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E-Book

Weiblich, ledig, glücklich - sucht nicht

Eine Streitschrift

AutorGunda Windmüller
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644405424
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Über die Kunst, glücklich single zu sein - ein Debattenbuch mit hohem Identifikationspotential. Gunda Windmüller plädiert leidenschaftlich dafür, unser Bild von der bemitleidenswerten Singlefrau zu überdenken. Und sie macht Mut: Denn das Leben allein kann verdammt gut sein. Leider nimmt das den meisten Frauen ohne festen Partner nach wie vor kaum einer ab. «Was macht die Liebe? Hast du schon mal Online-Dating probiert?» Das ist gut gemeint, es schwingt aber immer mit: Was stimmt nicht mit dir? Die wichtigere Frage lautet jedoch: Was stimmt nicht mit einer Gesellschaft, in der allen Scheidungsstatistiken zum Trotz die dauerhafte Paarbeziehung nach wie vor als Nonplusultra gilt?

Gunda Windmüller, geboren 1980, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin in Berlin. 

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Leseprobe

Einleitung


Ich gebe es besser gleich zu. Ich bin Mitte dreißig. Ich bin nicht verheiratet. Ich habe keine Kinder. Ich bin weiblich, ledig, und ich bin glücklich.

Ich ahne, hier fangen viele an zu zweifeln. Das letzte Wort passt nicht ganz, meinen Sie? Weiblich, ledig und glücklich? Vor Ihrem Auge entsteht das Bild einer Frau, die trotzig etwas behauptet, das sie vielleicht gerade im Moment verspürt, aber doch nicht dauerhaft. Zumindest nicht in meinem Alter. Sie sind mit Ihrem Zweifel nicht alleine. Der Rest der Welt zweifelt auch. Einige an mir, einige an sich selbst und fast alle an uns. An uns Singlefrauen.

Mitte dreißig und Single. Mit diesen Merkmalen ist Selbstmitleid erlaubt, stand in einem einschlägigen Magazin. Denn diese Eckdaten einer Existenz bedeuten auf den ersten Blick vor allem eines: In diesem Alter einen Partner auf Augenhöhe zu finden, wird schwer. Überhaupt einen Partner zu finden, wird schwer. In den Augen vieler Menschen bin ich daher ein ziemlich tragischer Fall.

Mitte dreißig, Single, keine Kinder. Das sind Eckdaten meiner Geschichte. Das sind aber nicht nur meine, es sind auch die Eckdaten vieler anderer Frauen und Männer. Die Zahl der Singles liegt in Deutschland bei circa 25 Prozent, sie ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. In Großstädten liegt sie noch höher. Von den Frauen zwischen 40 und 44 sind gut 20 Prozent kinderlos, beinahe doppelt so viele wie noch im Jahr 1990. Fast jede fünfte Familie hat eine alleinerziehende Mutter oder einen alleinerziehenden Vater. In neun von zehn Fällen ist es allerdings eine alleinerziehende Mutter.

Diese statistischen Eckdaten sind wie Pflöcke im Boden einer Lebenserzählung. Sie helfen, eine Geschichte zu erzählen, sie aufzuspannen, sie zu ordnen, ihr einen Sinn zu geben, in dem man sich einrichten kann. Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus. Zwischen diesen Pflöcken kann jedoch alles Mögliche stecken, die Zwischenräume können ganz unterschiedlich aussehen. Ganz unterschiedliche Frauen mit ganz unterschiedlichen Leben. Frauen, die alleine gut klarkommen, Frauen, die schon ganz gerne mal wieder einen Partner hätten, Frauen, die die Dinge auf sich zukommen lassen, Frauen, die vom klassischen Beziehungsbild die Nase voll haben, Frauen, die unbedingt einen Mann brauchen. Und so weiter. Viele Geschichten, viele davon ziemlich glücklich. Und trotzdem. Was eigentlich nur Eckdaten sind, wird betrachtet, als sei es die ganze Geschichte. Sie scheinen für sich zu sprechen. Und das, was sie sagen, ist immer latent tragisch. Aus diesen Daten werden schnell Geschichten von einsamen Nächten und enttäuschenden Dates. Von Mädelsabenden mit zu viel Prosecco. Von tickenden Uhren und besorgten Freundinnen. Von Frauen, die sich die Zähne ausbeißen an der Frage: Warum will mich keiner? Ganz viele Klischees. Aber die so nachhaltig, dass viele sie glauben. Auch wir selbst, irgendwann.

