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Wenn du diesen Brief findest...

Als ich einen Brief schrieb und tausende zurückbekam

AutorHannah Brencher
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783843714440
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Voller Enthusiasmus zog Hannah Brencher mit Anfang 20 nach New York. Schnell fand sie sich jedoch inmitten einer unpersönlichen Welt von gestressten Menschen wieder. Aus einem Impuls heraus begann Hannah, Briefe an Fremde zu schreiben. Adressiert mit »Wenn du diesen Brief findest - dann ist er für dich«, ließ sie sie überall in der Stadt und an öffentlichen Orten zurück. Als Hannah schließlich auf ihrem Blog anbot, handgeschriebene Nachrichten zu verschicken, nahm ihr Projekt eine ganz andere Dimension an. Über Nacht explodierte ihr Postfach förmlich mit Anfragen aus aller Welt. Hannah Brencher hat eine innovative und doch einfache Methode gefunden, die Themen Miteinander und Sinn des Lebens ganz neu und erfolgreich aufzugreifen. Sie inspiriert mit ihrer Geschichte alle, die mehr Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe in ihr Leben bringen wollen.

Hannah Brencher ist Autorin und Bloggerin. Als sie mit Anfang 20 nach dem College nach New York zieht fühlt sie sich einsam und verlassen. Als Gegenmaßnahme beginnt sie Liebesbriefe zu schreiben und hinterlässt sie für Fremde an den unterschiedlichsten Orten. Daraufhin gründete sie 2011 die weltweite Initiative 'The World Needs More Love Letters' mit inzwischen über 20.000 Mitgliedern, verteilt auf 6 Kontinente und 53 Länder, die handgeschriebene Briefe an Menschen verschickt, die Aufmerksamkeit bedürfen. Verschiedene Medien berichteten über sie und ihre Initiative, u.a. The Wall Street Journal, USA Today, Glamour und die Chicago Tribune. Das Weiße Haus in Washington ernannte sie zu einer der 'Women Working to Do Good' und sie ist Sprecherin für den United States Postal Service. Ihr TED Talk 2012 fand sehr große Ressonanz und begeisterte über 175.000 Zuschauer. Mehr Informationen unter HannahBrencher.com oder MoreLoveLetters.com.

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Leseprobe

Dicke Liebe

Der Tag, an dem ich nach New York zog, ist in meiner Erinnerung weitaus romantischer, als er tatsächlich war. Meine Mutter würde sagen, die Luft sei trocken gewesen an diesem Morgen und wir hätten auf der gesamten Fahrt zum Bahnhof kein Wort miteinander gesprochen. Ich neige dazu, die ganze Sache aufzubauschen und davon zu schwärmen, wie die Vögel zwitscherten und wie uns die Briefkästen mit ihren kleinen roten Fahnen zum Abschied winkten, während wir durch New Haven, Connecticut, zum Bahnhof fuhren. Meine Mutter würde sagen, ich hätte überall in meinem Zimmer Haarklammern liegen lassen. Ich sage, dass ich alles im Gepäck hatte, was ich an diesem Tag brauchte: Träume verstaut neben Strickjacken, Wünsche versteckt in Gummistiefeln.

Das ist schon immer mein Verhängnis gewesen – meine Mutter kann ein Lied davon singen: Ich bin eine Romantikerin. Ich mische Herzschmerz bei, wo keiner sein sollte. Ich lasse die Dinge zu nah an mich heran. Ich halte länger an allem fest, als mir guttut. Das ganze Leben ist für mich schon immer ein einziger dicker Gedichtband gewesen und jeder einzelne Mensch ein wandelndes Gedicht: von seinen Hoffnungen und Träumen bis hin zu seinen schlechten Angewohnheiten. Das Leben ist nur zu hektisch, um einfach mal innezuhalten und sich länger einer einzelnen Sache zu widmen.

In Wahrheit ging an einem meiner Koffer eine der hinteren Rollen kaputt, und danach war alles aus dem Gleichgewicht. Das rückradlose Gepäck verhöhnte mich vom Rücksitz aus, als meine Mutter und ich vom Highway abfuhren und Kurs auf den Bahnhof von New Haven nahmen.

Ich sagte meiner Mutter nichts von der kaputten Rolle. Sie ist kein ängstlicher Typ, doch es hätte sie beunruhigt. Und sie hätte versucht – mit jeder mütterlichen Faser in ihr – ihrem Küken zu helfen.

