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Intergrationschancen und -barrieren polnischer Migranten

AutorAgata Borusiewicz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl76 Seiten
ISBN9783640291403
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 3,0, Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main, 80 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Polen gehören zu einer der größten Zuwanderergruppen in Deutschland. Nach den Türken und Italiener sind sie die am stärksten vertretene Einwanderergruppe. Es gibt keine genauen Daten wie viele Polen in Deutschland leben. Die Anzahl wird auf 2 Millionen, das sind 2,5% der deutschen Bevölkerung geschätzt. (Kaluza 2002 S.699) Diese Zahl ergibt sich zum einen aus polnischen Staatsangehörigen, die schon lange in Deutschland leben aber die deutsche Staatsbürgerschaft nicht angenommen haben. Ihre Zahl betrug im Jahr 2006 361.000 Personen. Dazu kommen ca. 1,2 Millionen Aussiedler aus Polen, darunter Oberschlesier, die einen deutschen Pass besitzen. Sie werden trotzdem zur polnischsprachigen Gruppe in Deutschland dazu gerechnet. Der Rest verteilt sich auf die kurzfristige Arbeitsmigration und die Gruppe der Pendler, die aufgrund der geografischen Nähe in zwei Staaten leben. Die Gruppe von illegalen Arbeitsmigranten gehört zwar nicht zu diesen 2 Mio., sie sollte aber nicht unerwähnt bleiben. (Kiereta 2005 S.63) In der Literatur wird oft der Begriff 'Polonia' für polnischsprachige Einwanderer verwendet. Wenn man den Begriff genauer definieren möchte, handelt es sich hier um in Deutschland ansässige Polen und Personen, die polnischer Abstammung sind oder die sich zur polnischen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen. Es sind also polnische Migranten, die ihre Muttersprache Polnisch meistens noch beherrschen und eine Bindung zur polnischen Kultur und Tradition haben. Wie man sieht, gibt es keine homogene polnischsprachige Gruppe, sondern eine breite Gemeinschaft von Menschen in Deutschland, die auf die eine oder andere Weise eine intensive Verbindung mit der polnischen Kultur, Sprache und Tradition haben. Um so schwieriger ist die Untersuchung dieser Gruppe, da die Zugehörigen einen unterschiedlichen rechtlichen Status haben. Auch die Dauer des Aufenthalts ist sehr verschieden. Diese Gruppe von fast zwei Millionen wird von der deutschen Gesellschaft nicht wirklich wahrgenommen. Man fragt sich, woran das liegen könnte. Liegt es an der Gruppe selbst, dass sie sich durch ihr äußeres Aussehen und gemeinsamen religiösen und kulturellen Wurzeln kaum von Deutschen unterscheidet und sich gut integrierte? Oder liegt es an der deutschen Gesellschaft und der langen und komplizierten deutsch-polnischen Geschichte der Migration und ihrer immer noch spürbaren Folgen?

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Leseprobe

3      Geschichte


 


3.1      Erste Migration 1870-1914


 

Die Wurzeln der polnischen Migration nach Deutschland reichen in das 19. Jahrhundert zurück. Zwischen 1870 und 1910 kamen 2 Mio. Einwanderer aus Polen ins Deutsche Reich. Darunter waren die sog. „preußischen“ Polen aus den agrarisch strukturierten Ostprovinzen. Zu dieser Zeit existierte der polnische Staat nicht auf der Landkarte, er war unter drei Mächte aufgeteilt: Deutschland, Österreich und Russland. Die meisten Einwanderer ließen sich im Ruhrgebiet (650.000), wie auch in anderen industriellen Ballungsgebieten des Reiches (Berlin, Hamburg) nieder. Später kamen noch die Saisonarbeiter aus dem russischen und österreichischen Teilungsgebiet hinzu, die hauptsächlich in der Landwirtschaft arbeiteten. Die Push-Faktoren der Auswanderung waren politisch und ökonomisch. Das hohe Bevölkerungswachstum in polnischen Gebieten, wie auch der Überschuss an Arbeitskräften in der polnischen Landwirtschaft wirkte auf die Zahl der Ost-West-Migration. Die fortgeschrittene „Industrielle Revolution“ im westlichen Europa zog eine große Nachfrage nach Arbeitskräften an. (Kiereta 2005, S.20-23, vgl. Kolodziej 1996, S.79)

 

3.1.1      Ruhrpolen: Polnischsprachige Einwanderer im Ruhrgebiet


 

Die meisten sog. Ruhrpolen fanden im Bergbau Beschäftigung, nur wenige betrieben ein Gewerbe. Sie wohnten in der Nähe von Bergwerken in sog. Zechenkolonien, abgeschottet von einheimischer Bevölkerung. Die konzentrierten Siedlungen stellten eine Barrieren dar und verleiteten die Migranten dazu, unter sich zu bleiben.

