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E-Book

Spin it!

Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor

AutorMathias Ulmann
VerlagFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl221 Seiten
ISBN9783956011436
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Spin-Doktoren spinnen. Sie manipulieren, verbreiten Unfug, sind bloß Geschichtenerzähler und Schönredner. Und vor allem eine Gefahr für das politische System. So weit die Meinung der breiten Öffentlichkeit. Dass diese Spezialisten der Politikvermittlung allerdings vielmehr das Produkt einer modernen demokratischen Gesellschaft sind und die von ihnen geförderte Kultur des Debattierens eine solche zusammenhalten kann, das zeigt der Kommunikationsexperte Mathias Ulmann in 'SPIN IT!'. Wenn er beschreibt, wie Spin-Doktoren denken und handeln, bleibt er allerdings nicht nur auf seine eigene Berufsgruppe fokussiert. Vielmehr wird klar, dass ein Einblick in seine Welt für viele Arbeitsfelder ertragreich ist. Sei es für Führungskräfte, die eine effiziente Vermittlungsstrategie suchen, oder für Manager, die ihre Visionen formulieren wollen. Er zeigt auf, wie man durch die richtige Strategie aus einer Welt des Informationsüberflusses und Big Data heraussticht und von seinen Visionen überzeugt.

Mathias Ulmann studierte in seinem Geburtsort Paris Politik und Kommunikationswissenschaften am Institut d'études politiques. Er war acht Jahre lang parlamentarischer Referent im französischen Sénat und in der Assemblée Nationale, wo er 'Spin' definierte, Reden schrieb und Schnittstellen mit Journalisten und Mitgliedernetzwerken betreute. Nachdem er zwischen 2006 und 2011 mehrere leitende Kreativ- und Strategie-Positionen in internationalen Netzwerkagenturen besetzte, berät er seit 2012 Unternehmen in Kommunikationsfragen. Parallel dazu arbeitet er als Berater und Redenschreiber für führende französische Politiker.

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Leseprobe

I. Was ist eigentlich ein Spin-Doktor?


Ich werde in diesem Kapitel den Beruf des Spin-Doktors vorstellen, damit jeder sich ein genaues Bild von dieser Profession machen kann, von der leider nur wenig mehr als ihr schlechtes Image bekannt ist. Ich bin fest davon überzeugt, vielen eine Freude machen zu können, indem ich diesen Meister der Überzeugung und der strategischen Kunst der Vermittlung präsentiere. Ich werde also erklären, warum der Spin-Doktor als inspirierendes Beispiel betrachtet werden kann. Ich werde zeigen, dass in den schnelllebigen Zeiten unserer schönen neuen Welt die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Spin-Doktors relevant und nützlich sein könnten. Jeder Geschäftsführer, Manager, Start-Upper, Selbständige und jeder, der eine Vision braucht, seine Kollegen bzw. seine Kunden begeistern und seine Branche prägen will, sollte diese Fähigkeiten nicht nur kennen, sondern auch und vor allem einsetzen können.

1. Schlechter Ruf eines kaum bekannten Berufes


„Der Beginn der Weisheit ist die Definition der Begriffe.“

Sokrates

In dem von der Gesellschaft für Konsumforschung 2014 publizierten Image-Ranking der Berufe hätten die Spin-Doktoren höchstwahrscheinlich sehr schlecht abgeschnitten. Sie wären wohl zwischen dem eher schlechten Platz 32 der Politiker und dem kaum besseren Platz 30 der Werber gelandet. Die Spin-Doktoren, als Spezialisten der Politikvermittlung, kombinieren und übernehmen die schlechten Imagewerte beider Berufe. So ist es nicht erstaunlich, dass sie im allgemeinen Ansehen der Bevölkerung recht weit unten rangieren. Man muss auch sagen, dass nicht viele Menschen wirklich wissen, was ein Spin-Doktor eigentlich macht. Diejenigen, die es wissen und darüber schreiben und berichten, stehen ihnen meistens ziemlich kritisch gegenüber und behaupten offen, dass die Spin-Doktoren ungeniert der Demokratie schaden.