Das war ich: das Küken der Familie. Insgesamt waren wir drei Geschwister: mein älterer Halbbruder, mein richtiger Bruder, den ich früher immer meinen irischen Zwilling nannte (ist er nicht), und schließlich ich. Ich beschreibe mich gern als eine Mischung aus der impulsiven Art meiner Mutter und der zupackenden Art meines Vaters. Meiner Mutter verdanke ich es, dass ich mich gern von Menschen in tiefgründige Gespräche verwickeln und von gutaussehenden Spaniern einwickeln lasse. Meinem Vater verdanke ich einen ausgeprägten Hang zum Sammeln. Die beiden bilden ein gutes Team. Seit Jahren schleppt mein Vater messi-artig Dinge in unser Haus, und meine Mutter wartet dann, bis er auf dem Sofa eingeschlafen ist, um alles wieder abzutransportieren und der Wohlfahrt zu spenden. Ich liege irgendwo dazwischen: Ich will alles, was in meine Umlaufbahn gerät, festhalten und gleichzeitig wieder loslassen.

Als ich klein war, wussten viele Menschen gar nicht, dass es mich gibt. Sie waren überrascht, wenn sie hörten, dass das schlaksige, rothaarige Mädchen, das bei Baseballspielen immer schweigend am Zaun saß und Freundschaftsbänder knüpfte, die Schwester der Brencher-Jungs war, dieser Lokalmatadoren, wenn es um Sporthallen, Spielfelder oder sonstige Plätze ging, auf denen um Sieg oder Niederlage gerungen wurde. Lange Zeit lebte ich in deren Schatten. Nicht mit Absicht. Ich blieb einfach gern für mich. Und es gefiel mir, meine eigenen kleinen Welten zu erschaffen, in denen ich alles kontrollieren und so tun konnte, als wären die vielen gutaussehenden Männer und Frauen aus dem JC-Penney-Katalog meine Freunde und nicht irgendwelche Models, die ich ausschnitt und in meine Kindertagebücher klebte.

Ich war die Letzte aus der Familie, die aus dem Haus mit den türkisfarbenen Fensterläden auszog und unsere Eltern allein zurückließ. Mein ältester Bruder war nach dem College mit seiner Freundin zusammengezogen. Er und ich unterschieden uns dahingehend, dass er einfach immer wusste, was er wollte, und diese Ziele konsequent verfolgte. Und ich? Ich bin eher der Typ, der schon eine handfeste Krise bekommt, wenn er sich morgens im Coffeeshop für ein Heißgetränk entscheiden muss. Mein anderer Bruder kämpfte zu jener Zeit mit einem Suchtproblem, weshalb er zu Hause wohnte, wenn er clean war, und außer Haus, wenn er es nicht war.

Während wir auf den Zug warteten, konnte ich sehen, wie meine Mutter etwas in meinen Koffer steckte. Ich versuchte zu vergessen, dass es da war. Ich spielte mit meiner Fahrkarte herum und sehnte die Abfahrt herbei. Ich wusste, dass es ein Brief war. Es war immer ein Brief.

Es gibt drei Dinge, die ihr über meine Mutter wissen müsst. Erstens: Sie ist ein Mensch, dem alle Herzen zufliegen. Zweitens: Es gibt wohl niemanden auf dieser Welt, dem meine Mutter je nahestand, der nicht den Klang eines Kazoos auf seinem Anrufbeantworter kennt. Es ist eine meiner lebendigsten Kindheitserinnerungen: Meine Mutter blättert durch ihr Adressbuch und sucht den Namen von wem auch immer heraus, der laut ihres Kalenders Geburtstag hat. Kurz darauf ist das Wählen des schnurlosen Telefons zu hören. Meine Mutter wartet einen Moment, dann schallt das Kazoo, auf dem sie »Happy Birthday« spielt, durch das ganze Haus.

Die dritte Sache, die ihr über meine Mutter wissen sollt, ist, dass sie ein nostalgischer Mensch ist, und so wie es aussieht, hat sie mir diese Eigenschaft vererbt. Mein ganzes Leben lang hat sie Liebesbriefe für mich versteckt. Da steckte ein Zettel auf einem Stück Schokoladenkuchen, als mich mein erster Liebeskummer am College heimsuchte. Da lag eine Karte auf meinem Armaturenbrett an dem Tag, als Whitney Houston starb. Konfetti rieselte aus dem Umschlag. Noten hüpften auf der Vorderseite auf und ab. Mit rotem Filzstift hatte sie sechs Worte geschrieben: And I will always love you. Wie Brotkrumen folgte ich über die Jahre hinweg den Liebesbriefspuren meiner Mutter.