 

Die wichtige und einzige Integrationschance für die Einwanderer war die Religion. Die Polen nahmen am religiösen Leben der deutschen Katholiken teil; an Messen, Fronleichnamsprozessionen, Pilgerfahrten und Kirchenfeiern. Dadurch, dass es in den Gemeinden keine polnisch sprechende Pfarrer gab, was sich bei den kirchlichen Ritualen wie der Beichte und der heiligen Kommunion besonders bemerkbar machte, führte es mit der Zeit zur Unzufriedenheit polnischer Gläubiger. Aufgrund dessen entstanden die ersten kirchlichen polnischen Vereine wie „Jednosc“, „St. Barbara-Verein“, Redaktion „Oredownik“ und viele mehr. Fast alle Vereine erklärten im ersten Punkt ihrer Satzung „die Unterstützung des Ordnungsgeistes und guter Sitten“ unter ihren Mitgliedern sowie den Schutz „vor allen Gefahren und Verstößen gegen die Sittlichkeit“. Außerdem erklärten sie, keine politischen Ziele zu verfolgen und wiesen die Mitglieder an, „fromm und sittsam“ zu leben. Mitglied konnte „jeder ehrbare Pole katholischer Konfession“ aus seiner Umgebung werden. (Kaczmarek 2005, S.87-88)

 

Die katholischen Organisationen haben zwar keine politischen Ziele verfolgt, sie trugen trotzdem zur Bildung der polnischen Subkultur in Nordrhein-Westfalen bei. Unter Subkultur ist hier ein „vielfältiges Netzwerk ethnischer Beziehungen und Organisationen zu verstehen, dass es einer Zuwanderergruppe ermöglicht, sich im Alltag fast ausschließlich innerhalb ihres gewohnten ethnischen Umfeldes zu bewegen“.

 

Die Subkultur entstand aufgrund der alltäglichen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit seitens der Aufnahmegesellschaft. Diese Situation führte dazu, dass sich immer mehr Selbstorganisationen bildeten, um die Diskriminierungserfahrungen zu lindern. So entwickelten sich polnische Vereine wie die Berufsvereinigung ZZP (Zjednoczenie Zawodowe Polskie), die bis 1914 zur drittstärksten Gewerkschaft im Ruhrgebiet geworden ist. Im Jahr 1894 wurde der Bund der Polen in Deutschland gegründet, ein paar Jahre später die polnische Turnvereinbewegung „SOKOL“. Dazu kamen polnische Zeitungen. Von 1890 bis 1912 entstand so ein dichtes Netz von 875 Vereinen in allen Lebensbereichen mit 82.000 Mitgliedern. Die Vereine hatten eine Funktion des sozialen Auffangnetzes für die Neuankömmlinge aus Polen. (Wrzesinski 1996, S.24-29)

 

Von besonderer Bedeutung war die Gründung der politisch-religiösen Zeitung Wiarus Polski (Polnischer Kämpe). Deren Ziel war es, die polnischen Vereine zu vernetzen und eine starke und nationalbewusste Auswanderergruppe mit einer einheitlichen Weltsicht aufzubauen. Pflege der Muttersprache und polnische Traditionen gehörten auch zu den obersten Zielen des Vereins. Das löste seitens der staatlichen Behörden Ängste vor der Stärke dieser Minderheit und der „Polonisierung des Westens“ aus. (Matwiejczyk 2005, S.14-20, vgl. Becher 2004, S.53)

 

Schon im Jahr 1896 verlangte der Oberpräsident der Provinz Westfalen in einer Denkschrift:

 

„Scharfe Überwachungen der Agitations- und Vereinstätigkeit, Fernhaltung nationalpolitischer Geistlicher, Beschränkung des Gebrauchs der polnischen Sprache in öffentlichen Versammlungen, ausschließlich deutsche Schulbildung“.

