Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden einige der nachfolgend differenziert beschriebenen Begriffe häufiger verwendet. Die Notwendigkeit diese Begriffe kontextuell genauer einzubetten, erschließt sich als sehr vorteilhaft, da auf diese Weise thematisches Vorwissen eingebracht wird, was eine Einführung in das Themengebiet vereinfacht. Die relevanten Begriffe werden in dieser Arbeit sein: Kindheit und Jugend aus entwicklungspädagogischer und psychologischer Sicht; Trauma – definiert und dargestellt in seinen Erscheinungsformen und Typologien; zum Schluss wird auf den Begriff umF - unbegleiteter minderjährige Flüchtling - eingegangen, dessen Thematik den Schlussteil der Arbeit bildet.
Das Thema Kindheit zählt mittlerweile zu einem der interdisziplinären Forschungsgebiete. Die moderne Kindheitsforschung betrachtet den historischen, sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext dieses Lebensabschnitts. Hierbei interessiert vor allem, welche Wechselwirkung es zwischen dem sich entwickelnden Menschen und der sich wandelnden Umwelt gibt. (Vgl. Oerter 2008, S. 85 f.) Im engeren Sinne bezieht sich Kindheit auf das Kleinkindalter (2. und 3. Lebensjahr) und gliedert sich in frühe Kindheit, die Altersspanne vom beginnenden 4. bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, mittlere Kindheit, die Altersspanne vom beginnenden 7. bis zum vollendeten 10. Lebensjahr, und in späte Kindheit, die Altersspanne vom beginnenden 11. bis zum vollendeten 14. Lebensjahr.
In der Entwicklungspsychologie wird die Kindheit als Zeitraum von der Geburt bis zur geschlechtlichen Entwicklung, etwa der Pubertät, beschrieben. Wobei hier differenzierter darauf eingegangen wird, dass Kindheit viel eher ein kultureller und sozialer Begriff ist als ein biologischer. (Vgl. Stangl 2016) Wie Kindheit und Jugend im Einzelnen definiert werden, welche Rollen ihnen zugeschrieben und von welchen Disziplinen der Begriff der Kindheit und Jugend untersucht wird, hängt weiterhin von historischen und gesellschaftlichen Faktoren und Umständen ab. In der Regel werden diese Lebensphasen im Alltagsgebrauch sowie in wissenschaftlichen Untersuchungen, wie bereits vorher aufgewiesen wurde, gewissen Alterskategorien zugeordnet. Weder altersgemäß noch symbolisch sind die Übergänge vom Kind zum Jugendlichen klar definiert, sondern eben auch nur gesellschaftlich konstruiert. (Vgl. Bründel/Hurrelmann 1996, S. 13 f.) In dieser Arbeit wird ausgehend von der Alterspanne, die vor allem die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge betrifft, auf die späte Kindheit verwiesen. Diese wird als Schwellübergang in das jugendliche Alter betrachtet und gründet somit die Basis der hier zu erörternden Kenntnisse über Kindheit und Jugend im Kontext der traumapädagogischen Betreuung von umFs.
Die Lebensphase der Jugend wird unterschiedlich bezeichnet. In der Soziologie wird mit dem Begriff Jugend gearbeitet, Psychologen sprechen eher von Adoleszenz und in der Biologie wird sie als die Phase der Pubertät bezeichnet.
Die Soziologen unterscheiden die sozialen Gruppen der Kinder, der Jugendlichen, der Erwachsenen usw., die Jugendphase wird hier als Gruppenphänomen betrachtet. Die Adoleszenz in der Psychologie wird aus der Sicht ihrer psychischen Gestalt und dem psychischen Erleben in Form von Entwicklungsmodellen erforscht/dargestellt. Die Adoleszenz wird oftmals gegliedert in Früh-, Mittel- und Spätadoleszenz. (Vgl. Fend 2000, S. 22 f.)
Die Jugendzeit bezeichnet im alltäglichen Gebrauch weitestgehend eine Lebensphase im Lebenszyklus des Menschen, genauer: die Übergangsphase zwischen Kindheit und der Erwachsenen-Identität. Hier vollzieht sich eine langsame Ablösung von den Eltern, ein Raum für Orientierungsprobleme und Identitätsbildung findet seinen Platz. Erik H. Erikson prägte mit seinen Überlegungen zu der psychosozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen das Verständnis der Übergangsphase vom Adoleszenten zum Erwachsenen als ein „psychosoziales Moratorium“. (Erikson 2003, S. 161) Dieses definiert sich nach Erikson als eine „Aufschubsperiode“, die jemandem zugesprochen, aufgezwungen oder durch die Gesellschaft institutionalisiert wird. Das Individuum sieht sich in der Regel in dieser Phase nicht in der Lage erwachsene Verpflichtungen oder Bindungen zu übernehmen. (Vgl. Erikson 2003, S. 161) In dieser Phase darf nach Eriksons Verständnis gesucht, experimentiert und ausprobiert werden. Es sollen die mit dem Übergang zur Erwachsenenphase verbundenen Probleme gelöst und eine neue Identität gefunden werden. Die Phase ist laut Erikson aus dem Grund notwendig, weil eine Diskrepanz zwischen biologischer und sozialer Reife besteht. Das bedeutet, dass in dieser Zeit sich der Jugendliche auf das Erwachsenenleben vorbereiten kann. Das psychologische Moratorium hat eine gesellschaftliche und eine entwicklungspsychologische Aufgabe. Aus entwicklungspsychologischer Sicht erhält der Jugendliche Zeit, mit sich und seinen künftigen Rollen zu experimentieren.
