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Machtverhältnisse in der Pflege

Eine Analyse

AutorHenry Borchers
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783638350280
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Gesundheit - Pflegewissenschaft - Pflegemanagement, Note: 1,7, Alice-Salomon Hochschule Berlin (Pflege/Pflegemanagement), Veranstaltung: Beratungsprozesse im Pflege- und Gesundheitswesen, 86 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Liefern Machttheorien tragfähige Erklärungen um die Machtverhältnisse im Pflegebereich überzeugend darstellen zu können? Wie ist der institutionelle Rahmen pflegerischer Tätigkeiten definiert? Welchen Einfluss haben pflegerische Metadiskurse auf die Arbeit von Pflegekräften? Dabei verfolgt diese Arbeit zwei übergeordnete Ziele. Zum einen soll analysiert werden, inwieweit Macht sich auf den Pflegealltag auswirkt und zum andern ob sich Autonomie im Pflegeberuf, die durch die Etablierung der Pflegewissenschaft auch angestrebt wird, selbst zu einem Machtinstrument entwickelt. Ausgehend von diesen Zielstellungen ergibt sich der folgende methodische Aufbau dieser Arbeit. Es werden zuerst verschiedene Machtheorien untersucht, um die historische Eingebundenheit des Pflegeberufs erklären zu können und um die verschiedenen Konfliksituationen, die sich für Pflegekräfte herausbilden, einsehbar zu machen. Im nächsten Schritt soll anhand der Begrifflichkeit von totaler Institution und Kontrollgesellschaft das Arbeitsfeld der pflegerischen Tätigkeit dargestellt werden. Anschließend werden der medizinische Code und der pflegewissenschaftliche Diskurs vorgestellt, die beide Leitlinien für pflegerisches Handeln formulieren. Zum Abschluß soll an spezifischen Konzepten für die Arbeit mit Menschen mit Demenz gezeigt werden, wie Machtpraktiken und Machtdiskurse das Feld pflegerischer Tätigkeit konstituieren.

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Leseprobe

3 Machtkonstellationen im Gesundheitssektor


 

3.1 Zur Vorgeschichte der Pflege


 

Die Vorgeschichte der heutigen Kliniken und des damit zusammenhängenden Gesundheitssystems reicht bis weit in das 18. Jahrhundert zurück. Große Kliniken wurden im 18. Jahrhundert eröffnet und markieren die Peripetie in der sozialen Versorgung. Unterschieden werden müssen diese neuen Kliniken von den älteren Institutionen, den Hospitälern. Dies waren Orte des Carikativen, die der Versorgung prinzipiell aller Menschen dienten, jedoch vor allem für Bedürftige, also Arme, Alte, Irre und Kranke vorgesehen waren. Die Hospitäler traten mit dem Anspruch auf der allgemeinen und pflegerischen Versorgung und dem seelischen Wohlergehen zu dienen. Das Personal setzte sich aus Wärtern und Wärterinnen sowie Ordensschwestern zusammen, die regelmäßige Anwesenheit von Ärzten war nicht gegeben. Der Tagesablauf in diesen Hospitälern war inspiriert von der Einteilung des Tages durch Klostergemeinschaften. Die Umstellung der Hospitäler, die vorsorglich für die Armenfürsorge vorgesehen waren, in Kliniken der medizinischen Versorgung verlief nicht gradlinig. So existieren heute noch Bezeichnungen wie „Hospital, Krankenhaus, Klinik und Spital nebeneinander.“ (Kollak, 1999, S.18)

 

Kennzeichnend für die Kliniken war eine

 

„Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen (Foucault, 1991: 9), die sich in der Ausdifferenzierung der Räume, der Funktionen und der Tätigkeiten ausdrückte. Diese Ausdifferenzierung stellte neue Anforderungen an die Architektur sowie an die Organisation der Patienten und Beschäftigten.“ (Kollak, 1999, S. 18)

 

Patienten wurden von der Außenwelt systematisch getrennt, die Zugänge von Pförtnern bewacht Diese Architektur der Überwachung wurde für eine Vielzahl staatlicher Institutionen obligatorisch. Mit dieser Internierung ging eine Individualisierung, die ihren Ausdruck in der genauen Zuordnung der Subjekte fand, einher. So hatte jeder Patient sich an ein striktes Reglement zu halten, die Patienten waren verpflichtet zur Visite, zur Behandlung und den Mahlzeiten anwesend und das heißt verfügbar zu sein.

