutionen mit privater oder kommunaler Trägerschaft? Bestehen in kirchlichen Einrichtungen andere Ansprüche des Arbeitgebers in Bezug auf den Umgang mit seinem Personal?

Auf der Basis der eigenen Erfahrungen und in Kenntnis der Verhältnisse in vielen anderen Kliniken kann zumindest sicherlich behauptet werden, dass von Ärzten mit christlichem (bzw. katholischem) Selbstverständnis häufig eine enorme Kluft zwischen den von den entsprechenden Autoritäten aufgestellten Richtlinien und Ansprüchen einerseits und der Realität andererseits, mit der sie ihren ärztlichen Beruf ausüben, wahrgenommen wird. Wenn viele es aber dennoch als sinnvoll und wichtig erachten, an einer christlichen Grundierung der beruflichen Tätigkeit festzuhalten, wie kann dies umgesetzt werden? Solche Fragen sollen im Folgenden auf der Basis meiner konkret gemachten Erfahrungen entfaltet und – soweit das möglich erscheint – erste Hinweise auf vorstellbare Antworten gegeben werden.

Da meine eigene Herkunft katholischer Natur ist und meine Erfahrungen auch in diesem Kontext gemacht wurden, möchte ich mich im Weiteren in erster Linie mit der römisch-katholischen Kirche befassen, viele Überlegungen lassen sich aber auch auf die protestantische oder andere Kirchen erweitern.

Was bzw. wer ist Kirche?


»Wage es, dich deines Glaubens zu bedienen.«

Georg Schwikart in Anlehnung an Immanuel Kant

In der oben zitierten Erläuterung der Pressestelle des Erzbistums Köln heißt es: »Die Kirche muss aber in ihren Einschätzungen die wissenschaft­lichen Erkenntnisse immer berücksichtigen. […] Die Kirche kann dazu nur die moralischen Prinzipien erklären.«

Wer ist in diesen Sätzen das Subjekt? Nach dem Selbstverständnis der Verfasser ist es sicher die hierarchisch verfasste Institution »römisch-katholische Kirche« mit dem Papst an der Spitze. Dieser sowie Gremien wie die Kongregation für die Glaubenslehre sind in dieser Lesart für die Reinhaltung der Lehre zuständig und verantwortlich. Materiellen Ausdruck findet diese Lehre im sogenannten Katechismus, was aus dem Griechischen kommt und wörtlich übersetzt »von oben herab tönen« bedeutet. Hierin soll die katholische Lehre in verbindlicher Weise formuliert sein, er wird deshalb neben der Heiligen Schrift als eigene Autorität angesehen. Aus der Perspektive der Institution gilt die Annahme der in ihm dargelegten Lehre als das entscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche.

In einem solchen Verständnis liegen nun allerdings gleich mehrere Schwierigkeiten.

Zum einen wird hier ganz abgehoben auf die Unterwerfung unter dogmatische Setzungen, der Glaube wird reduziert auf eine Übung des Gehorsams, nicht zuletzt häufig im Sinne eines sacrificium in­tellectus (eines Opfers des Verstandes). Alles hängt in diesem Verständnis ab von der Orthodoxie, der Befolgung der rechten Lehre. Demgegenüber spielt die Orthopraxie, das rechte Handeln, nur eine untergeordnete Rolle im Sinne einer Befolgung der in Anlehnung an den Dekalog (die Zehn Gebote) aufgestellten Handlungsanweisungen. Dabei unterliegt die Rechtmäßigkeit dieser Handlungen bis in das kleinste Detail den Vorgaben der Glaubenswächter. Eine jede ­Lebenssituation ist klar geregelt. Ob eine solche ganz auf die rechte Lehre abhebende Vorgehensweise allerdings dem Programm Jesu Christi mit seiner zentralen Botschaft vom Reich Gottes gerecht wird, die eine Botschaft der Befreiung ist und das rechte Handeln immer wieder und konsequent über das systemkonforme Denken stellt, erscheint mir sehr fraglich.