Hinzu kommt, dass die Berufsbezeichnung „Spin-Doktor“ in der deutschen Sprache vorbelastet ist, was die Sache nicht einfacher macht. Es scheint offensichtlich, dass Spin-Doktoren „spinnen“ und dass sie als Experten des Spektakels und der Manipulation viel Unfug verbreiten und dadurch unser fragiles politisches System gefährden. Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass das Wort eine starke Konnotation mit dem Ekeltier schlechthin hat, der Spinne, und die Aversion gegen dieses Tier sich auf den Berufsstand überträgt. Diese fragwürdigen Personen sind darüber hinaus wahrscheinlich Spezialisten im Spinnen von zweifelhaften Netzen und im Aufbauen von dubiosen Netzwerken. „Nomen est Omen“, der Name ist also wirklich Programm. All diejenigen, die sich dem Schutz und der Verteidigung der Demokratie verschrieben haben, befinden sich im Recht, wenn sie die Machenschaften dieser geheimnisvollen Strippenzieher anprangern. Meiner Auffassung nach beruht die oberflächliche Wahrnehmung der Spin-Doktoren in der Öffentlichkeit auf einem irrtümlichen Verständnis des demokratischen Willensbildungsprozesses, besonders bezüglich der Techniken, um die Öffentlichkeit zu überzeugen und zu mobilisieren.

Um unbeschwert zu arbeiten, können die Spin-Doktoren aber nicht komplett im Verborgenen bleiben, sonst werden sie der Heuchelei verdächtigt und noch mehr Misstrauen in der Gesellschaft ernten. Nein, der Berufsstand der Spin-Doktoren selbst braucht keinen „Spin“ und keine Rehabilitierung. Dagegen erscheint aber ein größeres Maß an Klarheit über ihre Arbeitsweise ratsam zu sein. Nur auf diese Weise können ihre spezifische Besonderheit und ihre hoch spezialisierten Fähigkeiten in unserer vernetzten Gesellschaft verständlich und nutzbar gemacht werden. Damit folge ich dem erleuchtenden Rat von Sokrates und beginne dieses Kapitel mit der Definition des Wortes „Spin“ und werde zunächst eine kurze genealogische Begriffsklärung vornehmen. (a. „Geschichte und Schauergeschichten des Begriffs“). Danach erläutere ich die Merkmale dieses Berufsstandes, die sich hinter dessen schlechten Ruf verstecken (b. „Funktion und Nutzen des Spin-Doctorings“). Abschließend argumentiere ich, warum unsere neue schöne digitale Welt dringend Spin-Doktoren braucht, um wieder lesbar und handhabbar zu werden (c. „Der Krieg der Spins“).

a. Geschichte und Schauergeschichten des Begriffs


Zunächst erscheint es mir hilfreich, Ihnen einen kleinen Exkurs zur Entstehungsgeschichte des Begriffes zu liefern und dessen Bedeutung kurz zu skizzieren. Wie so oft in solchen Fällen gibt es auch hier drei unterschiedliche Versionen, die auf zwei verschiedene Ursprünge zurückgehen. Oft wird auf das zweite Fernsehduell zwischen Ronald Reagan und seinem damaligen demokratischen Konkurrenten um das Präsidentenamt, Walter Mondale, hingewiesen. Am Tag nach der Debatte, am 21. Oktober 1984, taucht der Begriff zum ersten Mal auf, und zwar in einem Leitartikel in der New York Times aus der Feder von Jack Rosenthal (und nicht von William Safire, wie es irrtümlich in Wikipedia zu lesen ist). In seinem Artikel mit der Überschrift „Das Duell der Spin-Doktoren“ spricht Rosenthal von „… einem Dutzend Männern in guten Anzügen und Frauen in seidenen Kleidern, die sich behutsam unter die Reporter mischten und (angeblich) exklusive Informationen verbreiteten.“ Lee Atwater, Reagans Berater, hat sich schon zwei Wochen vorher, also kurz nach dem ersten TV-Duell, in die Geschichtsbücher eingetragen, als er seine Kollegen mit den Worten: „go out and spin this afterward …“ aufforderte, Reagans Brillanz und Schlagfertigkeit zu rühmen und natürlich immer wieder zu betonen.