 

Eine weitere Form der Individualisierung war das systematische Sammeln von Daten zu Person, Herkunft, sozialem Status und Art der Erkrankung. Dies alles diente der vollständigen Erfassung der Krankengeschichte. Diese Ausdifferenzierung dient zukünftig der Trennung von Armenfürsorge und medizinisch-pflegerischer Versorgung.

 

Durch die ständige Vermehrung von Datenmaterial wurden die Kliniken zu einen zentralen Ort beruflicher Ausbildung. Diese Entwicklung brachte weitreichende organisatorische Veränderungen mit sich, sie bezogen sich auf die Hierarchie der Beschäftigten, die Organisation der Arbeit und die Rolle der Patienten. Der Patient wurde über seine Krankheit objektiviert, seine Subjektivität interessierte fortan nicht mehr. Foucault bezeichnet diese Patientenschaft als ein „durchstrukturiertes nosologisches Feld“ (Foucault, 1991, S.74), d.h. die Patienten interessierten nur noch als Objekte einer systematischen Einordnung in Beziehungen von Krankheit. Die moderne Klinik formierte sich um den Arzt, der Tagesablauf wurde von den Visiten geprägt:

 

„im Mittelpunkt der Klinik standen nun medizinische Funktionsräume und Hörsäle. Mit den geänderten Strukturen und Funktionen der Klinik änderten sich auch die dort anzutreffenden Tätigkeiten und Weisungsbefugnisse. Die Anordnungen wurden von den neuen Herren der Klinik gegeben, den Ärzten.“ (Kollak, 1999, S.23)

 

Die Versorgung wurde in eine leibliche, pflegerische und bisweilen seelische und eine medizinische unterteilt. Die medizinisch-technischen Tätigkeiten erfuhren eine Aufwertung, die leiblich-psychischen eine Abwertung.(vgl. Kollak, 1999, S. 23)

 

„Die zunehmende Kenntnis über Krankheiten und das zunehmende Wissen über den Menschen gingen Hand in Hand mit der Ausweitung der ärztlichen Macht und Kontrollfunktion. Die professionelle Emanzipation der Medizin erfolgte auf Kosten von anderen Tätigkeiten in der Klinik, aber auch auf Kosten der Patienten, die fortan nur mehr den Status von Objekten oder zufälligen Symptomträgern von Krankheiten besaßen.“ (Kollak,1999, S.24)

 

Die medizinischen Institutionen besetzten jetzt die religiös geprägten Einrichtungen und weiteten ihr Feld auf außerhalb der Klinik liegende Gebiete aus, indem sie sich zu einer Bio-Macht entwickelten, die nicht mehr nur dem Bereich der Klinik umfaßte, sondern auch in Fragen der Bevölkerungspolitik intervenierte und dort regulierend und disziplinierend wirkte. Patienten und Pflegekräfte blieben allerdings vom medizinischen Wissen und dem Wissenserwerb ausgeschlossen und hatten sich unterzuordnen. (vgl. Wittneben 1991)

 

3.2 Totale Institutionen


 

In vorhergehenden Kapitel wurden Foucaults Machtbegriff und seine Vorstellungen von der Konstruktion des Subjekts als Machteffekt erläutert. Anschließend konnte mit Arnold gezeigt werden, wie sich mit dem Konstrukt «Weiblichkeit» die Basisideologie der Pflegeberufe herausbildete. In diesem Abschnitt soll jetzt näher auf die klassischen Machtinstitutionen und ihre konkreten Auswirkungen auf Insassen und Pflegekräfte eingegangen werden, wobei Institutionen als Stein gewordene Machtzentren verstanden werden können, die alle in die Institutionen eingebundenen Individuen einem Machtregime unterwerfen.