Jedes Kommen und Gehen, das wir miteinander erlebten, ging mit Briefen, Nachrichten und kleinen Geschenken einher, als könnten Papierschnipsel und Konfetti verhindern, dass zwei Menschen sich je voneinander lösen. Nach dem Umzug in mein erstes Zimmer im Studentenwohnheim zum Beispiel, fand ich ihre winzigen Spuren beim Auspacken der Kisten überall. Da steckten Briefe in Tupperdosen und Zettel in Büchern, die ich noch nicht einmal aufgeschlagen hatte. Das ganze Semester über tauchte in irgendeiner Form meine Mutter auf. Im Unterricht. In Versammlungen. In Pausen. Meine Mutter ist eine wahre Expertin darin, den Menschen um sich herum nicht nur das Gefühl zu geben, dass sie da war, sondern auch den Beweis dafür zu hinterlassen.

Einer der Briefe, die sie mir in meiner ersten Woche am College schickte, enthielt ein langes Zitat aus dem O, The Oprah Magazine, das sie bei einem Arzt im Wartezimmer abgeschrieben hatte. Das Zitat handelte von einer Mutter und ihrer Tochter. Von deren Abnabelung. Die Tochter war gerade dabei, von zu Hause auszuziehen, den Schritt ins Erwachsenenleben zu gehen und damit die sichere Hand der Mutter loszulassen. Das Mädchen wandte sich zur Tür, und die Mutter wollte ihr gerade noch ein paar letzte Worte mit auf den Weg geben, da hielt sie inne. Es war der Moment, in dem sich die Mutter sagen musste: »Ich habe ihr alles gegeben, was ich konnte. Jetzt muss ich darauf vertrauen, dass es genug war. Den Rest muss sie allein sehen, fühlen und verstehen.«

Ich musste schwer schlucken, als ich das Zitat zum ersten Mal las. Ich las es fortan immer laut. Doch egal, wie oft ich es las, ich fühlte mich unter der kritzeligen Handschrift meiner Mutter jedes Mal nackt und entblößt. Die Karte mit dem Zitat ging irgendwie verloren, und meine Mutter konnte sich nicht erinnern, in welcher Ausgabe des Oprah Magazine sie es gefunden hatte. Ich verbrachte den darauffolgenden Sommer damit, jedes einzelne O Magazine in der Stadtbücherei zu durchforsten, um den Beweis dafür zu finden, dass es den Artikel wirklich gab, doch ich fand ihn nicht. Ich suche bis heute danach.

Die Briefe meiner Mutter begleiteten mich mein ganzes Studium hindurch. Ich schätze, ich war eine der einzigen am ganzen College, die einen Grund hatte, nach Unterrichtsschluss an ihr Postfach zu gehen, und das lag hauptsächlich daran, dass meine Mutter weder ein Handy besaß noch in irgendeinem sozialen Netzwerk angemeldet war. Ich hatte ihr bestimmt tausend Mal gesagt, dass sie sich ein Handy zulegen sollte, doch sie gab mir immer nur die gleiche Antwort: »Ich bin über fünfzig Jahre ohne ausgekommen. Warum sollte ich jetzt damit anfangen?«

Ich vermute, dass mir nie klar war, wie viel Kraft in ihren Briefen steckte oder warum sie sie mir schickte, bis meine Großmutter starb. Ich war im ersten Semester, als es passierte. Es war September. Die Luft roch bereits nach Herbst. Meine Großmutter hatte den gesamten Sommer über geistig verwirrt in einem Krankenhausbett gesessen. Sie war wie eine Fremde, die sich die Augen eines Menschen geborgt hatte, den ich liebte. Ich wusste, dass meine Mutter und ihre Geschwister darauf warteten, dass sie erlöst wurde. Sie wollten sie endlich an einem besseren Ort wissen.

Ich zog in dem Bewusstsein in mein erstes Studentenzimmer, dass schon bald der Anruf meiner Eltern kommen würde. Ihr wisst, welchen Anruf ich meine. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Abend am College. Überall sprangen Studenten aus höheren Semestern in den gleichen Outfits herum, klampften auf Gitarren, rappten, wie es nur Weiße können, und animierten uns zu Kennenlernspielen, bei denen wir nur allzu offenherzig über unsere Sommerferien sprachen. Als ich an der Reihe war, von meinem Sommer zu erzählen, konnte ich mich gerade noch zurückhalten zu sagen: »In diesem Sommer habe ich gelernt, wie der Tod ein Haus abreißt. Stein für Stein. Stück für Stück. Der Tod tritt auf wie ein Arbeiter, der sich...

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