Der Streit um die Urheberschaft ist aber damit noch lange nicht beendet, weil andere behaupten, der Schriftsteller Saul Bellow habe den Begriff schon im Jahr 1977 anlässlich einer Vorlesung über Thomas Jefferson verwendet. Nicht unerwähnt darf die Tatsache bleiben, dass der Ausdruck „spin a yarn“ schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts in „A New and Comprehensive Vocabulary of the Flash Language“ dokumentiert und mit Sicherheit viel älteren Ursprungs ist. Es bedeutet so viel wie „Seemannsgarn spinnen“, was nicht mehr und nicht weniger heißt, dass der Ursprung des Begriffs auf wenig Glaubwürdigkeit basiert und alles andere als schmeichelhaft für die Spin-Doktoren ist.

Die Spin-Doktoren gehören demnach der Spezies der Geschichtenerzähler, der Schwadroneure und Schönredner an. Die Spin-Doktoren brauchen keine Sachargumente oder Zahlenkaskaden. Sie setzen vielmehr darauf, mit den Emotionen der Menschen zu spielen, und hierbei handelt es sich tatsächlich um den gravierendsten Vorwurf: Sie sprechen nicht unsere Vernunft, sondern unseren Bauch an. Sie erfinden und konstruieren Sachverhalte, die so gar nicht existieren, sie schaffen keine relevanten Informationen, sondern nur günstige Interpretationen. Sie sagen nicht genau, was passiert ist, sondern was ihrer Meinung nach hätte passieren sollen. Auf diese Weise sorgen sie für eine gewisse Desorientierung des Denkens, was letztlich auch zu einer Art Denkverbot führen könnte. Sie respektieren nicht die Realität, sie umgehen sie und sie missachten sie manchmal sogar. Ihre Tätigkeit hat noch weitreichendere Folgen, da sie gewissermaßen eine neue Realität schaffen, welche den Interessen ihrer Auftraggeber entspricht. Im Endeffekt verfälschen sie die Beziehung zwischen Politik und Bürger und sind maßgeblich verantwortlich für den Verfall der politischen Kultur, was unter anderem zu einer zunehmenden Politikverdrossenheit führt. Die Spin-Doktoren sind ein Paradebeispiel für die „Spektakularisierung“ unserer Gesellschaft, weil sie die Politik auf Wortspiele und Bilderschlachten reduzieren. Aus dieser Perspektive betrachtet wird Spin-Doctoring zu einem Synonym für Mediatisierung, Kommerzialisierung und Boulevardisierung der Politik. Oder anders gesagt: Es bedeutet eine Amerikanisierung der Politik, was in Deutschland nicht gerade als Kompliment angesehen wird.

Spin-Doktoren betrachten demnach Politiker als Ware und die Politik als bloße Verpackung. Man braucht also keine Programme und Debatten mehr, sondern nur noch Slogans und Spektakel. Glanz statt Substanz, Image statt Inhalt, Pragmatik statt Programmatik und Angriff statt Argument: Dafür stehen die Spin-Doktoren. Deshalb stellen sie keine geringe Gefahr für ein gesundes Funktionieren unserer Demokratie dar. Sie sind Profis der Rhetorik, die teilweise sehr erfolgreich mit Worten jonglieren. Sie sind gewiss die neuen Sophisten, die mit ihrem trügerischen und unheilvollen Sirenengesang die Politik dazu verleiten, auf dem Riff der Demagogie aufzulaufen. Sie beherrschen den präzisen Sprachgebrauch und sie setzen diese Fähigkeit ein, um die Gedanken der Menschen zu lenken. Eigentlich „spinnen“ die Spin-Doktoren gar nicht – sie wissen genau, was sie tun!

Im Grunde genommen ist ihr Ziel angeblich recht einfach und klar definiert: Sie manipulieren zielgerichtet die Medien, um die Wahrnehmung der Menschen im Sinne und im Interesse ihrer Auftragsgeber zu beeinflussen. Die Spin-Doktoren sind durch und durch manipulativ. Für sie ist alles Image, folglich genügt es, die Wahrnehmung der Menschen in ihrem Sinne zu gestalten, um die Probleme zu lösen. In diesem Zusammenhang stellt sich ihre Expertise im Erschaffen von einprägsamen Formulierungen als von zentraler Bedeutung heraus. Es geht aber nicht nur um bloße Worte oder griffige Slogans, es geht auch um die Rahmenbedingungen der Wahrnehmung, es geht um die Filter der Realität. Und dies ist keine Lappalie, ist kein Spiel mit Worten, es ist extrem ernst. Weil, im...

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