 

Eine Institution ist laut Duden eine „einem bestimmten Bereich zugeordnete öffentliche (staatliche, kirchliche) Einrichtung, die dem Wohl oder Nutzen des Einzelnen oder der Allgemeinheit dient.“ (Duden, 1982, S. 348) Man kann Institutionen in offene und geschlossene einteilen, wobei es natürlich immer Mischformen gibt. Merkmal von offenen Institutionen ist z.B. deren Freizügigkeit. So sind einige Institutionen für jedermann offen, Postämter zum Beispiel, während andere wählerisch sind und nur bestimmten Gruppen Zutritt gewähren. Pflegeheime, Krankenhäuser und Privatkliniken wären hier für den Bereich der Pflege anzuführen. Fabriken, Labore und bürokratische Einrichtungen fallen ebenfalls in diese Kategorie. Allumfassend oder totalitär werden Institutionen erst, wenn sie die Freizügigkeit ihrer Insassen graduell einschränken.

 

Totale Institutionen sind geschlossene Welten. Goffman rechnet Gefängnisse, Altenheime, Irrenhäuser, aber auch Krankenhäuser zu dieser Kategorie. In diesen geschlossenen Systemen wird ein formales, reglementiertes Leben geführt, das von der übrigen Gesellschaft abgeschlossen ist. In totalen Institutionen werden laut Goffman Lebensgewohnheiten, wie z.B. die Berufstätigkeit zum Erwerb von Geld, die außerhalb dieser Institutionen der Normalität zugerechnet werden, pathologisiert. So kommt es häufig vor, dass Insassen in «staatlichen Irrenanstalten» für wenig Geld ihre Arbeit anbieten, oder einfach nur betteln, um dieses Geld in der Kantine auszugeben.

 

„Das Pflegepersonal bewertet diese Bettel-pattern an der eigenen bürgerlichen Einstellung zum Gelderwerb und sieht darin ein Symptom der Geisteskrankheit und einen weiteren Beweis dafür, dass die Insassen tatsächlich krank sind.“ (Goffman,1973, S. 22)

 

Dieses Verhalten, welches außerhalb der Institution als normal angesehen wird und dem das Pflegepersonal auch nachgeht, (setzt man für betteln z. B. Kredit aufnehmen oder Schulden machen), wird innerhalb der Institutionen pathologisiert, d.h. es gibt ein Wertesystem für den Bereich des «normalen Lebens» und es gibt institutionsspezifische Wertsysteme.

 

Ein anderes Beispiel:

 

„Häufig wird das Familienleben im Gegensatz zum Alleinsein gesehen, tatsächlich ist es jedoch eher angemessen, vom Leben in der Gruppe als dem Gegenteil des Familienlebens zu sprechen, denn wer mit einer Gruppe von Arbeitskameraden zusammen arbeitet, ißt und schläft ist kaum in der Lage eine sinnvolle häusliche Existenz aufrecht zu erhalten.“ (Goffman, 1973, S. 22)

 

In totalen Institutionen findet ein Gruppenleben statt, dies macht sie ambivalent: auf der einen Seite sind sie Wohn- und Lebensgemeinschaften, anderseits formale Organisationen.

 

Gröning beschreibt diese Ambivalenz der Organisation in dem Artikel „Institutionelle Mindestanforderungen bei der Pflege von Demenz.“ (Gröning, 2000, S. 83) Nach ihr kann das Heim einmal als eine Lebenswelt und zum anderen als eine Systemwelt begriffen werden. In diesem Bereich werden

 

„...alle Ereignisse und Probleme bei der Gestaltung der Lebenswelten der Pflegebedürftigen besprochen, geplant, reflektiert und interpretiert.... Dies geschieht allerdings auf einer spezifischen Folie von Effektivität, Effizienz, Professionalität und von Qualität, also unter zweckrationalen Kategorien-sprich in den zentralen Orten der Organisation wird die Arbeit der Pflegenden neu interpretiert.“ (Gröning, 2000, S. 86)

 

Von soziologischer Bedeutung sind totale Institutionen, weil sie versuchen den Charakter und/oder das Verhalten von Menschen zu verändern. Powers greift dieses Merkmal, die Veränderung von Charakteren, in ihrer Kritik...

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