Zum anderen ist die Fixierung und Statik der Aussagen des Katechismus einem modernen Bewusstsein kaum mehr vermittelbar. Die ethischen Aussagen sind derart erstarrt, dass sie regelmäßig am wirklichen Leben vorbeigehen müssen. Jedwede Antwort auf eine Frage im ethischen Kontext ist von vornherein festgelegt, unabhängig von den konkreten Umständen. Durch diese Starrheit werden die ge­troffenen Aussagen dem Kontext häufig nicht gerecht, was von den Betroffenen dann schmerzlich (oder auch nicht schmerzlich) empfunden wird. Zudem ist der Weg für neue Entwicklungen oder neue Erkenntnisse, denen sich die Kirche im Lauf der Jahrhunderte trotz beharrlichen Widerstandes immer wieder stellen musste, quasi per definitionem verstellt.

Ich unterstelle, dass die meisten Katholiken in Unkenntnis vieler Aussagen des Katechismus Mitglied ihrer Kirche sind. Diese Aussagen würden bei Kenntnisnahme entweder abgelehnt oder aber als für sie irrelevant bewertet werden. Anders formuliert: Wenn Glaube wirklich bedeutete, das vom Lehramt der katholischen Kirche verkündete Depositum fidei, die Gänze der zu glaubenden Lehren, anzunehmen, so gäbe es bei realistischer Betrachtung allenfalls noch ein kleines Häuflein wirklich Gläubiger. Vor dieser Einsicht aber verschließen die Autoritäten in der Kirche regelmäßig die Augen.

Ich möchte dies anhand einiger Aussagen des kirchlichen Lehramtes, die sich auf die oben behandelten Konflikte beziehen, konkreter ausführen. Ich zitiere hierbei aus dem Kompendium (das heißt der Kurzfassung) des katholischen Katechismus, der 2005 durch Papst Benedikt XVI. genehmigt und danach veröffentlicht wurde. Dieses Kompendium ist gegliedert in 598 Fragen, die beantwortet werden. Frage 430 lautet:

»Warum äußert sich das Lehramt der Kirche zu sittlichen Fragen? – Weil es Aufgabe des Lehramtes der Kirche ist, den Glauben zu predigen, der geglaubt und im Leben angewandt werden muss. Diese Aufgabe erstreckt sich auch auf die besonderen Vorschriften des natürlichen Sittengesetzes, weil es heilsnotwendig ist, sie zu befolgen.«

Man beachte, wie steil die hier gemachten Aussagen sind: Der Glaube wird nicht in einem lebenslangen Prozess errungen und erkämpft, vielleicht auch zwischenzeitlich angefochten oder auf Dauer wieder verloren, sondern er muss nach den Verkündigungen des Lehramtes geglaubt und angewandt werden. Verstößt der Katholik gegen die vom Lehramt verkündeten besonderen Vorschriften des Sittengesetzes, so verliert er gar sein Heil!

Frage 470 bezieht sich auf das Tötungsverbot:

»Was verbietet das fünfte Gebot? Das fünfte Gebot verbietet als schwerwiegende Verstöße gegen das Sittengesetz […] die direkte Abtreibung, als Ziel oder als Mittel gewollt, und die Mitwirkung daran; dieses Vergehen wird mit der Exkommunikation bestraft, weil das menschliche Wesen von der Empfängnis an in seiner Unversehrtheit absolut zu achten und zu schützen ist […].«

Dieser Passus ist insofern relevant, als die Anwendung der »Pille danach« in der Zeit vor der Erklärung von Kardinal Meisner vom 31. Januar 2013 vom Lehramt eindeutig als direkte Abtreibung betrachtet wurde (erinnert sei: der damalige Generalvikar Schwaderlapp spricht in Bezug auf die »Pille danach« von »Schwangerschaftsabbrüchen...

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