«Offenbar ist eine alleinstehende Frau für viele immer noch das Schlimmste, ein vollkommen inakzeptabler Zustand», befand die CSU-Politikerin Ilse Aigner in einem Interview: «Man kann geschieden sein, zum vierten Mal verheiratet, man kann schwul, lesbisch, irgendwas sein. Aber alleinstehend, das geht nicht.» Unverheiratete Politikerinnen müssen sich ab spätestens Mitte dreißig gefallen lassen, dass man ihnen Kompetenzen abspricht. Wer keine Kinder hat, dem fehlt die Empathie, wer keinen Partner hat, der muss folgende Schlagzeile über sich ergehen lassen: «Ilse Aigner – Fehlt ihr der Mann zur Macht?» Kann man sich nicht ausdenken. Doch das Singlesein wird nicht nur für Politikerinnen zum «inakzeptablen Zustand».

Die Geschichte der alleinstehenden Frau ist grundsätzlich eine Geschichte der Verfehlungen. Singlefrauen sind egoistisch und kapriziös, aber sie sind auch ein Stück weit selbst schuld an ihrem Unglück. Singlefrauen! Man weiß gar nicht, ob man sie bedauern soll oder vielleicht doch lieber zurechtweisen.

Zusammengefasst zeigen diese Erfahrungen: Singlefrauen dürfen ihre Geschichten nicht selbst erzählen. Eine Geschichte von «weiblich, ledig, glücklich» klingt zu unglaubwürdig. Dabei lassen sich diese Geschichten sehr wahrhaftig erzählen. Man muss sie nur anders erzählen. Da winken die meisten schnell ab. Aber was, wenn wir es trotzdem tun? Was, wenn man eine andere Geschichte erzählen würde?

Meine Geschichte ist zum Beispiel eine andere. Ich bin Mitte dreißig. Ich habe sehr gute, enge Freunde. Ich habe einen Job, den ich richtig mag. Ich bin wirtschaftlich unabhängig. Ich treffe mich mit Männern. Ich freue mich, wenn ich die Kinder meiner Freunde sehe. Ich trinke gerne Prosecco, und Schuhe habe ich vermutlich auch mehr als genug. Aber das habe ich noch nie als Ausweis meines Scheiterns betrachtet. Ich bin nämlich ziemlich glücklich. Das ist das Leben, das auf meinen Eckdaten ruht. Mir fehlt kein Partner. Das ist meine Geschichte. Sie ist anders. Sie zu erzählen scheint einfach, oder? Aber das ist es nicht. Denn sie hat einen erheblichen Mangel. Denn mir fehlt natürlich trotzdem etwas. Mir fehlt eine Gesellschaft, die mir diese Geschichte zutraut.

Es gibt unzählige Analysen, die Frauen wie mir deutlich machen sollen, dass Selbstmitleid durchaus angebracht ist. Denn statistisch gesehen haben Frauen in den Dreißigern, die auf Partnersuche sind, lediglich die Chance, ihre Ansprüche nach unten zu schrauben – oder sich deutlich ältere Männer zu suchen. Die, die nicht noch auf dem Markt sind, sondern wieder. Secondhand sozusagen.

Und dann scheinen sich in den Eckdaten noch ein paar weitere kleine Teufel versteckt zu haben. Wer gut ausgebildet und ehrgeizig ist, möglicherweise sogar Karriere machen möchte, der kommt bei Männern nicht gut an. Das ist durch viele Studien belegt. Und wenn dann noch ein Kinderwunsch oder gar Kinder aus einer alten Beziehung dazukommen, wird das oft als bleischwerer Hemmschuh betrachtet. Zusammengerechnet sehen unsere Chancen auf dem Partnermarkt daher wirklich sehr düster aus. Fazit: Das Leben, das wir haben, nimmt uns das Leben, das wir haben sollten. Wenigstens in den Augen anderer.