In dieser Arbeit werden dennoch die Begriffe Jugend und Adoleszenz nicht streng voneinander unterschieden, die hier relevante Alterspanne ist das 14. Lebensjahr bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, aufgrund der alterlichen Einschränkung der Jugendhilfeeinrichtungen, wo Jugendliche und umFs in dieser Alterspanne betreut werden und zum 18. Lebensjahr verabschiedet werden.
Eine Begriffserklärung oder eine Definition von Trauma zu erbringen, gleicht einem bemühten Versuch, da die Verwendung des Begriffes Trauma nicht nur in der gegenwärtigen Fachsprache der Pädagogik und Psychologie verwendet wird, sondern natürlich auch im klinischen Kontext der Medizin und dementsprechend ein viel weiteres Spektrum erreicht.
Ursprünglich stammt der Traumabegriff aus dem Altgriechischen und bedeutet Verletzung oder Wunde. In der Medizin wird der Begriff sowohl für physische (vor allem im Bereich der chirurgischen Traumatologie) als auch für psychische Verletzungen verwendet. (Vgl. Fischer/Riedesser 2009, S. 17 f.)
Es sind heute zahlreiche Definitionen vorrangig zu psychischen Traumata vorzufinden, die sich alle nach ihren wesentlichen Merkmalen einstimmig aufzeigen. Ein Beispiel hierfür ist das folgende Zitat aus einem Werk von Wöller und Kruse: „Unter einem psychischen Trauma wird ein intensives Bedrohungserlebnis verstanden, dessen Qualität deutlich außerhalb des typischen menschlichen Erlebens liegt und dessen Intensität die durchschnittlich verfügbaren psychischen Verarbeitungsgrenzen überschreitet.“ (Kruse/Wöller 2004, S. 237)
Die erlebte Schutz- und Hilfslosigkeit in einer traumatischen Situation erzeugt ein Gefühl von massiver Angst, welches die Betroffenen nicht mehr beherrschen können, im Gegenteil: Die Angst und die folgende emotionale Lähmung beherrscht die Betroffenen. Gottfried Fischer und Peter Riedesser beschreiben Merkmale und Auswirkungen psychotraumatischer Erfahrungen als „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltbild bewirkt.“ (Fischer/Riedesser 2009, S. 142 f.)
Prinzipiell kann im weiteren Sinne zwischen von Menschen und von Natur verursachten Traumata - man made disaster und nature made disaster - unterschieden werden. Art und Ausprägungsgrad des Traumas können jedoch stark variieren. Demnach sind traumatisierende Erfahrungen in zwei Ausprägungen zu differenzieren. In der Fachsprache werden Traumata unterschieden als
Typ-I-Trauma: Einmalige traumatische Erfahrungen, die völlig unerwartet auftreten, wie Unfälle, plötzlicher Kindestod oder ein invasiver medizinischer Eingriff etc.
Typ-II-Traumata: Häufig andauernde oder sich wiederholende traumatische Erlebnisse, die unter Umständen jahrzehntelang andauern können, hierzu zählen Missbrauch, sexuelle Gewalt, Gewalterfahrungen in der Familie, Folter, Vergewaltigung, Gefangenschaft und ganz besonders Krieg und exzessive Gewalterfahrungen im Kontext von Kriegshandlungen.
Typ-II-Traumata sind eben sogenannte „man made disaster“, die durch Menschenhand verursacht sind. Diese Form des Traumas zieht häufig tiefgreifende und schwere Störungen bzw. psychische Probleme nach sich. (Vgl. Hanswille/Kissenbeck 2008, S. 25)
Grundlegend soll in dieser Arbeit eine thematische Auseinandersetzung über die psychische Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen vorgenommen werden, hierbei wird des Öfteren auf Fischer/ Riedesser verwiesen. Anschließend wird die Konzeption der sequenziellen Traumatisierung nach H. Keilson (1979) näher erläutert und im erweiterten Sinne auf die psychische Traumatisierung von minderjährigen Flüchtlingskinder übertragen.
In dieser Arbeit ist die Klarstellung dieser Begrifflichkeit insofern von Nöten, da im letzteren Teil die psychosoziale Situation von minderjährigen Flüchtlingen im Verhältnis zu...