 

Nach und nach folgten neue Germanisierungsvorschläge. Ab 1899 waren Deutschkenntnisse eine Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme in Kohlezechen. Bei öffentlichen Veranstaltungen durften Polen nur die deutsche Sprache benutzen. Polnische Schulen oder Klassen wurden streng verboten. Das Reichsvereinsgesetz aus dem Jahre 1908 gab der Diskriminierung der polnischen Sprache eine gesetzliche Grundlage. Im Jahre 1909 wurde in Bochum eine „Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegungen“ eröffnet. (Wrzesinski 1996, S.24-29)

 

Über die polnischen Bewegungen und das Engagement in den Organisationen haben sich die Migranten letztlich auch mit dem neuem Umfeld auseinandergesetzt. Die polnische Subkultur wirkte nicht nur abgrenzend, sondern war auch Vermittler zur neuen Lebensumgebung. Demnach sind Integration und Subkultur nicht ausschließlich als Gegensätze zu betrachten, obwohl man hier sagen muss, dass der Integrationsprozess durch die alltäglichen Diskriminierung und Germanisierung sehr schwer verlief. (Kaczmarczyk 2005, S.87-89)

 

3.1.2      Die Integration polnischer Zuwanderer in Berlin


 

Die Gruppe polnischer Zuwanderer in Berlin (100.000) war nicht so groß wie im Ruhgebiet. 80 Prozent der Migranten haben als Ungelernte gearbeitet, die andere Gruppe von 15 Prozent war als Selbstständige im Bereich Handwerk und Handel tätig. Die dritte Gruppe von 5 Prozent arbeitete sogar als Post- oder Bahnbeamte. Zu einer ganz kleinen Gruppe der Einwanderer in Berlin gehörten Adlige, Künstler, Intellektuelle und Studenten. Sie hatten einen großen Einfluss auf die polnische Migration in Berlin. Durch die Kontakte zu den obersten Gesellschaftskreisen der Reichshauptstadt gelang es ihnen, in dem sich im Kaiserreich verstärkten deutsch-polnischen Nationalitätenkonflikt zu vermitteln. Die Wohnsituation der Polen stellte eine Chance für die Integration dar. Sie war durch die Streusiedlung geprägt, d.h. die Polen wohnten nicht konzentriert in bestimmten Stadtteilen, sondern lebten inmitten der ansässigen Bevölkerung. Die Berliner Polen wurden trotzdem von den Einheimischen diskriminiert und als „Pollacken“ bezeichnet. Um sich zu wehren und diese Barrieren zu überwinden, wurden wie im Ruhrgebiet, polnische Vereine gegründet, bei denen die Kirche und  Religion eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Kräfte der nationalpolitischen Strömungen waren aber nicht so stark wie im Ruhrgebiet. Die „Partei der polnischen Sozialisten“(Polska Partia Sozjalistyczna) mit Sitz in Berlin besaß kaum Einfluss unter den Migranten. Sie war finanziell und organisatorisch von den deutschen Sozialdemokraten abhängig. Die polnische Tageszeitung Dziennik Berlinski wirkte auf das Nationalbewusstsein der Polen in Berlin, und versuchte die Integration in die Berliner Gesellschaft zu verhindern und die Perspektive einer späteren Heimatrückwanderung aufrecht zu erhalten (Steinert 2005, S.75-82)

 

3.1.3      Zusammenfassung


 

Bei den beiden Gruppen der Zuwanderer im Ruhrgebiet wie auch in Berlin, hatten katholische Geistliche großen Einfluss auf die Entstehung der polnischen Organisationen. Die Priester waren für die Polen als Identifikations- Figuren, weil sie die kulturelle und religiöse Herkunfts-Identität unterstützt haben. Die beiden Gruppen wurde von der einheimischen Bevölkerung diskriminiert und bekämpft. Die Berliner im Unterschied zu ihren Landsleuten im Ruhrgebiet durchliefen einen schnelleren und individuelleren Anpassungsprozess. Ihre Eingliederung wurde nicht durch die Ausbildung einer Subkultur erschwert. Im Gegensatz zu den Ruhrpolen, die in ethnisch homogenen Zechenkolonien lebten und Unterstützung bekamen, waren die Berliner Polen auf sich allein gestellt. (Steinert 2005, S.73-90, vgl. Maxim 1996, S.85)

 

3.2      Die polnischen Migrationstendenzen nach dem Jahr 1914


 

Nach Kriegsausbruch ändert sich die Situation der Polen. Für die Ruhrpolen verwandelte sich der Bergbau in Kriegsproduktion. Die polnischen Arbeiter blieben überwiegend loyal, obwohl sie von den Behörden weiterhin als potentielle feindliche Ausländer behandelt wurden und für zweidrittel des früheren Lohns noch härter und länger (12 Stundenschicht) arbeiten mussten.(Briesen 1996, S.59)

 

In den Kriegsjahren änderte sich auch die Lage für die...

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