Dabei könnten wir doch eigentlich ein anderes Urteil erwarten. Eine andere Geschichte, die man den Eckdaten unseres Lebens zutraut. Denn sind wir nicht eigentlich viel zu liberal für diese Rigorosität? Viel zu fortschrittlich? Die Gesellschaft, in der wir leben, akzeptiert schließlich mittlerweile Formen des Zusammenlebens, des Liebens und Begehrens, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Die Gesellschaft, in der wir leben, bietet auch Frauen so viele Chancen auf ökonomische Unabhängigkeit wie niemals zuvor. Frauen brauchen keine Versorger. Keine Beschützer. Keinen, der ihnen ein Konto eröffnet oder die Tür aufhält. Männer brauchen keine Frauen. Frauen brauchen keine Männer. Und trotzdem. Eine Frau ohne Mann ist immer weniger wert als ein Mann ohne Frau. Eine Frau ohne Mann ist eine einsame Frau. Sie muss es sein.

In Vier Hochzeiten und ein Todesfall wird Fiona gefragt, ob sie verheiratet sei: «Nein.» «Sind Sie denn lesbisch?» «Wie bitte? Wie kommen Sie denn darauf?» «Na ja, das machen doch einige unverheiratete Frauen heutzutage, und es ist eine Ecke interessanter, als einfach nur zu sagen, man hätte noch nicht den Richtigen gefunden, oder?»

Wenn schon nicht verheiratet, dann wenigstens interessant bitte. In den meisten Köpfen ist Mann-und-Frau die dominante Erzählung. Dass auch Frau-und-Frau ein ganzes Leben ist, wird als amüsanter Lückenfüller wahrgenommen. Mann-und-Frau gilt als die Norm. Ich werde mich daher in diesem Buch ausschließlich mit dieser Erzählung beschäftigen. Mit der Mann-und-Frau-Erzählung. Nicht, weil ich sie für richtiger halte, sondern weil sie die dominante Erzählung ist. Und dem kann man nur entgegentreten und widersprechen, indem man diese Erzählweise entlarvt und neue Geschichten erzählt. Andere Geschichten.

Warum ich immer wieder vom Erzählen, von Geschichten spreche? Und was das mit meinem Leben zu tun hat? Erzählt ist schließlich nicht gelebt. Nun. Doch. Denn durch Erzählungen bekommen wir überhaupt erst Zugang zu diesem Leben, zu dem, was wir für Welt halten. Ohne Erzählungen können wir uns die Welt gar nicht vorstellen. «Weiblich, ledig» ist ein Beispiel. Die meisten können sich kein Leben vorstellen, das sich mit diesen Eckdaten glücklich erzählen lässt. Erzählungen sind Leitplanken fürs Leben. Sie geben unseren Erlebnissen Sinn, sie organisieren unsere Erfahrungen. Sie spenden uns Trost, sie muntern uns auf, sie schrecken uns ab. Aber sie blenden auch aus. Denn es gibt immer Dinge, über die wir nicht sprechen. Die wir nicht erzählen. Die Fortschritte und Durchbrüche in der Geschichte von uns Frauen zeigen es: Wir haben schon viel erreicht, aber die Macht der Erzählung steckt uns Leitplanken ab, die uns auf ein begrenztes Repertoire an Geschichten einengt. Wir alle kennen diese Geschichten. Wir kennen sie von Vorabendserien, aus Hollywood, aus der Werbung, von Popsongs und aus Artikeln. Der rote Faden dieser Geschichten lautet: Ohne Mann ist eine Frau unvollständig, ist ihr Leben nicht komplett. Die Singlefrauen. Sie sind mindestens einsam. Denn niemand scheint sie gewollt zu haben. Aber was stimmt nicht mit ihnen?

Noch mal Statistik. Statistisch gesehen gibt es in der Altersspanne der Dreißigjährigen sogar mehr männliche als weibliche Singles. Aber Männer haben damit kein Problem. Ihnen wird damit kein Problem gemacht. Denn Männer haben eine andere Geschichte. Weil ihnen andere Geschichten...

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